Montag, 6. Januar 2020

Trinitätslehre auf dem Prüfstand — Brief XV. an Unitarier und Trinitarier III.: Die Rekonstruktion des verlorenen Bezugs zu Gott durch Bildersprache im Alten Testament

Trinitätslehre auf dem Prüfstand — Brief XV. an Unitarier und Trinitarier: Sind die Begriffe „Gott“ und „Vater“ als Titel (und nicht ontologisch) zu verstehen?

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III.

Die Rekonstruktion des verlorenen Bezugs zu Gott durch Bildersprache im Alten Testament

Die Rede von Gott im AT weist zahlreiche Unschärfen auf: Ist er alleiniger und einziger Gott der Gattung nach, oder ist er — wie es eben auch immer wieder sowohl im AT als auch im NT heißt — der „Allerhöchste“ und damit Gott inmitten von bzw über Göttern, also Entitäten, die seiner Gattung zugehören? Wer sind die mehrfach benannten „elohim“ (Götter) und speziell die in Ps 82,1, die Gott umgeben? Wer sind die „b’nei elohim“ (Göttersöhne/Gottessöhne) zB in Gen 6,2 oder Job 1,6, die an anderen Stellen auch „b’nei elim“ genannt werden[1], und offenkundig nicht den Gott, aber auch keine Menschen meinen? Ihre Deutung als „Engel“ geschieht erst in den spätesten Texten des AT und im Frühjudentum. Sprachgeschichtlich ist ihre Herkunft nach Keilschriftfunden aus Ugarit eindeutig von dem orientalischen Götterkönig „El“ abgeleitet, der ein Pantheon von „Gottessöhnen“ hat. Man könnte diese biblischen Anklänge an heidnische Vorstellungen nun einfach überspringen und als Zwischenstadium abtun. Dem steht aber entgegen, dass wegen der Vermischung von solchen Göttersöhnen mit Menschentöchtern in Gen 6 überhaupt erst der Anlass für die Sintflut gegeben war. Hier muss etwas Ernsteres und Realeres vorliegen. Es ist auffällig, dass bei der Kanonisierung der westlichen Bibel fast alles eliminiert wurde, was darauf noch einmal Bezug nimmt. Das Buch Henoch, das in der äthiopischen Christenheit als kanonisch gilt[2], führt eine Tradition der Bezugnahme auf diese auch in unserem Kanon wichtige und eindeutig überlieferte Katastrophe fort. Sie werden im NT an zwei Stellen ebenfalls erwähnt, sind aber ohne die außerbiblische Überlieferung, aus der sogar einmal im Judasbrief fast wörtlich zitiert wird, nicht verständlich (Jud 14; 2. Petr 2,4). Zur Zeit Jesu war diese Tradition noch weit bekannt und wurde erst nach der Tempelzerstörung von rabbinischer Seite unterdrückt.[3] Der Kommentator „Holger Jahndel“, der auch als „Jason Klingor“ hier auf dem Blog postet, weist immer wieder auf diese Zusammenhänge hin.
Was fangen wir damit an?

Unitarier argumentieren damit, dass selbst Menschen als „Gott“ („elohim“) bezeichnet werden im AT, wenn auch eher selten, und Jesus darum auch „elohim“ sein kann, ohne deshalb mit dem Gott auf einer „Stufe“ zu stehen. Der Begriff „elohim“ für den einen Gott wird genauso gut auch für die Götter der Heiden in der Mehrzahl verwendet. Warum die unitarische Position dann aber immer wieder behauptet, wenn Jesus „Gott“ wäre, müssten folglich zwei Götter vorliegen, und das gehe ja nicht, weil ja Gott „einer“ ist, dann liegt hier — ich sagte es schon in Teil I — ein schwerwiegender Argumentationsfehler und Widerspruch vor:
Die Argumentationsebene des bloßen Gattungsnamens, der aufgrund des biblischen Sprachgebrauchs eben doch ganz eindeutig vorliegt und für eine „biblische“ Argumentation folglich nicht einfach umgangen werden kann, wird hier verlassen und unvermittelt auf die Ebene der Frage, ob es überhaupt der Gattung nach noch andere „Götter“ geben könne, verlegt, von der man einfach annimmt, die eindeutige „biblische“ Position sei radikal monotheistisch.
Wenn es jedoch im Schrifttext so ist, dass der Begriff „elohim“ ein weites Bedeutungsfeld hat, ist es doch gar nicht anstößig, wenn auch andere Entitäten „Gott“ genannt werden! Man müsste konsequent sagen: ja und — dann gibt es eben zwei Götter, wobei der Vater der „Allerhöchste“ ist. Dieser „Lösung“ stehen aber tatsächlich einige Tatsachen entgegen, die sich schon entwickelt hatten.
Durch die Ausreifung des Judentums hin zu einem strengen Monotheismus war diese Deutungsmöglichkeit, die in der älteren Tradition des AT noch möglich gewesen wäre, hier nicht mehr möglich.
Die frühe Christenheit zerriss sich an der Frage, ob Jesus dann — wie im Arianismus — ein Gott, „wesensähnlich“ mit dem Gott sei und darum subordiniert, oder eben, weil nur ein Gott vorhanden sein kann, bloßer Mensch ohne göttliches Wesen oder eben wesensgleich und identisch mit der einen Gottheit, was sich, wie wir wissen, — allerdings nicht mit redlichen Mitteln — , durchgesetzt hat und zu zahlreichen logischen Brüchen und Absurditäten geführt hat. Gerbers Kritik, dass die Vertuschung dieser Denkprobleme mit der Behauptung, die Binitarität sei eben ein „Geheimnis“, unredlich ist, ist berechtigt. Nicht berechtigt ist jedoch die Auffassung, es liege in der Relation zwischen dem Gott und dem Sohn Gottes überhaupt kein Geheimnis vor — wo soll sonst je ein Geheimnis vermutet worden sein, wenn nicht hier! Es ist natürlich unredlich, eine verwinkelte Formel zusammenzubasteln und deren innere Brüchigkeit dann mit einem angeblich göttlichen Geheimnis zu kaschieren. Die bezeugte Erscheinung Jesu Christi im Fleisch ist aber etwas anderes — kein Mensch hätte so etwas machen oder erfinden können, eben weil es nicht denkbar ist.

Die gesamte christologische Diskussion des ausgehenden Altertums und der Spätantike ist eine Folge des in Israel erreichten radikalen Monotheismus, in den ein Christus nach der Zeichnung der NT-Texte und auch mancher frühchristlicher Schrift argumentativ und logisch nicht mehr eingefügt werden kann. Ein transzendenter Messias, dessen politische Manifestation schon „mitten unter“ uns, aber „nicht von diesem Weltsystem“ war, konnte im Stand der Entwicklung Israels nicht mehr vorgestellt werden.
Wie immer man es anfängt, ob unitarisch, arianisch oder binitarisch (dass der Hl. Geist in jedem Fall wesenhaft und unteilbar göttlich ist, stand wohl nie zur ernsthaften Debatte): Man stößt auf eine begriffliche Grenze.
Egal, wo wir stehen — wir müssen zugeben, dass wir die Erscheinung Jesu Christi tatsächlich als Geheimnis anerkennen müssen, das sich nicht einfach in ein Gotteskonzept auflösen lässt. Für jede der drei Denkmöglichkeiten finden sich im NT Argumente. Können aber alle drei gleichermaßen gelten?
Logisch gesehen nicht.
Aber vielleicht liegt der Fehler — was meine These wäre — im Stufendenken. Innerhalb eines hierarchischen Konzeptes muss eine Erkenntnis Jesu und des Vaters zwingend verfehlt werden, egal von wo aus man ansetzt.

Erschwerend kommt hinzu, dass die jüdische Apokalyptik und Hekhalotliteratur, die bereits in den als kanonisch geltenden späten Büchern des AT (Daniel, Ezechiel) beginnt, in den außerkanonischen Schriften offenbar babylonische Elemente übernommen und eine Vermischung der Traditionen erzeugt hat, eine heidnisch-jüdische Synthese hergestellt hat, die kaum mehr auseinander zu dividieren ist und vielleicht darum im rabbinischen Schrifttum verworfen wurde, weil man Angst hatte, zurückzufallen in Heidnisches, einem Weg, dem die weströmische Kirche dann hinsichtlich der Kanonisierung folgte, hinsichtlich des Trinitarismus aber wiederum eher entgegenstand, für den sich einige Impulse aus eben dieser außerkanonischen jüdischen Literatur finden.[4] Diese Traditionen sind dann aber „untergetaucht“ und in der Kabbala und mindestens einigen (esoterischen) Logen, teilweise offen auch in manchen protestantischen Traditionen v.a. im Pietismus, verdeckt und in arkanischer Disziplin womöglich auch in der römischen Hierarchie bzw bestimmten Orden (bekannt ist der Vorwurf an die Templer) weitergeführt worden.
Kurz gesagt: es liegt ein echtes geistiges Chaos vor, das kein Mensch mehr lösen kann.

Trinitarier argumentieren damit, dass sich im Pluralwort „elohim“, das auch im AT, wenn es um die Götter der Heiden geht, als Pluralwort benutzt wird, andeute, dass Gott mehrfaltig sei. Das könnte theoretisch der Fall sein, aber theoretisch wäre auch anderes denkbar:
Man könnte auch so argumentieren, dass die Pluralisierung des ugaritischen und auch sonst im vorderen Orient bezeugten Vater-Gottes „El“, dessen Gemahlin die bekannte „Aschera“ war, und der mit dem Gott Kronos identifiziert wurde, die Überlegenheit des hebräischen „El“ anzeigen sollte.[5] „Elohim“ wäre, wenn man so argumentiert, in der linguistischen Steigerung durch den Plural der Bedeutung nach verwandt mit dem „El eljon“ bzw. „hypsistos“, dem „Allerhöchsten (El)“, häufige Bezeichnung für den Gott im AT und im NT.[6] Man würde aber zugleich auch besser verstehen, warum die Israeliten immer wieder den JHWH-Kult mit dem des „El“ oder der „Baale“ (was ebenfalls dem Wortstamm nach von „El“ kommt) vermischt haben: es erschien ihnen als zusammengehörend.
Wir kennen das auch aus unserer Zeit: Viele denken, „Gott“ meine doch immer „eigentlich“ dasselbe und sind daher offen für einen Synkretismus. Allerdings gibt es auch in der Schrift immer wieder Annäherungen an eine solche Position neben scharfer Ablehnung, zB in der Areopagrede des Paulus.
Auch hier sind „Gottes-Designer“-Antworten verwehrt.

Auf dieser argumentativen Ebene kommen wir also nicht weiter: jeder pickt sich das heraus, was ihm gefällt und vernachlässigt das, was ihm nicht gefällt. Und es gibt, wie gesagt, gute Argumente für alle Seiten. Die Schrift ist darin nun einmal nicht wirklich eindeutig und das Prinzip, dass sie sich selbst am besten auslege, stößt hier an scharfe und schmerzhafte Grenzen. Denn andererseits kann nicht alles, auch das, was sich offenbar widerspricht, gleichermaßen „wahr“ sein.

