Dienstag, 20. März 2018

Die sakramentale Anderwelt der Eucharistie (III) - Was ist eigentlich ein "Mysterium"?



 Was ist eigentlich ein "Mysterium"?

Im NT wird die Ehe lateinisch eigentümlicherweise als „sacramentum“ bezeichnet, griechisch als „mysterion“ (Eph 5, 32), in dem die Liebe Jesu zur Kirche aufscheint.  Damit ist aber auch schon der Zusammenhang zwischen neutestamentlichen „Sakramenten“ und der Lehre der Kirche von „Sakramenten“ oder im Osten auch von „Mysterien“ erschöpft. Das NT kennt keine „Mysterien“ als „Abbilder“ von „Urtaten“, „Uropfern“ oder himmlischen „Urbildern“. Eine solche Praxis und Theologie kannte nur das spätantike Heidentum in den wachsenden Mysterienkulten.
Der Begriff des „mysterium“ taucht im NT in ganz anderen, oft sogar negativen Zusammenhängen auf, die ich zeigen will:
Es wird lateinisch vom „mysterium iniquitatis“ gesprochen (2. Thess 2, 7), vom „Geheimnis des Bösen“, das jetzt schon wirke und sich entfalten werde.
Weiter hat die „Hure Babylon“ in der Johannes-Offenbarung eine Aufschrift auf ihrer Stirn (Apk 17, 5), nämlich das Wort „mysterium“, das ausgedeutet ist als „Babylon magna, mater fornicationum, et abominationum terræ“, als „Babylon, die Große, die Mutter der Hurereien und Gräuel der Erde“.
Mysterium“ ist aber auch die Aussage, dass ein Teil Israels verstockt sei bis die Zahl der Heiden voll sei (Röm 11, 25). Dieses „mysterium“ der „Verstockung“ gehört gedanklich zur Entfaltung des „mysterium iniquitatis“.
Und Paulus „enthüllt“ seinen Adressaten ein „Geheimnis“, ein „mysterium“, dass nicht alle entschlafen, aber alle verwandelt werden (1. Kor 15, 51).
Jesus spricht in Mk 4, 11 vom „mysterium regni Dei“, dem „Geheimnis des Königtums Gottes“, das ausdrücklich nur (!) im Geist und ohne Zuhilfenahme sinnlicher Vergleiche erkannt werden könne.
Im Zusammenhang mit möglichen „Sakramenten“ ist nirgends im NT die Rede von „Mysterien“. Es ist vielmehr bemerkenswert, dass Hieronymus die zitierte Stelle von der Ehe nicht mit dem lateinischen Begriff „mysterium“ wiedergibt, sondern mit dem Begriff „sacramentum“, der hier solitär steht. Das „sacramentum“ bedeutete bei den Römern einen Diensteid und unterscheidet sich in seiner Bedeutung deutlich von dem ebenfalls geläufigen lateinischen Begriff „mysterium“. Mysterien waren in den zeitgenössischen Kulten angesiedelt und bedeuteten die suggestive und hyperrealisierende Zelebration einer „Urtat“ oder die allgemeine Rede von einer verborgenen himmlischen Wirklichkeit.
Das „mysterium“ steht in einem kontradiktorischen Spannungsverhältnis zur „apocalypsis“, dem griechischen Lehnwort für die lateinische „revelatio“, die „Enthüllung“ oder „Entschleierung“. „Mysterium“ kennzeichnet die Ver-schleierung transzendenter Realität, ohne sie ins Licht der Erkenntnis stellen zu wollen. Teilhabe am „mysterium“ bedarf einer „Arkandisziplin“ und einer elitären Kaste von „Eingeweihten“. Der „Eingeweihte“ ist ins „mysterium“ eingeweiht, aber nicht in dessen „apocalypsis“. Er begibt sich in Kulissen eines riesigen Bühnenbildes, ohne zu wissen, wo er sich befindet und was ihn umgibt. Das Verschleierte öffnet sich ihm nicht, sondern es verschlingt ihn, zieht ihn in sich hinein, ohne ihm den Gegenwert der Ent-schleierung zu garantieren. Es spricht für sich, dass im christlichen Abendland mit der „Offenbarwerdung“ des Verborgenen, mit der „apocalypsis“, heute nur noch großer Schrecken, Vernichtung und das Weltende verbunden wird. Es ist offenkundig reine Bedrückung für dieses „christliche Abendland“, dass Gott sich in Christus offenbart hat. Angstvoll harrt man der endgültigen „Offenbarwerdung der Kinder Gottes“ (Röm 8, 19) entgegen. Im „mysterium“ dagegen, der Verschleierung der himmlischen Dinge, fühlt man sich wohl, und darum legen all jene, die die Offenbarung in Christus hassen, so großen Wert auf die Verschleierung der Frau und machen sie zum Symbol der Ausgeschlossenheit aus dem Kreis der Kinder Gottes: die verschleierte Frau ist Zeichen einer offenbarungsunwilligen, versklavten und angstvollen Menschheit.
Biblische „apocalypsis“ aber ent-schleiert schonungslos, „offenbart“ das Verborgene, ernüchtert aus der Verschleierung. Deshalb trägt das letzte Buch des NT auch diesen Titel: „Apocalypsis“. Jesus Christus, der fortging, auffuhr in den Himmel und nicht gesehen werden kann in der sinnlichen Welt, bevor er wiederkommt, hat sich hier wahrscheinlich dem Apostel Johannes geistig von seinem Platz im Himmel aus geoffenbart.

