Montag, 23. Juli 2018

Trinitätslehre auf dem Prüfstand - Brief I an Unitarier und Trinitarier



Lieber Unitarier, lieber Trinitarier!

Ich denke sehr intensiv über die Frage nach dem einen Gott nach, und da ich vor allem die altkirchliche und die gesamte dogmatische Entwicklung der katholischen Kirche sehr gut kenne und alle „Abzweigungen“, an denen sich Kirchen entweder schismatisch oder durch „Häresie“ getrennt haben, habe ich Schwierigkeiten, mit dem Thema gedanklich so einfach fertigzuwerden, wie ich es gelegentlich aufseiten mancher Trinitarier, aber auch mancher Unitarier wahrnehme.

Wenn Sie es mir erlauben, möchte ich meine Denkprobleme ein wenig ausführlicher beschreiben — wenn nicht, lesen Sie es nicht weiter, ich will wirklich niemanden belasten, aber es sind eben sehr ernste Fragen, die man nicht schnell abhandeln kann. Meine Gedanken sind und bleiben unfertig, ja: sie müssen unfertig bleiben, damit Gott nicht die Ehre gestohlen wird. Ich will mich hier in diesem Brief ausschließlich auf das dogmatische Trinitätsmodell und seine Problematik, aber auch auf einen allzu leichtfertigen „Unitarismus“ beziehen. In einem weiteren Brief reflektiere ich die kirchliche und die unitarische Position zum „Königreich Gottes“:

1. Zum Trinitätsmodell

Daran haben schon viele Zweifel gehabt — man weiß es ja, dass es Konstantin in Nicäa war, der diese „homoousios“-Formel (von der Wesensgleichheit des Sohnes mit dem Vater) aufbrachte (und keineswegs einer der Kirchenmänner!), dass er sie den Kirchenmännern abzwang, und dass man bis heute nicht genau weiß, woher diese Formel kommt, taucht sie doch im christlichen Diskussionsfeld erstmalig überhaupt erst 325 auf,  vermutlich aber entstammt der Begriff der philosophischen Terminologie gnostischer Denkschulen und Konstantin hat ihn aus dem heidnischen Kontext übernommen.[1]

Die Auseinandersetzung der alten Kirche vor Nicäa liegt zum großen Teil im Dunkeln, weil danach systematisch nicht genehmes älteres Schrifttum sowohl der Heiden als auch der christlichen Autoren vernichtet oder dem Verfall preisgegeben wurde. Die gewaltigen antiken Bibliotheken schmolzen auf klägliche Reste zusammen und man kann davon ausgehen, dass vieles, was überliefert wurde, nachträglich beim Abschreiben „korrigiert“ wurde. Anhaltspunkte dafür liegen auch für den Schriftkanon vor, vor allem da, wo Abweichungen in den Abschriften vorliegen. Leider wurden auch alle originalen Schriften des Arius ja vernichtet und man kann nur aus der Polemik gegen ihn rekonstruieren, wie er vermutlich gedacht und argumentiert hat.

Die Problematik liegt indes auch aufgrund der Schrift auf der Hand:

Jesus war nicht einfach nur ein normaler Mensch — so simpel, wie es teilweise in den unitarischen Argumentationen klingt, ist es nicht.
Wir alle, Sie und ich, werden von einem Mann und einer Frau gemeinsam gezeugt, und unsere Mutter hat uns darüber hinaus auch lange in sich getragen und irgendwann geboren. Im Kontext der Schrift sind es nur noch zwei oder drei andere Menschen, die „ohne Vater und ohne Mutter“ waren: Adam, Eva und Melchisedek. Immerhin hat Jesus eine menschliche Mutter.
Was hat es mit Jesus auf sich?
Zwar wurde er von einer Mutter, Maria, geboren, aber sie hat nicht gemeinsam mit einem Mann vorher dieses Kind gezeugt. Und an genau dieser Überlieferung hängt die ganze Schwierigkeit.
Seine Herkunft ist wunderbar oder geheimnisvoll.
Ein Verständnis der Heiden, die keine Probleme damit hatten, dass Götter mit Menschen sexuell verkehren und Halbgötter erzeugen konnten, ist ausgeschlossen — darüber gab es damals wohl keine Debatte. Die Kirche wusste, dass das so plump und kreatürlich nicht gemeint sein konnte. Auch empfindet man das Blasphemische und wollte das so nicht denken.

In Luk 1,27 ff erfahren wir grob, wie es zuging, dass Jesus in unser menschliches Leben kam. Mir fallen dabei mehrere Wörter und Wendungen auf und die Tatsache, dass Maria nachfragt, wie das geschehen soll, was unmöglich ist bei einem normalen Menschen. Der Engel sagt ihr, sie habe aufseiten („para“) Gottes Gefallen („chare“) gefunden und sei „kecharitomene“, also eine von Gott mit einer Überfülle an Gnade und Zuwendung Erfüllte. Soweit so schön. Doch sagt uns Marias Reaktion, dass sie diese Ansprache mit Furcht oder Besorgnis erfüllte. Denn das war nicht nur unerhört, sondern auch unverständlich, zumal sie mit keinem Mann verkehrt! Aber als der Engel vom Thron Davids spricht und dem Königreich, scheint sie schon etwas erahnt zu haben, denn jede israelitische Jungfrau hoffte, Messiasmutter zu werden (bis heute übrigens bei den ganz Frommen!). Sie fragt nach — und erhält Antwort: Der Heilige Geist („pneuma hagion“) und die „Kraft“ („dynamis“) des „Allerhöchsten“ („ipsistos“) würde sie „umschatten“/“überschatten“ („episkiaso“) und so würde sie ein heiliges Ding gebären, das man „Sohn Gottes“ nennen wird (ein Futur passiv im griechischen Text). Den Eigennamen hat der Engel ihr zuvor schon geboten: Jesus („Gott hilft“/“rettet“), den sie dem Kind geben soll.

Nun steckt in dieser Erzählung wirklich geistiges Dynamit — und ich finde es sachlich nicht angemessen, in welcher Weise dieser Text aufseiten der Protestanten marginalisiert und vulgarisiert wurde aus lauter Furcht, in eine verzerrte Marienverehrung zu verfallen, wie sie leider seitens der Katholiken praktiziert wird. Leider hat man da auf allen Seiten das Kind mit dem Bad ausgeschüttet und daher auch den Bezug zu all seinen Aussagen verloren. Auch ist die liberale protestantische Skepsis gegenüber der Jungfräulichkeit Mariens einfach nur verklemmt und eine Verweigerung gegenüber der einzigartigen Würdigung einer Frau durch den Allerhöchsten, der hier nämlich ausdrücklich nur durch eine Frau wirkt und den Mann völlig außen vor hält. „Jungfräulichkeit“ heißt hier nämlich vor allem anderen: ohne Mann, nur durch die Frau. Was stört euch allesamt daran eigentlich?! Aber auch die Übersteigerung Mariens und das Ausspielen ihrer Person gegen den Rest der Frauen seitens der Katholiken ist unwürdig: diese Menschheit erträgt es nicht, wie Gott die Frau anerkennt… Aber auch eine Anerkennung der Jungfräulichkeit, die zugleich Maria marginalisiert, wie es Pietisten und Evangelikale tun, ist sachlich nicht angemessen und schlägt in dieselbe falsche Kerbe.
Dass Sir Anthony Buzzard eines Tages entdeckte, dass da in der Ansprache des Engels an Maria von einem realen Königreich die Rede ist, dass dieser Sohn Gottes erhalten wird, ist ja nur ein Aspekt (s. Linkliste am Ende).

In der Tat ist Maria eine besondere Frau, denn genau das sagt der Engel, und ich wüsste nicht, ob es noch eine Frau gibt, die in dieser Weise Gefallen bei Gott gefunden haben dürfte — man muss das biblisch so stehenlassen, wie es dasteht. Das ist wichtig und keine Marginalie. Der etwas wurstige Hinweis vieler, alle seien Sünder und Maria ja bloß passiv „begnadet“ und „eine ganz normale Frau“ wie alle Frauen, womöglich noch aus unteren Schichten und besonders bedeutungslos und ein bisschen doof, geht an der Sache vorbei, denn auch im AT heißt es von Menschen, sie seien „nach dem Herzen Gottes“ gewesen oder schon vor ihrer Zeugung bei Gott erwählt gewesen. Gewiss sind alle diese Menschen begnadet ohne eigenes Zutun, aber offenbar korrespondiert einer möglichen Erwählung eben auch ein entsprechendes „Herz“: das ist wichtig! Gott kann nur mit denen arbeiten, die das wichtigste Gebot mit ihrer ganzen Kraft zu erfüllen trachten. Maria war ganz sicher ein solcher Mensch. Es gibt keinen Menschen vor ihr im ganzen AT, der mit solch „überschäumenden“ Zusagen versehen beschrieben wird — ausgenommen der Messias: der noch viel mehr! Und dass sie sich darin weit von allen anderen unterscheidet, sagt der Engel doch deutlich genug. Die außergewöhnliche Geburt wird also durchaus auch an einer außergewöhnlichen oder außergewöhnlich gesegneten Mutter kenntlich gemacht. Und die katholische Kirche hat mit einem gewissen Recht immer Scheu gehabt, die Frau, die einen heiligen und vollkommenen Mann hervorbringen sollte, als eine „ganz normale Sünderin“ anzusehen — das kann man nicht annehmen, wenn es hier wirklich um ein Heiliges geht. Und das gilt selbst dann, wenn Jesus nicht wesengleich mit dem Vater sein sollte!