Die Imaginationen von einem Hofstaat Gottes, zB im Buch Job oder allgemein als „JHWH z’waot“ (JHWH der Heerscharen) oder in den Visionen einiger Propheten führt uns etwas anderes als strengen Monotheismus vor Augen. In den Visionen und Erzählungen wird Bezug genommen auf antike Höfe, und es ist eine spannende Frage, ob sie sie einfach nur für sich in Anspruch nehmen und mit dem „wahren Gott füllen“ oder ob sie nicht sogar eine Kritik an ihnen beinhalten. Die Zeichnung Gottes als eines Königs inmitten eines geradezu gigantischen Hofstaates teilweise unvorstellbar hochgestellter himmlischer Wesen, deren Gestaltung mit Tiergesichtern eigentümlicherweise an Göttervorstellungen vor allem Ägyptens erinnern, kann jedenfalls nicht einfach ohne genaueres Verständnis, wovon hier die Rede ist, interpretiert werden. Wir stehen vor Rätseln über Rätseln.

Visionen sind, psychologisch gesprochen, geprägt von einer Inkonsistenz, oft sogar Absurdität der Bilder, der Struktur von Träumen ähnlich, in keinem Fall fassbar oder auflösbar. Die Verarmung, die in unserem Äon grundsätzlich jeder Abbildung gegenüber dem Urbild innewohnt, schlägt zu Buche. Die Vision ist deshalb fließend oder absurd, weil Bilder niemals eine ganze Wirklichkeit abbilden können. Das Bilderverbot des Dekalogs hat hier seinen wohl tiefsten Grund: was immer wir abbilden wollen, auch sprachlich, bedeutet grundsätzlich eine Reduktion oder Verarmung der Wirklichkeit.
Wir ertragen ja tatsächlich die wirkliche Wirklichkeit schon in unserem Lebensraum, dieser Erde, und wahrgenommen mit unseren Sinnen, nicht und können sie nicht fassen. Schon die banale Situation, wenn wir in einer weiten Landschaft stehen oder mitten im Getümmel einer Einkaufsstraße, belehrt uns darüber, dass wir nicht in der Lage sind, „das Ganze“ zu sehen. Wir nehmen selektiv wahr, versuchen in der Selektion die wesentlichen Aspekte einer Situation „holzschnittartig“, der großen Kontur nach, festzuhalten, um den Rest eventuell in der Erinnerung rekonstruieren zu können. Daher kommen auch abweichende Zeugenaussagen und die Unmöglichkeit absolut übereinstimmender Zeugnisse. Wir wären hoffnungslos überfordert, wollten wir „alles“, in das wir gestellt sind, wahrnehmen. Lernvorgänge gelingen beim Menschen sogar ausschließlich durch didaktische Reduktion. Das ist kein Problem, solange man weiß, dass man eine Reduktion vornimmt, um Zugang zum Ganzen zu finden.
Alles Reden von Gott nimmt ebenfalls eine didaktische Reduktion vor.
Aber es ist verheerend, dass wir die Neigung haben, die Reduktion zu verabsolutieren und mit der unermesslichen Größe des Urbildes nicht mehr zu rechnen.

Die Bedeutungsfelder von Gott als „König“ und „Chef“ würden zunächst auf den ersten Blick hin tatsächlich eine Auffassung stärken, die zumindest einmal den Begriff „Gott“ („elohim“) als Titel verstehen lassen: Ein Gott ist in der Reduktion der Metaphorik immer ein Vorgesetzter und setzt eine hierarchisch gedachte Welt voraus. Insoweit könnte ich Gerber rechtgeben, müsste aber redlicherweise zugeben, dass damit die Frage nach dem Sein Gottes, seines Hofstaates, seiner Geschöpfe und seiner Unermesslichkeit, an der der Mensch geheimnisvoll Anteil hat, nicht geklärt wurde und letztendlich immer noch im Raum steht. Geschweige denn die Gestalt des Christus ein wenig „gelüftet“ worden wäre in ihrem Mysterium …

An eine Einordnung des Namens JHWH wage ich mich erst gar nicht — sie ist so schillernd im AT, dass es unmöglich ist, überhaupt bestimmen zu wollen, in welcher Relation dieser Gott zu Israel bzw der Menschheit steht. Er „wird“ wirklich „sein, der er sein wird“, bleibt in dieser Selbstbezeichnung am brennenden Dornbusch ungreifbar.
Seine Rede an Mose kann man — irdisch gesinnt — als „Befehl“ oder „Anweisung“ verstehen. Insofern wirkt er wie ein Vorgesetzter, aber trifft das das beschriebene Ereignis? Der Grund, auf dem Mose nun steht, ist heilig, heißt es. Er soll deswegen die Schuhe ausziehen. Warum eigentlich? In jedem Fall erfährt er durch die Barfüßigkeit direkte Berührung mit dem Heiligen. Er wird hineingenommen ins Heilige. Im Heiligtum erhält man aber keine „Direktiven“ und „Anweisungen“ mehr. In einem gewissen Sinn wird man vielmehr tatsächlich „eingeweiht“ in das Heilige und kann von da aus verstehen, was zu tun ist. Außerhalb dieses Heiligtums wäre man niemals darauf gekommen.

Das Grundstürzende, Umwerfende, Außerordentliche und absolut Neue an der Dornbuschszene ist, dass hier ein Gott auftritt, der das Stöhnen der Sklaven gehört hat und sie befreien will. Uns mag das heute banal erscheinen, aber in der antiken Welt war die Sklaverei normal und gehörte in die göttliche Weltordnung, die selbstverständlich hierarchisch und rangmäßig war. Vom Himmel bis hinab in die Unterwelt wird eine Rangordnung vorgestellt, in der die Titelgötter, selbst auch wieder hierarchisch gegeneinander abgestuft, die Fortsetzung dieser Struktur in der Natur initiieren. Hier ist es allerdings wichtig zu bemerken, dass dies nicht nur als bloße Titelgattung gedacht war, sondern ontologisch. Je weiter oben auf der Stufenleiter, desto „größer“ oder „gewichtiger“ bzw umfassender auch das Sein. Ein Verständnis des Göttlichen im Sinne einer reinen Verwaltungsstruktur mit Titelämtern, die zusätzlich zur ontologischen Verfasstheit des Trägers kommen, lag mit ganzer Gewissheit nicht vor. Wenn Gerber so argumentiert, tut er das als durch und durch postmoderner Mensch.

Dass nun also ein Gott auftritt und diese angeblich göttliche Rangordnung für die, die an der untersten Stelle stehen, nicht nur lindern (etwa durch mildere Arbeit oder ähnliches), sondern total aufheben will, ist ein echter „Hammer“.
Genau dieses Motiv liegt meiner großen Skepsis gegenüber jeder Hierarchievergötzung zugrunde, eben weil dieser Gott sich als „Gott der Sklaven“, als „Gott der Fronarbeiter“ offenbart. Der Begriff „hapiru“ oder „’abiru“ bedeutet nach zahlreichen keilschriftlichen und hieroglyphischen Schriftfunden aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. „Outlaw“, „Paria“ und liegt mit sehr großer Wahrscheinlichkeit dem Begriff „Hebräer“ zugrunde, der im AT im wesentlichen auch nur im Umfeld der Exodusgeschichte bzw einer Sicht auf die Israeliten als Auszubeutenden und „Underdogs“ vorkommt.[7] In Ex 5,3 sagen Mose und Aaron ausdrücklich, der „elohei ha’iwrim“ sei ihnen „begegnet“. Es ist dies ihre Reaktion auf die Aussage des Pharaos, er kenne keinen JHWH, wer denn das sei? Dieser JHWH, so antworten die beiden Brüder, ist der „Gott der Fronarbeiter“.
Niemals zuvor wurde je so etwas gehört!

Es gibt das Motiv des Rates und Beistandes, den ein Schmachtender erhält, und jener Rat kann von jedem, theoretisch auch von einem Diener kommen. Ratgeber sind Wohlwollende, Liebende, Freunde — egal welchen Rang sie einnehmen. Sie geben nicht Rat, weil sie einen Titel als Ratgeber hätten, sondern weil hier und jetzt ein Rat notwendig ist und sie ihn geben können. Die Liebe, das Wohlwollen ebnet jeden Rang ein: So erfährt der kranke syrische Regierungsbeamte Na’eman von seiner hebräischen Dienerin, was er tun und wohin er gehen soll, um geheilt zu werden.
Nicht immer also beweist das „Anweisunggeben“ ein Hierarchiegefälle oder einen Titel. Der „Gott der Fronarbeiter“ erteilt dem, der sie herausführen soll aus dem Sklavenhaus, nicht Anweisungen, sondern nimmt ihn hinein ins Heilige — auch das ist unerhört.

Mit dem Rückzug auf ein Verständnis Gottes als „Titel“ kommt man angesichts dieser biblischen Szenarien letztendlich argumentativ nicht besonders weit und verrennt sich eher in etwas sehr Enges und Kleines, das auch die alte, nie überwundene Versuchung zur Herrschsucht enthält, die man auf den Gott projiziert.

In der Erzählung von Mose am brennenden Dornbusch geht der Gott der Väter (Abrahams, Isaaks, Jakobs) auf die Nachkommen dieser Väter am untersten Ende der hierarchischen Stufenleiter zu und will sich mit ihnen zusammenschließen.
Wie sollte man sich ernsthaft darüber verwundern, dass der Pharao darauf mit äußerster Ablehnung reagiert: Wie in Ex 5 weiter berichtet wird, denkt er, die Fronarbeiter hätten offenbar nicht genug zu schaffen, um auf solche absurden Ideen zu kommen, es gebe einen „Gott der Fronarbeiter“. Aus der Sicht des ägyptischen Königs eine Blasphemie im Rahmen der hierarchischen göttlichen Weltordnung. Er lädt den „hapiru“ noch mehr Arbeit auf, um sie wieder daran zu erinnern, wer sie sind: Sklaven und dies gottgewollt. Und: dass er ihr Gott ist, denn der Pharao ist Abbild und Repräsentant des obersten Gottes und handelt an seiner Stelle in seinem Herrschaftsgebiet.[8]
Mit dem Auftreten eines „Gottes der Fronarbeiter“ wird alles über den Haufen geworfen: die Vorstellung einer Repräsentation Gottes durch Könige ebenso wie der Anspruch eines ranghöheren Gottes gegenüber einem Pariagott, der von Mose und Aaron auch— nota bene — nicht repräsentiert wird, sondern von dem sie sagen, er sei ihnen „begegnet“ und habe diese Wünsche, ein Gott also, der keiner Repräsentanz bedarf, weil er selbst eintritt in die Realität und selbst auftritt.