Wenn Hieronymus an der Stelle, in der es um das Opfer Christi für und seine Liebe zur Kirche geht, eben nicht den geläufigen Begriff des „mysterium“ übersetzt, sondern den des „Treueides“, etwa des römischen Soldaten, der sich für die „patria“ regelrecht „opfert“, dann bedeutet dies sogar eine Abgrenzung vom Begriff des „mysterium“ und die bewusste Deutung als Metapher für die Liebe Jesu zu den Menschen, die nicht im Geheimen bleib, sondern sich offenen und für jeden sichtbaren Ausdruck gab.
Erst im weiteren Verlauf des 4. Jh, mit zunehmender Staatskirchlichkeit, wird der Begriff des „mysterium“ auf die „Sakramente“ bezogen bzw konstituiert sie überhaupt erst.

Sehen wir die Kontexte an, in denen im NT von „mysterium“ gesprochen wird:
Der Begriff des „mysterium“ erscheint in Kontexten auf, die eine tiefere Schicht aufweisen und in ihr einen zugespitzten Sinn erhalten, der in der oberflächlichen oder auch tradierten Schau unsichtbar bleibt. Was verborgen war in den zeichenhaften Dingen, soll buchstäblich offenbar werden. Der Neue Bund, muss man daraus folgern, kennt keine Zeichenhandlungen, die Himmlisches verborgen andeuten. Es ist vielmehr sein Kennzeichen, dass in ihm alles offenbar werden muss. Paulus spricht das jeweilige „mysterium“, also das, woraus Mysterienkulte ein „mysterium“ nur für Eingeweihte machen (!), schonungslos aus, „verrät“ oder entmystifiziert es und kennzeichnet es als das, was es ist. Es ist grundsätzlich Stand des Alten und Unvollkommenen, dass man Zeichen benötigt und in Verschleierungen herumtappt.
Jesus selbst offenbart das Verborgene in zwei Schüben: der erste „Schub“ ist die Gleichnisrede: „Ich öffne meinen Mund, und rede in Gleichnissen,/ ich verkünde, was seit der Schöpfung verborgen war.“ (Mt 13, 35) Der zweite Schub der Entschleierung des Verborgenen richtet sich aber nicht an „Eingeweihte“ oder eine „elitäre“ Männerkaste, wie es kirchlich gerne gedeutet wird, sondern an sie gerade nicht:

„10 Als er mit seinen Begleitern und den Zwölf allein war, fragten sie ihn nach dem Sinn seiner Gleichnisse.
11 Da sagte er zu ihnen: Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben; für die aber, die draußen sind, geschieht alles in Gleichnissen;
12 denn sehen sollen sie, sehen, aber nicht erkennen; hören sollen sie, hören, aber nicht verstehen, damit sie sich nicht bekehren und ihnen nicht vergeben wird.“ (Mk 4)

Diese unglaublich harte, fast zynisch klingende Antwort sagt uns eines sehr deutlich: Jesus gibt „Schein-Mysterien“ für „die da draußen“, aber draußen sind sie, weil sie nicht glauben wollen an das, was für jedermann und ganz schlicht offenbar gemacht wird. Den Jüngern ist es nicht gegeben, das „Geheimnis des Reiches Gottes“ zu erhalten, weil nun eine neue Variante der Mysterienreligion eröffnet worden wäre, sondern weil sie dem einfachen, unverschleierten Offenbarwerden willentlich ihr Ohr leihen und es annehmen, ohne Vorbehalt. Der aber, der sein Ohr nur dem leiht, was er sich selbst zusammenzimmert an „Mysterien“ und „Einweihungen“ und priesterlicher oder gelehrsamer Teilhabe und irgendwelchen Vollmachten, die er sich selbst zuschreibt: der muss verloren gehen und ausgeschlossen bleiben auf eigenen Wunsch.
Solchen wirft Jesus das Gleichnishafte gewissermaßen als Köder und zum Fraß vor, an dem sie sich abarbeiten können und „Mysterien“ darin suchen, ohne etwas von dem zu finden, was so kindlich schlicht offenbart wurde. Schon an dieser frühen Stelle seines Wirkens kündigt er damit an, dass es Menschen geben wird, die aus seiner einfachen Offenbarung ein „mysterium“ machen werden. Das „mysterium regni Dei“ aber entgeht ihnen trotzdem, gerade weil sie ein „mysterium“ daraus machten. Denn der Menschensohn kam nicht, um neue Mysterien zu formulieren, sondern um das „mysterium regni Dei“ zu öffnen für alle, die es annehmen. Er ist selbst das, was seit der Schöpfung verborgen war, nun aber in ihm ausgesprochen wird für das empfängnisbereite Ohr.

Das kirchliche Verständnis der „Sakramente“ als „Zeichen“, in denen eine tiefe transzendente Realität verborgen ist, knüpft an die antike Sinngebung der Mysterienreligionen an, verkennt aber, dass sie im paganen Kontext eine elitäre Erhöhung über den vulgären Vielgötterglauben für Eingeweihte und Hochgestellte sind, eine Selbstvergewisserung und Verschwörung derer, die die Macht bündeln.
Grundsätzlich sind solche „Zeichen“ im besten Fall Merkmale des „unschuldigen“ Heidentums, der Unvollkommenheit des Alten Bundes und im schlimmsten Fall Ausdruck der „Hurerei“ des Rückfalls ins Heidentum. Der Glaube an Jesus Christus muss unweigerlich diese Mysterienreligion zugunsten einer wirklichen Geistbeseelung des Herzens überwinden, die niemand sehen kann, sich aber an ihren Früchten erkennen lässt. Die Erkenntnis der Frucht wiederum leistet nur ein geistlich erneuertes Auge. Man hat also buchstäblich nichts mehr in der Hand…
„Geheimnisse“, beim „mysterium iniquitatis“ in einem ausschließlich negativen Sinn, sind im NT nur die genannten, nicht aber die, die die Kirche später festgesetzt hat, ausgenommen die Ehe, die aber als einziges der späteren „Sakramente“ als „sacramentum“ im römischen Sinn des Treueeids bezeichnet wird (s.o.).
Es gibt folglich die „Mysterien“ und „Sakramente“ im kirchlichen Sinn im NT nicht.