Die „Dynamis“ (die enorme, unvorstellbare Vitalität, Energie und Schöpferkraft) des Allerhöchsten wird sie umschatten. Dieser Passus wurde schon früh in Beziehung gesetzt zu den Szenen im Allerheiligsten, wo Gott sich in einer Wolke herabließ und den Ort völlig umschattete. Salomo sagt bei der Tempelweihe, Gott wolle „im Dunkel“ wohnen… Auch die Umhüllung durch Gott auf der Wüstenwanderung in einer Wolke entspricht diesem Vorgang der Sache nach. Eine weitere solche Umhüllung geschieht dem Berg Sinai, auf dem sich Mose vor Gott befindet.
In dieser gewaltigen Dynamik also geschieht eine… „Zeugung“… in dem geheiligten Ort eines einzigen, lebendigen Menschen (Maria): die Kraft, die Dynamis des Allerhöchsten, wirkt in ihr und mit ihrem aktiven Einverständnis diese „Zeugung“.

Ist es wirklich so unverständlich, dass die frühe Kirche daran hängenblieb und erkannte, dass nicht nur diese Mutter so etwas wie ein lebendiges Allerheiligstes wurde, sondern erst recht das Kind nicht einfach nur ein Kind ist, wie ich es hervorbrachte: als normale Frau mit einem normalen Mann in einer normalen Ehe etc.? Welche Kräfte wirkten hier, von denen auch nur einer von uns anderen eine leiseste Ahnung hätte? Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich möchte mich nicht herummogeln um den ganzen Schriftbefund!

Die Frage ist nun aber, ob dieser Jesus regelrecht „gezeugt“ wurde, was bedeuten würde, dass Gott sein eigenes „genetisches“ Gut eingebracht hätte, oder ob es eher eine Schöpfung ist, die die weibliche Zeugungsfähigkeit einschließt und sich zunutze macht. Denn Jesus wurde nicht mit einem Mann gezeugt, sondern aufseiten der Menschen alleine von einer Frau hervorgebracht, allerdings in der „Dynamis des Allerhöchsten“. Über die Erwähnung dieses Faktums bei Paulus wird unter Theologen auch diskutiert. Wie es scheint, gibt es bzgl der Stelle in Gal 4,4 abweichende Handschriften. Es heißt korrekt „genomenon“ („gemacht“ bzw „geworden aus“ / von einer Frau) und nicht „gennomenon“ („geboren aus“), um eben dieses alleinige Hervorbringen durch eine Frau zu betonen, denn das ist die alte Verheißung aus Gen 3. „Gennomenon“ wäre grammatisch falsch (ein Partizip Präsenz, das im Kontext falsch ist) — es muss „genomenon“ heißen. Auch wieder ein Beispiel, wie man beim Abschreiben den Text zurechtkorrigierte nach theologischer Vorliebe?[2]

Die biblische Logik ist indes deutlich: der erste Adam wurde aus Lehm, aus dem Staub erschaffen, die Frau aus ihm herausgenommen, während er ohnmächtig in einer Art Todesschlaf bleiben musste (eine wunderbare Ahnung, ein Bild kommender „Neuschöpfung“: aus dem Alten/Ersten wird ein Zweites, Gleiches, Neues, aber Feineres). Adam war passiv, vollkommen passiv, allerdings entstand die Frau auch aufgrund seines aktiven Suchens nach ihr. Insofern entstand sie auch mit seinem Willen. Aber ihr Entstehungsprozess wurde ihm vollkommen aus der Hand genommen — Gott alleine schuf, der Mann erduldete es, und nicht ohne Grund fragten Kirchenväter, ob Adam dadurch nicht einen Verlust erlitten habe, dass aus ihm etwas weggenommen wurde und wie er danach noch „intakt“ sein konnte. Eva ist der letzte Akt der Schöpfungsgeschichte, aber anders als alle anderen Geschöpfe wird sie aus bereits geformter Schöpfung heraus geschaffen (auch wieder ein atemberaubendes Bild für die kommende neue Schöpfung!). Alleine schon diese Geschichte verschlägt mir regelmäßig den Atem, und ich ahne, dass der Titel der Frau „Eser“ (Hilfe, Beistand, Anwalt), den Gott selbst ihr schon im Voraus gibt, der sonst im AT nur auf Gott angewendet wird, eine Bedeutung hat, die man geradezu zwanghaft ebenfalls marginalisieren wollte (durch die bewusste Falschübersetzung als „Gehilfin“), wahrscheinlich, weil Adams Fall damit zusammenhing, dass er die Frau als „Eser“ der „Eser“ Gottes vorzog (so wirft es ihm Gott jedenfalls ja vor in Gen 3,17) und einer Art der Abgötterei schuldig wurde. Und der Satan fiel die Frau an, weil eben sie diese Rolle hat und weil sie neugierig auf Weisheit und Erkenntnis war, mehr als es ihr zustand, ein Streben, das Adam fraglos und wortlos mit ihr teilt, denn er „war bei ihr“, als das alles geschah (Gen 3,6) … Eva gab zu, der Täuschung durch die Schlange erlegen zu sein. Adam aber rebelliert gegen Gott und macht ihn verantwortlich für den Fall (Gen 3,12). Die direkte Feindschaft zur Schlange setzt Gott infolge dieser Konstellation zwischen Frau und Schlange — der natürliche Mann in der ersten/alten Schöpfung ist, was die heilsgeschichtliche Aufstellung betrifft — an die zweite Stelle gesetzt, auch wenn er infolge der Sünde  die Frau künftig mit Gottes Zulassung unterjochen wird (Gen 3,15+16). Ich bin immer wieder überrascht, mit welcher Brillanz die gesamte, zunehmend maskulin dominierte Kirchengeschichte dieses biblische Faktum umgedreht und ebenfalls der in V16 erklärten männlichen Herrschsucht unterwerfen wollte. Man verkennt aber vielleicht die Systematik des Handelns Gottes, wenn man hier einfach die Dinge umdreht und dem sündhaft inspirierten männlichen Herrschaftsanspruch einverleibt — man sehe sich den neuen Adam an und was er zu diesem Herrschaftsanspruch gerade den Männern mehr als einmal entgegenhielt... sie hören das nicht gerne und verschanzen sich hinter den wenigen, noch dazu unklaren Paulusstellen, die dem Anschein nach einseitig der Frau Unterordnung abverlangen… doch das führt in ein anderes Thema.

Es geht — unter Auslassung von Fakten — noch atemberaubender weiter. Vorher waren die Menschen Geschöpfe, aber beseelt vom „Odem Gottes“ („neschmat chajim“ — eigentlich heißt das korrekt „Lebensatem“) — auch eine Sache, über die man im Zusammenhang mit dem Träger des Blutes für diesen Lebensatem, mit dem Opfern von Blut der Tiere und dem Verbot des Blutessens, aber auch der Toragesetze, die blutende Frauen geradezu unantastbar machten (!), und nicht zuletzt den „Neuen Bund in seinem (Jesu) Blut“ noch genauer nachdenken müsste…
Nun verbindet sich Gott mit diesen von ihm beseelten Menschen durch Generativität? Ist das so, oder wird es nur in einer Analogie so genannt, denn Gott zeugt ja in der Tat nicht so, wie Menschen das tun.
Aus der vorhandenen Schöpfung wird der Messias „gezeugt“ oder neuerschaffen durch die Kraft des Allerhöchsten?

Diesmal umgekehrt: der neue Adam wird aus der Frau genommen. Und anders als Adam ist Maria nicht passiv, sondern sie wirkt mit, wie das bei jeder Zeugung und Geburt zwangsläufig sein muss.
Ich muss gestehen, dass ich diese Tatsache so ungeheuerlich finde, dass ich Schwindelgefühle bekomme. Es ist der Hammer! Es ist unausdenkbar!

Ist es so unverständlich, dass auch die alte Kirche diesen „Hammer“ noch spürte und in Jesus nicht einfach bloß von einem schnöden „vom Weibe Geborenen“ sprechen wollte? So übersetzte man später auf Deutsch so unnachahmlich und herablassend falsch — das sächliche „Weib“ ist tatsächlich im Deutschen — auch wenn man uns das immer wieder anders glauben machen will und viele dumme Frauen das ungeprüft übernehmen —  nicht eine würdige Bezeichnung, sondern eine Abwertung für eine entpersönlichte Gestalt, wie man im Grimm’schen Wörterbuch sachkundig nachgewiesen lesen kann, und die Reformation, die nicht unbedingt frauenachtend war, hat diesen Begriff leider wieder in die literarische Sprache eingeführt, obwohl er schon im späten Mittelalter von deutschen Autoren abgewehrt und für Maria sowieso storniert worden war, einfach weil eine Frau eine „Sie“ und kein „Es“ ist und Jesus nicht aus einem „Es“ hervorgebracht wurde! Es gab darüber eine lebhafte literarische Auseinandersetzung, von der heutige Vertreter des Wortes „Weib“ nichts wissen wollen, weil ihr sündhafter Trieb erneut aus der Frau ein neutrales oder auch numinoses „Ding“ machen will — das ist Genderei andersherum!
Das ist auch nicht „egal“ oder ein Wortgefecht, wie vielleicht mancher jetzt hochfahrend sagen möchte, sondern es ist wirklich wichtig, um die Trinitätsproblematik im rechten argumentatorischen und geistigen Gefüge zu beurteilen, denn im „Es“ steckt, dass die Frau nichts hervorbringen kann, sondern nur leeres Gefäß des Mannes sei. Man untermauerte damit im deutschen Sprachraum ein Problem, das in der Spätantike bereits begrifflich außerhalb des Deutschen bestand, auch hinsichtlich der Person Jesu: man leugnete, dass die Frau einen eigenen Samen hat, obwohl die Schrift ausdrücklich davon schon in der Genesis spricht!
Die Folgen eines solchen gottlosen Denkens: Wenn Jesus aus einem „Es“ geboren wurde, muss der „Er“, der zeugte, ihm auch sein „Wesen“ als „Er“ gegeben haben, also muss Jesus Gott sein. In zahlreichen Schriften der frühen Neuzeit finden wir infolge der Theorien des Thomas von Aquin, der sich dabei auf Aristoteles stützte, solche Überlegungen (v.a. die „Mulier non est homo“-Gattung („Die Frau ist kein Mensch“)). Die gesamte genetische Information stammt vom Mann, „Das Weib“ trägt nur Fleischmasse dazu bei — mehr nicht. Die monströse apersonale menschliche Natur Jesu in der kirchlichen Doktrin beruht u.a. darauf, dass man der Frau absprach, ein personales, d.h. klar: zeugungsfähiges Wesen zu sein: Gott zeugt aus ihr als Materiallager etwas heraus, das dann eine göttliche Gesamtperson ist, die irgendwie menschliche Spuren in sich hat, die aber nicht ausreichen, eine menschliche Individualperson zu sein.
Niemand mogle sich also an diesen abscheulichen Gedanken vorbei, denn sie haben verheerende theologische Folgen und fundieren Irrlehren.