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[4] Vgl. dazu Peter Schäfer: Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums. Fünf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums (= Tria Corda. Bd. 6). Mohr Siebeck, Tübingen 2010; ders.: Zwei Götter im Himmel: Gottesvorstellungen in der jüdischen Antike . C.H.Beck 2017

Sonntag, 5. Januar 2020

Trinitätslehre auf dem Prüfstand — Brief XV. an Unitarier und Trinitarier - II: Die vollkommene Offenbarung Gottes in Christus ist etwas Neues

Trinitätslehre auf dem Prüfstand — Brief XV. an Unitarier und Trinitarier: Sind die Begriffe „Gott“ und „Vater“ als Titel (und nicht ontologisch) zu verstehen?

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II.

Die vollkommene Offenbarung Gottes in Christus ist etwas Neues

Seit Jesus Christus stellt sich nicht nur die Frage, wer er selbst genau war, sondern auch die, wer der ist, der ihn gesandt hat. Die eine Frage kann, seitdem Jesus Christus im Fleisch erschienen ist, nicht mehr ohne die andere angeschaut werden.

Angesichts Jesu wird deutlich, dass alles, was man zuvor über den Gott, von dem alles kommt, meinte, sagen zu können, vollends ins Wanken gekommen ist, auch der Monotheismus.
Zum Monotheismus, so verstanden, dass es nur einen Gott gibt, möchte ich die These aufstellen, dass er immer der Zielpunkt aller Religion gewesen ist, aber einen polytheistischen „Vorbau“ hatte, andererseits aber auch vor allem anderen ein menschliches Konstrukt mit positiven und negativen Folgen ist.

Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass alles systematische oder analytische Reden von Gott menschliches Konstrukt ist und bleiben muss. Jede „Gotteslehre“ ist, wenn wir wirklich annehmen wollen, dass Gott Gott ist und alles, was ist, von ihm kommt und in seinem Überblick aufgehoben ist, der uns fehlt, fragwürdig. Gott ist keine Theorie, keine Zahlenrelation, kein Tangramspiel. Und es gibt keine „biblische“ Gotteslehre. In der Bibel wird uns von Gott berichtet, seiner Auseinandersetzung mit den Israeliten und denen, in deren Mitte sie lebten, und seiner sukzessiven und überraschenden Offenbarung an Menschen, die nach Jesus Christus eigentlich an Fahrt hätte aufnehmen sollen im „Geist der Weissagung“ und dem Charisma der Prophetie (dazu später). Es wird immer wieder von verschiedensten Lesern und Gläubigen schlicht formuliert, dass Gott der schlechthin „Andere“ sei. Wenn er in unser Leben tritt, kann nichts mehr so bleiben, wie es war, vor allem nicht unser Denken über ihn und die Welt. Wenn er der radikal Andere ist, müssen auch wir radikal anders werden. Dieses radikale Anderssein hat für uns seine vollkommene Gussform in Jesus erhalten.
Ein rationaler Monotheismus wird ihm nicht gerecht und entwürdigt ihn in die Begrenzungen unseres Denkens.

Nur die altägyptische Amarnazeit (unter Pharao Echnaton bzw Amenophis IV., 14. Jh v. Chr.), die vermutlich vor dem Exodus liegt, kannte einen solchen radikalen monotheistischen Gottesbegriff, von dem Unitarier, insbesondere die Muslime, bewusst oder unbewusst bis heute glauben, er sei der Ursprung des wahren Glaubens und drücke sich auch im AT aus.
Man kann vermuten, dass diese Reformen Echnatons mit dem Versuch zu tun haben, einer irgendwie belastenden und quälenden geistigen Verfassung damals zu entrinnen. Der Exodus wird im AT ebenfalls als Befreiung aus „der Schande Ägyptens“ erzählt. Die Rückwendung zu dem eigentlich einen Gott lässt anklingen, dass die Kulte der anderen Götter unerträglich geworden waren, entmenscht und pervers, oder aber leer. Warum sonst sollte man ihnen absagen? Die Radikalität des Monotheismus drückt vor allem aus, dass eine klare, unwiderrufliche Unterscheidung vorgenommen wird zwischen dem Alten und dem Neuen. In der Hand des Menschen artet solche Radikalität leicht in Grausamkeit und Brutalität aus. Und es ist fraglich, ob auf diesem Weg wirklich Neues erreicht wird. Mit dem exklusiven Monotheismus, dessen Grundstruktur meint “Ich habe den Richtigen, ihr den Falschen/ich bin richtig, ihr seid falsch (und müsst vernichtet werden)“,  kommt das blutige und grausame „Eifern“ für Gott auf.

Ohne ein Verständnis dieses einen Urgrundes und Schöpfergottes durch die Gestalt Jesu Christi muss der exklusive Monotheismus ebenso fehlgehen und entgleisen wie der inklusive Monotheismus mit seinen polytheistischen Emanationen. Aber selbst mit einer Bezugnahme auf Jesus Christus ist noch nicht sichergestellt, dass man nicht doch wieder den aggressiven religiös-politischen Irrungen erliegt, denen Jesus zum Opfer fiel.

Jan Assmanns Beobachtung, dass exklusiver Monotheismus — ich sage es mit meinen Worten etwas abgewandelt — in seiner Entstehungs- und Verbreitungszeit zu einer Herzlosigkeit führe und einer gewalttätigen Einstellung gegenüber Andersgläubigen und Politik und Religion zu einem einzigen abgrenzenden Herrschaftsanspruch formt, ist, wenn wir in die Realität schauen, nicht ganz unberechtigt. Die psychologische Haltung des „Alles oder Nichts“, des „Entweder die oder wir“, die darin schlummert, kann keinen inneren und äußeren Frieden finden. Sie ist traumatisiert von einer zuvor gemachten Erfahrung der Leere und Ausgeliefertheit ans Öde, Nichtige und Zwanghafte und anschließend — das ewige Manko des „Konvertiten“ — von dem Drang besessen, den anderen auf die eigene Linie zu zwingen, von der man glaubt, sie sei unabdingbar — der Projektion nach — zum Heil des anderen und zur eigenen Stabilität in der „Wahrheit“.[1] Der Kontakt mit Andersgläubigen oder nun „Ketzern“ und „Häretikern“ wird gefürchtet, weil sie einen zurückziehen könnten in das, was man als falsch erkannt hat.
Es gilt demgegenüber, wenn man wirklich „biblisch“ denken will:

„13 Wer hat den Geist des HERRN ermessen, und wer ist der Mann seines Rates, den er unterwiese? 14 Mit wem beriet er sich, dass er ihm Einsicht gegeben und ihn belehrt hätte über den Pfad des Rechts und ihn Erkenntnis gelehrt und ihn über den Weg der Einsicht unterwiesen hätte?“ (Jes 40)

Martin Buber übersetzt das folgendermaßen:

„Wer hat SEINEN Geistbraus begriffen,
ein Mann, dem seinen Ratschluß er kundgäbe?
mit wem hat er sich beraten,
der zu unterscheiden ihm hülfe,
der um den Pfad des Rechts ihn belehrte,
der Erkenntnis ihn lehrte,
der den Weg der Unterweisungen ihm kundgäbe?“[2]

Was wissen wir wirklich von Gott? Wir alle, auch die die meinen, sie hätten einen besonderen Zugang zu ihm?

Radikaler Monotheismus verkennt vor allem eine Tatsache:
Das gesamte Heidentum ging ebenfalls von einem Ein-Gott-Glauben aus, der aber häufig in einen Kosmotheismus oder auch Pantheismus eingekleidet war: Gott ist einer in allem. Es ist ein inklusiver, offener Monotheismus.
Man kann das analog zur Polygamie sehen: auch deren Vertreter wissen, dass im strengen Sinn ein Mann nur eine „echte“ Ehefrau haben kann. Nur gestehen sie ihm neben der „echten“ noch „Nebenfrauen“ zu, die aber im Haus als „rangniedriger“ gelten.

Ganz ähnlich ist es mit dem Polytheismus: er konnte und wollte das Bewusstsein dafür, dass es „eigentlich“ nur einen Gott gibt, niemals auflösen. Dafür stehen die bekannten antiken Formeln „hen to pan“ (Einer ist alles) bzw „hen kai pan“ (ein und alles). Es gab und gibt keinen absoluten Polytheismus. Aller Polytheismus meint am Ende die eine (oft unbekannte oder unbenennbare) Gottheit.
Alle noch aktiven polytheistischen Religionen weisen (wie antike Überlieferungen, die untergegangen sind) genau diesen Befund auf, besonders gut erkennbar in den bis heute sehr lebendigen Hindureligionen, die mit dem „Brahman“ diesen Urgrund meinen, in dem alles ist und von dem alles kommt, im Sanskrit die „heilige Rede“ bzw das „Urwort“ oder die „heilige Kraft“, die die Hypostasen der verschiedenen Götter ausbildet. Da kein Mensch diesen Urgrund ohne Vermittlung erfassen kann, werden uns in diesen Religionen abgeschwächte, fassbare Hypostasen oder auch Emanationen der verborgenen Gottheit gegeben. Was im Polytheismus mit persönlichem Gesicht erschien, gestaltete der Neuplatonismus dann in seiner Emanationslehre abstrakt.

Es ist mE all diesen polytheistischen und neuplatonischen Gedankenmodellen und Praktiken wesentlich, dass sie in die Sphäre Gottes eine Hierarchie oder Rangordnung projizieren. Die Vorstellung, dass der Gott, der in allem wirksam ist, dort „abgeschwächt“ wirkt bis hin zu seiner völligen Abwesenheit (dem „Bösen“), ist eigentlich undenkbar: wie kann sich etwas, das göttlich ist, „abschwächen“?
Zugleich zeigt uns aber die gefallene Welt überdeutlich, dass sie nicht mehr im selben Maß gut ist wie ihr Schöpfer, sondern ihm sogar entgegensteht. Aus diesem Dilemma kommt man gedanklich nicht heraus. Die polytheistischen Religionen haben das Böse daher als göttliche Energie gedeutet, die irgendwie in die unbegreifliche Größe Gottes gehöre.
Die Genesiserzählung gibt eine etwas andere Richtung vor: Der Geist Gottes schwebt über den Urfluten und dem Tohuwabohu, dem Chaos. Das bedeutet: er hat den Überblick, wird aber mit dem Chaos nicht identifiziert. Die „Erkenntnis von Gutem und Schlechtem“ ist uns zwar mit dem „Essen vom Baum der Erkenntnis des Guten und Schlechten“ als tägliche Erfahrung möglich geworden, nicht aber eine Überschau darüber. Auch die Schrift gibt uns keinen Zugang zu dieser Überschau, die in der Frage „Woher kommt das Böse“ beantwortet werden müsste. Alle Antworten, die wir erreichen, sind unzureichend geblieben und müssen unzureichend bleiben. Wir mühen uns täglich ab in der Bekämpfung des Schlechten, aber es ist unmöglich, es zu überwinden — eben weil wir keine Überschau darüber haben wie Gott und noch dazu geschwächt sind durch unser Begehren, es zu „erkennen“, also: selbst durch und durch zu erfahren und kennenzulernen.