„Mysterium fidei“ spricht der Priester im tridentinischen Ritus während des Kelchwortes. „Geheimnis des Glaubens“ sagt der Priester im „novus ordo missae“ heute an etwas späterer Stelle nach der Wandlung zur Gemeinde hin. Und „Mysterium fidei“ nannte Paul VI. eine Enzyklika „über die Lehre und den Kult der Eucharistie“ aus dem Jahre 1965. Wir finden im ganzen NT nicht eine einzige Stelle, die dieses letzte Abendmahl oder die Eucharistiefeier, das „Brotbrechen“ als „mysterium“ bezeichnen würde. Es ist eine Erfindung der Kirche. Das „Geheimnis des Glaubens“ ist nach Paul VI. die Eucharistie:

„Das Geheimnis des Glaubens, nämlich das unermeßliche Geschenk der Eucharistie, das die katholische Kirche von ihrem Bräutigam Christus als Unterpfand seiner grenzenlosen Liebe empfangen hat, hat sie gleichsam als ihren kostbarsten Schatz stets treu bewahrt und ihm im 2. Vatikanischen Konzil eine neue und sehr feierliche Bezeugung des Glaubens und der Verehrung erwiesen.“[1]

Unzweifelhaft wird schon alleine mit diesen Einleitungsworten die alte tridentinische Definition, die weit ins Mittelalter zurückreicht, wiederholt und gefestigt.
Die Logik seiner Argumentation folgt strikt der tridentinischen Vorgabe:

„Damit aber die unauflösliche Verbindung zwischen Glaube und Frömmigkeit offenbar werde, wollten die Konzilsväter in Bestätigung der Lehre, die die Kirche immer festgehalten und gelehrt und die das Konzil von Trient feierlich definiert hat, folgende Lehrzusammenfassung dem Abschnitt über das heilige Geheimnis der Eucharistie voranstellen: ,,Unser Erlöser hat beim letzten Abendmahl in der Nacht, da er überliefert wurde, das eucharistische Opfer seines Leibes und Blutes eingesetzt, um dadurch das Opfer des Kreuzes durch die Zeiten hindurch bis zu seiner Wiederkunft fortdauern zu lassen und so der Kirche, seiner geliebten Braut, eine Gedächtnisfeier seines Todes und seiner Auferstehung anzuvertrauen: das Sakrament huldvollen Erbarmens, das Zeichen der Einheit, das Band der Liebe, das Ostermahl, in dem Christus genossen, das Herz mit Gnade erfüllt und uns das Unterpfand der künftigen Herrlichkeit gegeben wird.“[2]

Die Verknüpfung der „Gedächtnisfeier“ mit einem realen „Fortdauernlassen“ des erinnerten Opfers „durch die Zeiten“, wie es in Trient geschrieben wurde, ist offenkundig zu abwegig oder unerklärlich, als dass Paul VI. sie erklären könnte — er zitiert einfach nur das Trienter Dekret. Es hat sich also an der Auffassung der Eucharistie seit Trient nichts geändert, auch wenn dies weithin seitens radikaler Traditionalisten oder Progressisten mit Erbitterung oder Euphorie behauptet wird.
Bedenklich ist dabei, dass die mittelalterliche Lehre, die Eucharistie sei das „Unterpfand der künftigen Herrlichkeit“ ohne jede Einschränkung wiederholt wird, obwohl Paulus uns doch so eindeutig im Gefolge der Ankündigungen Jesu Christi über den „Paraklet“ die Gabe des Hl. Geistes als dieses „Unterpfand der kommenden Herrlichkeit“ definierte.
Was treibt die Kirche dazu, das neutestamentliche, wirkliche „Unterpfand“ auszutauschen (2. Kor 1, 22)?
Ein Grund ist ohne Zweifel ein machtpolitischer: erhält jeder und jede Gläubige die Gabe des Hl. Geistes als Unterpfand, ist er oder sie wirklich frei, ganz und gar frei. Niemand kann ihn kontrollieren, niemand darf ihn kontrollieren, und er ist über den Glauben niemandem Rechenschaft schuldig auf Erden (Röm 14). Vertauscht die Kirche diese Gabe der Freiheit gegen „Broteinheiten“, die sie aus eigener Machtvollkommenheit über vermittelnde Kleriker den Gläubigen als „Seelenspeise“ bezeichnet und austeilt oder verweigert, so hat sie die volle Seelenkontrolle über die einzelnen, und die Gabe des Hl. Geistes wird beiseite gedrängt, verhöhnt und bevormundet. Nicht umsonst hat die Kirche erbittert die Gewissensfreiheit mit fortschreitender Zeit im 19. Jh, förmlich Gift und Galle spuckend, dämonisiert.[3]
Johannes Paul II. hat in seiner Enzyklika „Ecclesia de eucharistia“ diese Behauptung, die Eucharistie sei in dem Sinn, der sich seit Trient verfestigt hat, das Zentrum der Kirche als dem „Ursakrament“, weiter ausgeschmückt. Auch er leugnet, dass der „Paraklet“ der Heilige Geist ist und ersetzt ihn durch die Eucharistie:

„Die Kirche lebt von der Eucharistie. Diese Wahrheit drückt nicht nur eine alltägliche Glaubenserfahrung aus, sondern enthält zusammenfassend den Kern des Mysteriums der Kirche. Mit Freude erfährt sie unaufhörlich, daß sich auf vielfältige Weise die Verheißung erfüllt: »Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28, 20). In einzigartiger Intensität erfreut sie sich dieser Gegenwart jedoch in der heiligen Eucharistie, bei der Brot und Wein in Christi Leib und Blut verwandelt werden. Seitdem die Kirche, das Volk des Neuen Bundes, am Pfingsttag ihren Pilgerweg zur himmlischen Heimat begonnen hat, prägt dieses göttliche Sakrament unaufhörlich ihre Tage und erfüllt sie mit vertrauensvoller Hoffnung.“[4]

An Pfingsten wurde der Heilige Geist ausgegossen — nicht die „Eucharistie, bei der Brot und Wein in Christi Leib und Blut verwandelt werden“. Es wird geradezu platt das eine durch das andere ausgetauscht.
Der Woityla-Papst muss sich des Widerspruchs zu den berichten des NT bewusst gewesen sein, denn er schreibt:

„Wenn die Kirche mit der pfingstlichen Gabe des Heiligen Geistes ans Licht tritt und sich auf die Straßen der Welt begibt, so ist ein entscheidender Moment ihrer Entstehung sicherlich die Einsetzung der Eucharistie im Abendmahlssaal. Ihr Fundament und ihre Quelle ist das gesamte Triduum paschale. Dieses aber ist in der eucharistischen Gabe gewissermaßen gesammelt, vorweggenommen und für immer »konzentriert«. In dieser Gabe übereignete Jesus Christus der Kirche die immerwährende Vergegenwärtigung des Ostermysteriums. Mit ihr stiftete er eine geheimnisvolle »Gleichzeitigkeit« zwischen jenem Triduum und dem Gang aller Jahrhunderte.“[5]

Der argumentatorische Bruch ist eindeutig erkennbar: der Papst erwähnt den Hl. Geist als die biblische Gabe und treibende Kraft, wechselt aber sofort und ohne Verknüpfung von ihm weg zur Eucharistie und zum österlichen Triduum, das angeblich die Stiftung einer „geheimnisvollen Gleichzeitigkeit durch die Jahrhunderte“ sei. Das klingt sehr philosophisch, macht aber aus dem vollbrachten Opfer ein Daueropfer, eine Dauerpassio des Herrn, die nicht übereinstimmt mit dem, was das NT berichtet.
Johannes Paul II erblickt in dieser Dauerpassio mit „Staunen“ ein „Potenzial in dem die ganze Geschichte als Adressat der Erlösungsgnade enthalten ist“.[6]
Die Eucharistie ist der Dreh- und Angelpunkt des kirchlichen Lebens und ihr Herzschlag:

Die Kirche lebt vom eucharistischen Christus. Von ihm wird sie genährt, von ihm wird sie erleuchtet. Die Eucharistie ist Geheimnis des Glaubens und zugleich »Geheimnis des Lichtes«. Jedesmal, wenn die Kirche sie feiert, können die Gläubigen in gewisser Weise die Erfahrung der beiden Emmausjünger machen: »Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn« (Lk 24, 31).[7]