Es hat also Folgen, wenn man auch in alter Zeit schon sprachlich „gegendert“ hat — bloß zulasten der Frau, die zur Sache herabgestuft wurde und der man absprach, dass sie selbst einen Samen hat (!). Gott tat sich das alles — dieser Lehre nach — nur deshalb an, weil er sich irgendwie „leidensfähig machen“ wollte. Und da er als Gott nicht leiden kann, musste er menschlich werden, um leiden zu können.
Wir finden von dieser Satisfaktionslehre, wie man sie nennt, nichts  — weder im AT noch im NT.

Die King James Bibel ist in der Übersetzung wesentlich angemessener. Sie übersetzt, dass der Christus „gemacht von/aus einer Frau“ und „unter das Gesetz getan“ ist. Weder von einem „Es“ noch von „aus (dem Es) geboren“ wird gesprochen! Wohltuend und zurechtrückend: „…God sent forth his Son, made of a woman, made under the law…“ Und sehr schön klingt auch im “made of a woman” an, dass der neue Adam analog aus einer Frau gemacht wurde, wie zuvor die erste Frau aus dem ersten Adam gemacht worden war. Nur : dieses zweite Mal des „Machens“ war eine sich verbindende, irgendwie analog zu verstehende „Zeugung“ mit dem Menschen seitens Gottes, was aber nicht heißt, dass Gott hier physisch zeugt (das glaubt in der Tat kein Katholik, kein Orthodoxer, kein Protestant im Ernst, weil er empfindet, dass das unziemlich wäre!), sondern die Zeugungstätigkeit der Frau einbezieht in seine kraftvolle Neuschöpfung. Es heißt nirgends, dass das, was Maria da empfing, „gottgleiches genetisches Gut“ war — eine solche Festlegung ginge entschieden zu weit.

Es war keine „Zeugung“ im landläufigen Sinn.
Ich denke: Warum soll der große, eine Gott nicht „aus“ bzw „mit“ einer Frau alleine den neuen Adam gezeugt haben, ohne sich deshalb „genetisch“ als „Wie ein Mann als Zeugender“ verhalten zu haben? Man muss beachten, dass Maria sich hier ja ebenfalls nicht „wie eine Frau als Zeugende“ verhalten hat. Gott ist ja nicht eine Analogie zum hier fehlenden Mann, während Maria genauso wie eine gewöhnliche Frau zeugt, empfängt, gebärt — das wäre wohl eine Verzerrung. Sie „empfängt“ (Lk 1,31) physisch ein Kind, aber nicht so, wie das gewöhnlich geschieht, sondern „umschattet“ wie im Allerheiligsten des Tempels. Sie nimmt eine Rolle ein als lebendiges Allerheiligstes.
Gott konnte auch Eva aus dem Mann generieren ohne weitere menschliche Beteiligung, obwohl das normalerweise nicht geht. Warum also nicht auch hier?

Der Haken ist eben immer wieder der, dass traditionell vom „Zeugen“ gesprochen wird. Allerdings steht außer dem Begriff „empfangen“ in Lk 1 nirgends, dass Gott hier „gezeugt“ hätte. Es wurde ein physisches, lebendiges Kind erzeugt, im Zusammenwirken mit einer Frau, aber ganz ausdrücklich „nicht durch den Willen des Mannes“ (Johannesprolog), und — damit keine Missverständnisse entstehen — auch nicht durch den zeugenden Willen einer Frau, der normalerweise sogar ganz massiv, aber subtiler als beim Mann im Spiel ist (generalisiert im Passus „nicht durch den Willen den Fleisches“ ebenda), sondern in einem Dunkel, das man nicht durchdringen kann. Es ist da eine unüberwindliche Grenze des Verstehens. An dieser Grenze habe ich Scheu, weiterzudenken — das steht uns nicht zu! Wenn man überhaupt irgendwann von einer „passiven“ Empfängnis sprechen kann, dann in diesem einmaligen Fall der Weltgeschichte. Alles andere ist aktives Wollen und Machen der Frau oder erscheint eben als männliche Gewalt, die ihr angetan wird, wenn sie eigentlich nicht will. Maria ist an dieser einen Stelle so passiv wie Adam, aber wie er will sie, dass es so alleine durch Gott an ihr geschieht.
Ich denke, dass die allzu saloppe Redeweise auch bei Sir Anthony, dass wir das alles „verstehen“ können müssten, weil wir schließlich den „Vater und den, den er gesandt hat“, „erkennen“ können und sollen, zu weit geht.
Es liegt hier wirklich ein Geheimnis vor insofern, als wir nicht erfassen können, wie das geschehen ist (so wie es ja Maria auch schon sagt!) und was da eigentlich geschehen ist. Sie stimmte zu und sagte: „Fiat…“ „Es geschehe wie du gesagt hast…“, aber sie wusste wohl kaum, wie das alles zuging, genauso wenig, wie wir wissen können, wie Gott aus einem Mann eine Frau schaffen konnte oder der Erde die Kraft gab, Landtiere und Pflanzen hervorzubringen… Dieses „Es geschehe…wie du gesagt hast“ Marias zeigt ja, dass sie das Vorhergesagte nicht selbst benennen kann. Die Formel, „Maria bewegte diese Worte … in ihrem Herzen“, die später öfters ausdrücklich geschrieben steht, zeigt uns, dass sie selbst nicht ohne weiteres verstand, sondern immerzu kontemplieren musste in ihrem Herzen, um allmählich dem, was an ihr und mit ihr, mit ihrem geliebten Kind und um sie herum geschah, erkennend nachzuspüren.

Die Frage ist sachlich berechtigt in der alten Kirche und auch heute: Ist Jesus Gott, weil er von Gott „gezeugt“ oder wenigstens in seiner Kraft erzeugt oder „empfangen“ wurde? Unterstützt wird diese Frage durch die außerordentliche Nähe, die das gesamte NT zwischen dem Vater und dem Sohn Gottes bekennt.
Sachlich aber genauso berechtigt die arianische Position, die sagt, „ganz“ Gott kann nur sein, was auch „ganz Gott“ ist — was ein Mensch ist, kann niemals Gott sein. Das AT-Wort „echad“ für Gott meint ein Ganzes, Unteilbares — tatsächlich das numerische „eins“ („1“), das allerdings nicht so verstanden werden darf, als sei Gott der geschaffenen Welt der Zahlen unterworfen: das ist er in der Tat nicht! Die heidnische Aufsplittung der einen Gottheit in antagonistische Kräfte (konstruktive und destruktive Götter, Göttinnen), die erklären sollten, dass auch das Böse göttlichen Ursprungs ist — das vor allem sollte Israel strikt abwehren. Im Johannes-Evangelium wird mehrfach eine solche antagonistische Vorstellung des Göttlichen abgelehnt: er ist nur Licht und keine Finsternis in ihm.
Der Gott Israels ist einer und hat eine Gestalt, nach der der Mensch gebildet ist. Aber niemand kann seine Gestalt aufteilen oder splitten, weil er dem rein Numerischen eben nicht unterworfen ist: das ist Teil der geschaffenen Welt. In der Ewigkeit gilt nicht mathematische Unendlichkeit, die aus Endlichem zusammengerechnet wird und in eine Unendlichkeitsformel umgeschmolzen wird, sondern das Ewige kann nicht zusammengezählt werden aus Teil-Ewigem! Wie es in der Orthodoxie geläufig ist, kann Gott mit seinen Energien, mit seiner „dynamis“, den Menschen erfassen, ja sogar dieser Dynamis teilhaftig machen, aber deswegen ist der Mensch nicht Gott, und Gott bleibt dennoch in einem undurchdringlichen Licht. Auch das ist Schriftwort.

Hellhörig macht dabei, dass Jesus sagt, nur er kenne den Vater, und nur der Vater kenne ihn, und der Mensch, dem er es offenbaren würde (Mt 11, 27). Andererseits heißt es an vielen Stellen, niemand habe je Gott gesehen und werde ihn je sehen. Hat Jesus den Vater gesehen? Im Johannes-Evangelium wird das nahegelegt: „Niemand hat den Vater gesehen außer dem, der von Gott ist; nur er hat den Vater gesehen.“ (Joh 6,46) Mir stößt dabei auf, dass es im Griechischen nicht heißt, derjenige „komme von Gott“, sondern es heißt, wer „beim Vater“ lerne („para tou patros“), komme zu Jesus (V 45). In V 46 heißt es, dass nur der den Vater gesehen habe, der „ho on para tou theou“, also ein Wesen „bei dem Gott“ sei, nur der habe den Vater gesehen. „Para“ heißt eigentlich nicht, dass etwas „von“ etwas anderem sei, sondern dass es „bei“ oder „neben“ ihm, „an seiner Seite“ ist. Man kann nicht sicher sagen, dass Jesus hier sagt, er habe den Vater gesehen, sondern dass der Mensch ihn sieht, der zu ihm, dem Jesus Christus kommt, und von ihm lernt: ein solcher wird den Vater sehen in seinem vollkommenen Bild, dem Sohn (vgl. auch Joh 12,45: „Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat.“). Es wird erneut deutlich, dass man schon früh auch die Stelle in Joh 6 tendenziös übersetzt haben könnte, denn auch die Vulgata überträgt die besagte Stelle mit „nisi is, qui est a Deo, hic vidit Patrem“, obwohl „para“ nicht wirklich mit dem lateinischen „ab/a“ wiedergegeben werden kann. Sehr schwieriges Terrain! Schon kleinste Verschiebungen des Sinnes verderben das ganze Verständnis.