Gerbers Neigung zum hierarchischen Argumentieren steht in einer alten Gefahr, die Gefallenheit der Dinge der Restaurierungsabsicht Gottes in einem verfestigten Rangdenken festzuhalten und aus ihnen einen Zugang zu Gott herstellen zu wollen.
Jesus Christus lässt jedoch kein Rangdenken mehr zu. Er hat es mehrfach gesagt oder fast satirisch konterkariert, wie schon seine Mutter im Magnifikat: Gott stürzt die Mächtigen vom Thron und erhebt die Niedrigen, aber nicht so, dass nun die Rollen vertauscht werden, sondern alles vor Gott „eben“ wird, weil sonst Gott nicht eintreten kann zu uns:

„3 Eine Stimme ruft: In der Wüste bahnt den Weg des HERRN! Ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott!“ 4 Jedes Tal soll erhöht und jeder Berg und Hügel erniedrigt werden! Und das Unebene soll zur Ebene werden und das Hügelige zur Talebene!5 Und die Herrlichkeit des HERRN wird sich offenbaren, und alles Fleisch miteinander wird es sehen. Denn der Mund des HERRN hat geredet.“ (Jes 40)
Das „Hoch“- und „Niedrig“-Denken ist Hindernis für Gottes Einzug in unserer Mitte.

Daraus folgt natürlich nicht, dass Jesus „homoousios“ mit dem Gott ist, — das ist ebenfalls ein Rückfall ins projektive hierarchische Denken — aber in seiner erhobenen Gestalt zur Rechten Gottes wird das Rangdenken obsolet. Die trinitarische Formel hat an anderer Stelle wieder eine Entfremdung aufgerissen: zwischen Jesus als dem Ersten der Auferweckten, dem, der sich von Gott zu unserem vollständigen Heil einsetzen ließ — und uns anderen auf der Wesensebene.

Es ist dem Menschen offenbar fast unmöglich, ohne solches Denken auszukommen. Obwohl es ihn sein Leben lang quält, hält daran wie an einem Fetisch fest. Die ganze Menschheit seufzt unter der Ordnung der Welt in Ränge und Ausbeutung, symbolisch ausgedrückt in der „Sklaverei in Ägypten“ bis heute. Der politische und gott-lose Schachzug mancher Gleichmacherei heute ist nur eine Inversion des Rangdenkens und daher genauso verkehrt.

In der neutestamentlichen Formel „Einer achte den anderen höher als sich selbst“ (Phil 2,3) wird das Nächstenliebegebot noch überschritten und alle Forderungen nach der „Untertänigkeit anderer (unter mich oder den oder jenen)“ (denn darum geht es ja allen, die davon so gerne sprechen!) entlarvt. Es kann nicht darum gehen, dass man die, die einem gleichgestellt sind, etwa in einer „Bitte nach Ihnen“ - Höflichkeit, höflichkeits- oder formelhaft höher achtet, sondern dass man die, von denen man glaubt, dass sie einem „untergeordnet“, seien wirklich höher achtet als sich selbst und ernsthaft erkennt, dass sie einem nicht untergeordnet sind: Herren sollen also die Diener höher achten als sich selbst, Männer ihre Frauen, Eltern ihre Kinder. Dies aber natürlich mit Vernunft und ohne Sentimentalität. Diese Höherachtung soll, wenn es nicht anders geht (!), mitten im System dieser Welt mit ihren sozialen Hierarchien verwirklicht werden.

Die verschiedenen Kosmotheismen, die einen immanenten Monotheismus aufweisen, kennen alle eine „Verarbeitung“ des Bösen, die in den Kulten bestimmter Götter zu grausamen Tier- und Menschenopfern und schändlichen Ritualen geführt haben. Das Opferdenken setzt immer das Rangdenken voraus: weil die Götter über uns stehen, müssen wir sie abfinden.
Die Polemik und der Abscheu der Propheten im AT richten sich immer wieder gegen solche grausamen Opfer und Rituale. Israel installiert aber selbst ebenfalls einen grausamen Tier-Opferkult, dessen Sinn auf „Reinigung“ von Sünden abzuzielen scheint. In dieser Absicht stimmt er mit den Grausamkeiten der anderen überein. Jede Sühnopfertheorie muss daran scheitern, dass uns mehrfach gesagt ist, sowohl im AT als auch im NT, dass der Gott weder etwas nötig hat, noch bedient oder befriedigt werden muss.

Der Opferkult wird daher noch im AT immer wieder kritisch in Frage gestellt als etwas, das Gott eigentlich nicht wollte. Es ist nicht nur die genaue Intention altisraelischer Opfer bis heute unklar geblieben. Aufgrund archäologischer Funde nimmt man an, dass vor der Konzentration der Opfer im Tempel eine mehr oder weniger „wilde“ Opferpraxis üblich war, die von Gott weder geboten noch erwünscht war. Es muss angemerkt werden, dass es einen Fleischgenuss in der Antike niemals außerhalb von Opferkulten gab. Die Adventisten haben recht damit, wenn sie darauf hinweisen, dass der Fleischgenuss ursprünglich nicht für den Menschen vorgesehen war. Die gesamte Menschheit hat ihn daher nur im Rahmen solcher Kulte gewagt. Der Fleischkonsum ist ebenso wie die Praxis des Tieretötens Ausdruck der Sünde. Noch im NT wird jeder Fleischkonsum aufgrund eines Kultopfers verstanden. Daher wird den Christen wie schon den Israeliten der Konsum von Fleisch verboten, das anderen Göttern geweiht worden war.
Die Konzentration und gesetzliche Festlegung könnte man damit als Begrenzung und Eindämmung dieser altorientalischen Grausamkeiten deuten, von denen die Menschen nicht ablassen konnten. Die Klage der Israeliten in der Wüste und ihre Sehnsucht zurück an die „Fleischtöpfe Ägyptens“ erhält so eine Deutung, die uns etwas sagt darüber, was in diesem „Ägypten“, diesem „Sklavenhaus“ so schändlich war.
Die radikale Ablehnung blutiger Opfer, zB in Ps 40,6 oder 51,16, oder bei Jer 7,22f oder Amos 5,22 oder Micha 6,6, die es nicht aufnehmen können mit einem demütigen Geist, spricht eine deutliche Sprache:

„22 Denn ich habe nicht mit euren Vätern darüber geredet und ihnen nichts geboten über das Brandopfer und das Schlachtopfer an dem Tag, da ich sie aus dem Land Ägypten herausführte (…)24 Aber sie haben nicht gehört und ihr Ohr nicht geneigt, sondern sind nach den Ratschlägen und in der Verstocktheit ihres bösen Herzens gegangen; und sie haben mir den Rücken zugekehrt und nicht das Gesicht.“ (Jer 7)

Die ausführliche Gesetzes-Litanei über Opfer, die auf heutige Leser durchaus befremdlich wirken kann, im Buch Numeri wird damit in ein seltsames Licht getaucht: wie etwa das Verstoßungsrecht des Mannes gegen seine Frau, das Gott erlaubt habe, werden auch diese Opferpraktiken in die Nähe eines Zugeständnisses gerückt, weil die Menschen so verstockt und pervers waren, dass sie unfähig und unbelehrbar für ein einigermaßen angemessenes Gottesverständnis waren.

Die Auseinandersetzung Israels mit den Heiden drehte sich, wenn man die Schrift aufmerksam liest, nicht primär um eine Differenz darüber, ob es „einen Gott“ oder „mehrere Götter“ gebe, denn auch die Heiden glaubten an einen Allgott, einen „Allerhöchsten“, wie er auch in der Schrift immer wieder genannt wird.
Die Frage war vielmehr, wer dieser eine ist, der hinter allem steht, und wer mit ihm im Bund steht.
Dabei wird genau diese Frage im Buch Exodus vorläufig gar nicht beantwortet. Gott wird dort nicht als der Gott vorgestellt, sondern als ein spezieller Gott der Nachkommen Isaaks:
Mose hat sein Dornbuscherlebnis am Berg Horeb. Bei dieser Begegnung gibt sich Gott als der Gott des Ahnen, „deines Vaters“, als „der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs“ zu erkennen (Ex 3,4ff). Es ist der Forschung bis heute unmöglich, die religions- und sprachgeschichtlichen Zusammenhänge, die bei genauer Betrachtung schillernd sind, zu erkennen.[3]
Mose erklärt dem Gott am Dornbusch, dass die Hebräer offenbar diesen Gott ihrer Väter nicht mehr kennen und von ihm werden wissen wollen, wie dieser Gott heiße. In dem Zusammenhang bekräftigt Gott, dass sein Name mit den Namen Abrahams, Isaaks, Jakobs für dieses Äon verbunden sei und in allen Generationen so bleibe, was im Kontext hier auf die Israeliten bezogen gilt. Es fällt der geheimnisvolle Name „Ich werde (da)sein, der ich (da)sein werde“, der tatsächlich im Tetragramm JHWH verborgen sein könnte (V 13f), aber vor allem angesichts des geplanten Exodus eine Beistandsformel ist. Das heißt im Klartext: die Hebräer folgten diesem Gott der Väter längst nicht mehr, waren ägyptisiert, hatten vergessen, was Abraham und Isaak und Jakob erfahren haben.
Gerne tradieren auch die Christen diese beeindruckende Erzählung und beziehen sich darauf bis heute. Aber wenige Abschnitte später heißt es ohne erkennbaren Anlass, Gott sei Mose auf dem Weg zum Pharao auf einem Rastplatz nachts entgegengetreten und habe ihn töten wollen (Ex 4,24). Mose wird vor Gott durch seine Frau errettet: Sie schneidet dem gemeinsamen Sohn die Vorhaut ab und bestreicht mit dem blutigen Stück Haut die Beine Moses. Gott lässt dann wieder von ihm ab. Diese Episode ist verstörend, und die meisten Christen haben noch nie von ihr gehört.
Der Pharao, dem Mose den Gott der Hebräer als „JHWH“ vorstellt, sagt später, er kenne diesen Gott gar nicht. Er hält die Behauptung Moses, dieser JHWH sei ihm begegnet und verlange eine Opferanbetung in der Wüste, für eine faule Ausrede, um sich vor der Arbeit zu drücken.
JHWH erscheint daher in diesem Kontext zunächst als einer der vielen Götter, die es gibt und nicht als der einzige echte Gott in einem später unterlegten monotheistischen Sinn.
Er ist hier der richtige Gott für ein Volk, das dieser Gott sich auswählt. (Es ist nicht umgekehrt.)
Im ersten Gebot des Dekalogs verlangt dieser Gott von denen, die er aus Ägypten geführt hat, dass sie keine anderen Götter mehr neben ihm haben (Ex 20,2-3):  

„Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus dem Land Ägypten, aus dem Sklavenhaus, herausgeführt habe. Du sollst keine andern Götter haben neben mir.