Der eigentümliche Bezug auf das „Geheimnis des Lichtes“ ist selbstreferentiell — Johannes Paul II. hat den Begriff selbst eingeführt. Das Licht steht im NT für das Offenbarwerden des Verborgenen. Inwiefern es dennoch „Mysterium“ ist, lässt sich schwer nachvollziehen, insbesondere im Bezug auf die Eucharistie im kirchlichen Sinne.
Als Zweck der Enzyklika gibt Johannes Paul II. an, die vielerorts verdunkelte oder ganz aufgegebene Praxis eines kirchlichen Eucharistieverständnisses zugunsten einer bloßen Mahlgemeinschaft korrigieren zu wollen.

„Bisweilen wird ein stark verkürzendes Verständnis des eucharistischen Mysteriums sichtbar. Es wird seines Opfercharakters beraubt und in einer Weise vollzogen, als ob es den Sinn und den Wert einer brüderlichen Mahlgemeinschaft nicht übersteigen würde.“[8]

Der polnische Papst wiederholt über weite Strecken nun das tridentinische Verständnis des Messopfers, reichert es aber durch einige weitere Aspekte an, die ich nicht im einzelnen referieren muss, weil die den zentralen Gedanken des Opfercharakters nicht verändern.

„So wird die immer gültige Lehre des Konzils von Trient bekräftigt: »Durch die Konsekration des Brotes und Weines geschieht eine Verwandlung der ganzen Substanz des Brotes in die Substanz des Leibes Christi, unseres Herrn, und der ganzen Substanz des Weines in die Substanz seines Blutes. Diese Wandlung wurde von der heiligen katholischen Kirche treffend und im eigentlichen Sinne Wesensverwandlung genannt«. Die Eucharistie ist wirklich mysterium fidei, ein Geheimnis, das unser Denken übersteigt und das nur im Glauben erfaßt werden kann. Daran erinnern die Kirchenväter oft in ihren Katechesen über dieses göttliche Sakrament: Der heilige Cyrill von Jerusalem mahnt: »Schau in Brot und Wein nicht nur die natürlichen Elemente an, denn der Herr hat ausdrücklich gesagt, daß sie sein Leib und sein Blut sind: Der Glaube versichert es dir, auch wenn die Sinne dir anderes einreden«.[9]

Johannes Paul II. nimmt Bezug auf Cyrill von Jerusalem (spätes 4. Jh), der in seinen „Mystagogischen Katechesen“ schreibt, der Kommuniongänger nehme Leib und Blut Jesu zu sich. Den Zweifel daran hebelt er mit dem Verweis auf die Hochzeit zu Kana aus: wenn Jesus dort Wasser in Wein verwandeln konnte, warum sollte er in der Eucharistie nicht Brot und Wein in Fleisch und Blut verwandeln können?
Schon bei Cyrill wird der Zweifel an dieser Lehre mit bloßer Rhetorik beantwortet: der Zweifler bezweifelt ja nicht die Fähigkeit Jesu, eine solche Verwandlung zu vollziehen! Gewiss könnte Jesus das tun, aber die Frage ist ja nicht, ob er es könnte, sondern ob es überhaupt aus dem Abendmahlsgeschehen hervorgeht, dass er es tut. Diese Frage aber umgeht Cyrill und stellt ihr die bloße Behauptung gegenüber.
Und schon Cyrill stellt den nachmaligen Zusammenhang auf, der das Wirken des Hl. Geistes zugunsten der materialisierten Eucharistie beiseite drängt:

„In der Gestalt des Brotes wird dir nämlich der Leib gegeben, und in der Gestalt des Weines wird dir das Blut gereicht, damit du durch den Empfang des Leibes und Blutes Christi ein Leib und ein Blut mit ihm werdest. Durch diesen Empfang werden wir Christusträger; denn sein Fleisch und sein Blut kommt in unsere Glieder. Durch diesen Empfang werden wir, wie der heilige Petrus sagte, der göttlichen Natur teilhaft.“[10]