„Zeugen“ heißt normalerweise, dass ich aufgrund einer Potenzialität in mir etwas „erwecke“, das zu neuem, von mir zwar numerisch, aber nicht wesenhaft unterschiedenem Sein strebt. Einfacher: ein Mensch zeugt immer einen anderen Menschen aus sich selbst heraus, ein Schwein ein anderes Schwein, aus Gräsern kommen andere Gräser, aus Amöben teilen sich andere Amöben ab. Niemals zeugen Schweine Affen, und Kühe gebären keine Ameisen, und ein Tannenbaum wird keine Mangos tragen oder Mäuse zur Welt bringen.
Ich trage als Zeugende(r) Samenzellen in mir, in denen ich das Gut trage, aus dem weiteres gleiches Sein erzeugt werden kann. Erwecken kann ich diese Zellen nur dann zum Leben, wenn sie zusammentreffen mit dem Gut eines Zweiten vom anderen Geschlecht.
Alleine, ohne „Gegenstück“ der selben Art, kann kein Mensch zeugen.

Nun sind aber doch Gott und Mensch Ungleiche — Die Kraft des Allerhöchsten und die Frau Maria: wie passt das „genetisch“ zusammen? Die altkirchliche Logik fragt: Wenn Gott „gezeugt“ hat, kann es sich doch nur um einen anderen Gott, ein Gleiches handeln… Weil aber genau das nach der israelitischen Doktrin nicht sein darf, weil Gott „echad“, „einer“ ist, musste das Konstrukt der „Wesensgleichheit“ herhalten, das zugleich eine numerische Differenz zulässt. Die Problematik, dass damit in der Konsequenz zwei Götter behauptet werden, wurde damit nicht gelöst. Eine weitere kam ins Spiel: wenn Gott buchstäblich ein zweites Göttliches, "gezeugt hat": Ist dieser zweite Gott dann wirklich auf seiner Stufe (wegen der menschlichen Mutter) oder nur ein gottähnliches Wesen? 
Machen wir uns nichts vor: es ist die Annahme, dass Gott "gezeugt hätte wie ein Mann", die diese ganzen Probleme nach sich zog. Nimmt man an, dass Gott hier eine Neuschöpfung mithilfe der dienstbaren Zeugungstätigkeit einer Frau initiierte, stellt sich das gesamte Denkproblem nicht.
Wenn dieses Konstrukt eitler und leerer Wahn sein sollte, müssen die Prämissen falsch gesetzt sein. Die ganze Schöpfung stammt doch von Gott und aus seiner „dynamis“ — in einem weiten Sinne ist alles aus ihm und durch ihn „gezeugt“. Die nicänische Unterscheidung von „Zeugen“ und „Erschaffen“ ist möglicherweise hochproblematisch, weil Gott — und hier hat die islamische Kritik vielleicht recht — nun einmal nicht zeugt wie Menschen oder auf ein Zeugungsverständnis des Kreatürlichen festgenagelt werden darf. Dieser gesamte Komplex des „Zeugens“ hat sämtliche folgenden kirchlichen Dogmen erzwungen — etwa auch die Frage nach der „Dei genetrix“, denn wenn Jesus Gott ist, muss Maria auch Gott geboren haben, und wenn sie das getan hat, war sie kein normaler Mensch, sondern musste  — hinzu kommt das Erbsünden-Dogma mit seinen Abgründen — „unbefleckt empfangen“ worden sein. Man hat sich so hoffnungslos ins Abseits geschossen und Gott in die Begrenzungen des Menschlichen hineingesperrt. Die protestantische Kritik an manchem jüngeren Dogma ist unsinnig, wenn sie zugleich all jene Dogmen festhält, die zu letzteren folgerichtig geführt haben.

Ich denke: Das „Zeugen“ geschieht deshalb, damit die Verbindung zur alten Schöpfung nicht abreißt, und weil offenbar nicht aus einem Mann heraus eine neue Frau geschaffen werden sollte (nicht in der alten Reihenfolge der ersten Schöpfung!), sondern andersherum, wofür nicht nur Gen 3 spricht, sondern auch der eigentümlichen Vers am Ende des 31. Kapitels bei Jeremia — ich zitiere hier King James, weil die deutschen Bibeln wieder so danebenliegen und missverständlich übertragen:
How long wilt thou go about, O thou backsliding daughter? for the LORD hath created a new thing in the earth, A woman shall compass a man.” (V 22) — Also: “Wie lange willst Du dich sträuben, du zurückscheuende Tochter du! Denn der Herr hat geschaffen eine neue Sache auf Erden: eine Frau soll einen Mann umschließen.“
Martin Buber, dessen Übertragung ich sehr schätze, übersetzt das so:
„ Maid Jißrael, kehre wieder zu deinen Städten! Bis wann willst du dich spröde gehaben, abkehrige Tochter du! — Ein Neues ja schafft nun ER auf Erden: das Weib muß umwandeln den Mann.“
Früh wurde diese Stelle auf den neuen Adam hin gedeutet.
Im Judentum muss den Regeln nach die Initiative für den Beginn aller Schabbate dadurch angezeigt werden, dass eine Frau die Leuchter entzündet — das ist bis heute so und folgt dieser biblischen Reihenfolge des messianischen Zeitalters. Der Schabbat ist die „Ruhe des Herrn“, die uns allen verheißen ist. Auch die Pessachlichter am ersten Sederabend sollten deshalb von einer Frau angezündet werden. Das gesamte Pessach über wartet dann diese kleine Hausgemeinde auf den Propheten Elia, der diesmal eintritt und sagt: er (der Messias) kommt!

Gott initiiert hier ein Neues aus der Potenzialität der Frau, die damit für die ganze Schöpfung einsteht, eine „Zeugung“, die zugleich auch seiner schöpferischen Potenzialität entspringt. Ich muss das also nicht so denken, als hätte Gott analog zum Mann gezeugt. Ich kann es auch so vorstellen, dass er eine Neuschöpfung initiiert hat, die aufseiten der Frau zwar einem Zeugungsakt ähnelt, aber eher ein Schaffen Gottes im Bereich weiblicher Generativität ist. Jesus wäre demnach hier weniger im klassischen Sinn „gezeugt“, als eben durch die „Kraft des Allerhöchsten“ in ihr und mit ihr neuerschaffen. Der gesamte Akt wäre dann wiederum analog zur Herausnahme der Frau aus Adam zu sehen, und die Stelle im Galaterbrief, die besagt, dass der neue Adam, der Messias aus/von einer Frau gemacht wurde, würde das genauso auch sagen. Er wurde also nicht „aus einem Weib geboren“, „das“ hier bloß als himmlische Schleuse für eine inkarnierende Gottheit diente, sondern der Akzent läge auch hier auf dem Neugeschaffensein, aber eingebettet in einen weiblichen generativen Zusammenhang.
Ich kenne aus meinen Kindheitstagen diese Meinung, das könne deswegen so nicht sein, weil eine Frau ja nur zwei XX-Chromosomen hätte und daraus niemals ein XY kommen kann. Alleine das beweise doch, dass Gott hier irgendwie (analog) „männlich gezeugt haben müsse“.
Damals dachte man noch, das Y-Chromomosom sei etwas Eigenständiges, das der Mann alleine habe, die Frau dagegen nicht. Heute  — so habe ich mitbekommen — steht in der Wissenschaft auch der Gedanke im Raum, dass das Y-Chromosom ein gebeugtes, „verstümmeltes“ X-Chromosom ist, was zu der Tatsache passen könnte, dass dem Mann etwas genommen wurde, um die Frau zu erschaffen und auch unter Biologen als Grund angenommen wird, warum männliche Menschen im Hinblick auf das homöostatische Gleichgewicht etwas instabiler sind als weibliche (kürzere Lebenserwartung, höhere Kindersterblichkeit etc.). Aber ich plädiere eher für Vorsicht mit solchen Argumenten, weil das alles nur Forschungsmeinungen sind, deren Halbwertszeit sehr kurz sein kann. Es kann alles auch noch ganz anders sein. Gott kann jedenfalls aus einer Frau ohne Mann ganz offenkundig einen Mann schaffen, ohne selbst die Rolle eines Mannes einzunehmen. Punkt — so wird es nun mal berichtet. Und niemand kann sich herausnehmen zu behaupten, dem, der alles geschaffen hat, sei das nicht möglich: ihm ist alles möglich, und mit dem Satz, was bei Menschen unmöglich erscheine, „para to theo pan rema“: „Bei Gott ist alles möglich!“ (Lk 1,37) endet die Ansprache des Engels an Maria.

Es heißt in der Folge von Jesu Erlösunghingabe für uns, dass nun auch wir alle „von Neuem geboren“ werden können und müssen, um selig zu werden. Für uns steht also auch eine solche „Neuzeugung“ an, denn was neu geboren wird, muss vorher neu gezeugt worden sein.
Die „dynamis“ des Allerhöchsten vermag das im Geist — und nur das macht es ja möglich, dass wir nicht mehr nur „Geschöpfe Gottes“, sondern „Kinder Gottes“ sein dürfen. In der Zukunft liegt noch eine „Verwandlung“ oder „Auferstehung“ dieser Von-Neuem-Geborenen.
Aber bitte beachte man: wenn auch gilt, dass die Kinder einer Mutter wie sie Menschen sind, so kann man dennoch nicht behaupten, wir seien deshalb Gott, weil wir Gottes Kinder heißen dürfen. Eine menschlich gedachte Analogie greift nicht „total“.

Der Zeitpunkt, an dem im NT Jesus nicht nur für eine Zukunft (wie in der Ansprache an Maria), sondern als „jetzt“ als „Gottes Sohn“ kenntlich gemacht wird, ist, wenn ich nicht irre, bei der Taufe im Jordan. Dort kommt der Heilige Geist auf ihn herab und Gottvater bestätigt, dass dieser ihm gefällt und er sein Sohn ist. Jesus spricht als 12jähriger bereits von seinem „Vater“, aber die Bestätigung des Vaters vor aller Welt kommt erst hier (Lk 3).

