Ich sehe eine Jahreszeit doppelt
Die
Brezel im Wald
Geht 'ne
große Brezel durch den finsteren Wald. Sie schaukelt sich aufrecht stehend
vorwärts. Die großen weißen Salzkristalle auf ihrem knusprigen Rücken
funkeln im Mondlicht. Du fragst dich, wohin sie will? Was meinst du wohl? Wohin
will eine einsame Brezel nachts im Wald? Es ist schon ein irres Bild, wie
sie da so langsam zwischen den Bäumen dahinwippt wie ein Schaukelstuhl
mit verschränkten Armen, der immer ein bisschen weiter nach vorne
rutscht. In das Knistern und Rascheln des Waldes hinein hörst du dieses
schwingende Geräusch. Gebannt schaust du zu. Du glaubst, du siehst nicht
recht. Das gibt's doch gar nicht! So was ist doch verrückt. Aber, Moment mal,
... Da! Die Brezel hält an. Sie geht auf einen Baum zu. Als sie unter seinen
Zweigen durchschrappt, fallen ein paar Salzkörner ins trockene Laub. Sie
dreht dir sittsam ihren Brezelrücken zu. Du hörst es rieseln! Das kannst
du keinem erzählen. 'Ne Brezel, die im Wald spazieren geht und mal austritt.
Du schüttelst den Kopf und seufzt. Das hört die Brezel. Sie zuckt so heftig
zusammen, dass ihr noch ein paar Salzkörner vom Rücken stürzen. Beklommen
dreht sie sich zu dir um. Zwei hohle Augenlöcher blicken dich an. Und hast
du nicht gesehen schwingt sie davon, aber so schnell, als hätte sie einen
Motor. Irgendwann siehst du nur noch Salzkristalle in der Dunkelheit
funkeln. Du bleibst zurück und denkst an die sanfte Wiege, in der du lagst,
als du ein Kind warst. Du folgst dem Flirren der ausgestreuten Salzkörner.
In der Ferne hörst du Musik und Gelächter. Nun weißt du, wohin die Brezel
ging. Da wärest du übrigens auch eingeladen. Folge nur den kleinen Sternen
im Laub. Vielleicht gibt's zu der Brezel ja ein Bier. Und nun mach, bevor
noch ein Fass Bier des Weges dahergerollt kommt!
Copyright by Hanna Jüngling
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