Der springende Punkt ist hier, dass Petrus diesen Zusammenhang gar nicht hergestellt hat. Petrus schrieb vielmehr:

„3 Alles, was für unser Leben und unsere Frömmigkeit gut ist, hat seine göttliche Macht uns geschenkt; sie hat uns den erkennen lassen, der uns durch seine Herrlichkeit und Kraft berufen hat.
4 Durch sie sind uns die kostbaren und überaus großen Verheißungen geschenkt, damit ihr durch diese Anteil an der göttlichen Natur erhaltet und dem Verderben entflieht, das durch die Begierde in der Welt herrscht.“ (2. Petr 1)

Es ist nach Petrus eben nicht die Eucharistie, die die Teilhabe an der göttlichen Natur garantiert, sondern die Erkenntnis des Sohnes und die Tatsache, dass er uns durch seine Kraft berufen hat. Eine Verbindung zur Eucharistie wird mit keinem Wort weder in diesen noch in den umliegenden Versen ausgedrückt! Man muss in den Zeilen des Petrus doch spontan eben jenen Schöpfergeist annehmen, von dem alles Erkennen herkommt, nämlich den Hl. Geist.

Wie auch ich im vorigen Blog-Artikel[11] zugab, konnte Luther nicht verstehen, warum die Gestalten von Brot und Wein denn nicht substantiell erhalten bleiben, obwohl Jesus darin realpräsent Platz nimmt. Die kirchliche Behauptung, nach der „Wandlung“ handle es sich nicht mehr um Brot und Wein, also: überhaupt nicht mehr, ist und bleibt unverständlich. Denn selbst nach der aristotelischen Auffassung, die man hier zugrunde zu legen vorgab, kann es keine akzidentielle Gestalt geben, die nicht in irgendeiner Weise auch dem Wesen eines Gegenstandes Ausdruck gibt. Anders gesagt: es ist zum einen kaum nachvollziehbar, inwiefern Brot und Wein wesenhaft gewandelt werden in das Fleisch und Blut Christi, obwohl sie nach wie vor aussehen wie Brot und Wein und schmecken wie Brot und Wein und nichts, aber auch gar nichts auf einen Wesenwandel hinweist außer gesprochenen Formeln.
Form und Inhalt müssen in Korrespondenz zueinander stehen nach der klassischen Lehre der Griechen. Zum andern ist es unverständlich, dass die Gegenstände, die aussehen wie Brot und Wein, in keiner Weise mehr Brot und Wein sein sollten, obwohl sie so erscheinen. Man hat die Inkarnation Jesu Christi mit einer „Zwei-Naturen-Lehre“ erklärt. Warum schließt man eine analoge Vorstellung bei der Eucharistie gänzlich aus?
Die propagierte totale Unabhängigkeit einer Substanz von der Form kennt das Altertum nicht, und sie hätte durchaus absurde Züge. Entfernt erinnert die Theorie an pagane Fetisch-Verehrung oder Idolatrie, bei der im Fetisch oder bildhaften Idol ein Gott „wohnt“. Die Abgrenzung etwa der Hostienverehrung von solcher Idolatrie ist mE nur sehr schwer möglich. Man bedarf des Begriffes „mysterium“, um sich hinter ihm zu verschanzen, wenn all diese quälenden Fragen aufkommen.

Exkurs: Die Gendertheorie basiert ebenfalls auf einer Art „Transsubstantiationslehre“