Abgesehen von diesen ausführlichen Überlegungen zur „Herkunft“ Jesu überrascht, mit welch überreichen Ausdrücken und Verheißungen er versehen ist. Er sitzt nicht nur zur Rechten Gottes, was zumindest eine annähernde Gleichrangigkeit anzeigt, sondern „ihm ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden“. ALLE! Sieht man ihn als ein von Gott unterschiedenes Wesen, ist das beängstigend, denn was bedeutet es, wenn Gott einem einzigen Menschen alles überlässt, sogar seine eigene Gewalt — oder missverstehe ich da etwas? Die Schrift spricht von einer totalen Übereinstimmung beider im Geist, aber ist es nicht auch Angst, wenn man sagte, Jesus müsse dann Gott sein, um nicht wieder in einen Antagonismus zu geraten, falls der Unterschiedene sich doch absetzen sollte vom Vater? Schwingt die Furcht mit, es könnte dann noch schlimmer werden, als damals, als sich Engel abwandten? Macht man aus Jesus einen „homoousios“ (Wesensgleichen) mit dem Vater, um sich „abzusichern“? Weil Gott nicht von Gott abfallen kann? Traut der Mensch einem Menschen nicht, weil er weiß, wie wir alle sind?

Ist das das größte Wunder, dass der Vater dennoch alles einem Menschen anvertraut hat?
O mein Gott, wir sind so klein und verzagt und verstehen so wenig!

Aber seien wir ehrlich: dieses Trinitätsmodell der Kirche ist ein Modell, ein Baukastengott — es war und ist eine Grenzüberschreitung!
Nirgends im AT oder NT steht etwas von einer Trinität!
Und alles, was man auf sie hindeuten will, offenbart uns nur die Überfülle des Vaters, seine „Unzählbarkeit“ und Einheit, denn in ihm ist kein Antagonismus.

 Die allgemeine Überzeugung aller Kirchen, Gott habe „Mensch werden müssen, weil wir sonst nicht hätten errettet werden können“, ist auch eine definitorische Grenzüberschreitung.
Woher wissen denn wir, wie die Menschheit erlöst werden kann oder muss und wie nicht?! Steht irgendwo in der Schrift, dass „Gott Mensch wurde“? Ich habe nirgends eine Stelle gefunden! Ich finde nur die Aussage, dass der Christus „im Fleisch“ („en sarki“) gekommen ist (1. Joh 4,2)
Die mittelalterliche Überlegung, dass aber ein Gott ja nicht leidensfähig ist wie ein animalisches „Opfer“ (Anselm von Canterbury) und darum inkarnieren musste, um leidensfähig zu werden, ist nicht schlüssig, setzt einen Opferbegriff voraus, der sich ebenfalls nirgends in der Schrift findet, aber im Heidentum geläufig ist. Anselm las das NT durch die Brille paganer Logik.
Genauso oder viel mehr schlüssig ist es aufgrund des Schriftbefundes, wenn man sagt: ein vollkommener, neu im Fleisch gekommener Mensch, der ohne Sünde war, kann die, die von seiner Art sind (nämlich echte Individualmenschen!) durch seine Hingabe erretten, wenn der Vater ihn dazu bevollmächtigt hat. Man kann und muss sagen: diese Rettung ging alleine von Gottes „Dynamis“ und „Chare“ (Gnade, Liebe, Gefallen) aus, aber Gott ist nun mal kein Mensch, und der Mensch ist nun mal nicht Gott. Und dieser Gott ist tatsächlich nach dem Zeugnis im AT und NT und nach den Worten Jesu selbst „echad“, einer, der „Vater“, der aber auch mütterliche Eigenschaften hat und insofern nicht „männlich“ oder geschlechtlich verstanden werden darf, erst recht nicht als ein androgynes Multiwesen, wie manche feministische Theologie es ansehen will. Der Gott, der einer ist und dem sowohl Mann und Frau als Abbilder ähneln, ist nicht nur nicht zählbar wie Menschen es sind in der Welt der geschöpflichen Zahlen, sondern er ist auch nicht aufsplittbar in Geschlechter, Funktionen oder personifizierte Tätigkeiten, wie die Trinitätslehre es ja doch nahelegt.

Ein von Gott „Gesalbter“ (Messias), ein außerordentlich Bevollmächtigter, sollte diese Erlösung vollziehen im Auftrag Gottes. Gott wohnt in einem Licht, da niemand hinzukommen kann. Wer sind wir, dass wir numerische Zahlenspiele über ihn zum „Dogma“ erheben, zumal zunächst im 4. Jh nur eine Binitarität dogmatisiert und diskutiert wurde — eine Personifikation des Heiligen Geistes kam erst später hinzu und wurde sage und schreibe erst 1215 endgültig dogmatisch abgeschlossen — es gehört eine erschreckende Sorglosigkeit und Selbstüberhebung dazu, darin kein Problem zu sehen. Der „Heilige Geist“ ist nichts anderes als diese „Dynamis des Allerhöchsten“ — es steht doch deutlich in den Evangelien: im lukanischen Bericht ist es die „Dynamis des Allerhöchsten“, die mit dem „Heiligen Geist“ genannt und identifiziert wird! Es ist eine Kraft Gottes, seine Kraft und geht von ihm aus, nicht anders, als auch von mir oder Ihnen eine Kraft ausgehen kann und ein Geist — das kann man analog denken, aber natürlich nicht absolut vergleichbar, denn bei Gott ist alles unvorstellbar höher. Aber als in seinem Bild Geschaffene dürfen wir solche Analogie wohl doch annehmen: ein Geist ist immer „Geist von X“. Er besteht nicht für sich als Eigenperson, sondern gehört zu dem, von dem er ausgeht, als Kraft oder Energie und den gesamten persönlichen Charakter: Mein Geist etwa kann nur das ausdrücken, was er von mir „gehört“ hat und er wird andere erreichen und erfassen oder beeinflussen können, wenn sie es zulassen. Selbst von Menschen sagen wir, sie seien „im Geist bei uns“, und wir kennen auch dieses wunderbare Zusammentreffen im Geist... Wie viel mehr Gott!

Mit der Personifikation des Heiligen Geistes verfestigte sich die Impression, Gott habe analog zu einem Mann hier gezeugt — bloß: wer jetzt genau? Der „Vater“ oder der „Heilige Geist“? Jesus sagt ja nicht, dass der Heilige Geist sein Vater sei… man wird verrückt, wenn man dieses Trinitätsbaukastenspiel ernstnimmt. Und wenn alle Stricke dann reißen, heißt es salbungsvoll: Es ist eben ein tiefes Geheimnis…
Nun ist aber dieses Trinitätsmodell biblisch nicht nachweisbar, es ist der Vernunft nach widersprüchlich und widersinnig, geht am Schriftbefund vorbei, will Dinge „definieren“, in die wir keinen wirklichen Einblick haben, der uns solche Definitionen erlauben würde, und solcherlei nennt man nicht fahrlässig ein „Geheimnis“. Nicht jeder Widersinn ist schon gleich ein „Geheimnis“! Hier wäre Zurückhaltung angebracht gewesen!

„Geheimnis“ ist alles Verborgene (aber dann wissen wir es auch nicht!) und all das, was an Offenbartem dennoch im Dunkeln bleibt, aber nicht unlogisch, unvernünftig oder widersinnig, sondern nur unvorstellbar und unausdenkbar oder schlicht einmalig (ohne andere ähnliche Erfahrung, also ein Wunder) ist. Es ist nicht widersinnig, dass Gott unter der Mithilfe einer außerordentlich gesegneten und begnadeten Frau den neuen Adam, den Messias erschafft. Es ist nur unvorstellbar und wäre ein echtes Wunder. Es liegt im Bereich des Möglichen und widerspricht in keiner Weise einem angemessenen Vernunftbegriff. Das einzige Anstößige daran ist für viele, dass es unserer Erfahrung widerspricht. Eine Entsprechung hat die wunderbare Herkunft Jesu in seiner Auferstehung: auch das entspricht nicht unserer Erfahrung, aber es ist etwas Mögliches und keineswegs Vernunftwidriges.
Die Trinitätsphilosophie dagegen ist in sich logisch unmöglich und operiert mit widersprüchlichen Begrifflichkeiten — das ist das große Problem daran.
Aus dem ersten Adam und seiner Frau kommen alle weiteren Menschen, geschwächt durch den Fall der Stammeltern. Aus dem zweiten Adam kommen in einer himmlischen Kategorie alle, die neugeboren werden aus dem Geist, den er empfangen hat und in dessen ewiger Kraft er sich für uns hingab als „Lösegeld“ für viele.
Der Mensch ist generell „von Gottes Art“ (Apg 17,28), aber geschwächt und korrumpiert. Dieses Merkmal "von Gottes Art" trifft nach der gesamten Areopagrede des Paulus nicht nur auf Jesus, sondern alle Menschen zu, auf ihn aber vollkommen und in höchstem Auftrag und ungetrübt durch die Korruption des gefallenen Menschen.
Er ist nicht nur der „Menschensohn“ in höchster Vollkommenheit, sondern auch das vollkommene Abbild des Vaters, das der erste Adam hätte sein sollen und aufgegeben hat.
Es erschüttert mich zutiefst, dass Jesus nach seiner Auferstehung sagen konnte, ihm sei „alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben“ worden (Mt 28,18). Gott beantwortet damit dessen Hingabebereitschaft und Gehorsam bis zum Tod mit einer göttlichen Bereitschaft, diesem Menschensohn und Gottessohn alles zu überlassen und hinzugeben, — ausgenommen sich selbst natürlich — , die so ungeheuerlich zu bedenken ist, das ich erschauere und erzittere vor dieser Großtat Gottes, die niemandem etwas schuldig bleibt und auf ihre Weise eine Art „Entäußerung“ ausdrückt, die der Messias mit der totalen Treue und Ergebenheit beantwortet, auf die wir uns verlassen dürfen, denn er wird sich am Ende dem Vater unterwerfen, damit Gott nach der Überwindung des Todes alles in allen sei (1. Kor 15,28).
In Christus Jesus hat sich Gott dem Menschen in der größtmöglichen Weise angenähert.