Das bedeutet streng genommen nicht, dass es diese Götter nicht gibt, sondern dass JHWH der einzige Gott der Israeliten sein will. Ein radikaler, exklusiver monotheistischer Schluss ist auch hier nicht oder noch nicht möglich.
Die folgende Geschichte Israels dreht sich um eine ständiges Hin und Her zwischen JHWH-Verehrung und der Verehrung weiterer regionaler Götter oder sogar JHWH-bezogener Kultgegenstände wie dem Nechuschtan (2 Kön 18,4).[4] Israel scheitert an der JHWH-Verehrung das ganze AT hindurch und im NT, aber — und das ist wichtig zu bemerken — nachdem es sich einigermaßen „monotheisiert hat“, scheitert es dann am Messias dieses Gottes.
Das wirft ein kritisches Licht auf die Meinung, es hänge etwas an der theoretischen Definition, wie viele Gott sei. Auch im radikalen Monotheismus, den viele jüdische Gelehrte zur Zeit Jesu nun vertreten, kann man scheitern.

In der Rede Pauli auf dem Areopag tritt uns eine ganz andere Auffassung entgegen: Alle Gottesverehrung, sowohl die der Juden als auch der Heiden wurzelt generell und positiv gedeutet in der tastenden Suche nach dem einen Gott, von dem alle wissen und der niemandem fern ist. Die Zerstreuung in polytheistischen Glauben kann denselben Grad an Gottvergessenheit erzeugen wie ein radikalisierter Monotheismus, der auf seine Weise die Gottsuche nach menschlichem Maßstsab gestaltet und dabei auch noch anmaßend wird gegenüber allen anderen. In den Worten des Paulus wird deutlich, dass alle Suche um den „unbekannten Gott“ kreist und erst in Jesus Christus eine Erfüllung findet. Die Athener verlangen von ihm zuvor Rechenschaft, ob er etwa „fremde Gottheiten“ verkünde, weil er von Jesus spricht (Apg 17,18). Er sagt jedoch nicht: So, liebe Leute, ich verkünde euch jetzt endlich den einen Gott, sondern er sagt ihnen, dass der unbekannte Gott, den sie auch verehren, nicht mit den gängigen Mitteln religiöser Praktiken angemessen verehrt oder geglaubt werden kann. Dieser Gott kann vom Menschen weder bedient noch erfasst werden. Es konnte auch niemand für diesen Gott sprechen:

„30 Nachdem nun Gott die Zeiten der Unwissenheit übersehen hat, gebietet er jetzt den Menschen, dass sie alle überall Buße tun sollen, 31 weil er einen Tag festgesetzt hat, an dem er den Erdkreis richten wird in Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und er hat allen dadurch den Beweis gegeben, dass er ihn auferweckt hat aus den Toten.“ (Apg 17)

Zu beachten ist hier, dass der „Beweis“ der endgültigen und unwiderruflichen, nie mehr gefährdeten Gottessohnschaft für alle auch in dieser Aussage Pauli nicht in einer ominösen „Zeugung aus Maria“ oder des gleich wieder konterkarierten „Messiaszeugnisses“ durch Petrus besteht, sondern erst in der Auferweckung. Dass manchen Menschen wie Maria selbst, Johannes, Elisabeth, Zacharias, Joseph, Simeon und Hanna vorher aufgrund einer persönlichen Ansprache Gottes schon gezeigt wurde, dass dies der Erlöser sein werde, ist noch kein „Beweis für alle“. Und es fällt auf, dass Jesus nie wollte, dass Menschen, die ein „Gesicht“ hatten darüber, es vor der Zeit ausplauderten. Mir scheint es so zu sein, dass er selbst wusste, wie schwer sein Weg werden würde und den Tag nicht vor dem Abend gelobt sehen wollte. Wie man an der Szene im Garten Gethsemane sieht, hätte er auch im letzten Moment „Nein“ sagen können. Er musste erst — was ihn betrifft— sagen können: „Es ist vollbracht!“

Paulus predigt nicht über die Frage, ob es einen oder mehrere Götter gibt, sondern darüber, dass alle Zeit vor Jesus „Unwissenheit“ war. Die Zeit des Tastens und Suchens macht Paulus nicht nieder, sondern gesteht zu, dass auch diese Zeit in Gottes Gnade eingeschlossen war. Mit der Auferweckung Jesu aber ist diese Zeit der Unwissenheit vorbei, Jesus Christus ist der lebendige Aufruf zur Umkehr nun für alle, und der Gerichtstermin steht bereits an.

Diese Frage, wer Gott ist, ist unsere Frage bis heute. Es geht um den „echten Gott“ unter falschen Göttern, um den wirklichen Gott unter dispersiven Götzen und destruktiven Dämonen, aber auch inmitten eines himmlischen Heeres, von dem v.a. in Psalmen (Ps 24; 80; 84; 148) und an wenigen Prophetenstellen gesprochen wird. Er ist der „Höchste“ in dem Sinn, dass er der Schöpfer aller ist und alles von ihm stammt. Unser größtes Problem ist, dass wir ihn verwechseln mit solchen Göttern, von denen wir glauben, sie seien es.

Es ist inzwischen einigen gedämmert, dass wir nicht automatisch „an denselben Gott“ glauben nur deswegen, weil wir annehmen, es gäbe nur einen:
Der Atonglaube der Amarnazeit hat mit der mosaischen Offenbarung Gottes nur entfernt zu tun, auch mit dem „Hen“ der Neuplatoniker nicht, der koranisch-sunnitische Allah ist dem Gottesbild nach nur ganz entfernt verwandt mit einem menschlich vielleicht verzerrten JHWH, nicht aber — was uns bewegt — mit dem Vater Jesu Christi, der wiederum von Manichäern und Markioniten anders verstanden wird als von solchen, die sich jedem Gnostizismus gegenüber verschließen. Nicht zuletzt stieß die Offenbarung Gottes im AT von alters her vielen als völlig „anders“ als die des Vaters im NT auf, so sehr, dass sie meinten, es müsse sich doch um zwei verschiedene Götter handeln. Ihre Argumente sind keineswegs unbegründet oder unverständlich. Christliche Apologetik befasste sich auch gerade mit dieser Frage immer wieder aufs Neue bis heute.
Im Zentrum der theologischen Auffassungen vom „einen Gott“ steht aber übereinstimmend immer die Beziehung zum Menschen bzw zur Position des Menschlichen gegenüber dem oder im Göttlichen.

In den Eingott-Theologien, die die Gottheit der Schöpfung regelrecht exklusiv gegenüberstellen, liegt es nahe, Gott als den Titelchef und Herrscher (miss-) zu verstehen.
Aber damit wissen wir noch nichts über sein Wesen. Ein solch exklusives Verständnis scheint in der Schrift sukzessive überwunden zu werden, wie ich später zeigen will. Aktuell finden wir das am ehesten radikal gelebt im Islam, ultraorthodoxem Judentum und fundamentalistischen Formen des Christentums.

Jan Assmann schreibt:

„Natürlich war die Welt, wie jeder weiß, schon vor der Entstehung des Monotheismus voller Gewalt, Hass und Schuld. Ich konstatiere lediglich, daß der Monotheismus eine Religion ist, in deren kanonischen Texten die Themen Gewalt, Hass und Sünde eine auffallend große Rolle spielen und eine andere, nämlich spezifisch religiöse Bedeutung  annehmen als in den traditionellen,„heidnischen" Religionen. Dort gibt es Gewalt im Zusammenhang mit dem politischen Prinzip der Herrschaft, aber nicht im Zusammenhang mit der Gottesfrage. Gewalt ist von Haus aus eine Frage der Macht, nicht der Wahrheit.“[5]

Das Missverständnis, Gott sei wie ein irdischer Herrscher ein „Monarch“, ein absolutistischer „Chef“, der das Entweder-Oder für oder gegen ihn wahrnimmt und von uns einfordert, führt langfristig notwendig zur politischen Gewalt gegen alle, die sich nicht einem spezifischen Gottesbild „unterwerfen“. Dass sich im christlichen Glauben diese Tendenz erhielt, obwohl die Hinrichtung des einzigen Sohnes Gottes diese Tendenz konterkariert hat wie nichts sonst auf der Welt, ist die besondere Tragik des Christentums, die mit der Reformation (in allen westlichen Konfessionen) zunächst noch extremer auf diese schiefe Ebene geführt wurde.

Mit bloßem Biblizimus muss man irre werden an diesen Fragen. Die martialische Sprache des Eiferns für den einen wahren Gott etwa im Buch Deuteronomium ist teilweise noch schlimmer als alles, was an Martialischem im Koran steht. Wir glauben zwar derzeit zumeist, dass solche (wohl nur literarische) Gewalttätigkeit in Christus überwunden ist, aber sie liegt als Missverständnis und ständig lauernde Gefahr — wie wir im Islam sehen — immer schlummernd in unserem Unterbewusstsein. Wir lügen uns etwas vor, wenn wir glauben, das Christentum sei im Gegensatz zum Islam vor solchen Exzessen, die aus der Sprache in die Tat umgesetzt werden, gefeit. Die grausame Ermordung von Ketzern, Hexen und Missionsunwilligen in unserer Geschichte ist zu beschämend, als dass man sie einfach leugnen darf.

Die Reduktion der Gottesfrage darauf, ob er — nach irdischen Quantifikationsmethoden — konzentriert einer oder aufgefaltet mehrere ist, hilft so nicht, diesen einen Gott als den zu erkennen, der er ist. Letztendlich bedeutet die Abwehr des Polytheismus die These „Du darfst dir Gott nicht in einer anderen Gestalt ausgedrückt vorstellen“. Gott bleibt so unsichtbar und unserem Erkennen fern. Nun wird aber Jesus Christus immer wieder das ganze NT hindurch als perfektes Abbild und in der Gestalt Gottes bezeichnet, so, wie es allgemein vom Menschen ursprünglich gesagt wurde. Die Bannformel gegen den Polytheismus kann so folglich nicht greifen, weil man damit auch den Christus als den, in dem die ganze Fülle der Gottheit wohnt, wieder verliert.

Auch die Vorstellung, dass Gott den obersten Titel hat, ist lächerlich angesichts seines Urgrundseins, das absolut keine Rangtitel nötig hat, aber auch aufgrund der Theodizeefrage brüchig: die alte Frage danach, wie einer, der allmächtig und absolut gut ist, so viel Leid auch bei Unschuldigen zulässt, quälte schon Psalmisten und treibt bis heute zahlreiche Menschen um. Versuche, dies zu „erklären“, enden immer in noch quälenderen Vorstellungen, entweder in der islamischen Vorstellung eines voluntaristischen Herrscher-Gottes, der in seiner Herrlichkeit eben trotz der Behauptung, er sei „Allerbarmer“ doch aus der Sicht des betroffenen Menschen erbarmungslos und unberechenbar tut, was ihm aktual gefällt, oder einer manichäischen Vorstellung von einem mächtigen Widersacher Gottes, der gleich stark wie er sein muss, um so viel zerstören zu können, oder aber der Meinung, Gott sei auch irgendwie eine Art Teufel, oder einer Dämonisierung des Menschen, dem man alle Schuld für jegliches Leid der Welt zuschustert und selbst dem Frömmsten suggeriert, dass er irgendetwas getan haben muss, das sein Leid erklärt und aufs eigene Konto verbucht. Ähnlich gelagert scheint mir die Karmalehre, die die Zuschreibung eigener Ursächlichkeit am Leiden über mehrere Leben hinweg „entzerrt“, im Ziel aber das Leben selbst als Illusion oder Nichtigkeit entwertet.