Weiterführende Links:

Sir Anthony Buzzard und die „Restoration Fellowship“:

Eine deutsche Website der Unitarier von Stephan Gerber:

Eine katholische Kritik am Trinitätsmodell durch Karl-Heinz Ohlig:




[1] Vgl. Eusebius, Vita Constantini 4. Und vgl. P.F. Beatrice, The Word « Homoousios » from Hellenism to Christianity, in : American Society of Church History 71, 2002, S. 243—272
[2] Vgl. Joe Lanz: My Yacard. Who Am I? What Am I And Why? Bloomington 2007. S. 54

Montag, 21. Mai 2018

Die sakramentale Anderwelt der Eucharistie (VIII) - Das "apokalyptische Pessach"



VIII. Das „apokalyptische Pessach“ — eine Schlussbemerkung

Die kirchliche Lehrentwicklung von der Eucharistie hat sich nach diesen Meditationen fast unendlich weit entfernt aus dem neutestamentlichen und alttestamentlichen Zusammenhang.

Wenn die postmoderne katholische Theologie offen zugibt, dass sie ihre Lehre vom „Pascha-Mysterium“ als eine Kompilation von zerbrochenen Motiven des ursprünglichen Pessachzusammenhangs mit heidnischen Opfer- und Mysterienkulten entwickelt hat, dann muss man fragen, ob dies eine Lehre ist, die sich auf die Lehre des einzigen legitimen Lehrers der wahren Christen, Jesus Christus, gründet. Wenn auch das Lehren als Charisma von Gott selbst (nicht durch menschliche Vermittlung) verliehen werden kann, gilt im NT durchweg, dass kein Jünger Jesu sich „Lehrer“ nennen lassen darf und keine Lehrtätigkeit angestrebt werden soll. Angesichts des dreisten Lehranspruchs nicht nur der römischen Hierarchie mit ihrem universalen Papsttum, sondern auch der unzähligen evangelischen „Bibellehrer“, „Prediger“ und „Pastoren“, die sich aufgrund einer Selbstzuschreibung an „Erkenntnis“ und „Weisheit“ über die zu Belehrenden stellen, muss festgehalten werden aus den Schriften des NT:
Die Mahnung des Paulus an einer bestimmten Stelle, dass Frauen nicht lehren sollen, wurde dahingehend so verdreht, als käme es stattdessen dem Mann als angeblich „göttlichem Abglanz“ natürlicherweise zu, der Frau als vermindertem Menschen dagegen nicht. Diese Mahnung wird gerne bis zum heutigen Tag gegen weibliche Lehrer gewendet. Aber geflissentlich überhören die Verfechter einer solchen Auffassung, dass das Lehren als Anspruch niemandem — auch keinem Mann — zukommt. Wenn Paulus hinsichtlich eines Missstandes, in dem Frauen offenbar mit einem Lehranspruch auch einen Herrschaftsanspruch über den Mann verbanden und darüber Unordnung ausbrach (s. Schriftzitat unten), diese Worte schrieb, folgt daraus nicht, dass Frauen kein Charisma haben können, das sie zu Lehrerinnen beruft, sondern daraus folgt, dass auch Frauen keinen Anspruch auf Lehre im Zusammenhang mit Herrschaftsansprüchen haben. Paulus würde — hätte er dies global und exklusiv gegen die Frau gerichtet gemeint — zahlreichen alttestamentlichen Realitäten widersprochen, in denen sehr wohl Frauen berufen waren, zu reden und in einem gewissen Sinn auch zu lehren und zu führen (zB Deborah, Jael, Miriam, Hulda, Judith, Hanna). In einer angebrochenen, aber noch nicht offenbar gewordenen messianischen Realität, in der in diesem Messias, Jesus, nicht mehr „Jude noch Grieche, nicht mehr Freier noch Sklave, nicht mehr Mann noch Frau ist“ (vgl. Gal 3, 28), kann es nicht darum gehen, zumal Paulus eindeutig sagt, dass er hier in eigenem Namen (nicht vom Herrn, wie er bei anderen Fragen hinzufügt) hinsichtlich einer bestimmten desolaten Situation an einem bestimmten Ort spricht, in anderen Fällen aber doch selbst Frauen als Mittlerinnen und Lehrende (Erklärende) schickt (vgl. Röm 16). Es kann an sich im gesamten Zusammenhang verstanden nur um eine generelle Ablehnung jeglicher Lehrtätigkeit als Herrschaftsanspruch gehen.

Über allem steht das Wort Jesu selbst, der eindeutig sagt, dass nur er selbst Lehrer für die Seinen ist und niemand sich in seinem Gefolge als Lehrer aufbauen (lassen) darf:

„Vos autem nolite vocari Rabbi : unus est enim magister vester, omnes autem vos fratres estis. (…) Nec vocemini magistri : quia magister vester unus est, Christus.“  (Mt 23, 8+10) —  „Ihr sollt euch auch von niemandem Rabbi (Lehrer) nennen lassen: einer ist nämlich euer magister (Lehrer/Meister), ihr aber seid alle Brüder. (…) Und lasst euch nicht magistri nennen (Lehrer), denn euer Lehrer ist einer, der Christus (der Messias).“

„Docere autem mulierem non permitto, neque dominari in virum : sed esse in silentio...“ (1. Tim 2, 12) — „Ich erlaube aber nicht, dass eine Frau lehrt, auch nicht, dass sie den Mann beherrscht: sondern sie soll sich in Stille halten.“

„1 Nolite plures magistri fieri fratres mei, scientes quoniam majus judicium sumitis. (…) Et lingua ignis est, universitas iniquitatis. Lingua constituitur in membris nostris, quæ maculat totum corpus, et inflammat rotam nativitatis nostræ inflammata a gehenna. (…) 13 Quis sapiens et disciplinatus inter vos ? Ostendat ex bona conversatione operationem suam in mansuetudine sapientiæ.
14 Quod si zelum amarum habetis, et contentiones sint in cordibus vestris : nolite gloriari, et mendaces esse adversus veritatem :
15 non est enim ista sapientia desursum descendens : sed terrena, animalis, diabolica.“ (Jak 3) —

Meine Brüder, ihr sollt nicht so viele magister (Lehrer) sein wollen, denn als scientes (Gelehrte) haben wir ein härteres Urteil zu erwarten. (…) Und die Zunge ist ein Feuer, ein Universum an Bosheit. Die Zunge ist das unter unseren Gliedern, das den ganzen Körper verdirbt, und sie entzündet das Rad unserer Geburt und ist entflammt durch die Hölle. (…) Wer unter euch ist weise und diszipliniert? Er möge sein gutes Werk durch ein gutes Verhalten zeigen und durch ein Verbleiben in Weisheit. Wenn ihr einen solchen bitteren Eifer habt und Streitsucht in euren Herzen ist: Blast euch nicht auf und hört auf, Lügen gegen die Wahrheit zu setzen: eine solche „Weisheit“ ist nämlich nicht aus der Höhe herabgekommen: sondern sie ist irdisch, sinnlich, satanisch.“

Insbesondere die Jakobusstelle führt vor Augen, dass das Lehrenwollen immer eine satanische Komponente und Motivation hat. Nicht nur Frauen, — die vielleicht in der Realität wesentlich seltener als die Männer mit diesem Anspruch auftreten (!) — , sondern alle stehen in der Gefahr, andere belehren zu wollen und damit die Hölle auf Erden zu schaffen und die Botschaft Christi zu verdunkeln.

Man muss nun andererseits klar unterscheiden zwischen einer öffentlichen Kontemplation über geistliche Dinge, die weniger belehrenden als mitteilenden oder Zeugnis gebenden Charakter hat, und einem „magisterium“ (Lehramt), das einen Herrschaftsanspruch erhebt, wie das die römische Kirche tut, wie Paulus es aber auch von einer bestimmten Gruppe von Frauen im Timotheusbrief berichtet. Ein solcher Anspruch tritt in Verbindung mit der Behauptung einer besonderen Befähigung, besonderen Erkenntnissen oder einer besonderen Zusage Jesu auf, die er aber nicht öffentlich kundgetan hat. Wer mit einem lehrenden Herrschaftsanspruch auftritt, beruft sich in aller Regel auf eine private Befähigung, die sich nicht durch Wunder, vernünftige Rede, dienstbare Leidensbereitschaft oder sichtliche und geistliche Erfüllung (wie bei den Propheten) zeigt oder nimmt auf eine fragwürdige, verworrene oder verdrehte und illegitime Weise Bezug auf Bibeltexte.