All das befriedigt uns nicht, weil wir spüren, dass solche Modelle, so bestechend sie unter einem bestimmten Blickwinkel erscheinen, in konkreten Situationen ungerecht sind und so nicht der Wahrheit entsprechen können. Bis hier und heute reißt das Fragen des Menschen nicht ab, verstummt seine Klage über all dem nicht.

Was immer man dazu denken will, eines wird überdeutlich: Gott ist nicht in demselben wesenhaften Sinn „Herr“ wie man das von menschlichen Herren sagt und meint, die ihr Recht aufgrund einer ihnen entweder übertragenen oder selbst angemaßten Herrschaft durchsetzen.
Er ist auch nicht eine Art „Robin Hood“ oder „Rächer der Enterbten“ und insofern „Herr“, auch wenn die Exodus-Erzählung daran Anklänge zeigt, denn sie soll aus der „Knechtschaft in Ägypten“ führen und ihr ein exklusives Gottesvolk entgegensetzen, das sich damit legitimiert und auch kampfbereit macht. Die Gewalttätigkeit richtet sich weniger nach außen als nach innen: alle Mitglieder des Volkes werden intern auf etwas eingeschworen, ob sie wollen oder nicht. Wenn sie sich nur ansatzweise wehren, erfahren sie grausame Gewalt.[6]

Wie Meister Eckhart mE richtig bemerkte, ist dennoch der Gott Jesu so anders als alles, was wir begrifflich fassen können, dass nichts, was man von ihm sagen kann, einschließlich der Zählbarkeit, ihm gerecht werden kann.[7] Wenn die Rede von dem „einen Gott“ nicht eine bloße oberflächlich-mathematische Relation oder eine bloße Abgrenzung zu falschen anderen Göttern ausdrückt, aber auch keinen Kosmotheismus beinhaltet, den die Kirche immer verworfen hat, obwohl er im NT durchaus anklingt, wäre zu fragen, was es in der Tiefe heißen soll. Alle Rede von Gott kann für uns nur in Beziehung zu uns gedacht werden. Für alles andere fehlen uns die „Sensoren“ und die „Ausstattung“.

Gerbers Vorschlag, „Gott“ und „Vater“ als „Titel“ und Rangmarkierung aufzufassen, greift mE zu kurz angesichts der vorhandenen religionsgeschichtlichen und religionsphilosophischen Problematik, die auch in der Schrift selbst ausgefochten wird. Auch wenn es vielen nicht bewusst ist, bewegt sich die Frage danach, wie viele Gott ist/sind, auf philosophischem Terrain. Es reicht nicht, Bibelzitate zusammenzustellen, denn diese Zitate müssten ja interpretiert und verstanden werden. Dies bedarf aber der methodischen Hilfe durch die Philosophie, die Literaturwissenschaft, Rhetorik und Logik. Die Maxime, „rein biblisch“ argumentieren zu wollen, nach der Gerber vorgeht[8], gibt sich über diese Notwendigkeit keine Rechenschaft und führt langfristig zum islamischen Weg, der jedes Interpretieren ausschließt und in einer bloßen Koranrezitation hängenbleibt wie in einer endlosen Warteschleife, die zu keinem Ziel und keinem Verstehen mehr führt. Dass Schriftwort immer der Interpretation bedarf, zeigt uns eindrücklich die Geschichte vom Kämmerer aus Äthiopien, zu dem der Apostel Philippus geschickt wird, um ihm Interpretationshilfen zum Jesajabuch zu geben (Apg 8,26ff).

„Siehe ich mache alles neu!“ berichtet uns die Offenbarung Jesu Christi an Johannes einen Ausspruch Gottes (Apk 21,5). Dieses „alles“ umfasst auch das, was wir von Gott offenbart erhalten.
Mit der Erscheinung Jesu im Fleisch ist uns ein radikal neues Bild von Gott gezeigt worden, das einzige, das zum „Vater“ führt. Die radikal unitarischen Juden werden zurückgelassen: Ihr Weg ohne diesen Christus führt nicht zum Vater. Der Christus ist zentral, nur er führt zum Vater, er ist nach eigener Aussage „Weg, Wahrheit und Leben“ (Joh 14,6), Träger exklusiver göttlicher Attribute, er spiegelt die Fülle der Gottheit (Kol 1,15) und bietet insofern tatsächlich eine Identifikationsgestalt Gottes (s. I). Wenn wir von dem ausgehen, was in Christus sichtbar wurde (Dienstbarkeit, Hingabe), kann es sich bei Gott, bei diesem Gott, den der Christus vollkommen abbildet, nicht um einen Titelchef handeln.

Seine „Autorität“ ist, zugespitzt gesagt, eine alles menschliche Trachten brüskierende Nichtautorität, die aber keine Gleichgültigkeit ausdrückt, sondern größtmögliches Interesse und tiefste Liebe Gottes zum Menschen, was auch die Theodizeefrage in ein anderes Licht setzt.

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[1] Jan Assmann: Monotheismus und Gewalt. Originalveröffentlichung in: Peter Walter (Hrsg): Das Gewaltpotential des Monotheismus und der dreieine Gott (Quaestiones disputatae 216), Freiburg – Basel – Wien 2005, S. 18-38
[2] Bücher der Kündung. Verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Darmstadt 1985, S. 126
[3]  Der Wiki-Artikel gibt eine gute Zusammenfassung der Forschungsprobleme: https://de.wikipedia.org/wiki/JHWH
[5] A.a.O. Assmann, S. 3
[6] Die einschlägigen, martialischen und zutiefst bestürzenden Zitate aus dem AT hat Jan Assmann in seinem Artikel zusammengestellt. A.a.O.
[7] Meister Eckehart: Deutsche Predigten und Traktate. Hg. und übersetzt von Josef Quint. Zürich 1979. In der Armutspredigt, hier der Zählung nach Predigt 32, S. 303ff. In der Bulle Johannes XXII wird Eckhart zitiert mit: „Gott ist auf alle Weisen und in jedem betracht nur Einer, so daß in ihm selber keinerlei Vielheit zu finden ist, weder in der Vernunft noch außerhalb der Vernunft; wer nämlich Zweiheit oder Unterschiedenheit sieht, der sieht Gott nicht, denn Gott ist Einer außerhalb aller Zahl und über alle Zahl und fällt mit nichts in Eins zusammen. Daraus folgt: In Gott selbst kann demnach keinerlei Unterscheidung sein oder erkannt werden.“ S. 453
[8] A.a.O Gerber, S. 2

Freitag, 3. Januar 2020

Trinitätslehre auf dem Prüfstand — Brief XV. an Unitarier und Trinitarier I: Sind die Begriffe „Gott“ und „Vater“ als Titel (und nicht ontologisch) zu verstehen?

Trinitätslehre auf dem Prüfstand — Brief XV. an Unitarier und Trinitarier I: Sind die Begriffe „Gott“ und „Vater“ als Titel (und nicht ontologisch) zu verstehen?

I.

Wer ist Gott? — „Von Rang und Namen“

Stephan Gerber, der eine lesenswerte Website zur Frage der Trinitätslehre unterhält, die Sie so erreichen können: http://trinitaet.com/ schreibt in einem seiner eigenen Artikel zur Frage, wer Jesus war, wenn er nicht „Gott“ — iS des Konzils von Nicäa also „wesensgleich mit Gott“ — ist[1], um all den Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, die sich aus der Bezeichnung Gottes als „Vater“ und Jesu als „Sohn Gottes“ ergeben, wenn man diese Begriffe als Namen oder Gattungsbezeichnungen, im weiten Sinne ontologisch versteht:

„Der Sohn des Vaters ist nicht der Vater, sondern eben sein Sohn; der Sohn des Höchsten ist nicht der Höchste; der Sohn des Präsidenten ist nicht der Präsident; der Sohn des Königs ist nicht der König; der Sohn des Chefs ist nicht der Chef, usw. Alle diese Söhne haben aufgrund ihrer Abstammung ein besonderes Ansehen und einen besonderen Stand, aber sie sind nicht in derselben Erhabenheit, in derselben Position wie ihre Väter. Zumal auch nach Gottes eigener Ordnung ein Sohn seinem Vater untertan ist.“

Gerber will damit die Denkwege umgehen, die sich an den Bezeichnungen „Gott“ bzw „Vater“ aufgehängt haben, weil sie sie als „Eigennamen“ oder „Gattungsbegriffe“ verstehen.

Beide Verstehensweisen (als Namen oder Gattungsbegriffe) stellen uns — ich nehme es gleich vorweg — vor unüberwindliche Denkprobleme, sind aber andererseits nicht ohne gravierende Abstürze umgehbar angesichts des antiken und vormodernen Denkens, aber auch einfachster linguistischer Unterscheidungen.
Wir haben etwas offenbart bekommnen, das man nicht denken kann und womit sich folglich nicht argumentieren lässt. Die Gottesfrage steht immer mit einem Bein in völlig unerreichbarem Terrain.
Die kirchliche Trinitätsdebatte ergab sich aus der berechtigten Frage, wer denn Jesus ist, und — wenn wir so fragen — zugleich auch, wer eigentlich Gott ist.

Ich stimme Gerber in jedem Fall zu, wenn er die Folgerungen des Trinitätsdogmas kritisch kommentiert. Diese Kritik müsste aber dazu führen, dass wir nicht unsererseits eine Art „alternatives“ Dogma aufstellen. Beides ist unmöglich.
Ich kann Gerber daher nicht zustimmen, wenn er etwas generalisiert behauptet, es handle sich beim Verhältnis zwischen Gottvater und Sohn Gottes um kein Geheimnis[2], wie die Trinitarier es immer wieder sagen. Ich sage: doch, das ist ein Geheimnis! Es gäbe diese heftige Debatte wohl kaum, wenn hier nicht etwas vorläge, das wir nicht mit den gewohnten Mitteln der Ratio ergründen können. Auch die Maxime, alles aus der Bibel deduzieren zu wollen scheint noch nicht zu der Erkenntnis geführt zu haben, dass so vieles in der Schrift eine Tiefe aufweist, die man erst einmal ergründet haben müsste, um sich allzu sicher zu sein, dass man „biblisch“ argumentiert. Die Bibel ist kein Puzzle und kein Lottospiel, und je älter ich werde, desto mehr Fragen habe ich, desto mehr wird mir bewusst, dass ich so oft eigentlich rein gar nichts verstehe und die Sätze der tiefen Weisheit, die sich in der Schrift finden, nicht in einem Leben ausgeschöpft werden können, obwohl sie doch nur in Menschenwort gekleidet sind. Ich erahne allmählich mit einer tieferen Seelenschicht, warum es heißt, wir könnten Gottes Wort direkt aus seinem Mund nicht ertragen, müssten in seine Licht vergehen. Tausendmal schon haben wir diese Worte der Schrift gelesen und bildeten uns ein, sie verstanden zu haben. Und beim 1001. Mal trat uns Gott in den Weg und zeigte uns, dass wir nichts verstanden haben.