Nicht zuletzt forderte Jesus Christus die Seinen nicht dazu auf, Lehrer zu werden, sondern Zeugen. Dass das Zeugnis in einem gewissen Sinn auch eine „Lehre“ ist, sollte dennoch nicht den Unterschied zwischen Lehranspruch und Pflicht zum Zeugnis verwischen:

„6 Sie nun, als sie zusammengekommen waren, fragten ihn und sagten: Herr, stellst du in dieser Zeit für Israel das Reich wieder her?
7 Er sprach zu ihnen: Es ist nicht eure Sache, Zeiten oder Zeitpunkte zu wissen, die der Vater in seiner eigenen Vollmacht festgesetzt hat.
8 Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist; und ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde.“ (Apg 1)

Das „Reich“, das der Messias gekommen ist wiederherzustellen, wird von Jesus in keiner Weise abgelehnt oder als eine falsche jüdische Ansicht abgewehrt. Er sagt allerdings, dass es noch nicht politisch verwirklicht wird, die Jünger bis zur Verwirklichung (die mit seiner Wiederkunft beginnen wird) mit dem Heiligen Geist ausgestattet werden, um Zeugen zu sein für den Messias und das, was er gelehrt hat, im ganzen Erdkreis. Alleine die Tatsache, dass die Kirche mit dem Anspruch auftritt, dieses Reich bereits sichtbar zu verwirklichen, offenbart sie als eine Einrichtung, die nicht von dem kommen kann, der sagte, dass uns nicht zustünde darüber zu befinden, was noch aussteht und nur der Vater alleine weiß. Warum anders sollten wir beten „Dein Reich komme“?!
Die Verdrehung der Sätze Jesu durch die katholische Lehre in eine Richtung, die ihren sichtbaren und buchstäblichen irdischen Herrschaftsanspruch jetzt schon — vor der Zeit und besserwisserisch die Worte Jesu ignorierend — erhoben hat und das Reich Gottes mit einem künftigen Weltreich, das dann vollends unter ihrer Herrschaft steht, ist blasphemisch. „Es ist nicht eure Sache, Zeiten oder Zeitpunkte zu wissen, die der Vater in seiner eigenen Vollmacht festgesetzt hat.“ — Die Kirche hat sich hier der Vollmacht des Vaters entgegengestellt. Hätte Jesus es eindeutiger sagen können? Dass diese Zeit aber nicht kommt, bevor er wiederkommt, ist aus der ganzen Schrift eindeutig: „Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird so kommen, wie ihr ihn habt hingehen sehen in den Himmel.“ (Apg 1, 11) Zuvor wird das Böse sich immer stärker „offenbaren“ und die ganze Welt in schwere Katastrophen führen (2. Thess 2).

Auch der berühmte „Missionsbefehl“ ist nur dem Anschein nach ein „Lehrauftrag“. Es gilt immer, genau zu lesen:

„18 Et accedens Jesus locutus est eis, dicens : Data est mihi omnis potestas in cælo et in terra :
19 euntes ergo docete omnes gentes : baptizantes eos in nomine Patris, et Filii, et Spiritus Sancti :
20 docentes eos servare omnia quæcumque mandavi vobis : et ecce ego vobiscum sum omnibus diebus, usque ad consummationem sæculi.“ (Mt 28) „Und (der auferstandene) Jesus kam auf sie, redete zu ihnen und sagte : Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden : Geht darum hin und lehrt alle Völker : tauft sie im Namen des Vaters, und des Sohnes, und des Heiligen Geistes : lehrt sie zu bewahren alles, was ich euch hinterlassen habe : und siehe ich bin bei euch an allen Tagen, bis zur Vollendung des Zeitalters.“

Es ist vollkommen ersichtlich, dass es hier nicht darum geht, dass die Jünger einen Lehrauftrag im späteren Sinne der Kirche hätten, die sich eine „dogmatische Entfaltung“ der Lehre angemaßt hat. Sie sollen nicht selbst lehren und ein Reich Gottes sichtbar machen, sondern das weitergeben, was sie empfangen haben von ihren eigentlichen Rabbi und Lehrer. Wenn sie das tun, wird der Lehrer selbst bei ihnen bleiben bis zum Ende dieses Äons, danach aber wird er seine messianische Königsherrschaft errichten. Es ist ebenso vollkommen ersichtlich, dass dieses Äon erst zu Ende gehen muss, bevor der Messias sein Reich sichtbar aufrichten wird.
Ich möchte an die Worte Maria Magdalenas erinnern, die gewürdigt wurde, als erster Mensch den Auferstandenen zu sehen und mit ihm zu sprechen und als Erste auch einen Verkündigungsauftrag von Jesus selbst erhielt. Sie sprach den Auferstandenen in dieser seiner Rolle als einziger und persönlicher Lehrer an:

16 Dicit ei Jesus : Maria. Conversa illa, dicit ei : Rabboni (quod dicitur Magister). (…) vade autem ad fratres meos, et dic eis…“ (Joh 20) — „Jesus sagte zu ihr : Maria. Als jene sich umwandte, sagte sie zu ihm :“Rabbuni“ (was Lehrer bedeutet). (Jesus sagte zu ihr:) Geh zu meinen Brüdern und sag ihnen…“

Nicht nur, dass Jesus hier eine Frau schickt, um wichtigste Zeugnisse gegenüber den „Brüdern“ auszusprechen und Aufträge zu überbringen, sondern wichtig ist, dass Maria Magdalena uns bis heute bezeugt, dass der höchste und einzige Lehrer Jesus alleine ist. Und weil sie es persönlich sagt: „Mein Lehrer“, gibt sie damit Vorbild für jeden Gläubigen, der nur einen wahren Lehrer hat, nämlich Jesus Christus. Was immer andere Menschen uns beibringen oder nahelegen wollen: Es muss geprüft werden angesichts der Worte, die uns von Jesus hinterlassen worden sind durch die ersten Zeugen und Apostel! Jeder Christ muss denken lernen und prüfen, keiner kann sich auf seine Verführer herausreden! Weil wir diese Aufgabe schwerlich ohne Gefährdung durch Irrlehrer und unsere eigene Herzenshärtigkeit und Trägheit bestehen können, haben wir — wie ich es so oft nachgewiesen habe aus den Schriften — als „Anzahlung“ den Heiligen Geist empfangen, der uns „in die ganze Wahrheit führen wird“ (Joh 16, 13).
Das Zeugnis Jesu aber ist nach den Worten eines Engels in der Apokalypse nicht irgendeine „Lehre“ oder ein selbstermächtigtes „magisterium“ (Lehramt). Das Zeugnis Jesu aber entspringt dem „Geist der Weissagung“:

„Testimonium enim Jesu est spiritus prophetiæ.“ (Apk 19, 10) — „Das Zeugnis Jesu aber ist der Geist der Prophetie.“

Paulus schrieb dazu eindringlich: 19 Spiritum nolite extinguere. 20 Prophetias nolite spernere.“ (1. Thess 5) — „Löscht den Geist nicht aus! Verachtet nicht Weissagungen!“

Nicht das „Lehren“ ist das Amt des Jüngers oder der „Kirche“, sondern das Zeugnisgeben und die Weissagung. Beides aber ist Charisma, nicht formelles, von Menschen gesetztes Amt (!), wird Mann wie Frau verliehen, soll allen dienen, wenn Gott es will und von jedermann sorgfältig geprüft werden mit Verstand und Nüchternheit (1. Thess 5, 21f).

Wir sind, wie es im Licht des NT aussieht, auf einem jahrhundertelangen Holzweg immer tiefer ins Dickicht geraten, haben das verlassen, was der wahre und einzige Lehrer uns hinterlassen hat. Wir haben uns gepriesen dafür, heidnische Lehren übernommen zu haben und Sibyllen und Philosophen als angebliche Vorläufer auf Christus hin erklärt und darüber das verworfen und verdreht, was der Christus uns als Lehre hinterlassen hat.

Was sein letztes Abendmahl am Pessachfest betrifft, haben wir vergessen und verworfen, verdreht und gewaltsam paganisiert und dafür unendlich viel Blut fließen lassen, dass Jesus als der Messias das Pessachfest auf sich selbst hin gedeutet hat und die gebotenen acht Pessachtage als apokalyptische Wanderung seiner Jünger erklärt hat.