Ich nehme es ebenso vorweg, dass die Aushöhlung der Begriffe „Gott“ und „Sohn Gottes“ auf bloße Funktionen hin (Ranghöchster — Untertaner) eher der animalischen Logik eines Bienenstaates oder Wolfsrudels entspricht und die zentrale Aussage des NTs, etwas vom Wichtigsten in der ganzen Schrift, dass nämlich im Christus das Wesen, besser die Präsenz und Wirksamkeit des Vaters vollkommen aufscheint (1 Kol 1,15)[3], vernachlässigt.
Dass man, wenn man so argumentiert, selbst auf eine schiefe Bahn gerät, ist mehr als gefährlich: Diese angenommene Rangfolge zwischen Gott und seinem Christus schreit geradezu danach, die Positionierung der Menschen wiederum als „Untertanen Jesu“ fortzusetzen, innerhalb derer dann folglich auch wieder Ränge ausgefochten werden müssen. Wir wissen nicht nur aus der Geschichte, dass die Folgen dieses Denkens durchweg negativ und destruktiv waren, sondern dieses Rangdenken ist aufgrund der gesamten Tendenz der Schrift, v.a. der  ausdrücklichen Aussagen Jesu sündhaft und für Gott absolut unangemessen.
Es scheint mir umgekehrt zu sein: Die Verklammerung von „Rang und Namen“, die sich schon in der Redewendung ausdrückt, wird bei Gott nicht um den Namen erleichtert, sondern um den Rang.
„Ränge“ meint nur die Unvollkommenheit und Verkehrtheit zu benötigen.
Vollkommenes Sein  bedarf keines Ranges.
Gott wohnt weder in Palästen noch manifestiert er sich sonst in „standesgemäßem“ Gewand. Das ist uns mehrfach gesagt worden und sollte uns aufwachen lassen aus der Umnachtung all der Zwangsgedanken, die uns Sein (Name) und Schein (Rang) gegeneinander ausspielen lassen. Genau dies war vermutlich der tiefste Grund der Vertreibung aus dem Paradies.

Ich werde das im folgenden ausführlich begründen und mich darauf beschränken, die These, „Gott“ und „Vater“ seien rangbezogene Titel, zu diskutieren, auf andere Aspekte in Gerbers — es sei noch einmal gesagt — lesenswerter Schrift an dieser Stelle aber nur dann eingehen, wenn sie unmittelbar mit der Fragestellung zusammenhängen.

Der chassidische Erzähler Friedrich Weinreb hat einmal ganz zurecht darauf hingewiesen, dass das Rangdenken aus dem Tierreich stammt und für den Menschen in keinem Fall angemessen ist, da jeder Mensch in sich selbst bereits eine Ganzheit ist.[4] Nur Menschen haben Individualnamen und werden von Gott auch als Einzelne bei ihrem Namen gerufen. Man kann an dieser Stelle fragen, ob die Versinnlosung und reine Ästhetisierung der Namen, wie sie in unseren Tagen geschieht, nicht Merkmal gegenseitiger Entwürdigung und schwerer Entmenschung oder auch Entgöttlichung ist. Die Banalisierung des Namens kannte man aber auch bei den Römern, die ihre Kinder oft nur noch „durchzählten“: Primus, Secundus, Tertius etc. Das findet sich bei den Namen der Hebräer in aller Regel nicht. Ich komme darauf später noch einmal zurück.
Namen drücken hier ebenso wie auch bei den Griechen und den Germanen einen Anteil am Sein Gottes bzw der Götter aus, auch wenn dies freilich vielfach verzerrt erscheinen mag. Mir geht es um die Intention der Benennung und ihre Verschränkung des Namensträgers mit dem (angenommenen) Göttlichen. Wenn jemand etwa „Batya“ genannt wurde, meinte das buchstäblich, was es aussprach, nämlich „Tochter Gottes“. Wenn einer „Theodor“ genannt wurde, meinte dies buchstäblich, dass er ein direktes Geschenk Gottes ist. Ein „Sokrates“ meint einen Makellosen, Unantastbaren, weil er in der Kraft der Götter oder Gottes ist. Wenn einer „Godefried“ genannt wurde, dann sollte er unmittelbar den Frieden der Götter leben.
Diese Namen drückten etwas ganz Wichtiges aus: Sie machten den Träger als Teilhaber göttlichen Wesens unantastbar, tabu. Das Wehe, das Gott nach der Sintflut über jedem, der Menschen antastet und ihr Blut vergießt, aussprach (Gen 9,5-7), klingt hier wie eine uralte Menschheitserinnerung nach. Es deutet eher eine Verrohung der Sitten an, wenn Namen nicht mehr in diesem Sinn vergeben werden.
Wenn einer einwenden will „Aber du gibst doch auch deiner Katze einen Eigennamen“, dann frage ich zurück „Würden wir die Katze ‚Sophia’ nennen und dabei mit der Weisheit Gottes markieren wollen? Ich denke, jeder spürt, dass das unangemessen wäre.

Gerber übt Kritik an der Auffassung Herbert Jantzens, „dass im hebräischen Denken angeblich unter „Sohn“ jemand mit dem Rang des „Bruders des Vaters“ bzw. „auf gleicher Stufe wie der Vater“ gemeint sei. Eine Begründung hierfür gibt er allerdings nicht an.“[5]
Gerber befasst sich aber mit der These gar nicht weiter und beweist seinerseits nicht, wie es denn damals wirklich war, wenn nicht so, wie Jantzen es meint.

Mit scheint, Jantzen hat an dieser Stelle recht. Gerbers Trennung von Sein und Titel ist dem Altertum vollkommen fremd. Jemand ist im Altertum immer von „Rang und Namen“. Der Name ist sein Rang oder besser Adel.
So enthält die zitierte Folge an Titeln bei Gerber einen historischen Bruch: „Präsident“ und „Chef“ sind moderne Begriffe, die es bis vor 200 Jahren im politischen Sprachgebrauch so nicht gab. „König“ und „Vater“ dagegen gehören in eine andere, ältere Kategorie, wobei „König“ nicht im selben Sinn hierarchisch gedeutet wird wie „Vater“. Der Vaterbegriff ist ein Forschungsgebiet für sich, auf das ich in einem späteren Kapitel eingehen werde.
Es ist — modern gedacht — richtig, dass der Sohn des Chefs nicht der Chef ist und auch nicht zwingend oder mit großer Wahrscheinlichkeit wird.
Der Sohn des Königs aber oder der Sohn des Vaters werden sehr wohl als Anwärter auf das angesehen, was ihre Väter sind, auch dem Titel nach. Das war in unserer Kultur lange auch so und ist noch nicht ganz verblasst: Söhne, auch Töchter übernahmen das Geschäft des Vaters nicht weil sie aufgrund irgendwelcher Qualitätskriterien dorthin gewählt wurden, sondern weil sie die Erben waren und man annahm, dass sie etwas von dessen Fähigkeiten „im Blut“ haben. Die freie Wahl, die heute besteht, völlig auszusteigen aus dem, was die Eltern dem Stand nach waren, gibt es noch nicht lange.  
Und hier irrt Gerber bzw argumentiert sehr unpräzise und v.a. antiken und vormodernen Vorstellungen völlig unangemessen. In der Tat war jeder, der vom „Patriarchen“ als Sohn/Tochter anerkannt wurde, dessen Blut und Rang und wurde als designierter „Vorgesetzter“ angesehen. Es ist falsch zu sagen, der Königssohn sei selbst nicht der König. Er wird eines Tages der König sein und ist es seinem Sein nach jetzt schon. Bis heute drückt sich das im vorderen Orient aus, wenn eine Frau etwa als „Umm-NN“ benannt wird, als „Mutter des NN“, oder Männer als „Abu NN“ oder Söhne als „Ben NN“. Damit wird die Rangverschränkung von Eltern und Kindern ausgedrückt. Selbst im germanischen Kulturraum ist das noch wenigstens erinnerungshalber lebendig, etwa in Island, dessen Nachnamen den Träger als Sohn oder Tochter eines NN ausweisen (NN-son, NN-dottir). Genau das stellt in der Tat Eltern und Kinder auf eine Rangebene. Ein vom Namen entfremdeter Rang ist in diesem Denksystem nicht möglich. Der Prinz wird König sein wie sein Vater, und die Prinzessin gibt man nur einem solchen Mann zur Frau, der ihrem Vater ebenbürtig ist, damit auch sie auf einem Thron sitzen wird.
Bei „Chefs“ und „Präsidenten“ ist dies allerdings tatsächlich nicht so.

Es ist sicher interessant, das der Begriff „Rang“ in dem Sinn, den Gerber meint, ebenfalls ein moderner Begriff ist, der mit dem 30jährigen Krieg aus der Soldatensprache der Franzosen ins Deutsche kam. Es meint eine (militärische) „Reihenfolge“.[6] Es widerstrebt mir außerordentlich, Gott in einer solchen irdischen Rangfolge anzusehen.
Gott nimmt in einer irdisch gedachten, metaphorischen „ordo“ wohl kaum den ihm zugewiesen Rang ein, auch dann nicht, wenn wir ihm den höchsten Rang zugestehen. Alleine der Gedanke ist von Hochmut geprägt. Gott ist Gott — was wissen wir über dessen „Rang“ oder „Titel“? Er hat seinen Namen im Verborgenen gelassen, eben weil er sich nicht einpassen lässt in das durch die Sünde überhaupt erst entstandene Rangdenken. Die Scheu der Juden, den JHWH-Namen auszusprechen hängt damit zusammen. Der Name, im irdischen System aufgrund seiner essentiellen Bedeutung — nach der anderen Seite hin übertrieben — magisch aufgeladen, wird uns entzogen, weil Gott nicht nur nicht als Chef einer Hackordnung, sondern auch nicht magisch verstanden werden will.

Man kann also zusammengefasst sagen: wenn es schon für den Menschen unangemessen ist, seinen Namen vom „Rang“ abzukoppeln, um wieviel weniger ist es Gott und allem, was mit ihm zu tun hat, angemessen, ausgehöhlte, ent-weste Ränge zu vergeben! Auch Gott hat einen „Namen“, der im Zentrum der Anrufungen steht und nach der biblischen Überlieferung sehr wohl geheimnisvoll, unaussprechlich ist, eine Überzeugung, die auch das ganze heidnische Altertum prägte. Die Juden nennen ihn deshalb „der Name“: „haschem“. Jesus lehrte uns beten „Vater unser im Himmel … Geheiligt werde Dein Name“.

Eine Ausblendung der Frage nach dem Wesen bzw der Gegenwart und Wirksamkeit, die im Namen aufscheinen, muss Probleme schaffen. Es ist für mich unvorstellbar, Gott zu preisen oder zu Jesus zu beten, wenn ich mir die Frage danach, wer sie wesenhaft sind, nicht mehr stelle und mich an ein Ranggefüge wende. Im postmodern-irdischen Denken mögen „Instanzen“ ja das Maß sein, aber sie sind immer auch anonym. Sobald aber jemand persönlich hervortritt als eine bestimmte Entität, die einen Namen hat, verblasst auch alles Instanzliche und muss dem, was diese Person ist, weichen. Wahre Autorität kann nur im Sein liegen und nicht im Rang. Wer einen Rang jenseits des seinsbezogenen Namens benötigt, bleibt notwendig hinter dem Sein zurück, das er gerne hätte oder andere ihm gerne zusprechen würden.

Dass Gott und Mensch in ihren Namen unbedingt als „Wesen“ aufgefasst werden müssen, als Seiende, erscheint mir unabdingbar. Die Frage nach dem Namen und Ableitungen aus dem Namen sind sogar ausgesprochen „biblisch“. Unzählige Male wird ausdrücklich Bezug genommen auf den Namen sowohl Jesu (sein Name wurde sowohl seiner Mutter als auch dem Ziehvater jeweils visionär mitgeteilt: Jeshua (Jehoschua) und heißt „Gott heilt/rettet“) als auch Gottes, etwa: in dem „Namen Jesu beugen sich alle Knie“, weil Gott ihm einen Namen über allen Namen gegeben hat (Phil 2,9+10), Job preist den „Namen des Herrn“, den „schem JHWH“ (Job 1,21).
Zahlreiche Individualnamen haben im Hebräischen den Namen Gottes inbegriffen oder zeichnen ihn als Gottgesegneten, weil er Träger göttlicher Energien ist, und zeichnen ihn als Abkömmling Gottes oder Gottgeweihten — alle Namen, die auf „ja“ („jahu“) oder auf „el“ beginnen oder enden: Gabriel, Michael, Rafael, Eliyahu, Netanjahu, Jeremia, Elischa, Eli, Benjamin als „Glückssohn“, David als „Liebling (Gottes)“. Die weiblichen Namen bedeuten häufig das Wesen Gottes oder ebenfalls die direkte Abkunft oder Beziehung von oder zu ihm— etwa mein Name Channa („Hanna“) heißt „Huld/Gnade (Gottes)“ oder die daraus folgende von Gott stammende weibliche „Anmut“, Adaja bedeutet „geschmückt vom Herrn“, Atalya bedeutet „Gott ist erhaben“, Batya bedeutet „Tochter Gottes“, Ahuva bedeutet „Geliebte (Gottes)“, Elischewa, bekannter als „Elisabeth“, bedeutet „mein Gott ist Fülle“, Hadassah bedeutet „Myrte“ bzw „Braut“, der immergrüne Baum steht für das ewige Leben, Fruchtbarkeit, und seine Bedeutung als Brautbaum für die Bräutlichkeit zu Gott. Man könnte es endlos fortsetzen, und all diese Namen sprechen für sich und zeigen uns, dass am Namen sehr viel hängt und nur Menschen und die Erzengel den Namen bzw das Sein Gottes in ihrem Namen tragen. Das ist mehr als nur eine bloße Formalität.

Ob man dagegen bei Gott und Mensch theologisch-mystisch gesehen von „Gattungen“ oder „Arten“ sprechen kann, bezweifle ich mit Gerber — wir tun das allenfalls grammatisch oder biologisch, aber dem Geist und Odem nach ist es unmöglich.

Aber Vorsicht — wir reden über Gott in menschlicher Sprache, und er offenbart sich in menschlicher Sprache. Ich habe Probleme mit Gerbers Argumentation wegen der verwirrten linguistischen Begriffe:

Seine Argumentation
„Jesus ist der Sohn des Höchsten, und er redete wiederholt von seinem Gott. Dies passt weder zu Gattung noch zu Name, wohl aber zu Titel und Verhältnis / Beziehung: Sein Gott ist sein Vater < - > Sein Vater ist sein Gott.“[7]
ist aus zwei Gründen einseitig und logisch nicht haltbar.

1. Der erste Grund ist der, dass Jesus eben gerade nicht „wiederholt von seinem Gott redet“. Das ist Wunschdenken des Autors. Jesus spricht in der Tat in den Evangelien fast durchweg und zahlreich von „meinem Vater“ und nur an ganz wenigen Stellen im Johannes-Evangeliun von dem oder „meinem Gott“, wobei gerade dieses Evangelium den Trinitätsgedanken am meisten zu unterlegen scheint. Dagegen findet sich im NT 261mal die Benennung Gottes als „Vater“.[8]

2. Der zweite Grund ist der, dass selbst wenn Jesus „wiederholt“ von „seinem Gott“ geredet hätte, damit nicht bewiesen wäre, dass „Gott“ weder Gattung noch Name sei. Es ist mir nicht verständlich, warum Gerber ohne Begründung ausschließt, dass ein „Name“ selbstverständlich auch in einer solchen Formulierung mitgedacht werden kann, etwa so wie man sagen kann „meine Frau“, aber synonym dafür auch „meine Anneliese“ oder „mein Sohn“ und synonym dazu „mein Karl“. Ich kannte Leute, die ihre Frau als „Frau“ riefen. Oder: „Mama“ ist sicher liguistisch auf einer ersten Ebene ein Gattungsbegriff, aber wenn mein Sohn mich so nennt, ist es linguistisch gesehen ein Eigenname, weil er nur mich so nennt. Die anderen Mamas der Welt sind für ihn keine Mama.
Gerber geht mit linguistischen Begriffen um, die bereits ausführlich diskutiert wurden und werden, berücksichtigt aber diesen Stand der Diskussion nicht. Überhaupt ist seine Unterscheidung zwischen „Gattung“ und „Name“ nicht ohne weiteres klar, erinnert an die Differenzierung in der präzisen Linguistik zwischen „Gattungsnamen“ und „Eigennamen“, aber es bleibt unklar, ob Gerber das meint oder etwas anderes. Davon abgesehen ist seine Differenzierung des Begriffs „Titel“ von „Gattung“ falsch. Titel sind per definitionem immer Gattungsbegriffe. Wenn überhaupt ist hier nur eine einzige Differenzierung möglich, nämlich die zwischen Eigenname und Gattungsname.
Hier wäre kritisch anzumerken, dass Gerber, wenn er sich an das Thema von Eigen- und Gattungsnamen gewagt hat, unbedingt die vorhandene linguistische Unterscheidung hätte beachten müssen, die ich ganz kurz skizzieren will:
In der Linguistik spricht man von Eigenname (nomen proprium) und Gattungsname (nomen appellativum). Es gibt Übergänge von Eigen- in Gattungsnamen und umgekehrt. „Herkules“ ist ursprünglich ein Eigenname, hat aber auch den Charakter eines Gattungsnamens angenommen, wenn wir sagen „Dieser Mann ist ein wahrer Herkules“. Oder andersherum wenn wir sagen „Die Chefin ist auf Dienstreise“ rückt „Chefin“ in die Position eines Eigennamens — so wie oben bei „Mama“.
Der Begriff Gott ist allerdings auf Deutsch und Hebräisch mit ganzer Sicherheit auch ein Gattungsname, weil es mehr als einen davon im Sprachgebrauch gibt. Auch die Schrift gebraucht den Gattungsnamen vielfältig, benennt den Gott Israels und den einen echten Gott als „elohim“, mit demselben Begriff aber auch die Götter der Heiden. Da auf Gerbers Website immer wieder mit genau diesem Argument abgewehrt wird, dass Jesus Gott sei, eben weil „elohim“ oder auch „theos“ auf alle möglichen Entitäten, sogar Menschen, angewandt werden, ist die Behauptung, „Gott“ sei kein Gattungsbegriff, ein schwerer Argumentationsfehler und Widerspruch. Zumal auch der Titel ja linguistisch gesehen immer eine Gattung beschreibt.
Ich persönlich glaube zwar nicht, dass „Gott“ in der spezifischen Rede Jesu als Gattungsbegriff gemeint ist — das ist meine Überzeugung, aber sprachlich-linguistisch lässt sie sich nicht beweisen. Die Rede von „meinem Gott“ beinhaltet dann aber logischerweise keinen Titel oder Rang, sondern schlicht und eigentlich „mein Urbild“. Damit ist eine Beziehung ausgesprochen, aber sie entzieht sich der „ordo“ als „Stufenleiter“ verstanden, weil Urbild und Abbild immer wieder von Jesus als „ineinander“, eben doch auf geheimnisvolle Weise verschränkt benannt werden (Joh 10,30; Joh 10, 38; Joh 14,9-11; 2 Kor 5,19; Kol 1,19; Kol 2,9). Es sind zwei Entitäten, aber man kann sie weder trennen noch einfach zusammendenken. Insofern trifft Tertullian ja durchaus etwas mit der strittigen Formel „wahrer Mensch und wahrer Gott, ungetrennt unvermischt“. Nur hätte Tertullian dann das Ineinander von Vater und Sohn so beschreiben müssen und nicht den Sohn alleine. In ein Einzelwesen projektiert ist die Formel monströs, auf die Beziehung zwischen Vater und Sohn aber würde sie sogar sehr gut passen: Der Vater ist wahrer Gott, der Sohn ist wahrer Mensch, sie sind eins, ungetrennt und unvermischt.

War das nicht einmal die ursprüngliche und gute Verfassung des Menschen „im Bild“ und „in der Gestalt Gottes“?

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[1] Stephan Gerber: Wer ist Jesus von Nazareth? — Was hätten Sie geantwortet? Mai 2017 http://trinitaet.com/images/PDF/Wer_ist_Jesus_von_Nazareth_A5_2017.pdf
[2] A.a.O. Gerber S. 1: „Jedoch redet die Bibel in diesem Zusammenhang an keiner Stelle von einem Geheimnis.“ Das muss sie auch nicht! Es geht um die Erfahrung, dass wir die Relation Vater — Christus tatsächlich nicht ergründen können.
[3] Ein Autor — dem ich allerdings nicht in der ganzen Ausführung an der zitierten Betrachtung folgen kann — kommentiert diese Stelle im Kolosserbrief mit diesen Worten dennoch sehr schön und auch zutreffend: „Jesus ist das Bild, Ebenbild, Abbild des unsichtbaren Gottes und die Sichtbarwerdung der Person des Vaters. Christus ist die exakte Darstellung Gottes, der vollkommene Ausdruck Gottes in menschlicher Gestalt. Der Sohn ist der "Exeget" (Auslegung/Erläuterung) des Vaters und manifestiert in Seiner Person das Wesen des unsichtbaren Vaters (vgl. Joh 6,46 "Nicht dass jemand den Vater gesehen hat, außer dem, der von Gott ist, dieser hat den Vater gesehen").“ Daraus folgt freilich nicht, dass er identisch mit dem Vater ist. Genau dieser Schluss lässt sich nicht so einfach ziehen. https://www.geistlicher-felsen.de/jesus-das-bild-ebenbild-abbild-des-unsichtbaren-gottes-des-vaters/
[5] A.a.O. Gerber, S. 3
[7] A.a.O. Gerber S. 4