Das Pessach, der vorausgebildete und bildhafte Auszug aus der Sklaverei Ägyptens, des Heidentums und der Schlangenverehrung ist nun auf eine andere Stufe gehoben:
Das Pessach der Christen beginnt wie das alte Pessach mit der Schlachtung des Lammes, von dem am nächsten Morgen des 2. Tages nichts übriggeblieben sein darf. Diese Schlachtung aber erinnert an die 10. Plage der Ägypter, die Tötung aller männlichen Erstgeborenen, die den Pharao dazu zwang, die Israeliten ziehen zu lassen. Er wollte sie zuvor um keinen Preis der Freiheit übergeben. So war er selbst zu einem Ausdruck der alten Schlange geworden, die ihren erworbenen Anspruch auf die Menschheit vor Gott geltend macht… Auf seiner Stirn trug der Pharao das Symbol der Schlange und ihrer Macht. Sie war und ist es, die ihn bestimmte und ihr Fürstentum durch Menschen beansprucht und durchsetzt.
Das Reich des Messias brach mit der Tötung des gesalbten Erstgeborenen an. Jesus wird im NT häufig als der „Erstgeborene“ bezeichnet: Er ist „imago Dei invisibilis, primogenitus omnis creaturæ“ (Kolosser 1, 15), das „Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung“. Aber auch von Maria heißt es, „peperit filium suum primogenitum (Lk 2, 7), dass sie “ihren erstgeborenen Sohn gebar“. In Ps 89, 28; Römer 8,29; Kolosser 1,18; Hebräer 1,6; Offenbarung 1,5 werden wir immer wieder mit der Tatsache vertraut gemacht, dass der Christus, dass Jesus, der Messias, der vor aller Zeit schon vorgesehene und dem Vater als zukünftiger Gesalbter bekannte Mensch Jesus der „Erstgeborene“ ist, vor allem auch der primogenitus mortuorum“, der „Erstgeborene von den Toten“, weil er ihn wieder auferweckt, verklärt und unsterblich gemacht hat.
Dieser in jeder Hinsicht „Erstgeborene“ setzt mit seinem Opfer am Kreuz an einem realen Pessachfest der Israeliten den Beginn des Pessach am Ende der Zeiten. Er wird „geschlachtet“, um die Menschen zurückzugewinnen und zu vermeiden, dass sie dem „Würgeengel“ in die Hände geraten, der ein Recht auf sie hat aufgrund der Herrschaft der Schlange, die sie über sich zugelassen haben und immer noch zulassen. Danach sind die Geretteten unterwegs, sie ziehen aus und erwarten den Einzug in das künftige Reich Gottes, sie essen das „Brot des Elends“, die ungesäuerten Brote, das jüdische Zeichen der Unbehaustheit in diesem Äon, aber auch der Reinheit und Freiheit als wach haltende Erinnerung an Jesus, der sie rein und frei gemacht hat, bis sie am Ende in einem großen Schabbat in die Ruhe Gottes einziehen dürfen. Mit der Benennung des Brotes und des Weines als Sinnbilder seines Leibes und seines Leben spendenden Blutes wird nicht auf ein heidnisches Mysterienspiel von einem permanent gegenwärtig gesetzten, sterbenden und lebendig gemachten Gott, oder eine sakramentale Parallelwelt abgezielt, sondern auf eine erneuerte, apokalyptische Sinngebung des Pessachfestes auf das Reich Gottes hin, das „nahe herbeigekommen“ ist, wie Johannes der Täufer und Jesus an zahlreichen Stellen bezeugt haben. Noch ist es nicht sichtbar, noch hat es „erst“ in den Herzen begonnen, noch gibt es einen Aufschub bis zum Anbruch dieses Reiches, aber es ist nahe, steht unmittelbar vor der Tür. Jesus hat so oft in Gleichnissen und Reden daraufhin gewiesen, dass er unzweifelhaft dieses Reich, wenn er wiederkommt, errichten wird und die Seinen darin mit ihm regieren werden. Bevor er aber wiederkommt, ist die Zeit dieser Regierung nicht gegeben. Es ist Zeit des Zeugnisses in der ganzen Welt, nicht aber die Zeit irgendeiner frommen Gewaltherrschaft. Es ist absolute Gewaltfreiheit verordnet, bis er kommt. Und wenn er kommt, wird er regieren als König, als „rex“, nicht als „imperator“. Sein Reich ist ein „regnum“, kein „imperium“. Auch diesen so wichtigen Unterschied hat die Kirche vollständig verfinstert.
Die Christen, wenn sie zur „commemoratio“, d.h. zur Gedächtnisstütze und gemeinschaftlichen Wachhaltung des baldigen Kommens Jesu, nachdem er uns durch seinen Tod erlöst hat von der Herrschaft Ägyptens und des Schlangengottes, während der Zeitabschnitte des apokalyptischen Pessachfestes dieses „Brot des Elends“ essen, setzen fort, was Israel geheißen war zu feiern, aber sie tun es nicht mehr nur im Abglanz kommender Dinge, sondern sie stecken mitten in diesem endzeitlichen Pessach, das wie die Wüstenwanderung länger ausfällt, als ursprünglich geglaubt und erwartet, aber dennoch sein Ende und sein Ziel erreichen wird. Den Tod des Erstgeborenen lassen sie hinter sich als historisches und als „Schlüssel“-Ereignis mit unwiderruflicher Folge, denn der Erstgeborene, der auch in der Apokalypse wieder auftaucht (Apk 12), wird vor seiner sichtbaren, universalen Friedensregierung mit dem „eisernen Stab“ („virga ferrea“) (der weder Gold noch Edelsteine und erst recht keine Schlangensymbole trägt!) erst für eine lange Zeit von "1260 Tagen", als verklärte unsterbliche „Avantgarde“ in den Himmel entrückt. Sie schreiten in Geduld und „in der Wüste“ (Apk 12, 6) auf die Erfüllung zu. In dieser „Wüste“, dieser „solicitudo“. Die „Frau“ (früh auf die Jünger oder Israel, konkret auch auf Maria gedeutet) bleibt an einem Ort, den Gott ihr bereitet hat. Es kann auch hier keine Rede von einer mächtigen Kirche sein, die "Schwerter führt", wie Bonifaz VIII. beanspruchte, die mit ihrem Papsttum oder einer selbsternannten Hierarchie oder Führungsschicht den Weltherrschaftsanspruch formuliert und auslebt. Die Kulmination der Kreuzzüge drückte aus, dass die Kirche sich anmaßte, das biblisch angekündigte messianische Friedensreich in Israel bzw von Israel aus zu verwirklichen. Wir wissen, dass Gott ihr einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht hat und sie viel Blut für ihren Wahn vergossen hat. So kann auch erklärt werden, warum die Kirche ihren Gläubigen um keinen Preis zugestehen wollte, auf das „Millennium“ zu warten und mit dem Staatskirchentum rigoros gegen jeden Chiliasmus vorging. Sie radierte in den Gläubigen diese Passage aus der Offenbarung aus (Apk 20), denn sie wollte und will dieses „Tausendjährige Reich“ selbst darstellen und ihren Papst anstelle des Messias „herrschen“ lassen. Dass auch andere machtbewusste Gestalten früh dieses „Tausendjährige Reich“ — wie wir wissen bis in unsere Tage — mit ebenso vermessenen Behauptungen, wie die Kirche sie für sich beansprucht, für sich verbuchen wollten, gab und gibt der Kirche noch lange kein Recht, es einfach zu leugnen und die Gläubigen sogar zu ermutigen, daran als etwas Zukünftiges, von ihr Unterschiedenes, das der wiederkommende Messias einrichten wird, nicht zu glauben. Die frühen Christen glaubten daran selbstverständlich, denn es war der sichtbare Beginn der neuen Ordnung unter der Regierung des Messias nach seiner Wiederkunft, das messianische „Königreich“, das alle Propheten des AT ebenso wie Jesus und die Apostel verkündet haben.
Selbst Wikipedia gibt dies offen zu:

„Ab Mitte des 3. Jahrhunderts wurde der Chiliasmus auch innerhalb der katholischen Kirche bekämpft. Die Erwartung eines irdischen Gottesreiches wurde nun überflüssig, denn der katholischen Kirche ging es materiell zunehmend besser, und der politische Einfluss stieg. Dies interpretierte man als Zeichen, dass das Reich Gottes bereits begonnen habe. Man betonte die angebliche „Endlosigkeit“ des Reichs Christi und erklärte die gegenteilige – auch durch Paulus vertretene – Anschauung von einem befristeten (äonischen) Messiasreich offiziell zur Häresie. Die Kirche bemühte sich, das chiliastische Schrifttum in seiner Bedeutung in den Hintergrund treten zu lassen.
Augustinus verwarf den Millenarismus nach anfänglicher Befürwortung zugunsten eines Konzeptes, das den Anbruch des Millenniums bereits mit dem ersten Erscheinen Jesu Christi gleichsetzte (Amillenarismus). Als 1000 n. Chr. Christus jedoch nicht erschien, wurde es für die Anhänger des Amillenarismus notwendig, auch die Dauer der 1000 Jahre allegorisch aufzufassen. Jetzt sollten die 1000 Jahre für einen unbestimmten Zeitraum zwischen den beiden Kommen Christi stehen. Satan sei zwar gebunden, aber noch nicht ganz – das gegenwärtige Zeitalter sei, nach Augustinus, als Kampf zwischen der (weltweiten) Kirche Jesu Christi (der Ekklesia) und der nichtchristlichen Welt, zwischen „Stadt Christi“ und „Stadt des Teufels“ zu sehen (Augustinus, De civitate dei 20,11). Diese allegorische Sicht setzte sich weithin im Christentum durch.“[i]

Und so nannte die Kirche das dogmatische Dekret des Vaticanum I von 1870 „Pastor aeternus“ (Der ewige Hirte) und suggerierte schon ab dem ersten Satz, dass der Papst als Stellvertreter nicht nur des Sohnes Gottes, sondern aufgrund der Trinitätslehre sogar Gottes selbst dieses sichtbare Reich auf Erden anführe als „unfehlbarer Lehrer“ und „Richter“ mit universeller Jurisdiktion, was eine Zuschreibung der gesamten messianischen Funktion und Verheißung auf sich selbst bedeutet.[ii] Dostojewski hat seinen Großinquisitor in den „Brüdern Karamasow“ aussprechen lassen, was dies bedeutet: der echte Messias, der entrückt ist zum Thron Gottes, stört diese Hierarchie. Er kommt und wird von seinen angeblichen "Stellvertretern" verurteilt. Jeder, der klug ist, weiß aus dieser Geschichte des russischen Dichters die logischen Schlüsse zu ziehen. Und ein weiteres sollten wir bedenken: Nicht primär andere Religionen, auch nicht der Islam, auch wenn er eine Problematik eigener Art darstellt und grausam in Erscheinung treten kann, sondern das christliche Abendland hat die größten Christenverfolgungen der Geschichte zu verantworten.

Vielleicht ist uns durch die Lehren der Kirche(n) vollkommen verdunkelt worden, dass wir uns auf einer apokalyptischen Wüstenwanderung befinden, die in sich selbst bereits der Beginn der kommenden, noch nicht offenbar gewordenen Königsregierung des Messias Jesus ist.
Und wenn wir uns das vor Augen halten, können wir plötzlich auch ganz leicht verstehen, warum es die Juden immer noch gibt und warum Paulus die Tiefe der göttlichen Weisheit pries (Röm 11, 33 ff), als er vorhersah, dass sie auch am Ende der Zeiten, ganz am Schluss, vielleicht noch einmal diejenigen sein werden, von denen das Heil kommt, und warum sie angesichts der geistlichen Verkommenheit der heidenchristlichen Kirchen(n) - trotz ihrer noch nicht aufgehobenen Blindheit für ihren Messias Jesus - doch Zeugen des einen wahren Gottes und der wahren Messiasverheißung im AT sind und bleiben, deren Verständnis die Kirchenfürsten unter schwersten Gewalttaten so verzerrt haben, dass sie von den Kulten für die Baale kaum noch zu unterscheiden ist. Gäbe es die Juden nicht mehr, wüssten wir nicht mehr, was das Pessachfest bedeutet und wie es gefeiert und verstanden wurde. Gäbe es die Juden nicht mehr, wüssten wir heute nicht mehr, welches Gottesbild Israel ursprünglich verkündet hat.


Hier stellen sich viele Fragen hinsichtlich der Dogmengeschichte, denn ohne das intrigante Zustandekommen und die gewalttätigen Folgen der dogmatischen Entscheidungen durch machtbewusste spätantike Politiker und Kirchenfürsten hätte sich die verworrene Eucharistielehre, die mit dem biblischen Zusammenhang sachlich kaum noch eine Berührung hat, niemals in dieser Weise entwickeln können.


[i] Artikel „Millenarismus“ im Internet-Lexikon Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Millenarismus#Millenaristische_Konzepte_im_heutigen_Christentum (21.5.2018)
[ii] „Pastor aeternus“ (1870), ASS 6 [1870-71]