An dieser Stelle möchte ich auf ein Problem hinweisen, das sich aus der grundsätzlichen Annahme einer Transsubstantiation ergeben kann. Es hat Folgen, wenn man bestimmte Lehren entwickelt, denn diese Lehren stützen auch Meinungen, die die Kirche mit viel Empörung ablehnt:
Konservative katholische Kreise agitieren gegen die postmoderne Ideologie der Geschlechtervielfalt („Genderideologie“), weil sie leugnet, dass Männer und Frauen die beiden akzidentiellen „Gestalten“ sind, in denen sich das komplementäre Menschsein manifestiert. Nun begründet sich aber die Genderideologie philosophisch gesehen mit derselben transsubstantiellen Argumentation wie die nachtridentininische Kirche hinsichtlich der Eucharistie: Man stellt sich vor, ein Mann könnte sich gewissermaßen substantiell in einem Frauenkörper aufhalten und umgekehrt. Unserer verwirrten Zeit erscheint dieser Gedanke völlig einleuchtend. Wie dem „finsteren Mittelalter“ eine Transsubstantiationslehre plausibel erscheinen konnte, setzt sich diese irrationale Finsternis fort, indem man eine Transgenderlehre für realistisch hält. In beiden Fällen ist der Wunsch Vater des Gedankens gewesen: Man wollte das „Messopfer“ um jeden Preis versinnlichen, und man will um jeden Preis die natürliche Bipolarität auflösen. Dazu versteigt man sich in einen babylonischen Gedankenturm, den man zwar nach oben, aber nicht mehr nach unten steigen kann: der Absturz oder die unendliche Gefangenschaft auf einer luftigen, bodenlosen Höhe wird unweigerlich kommen
Man muss es aber in aller Nüchternheit sagen: Einem klassischen griechischen Philosophen wäre dies so absurd erschienen wie die scholastische Transsubstantiationslehre: ein beispielsweise weibliches Wesen korrespondiert immer dem Frauenkörper, egal wie er nun individuell ausgeprägt ist und egal, wie verwirrt die Gefühle der Frau ihrem Leib gegenüber sein mögen. Das gälte auch dann, wenn der Frauenkörper sich einem „maskulinen“ Phänotyp annähern würde, in den primären Geschlechtsorganen aber eindeutig weiblich und gebärfähig wäre. Einer weiblichen Substanz kann in einer Philosophie, die Form und Inhalt aneinander bindet, per se keine männliche Form zukommen. Und umgekehrt gälte dasselbe für ein männliches Wesen. Und dass es nur diese zwei Gestalten des Menschseins gibt, findet man in der Natur vor, die auf diese Weise den Weg zur Fortpflanzung möglich macht. Wenn man konsequent denkt, muss man hier innehalten und anerkennen, dass jede weitere Zuordnung der „Komplementarität“ zu angeblichen oder wirklichen wesenhaften „Geschlechts“-Merkmalen irrelevant ist. Sie sind tatsächlich Konstrukte der Kulturen, nicht aber die reale geschlechtliche, zur Elternschaft befähigte und berufene Gestalt des Menschen.
Inhalt und Form stehen zweifellos in der phänomenalen Welt in einer unlösbaren Form zueinander. Was also natürlich und im Kern (nicht sozial oder kulturell ausgeschmückt) aussieht wie eine Frau, ist auch eine Frau. Und was aussieht, wie ein Mann, ist auch ein Mann. Was aussieht wie Brot, ist Brot, und was aussieht wie Wein, ist Wein. Kein vernünftiger Philosoph hätte jedoch bestritten, dass sich in einem Mann oder einer Frau vielleicht widersprüchliche seelische oder charakterliche Merkmale manifestieren können. Abwegig ist nur der Gedanke, die äußere Form stehe in gar keiner Beziehung zum Inhalt. Dies ist aber die kirchliche Behauptung. Gerade die Kirche müsste — so gesehen — das allergrößte Verständnis für die Genderer haben. Warum ist sie aber an dieser Stelle so kämpferisch und abwehrend, diesmal mit der korrekt angewandten klassischen Philosophie? Die Transsubstantiationslehre kommt sehr spitzfindig und eitel daher, aber sie fordert auf der strukturellen Ebene eine ebensolche Widersinnigkeit zu glauben ab wie die moderne Genderei.
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Zauberei? Alchemie? Opfer?

Man kam früh in der Kirche auf den beunruhigenden Gedanken, dass dies nichts anderes als magisches Denken und Zauberei sei. Oder eine Art von bizarrer Alchemie. Aber auch das reicht kaum hin, denn ein Zauberer verwandelt den Gegenstand A in den Gegenstand B, und jeder kann sich selbst überzeugen, dass aus A das B geworden ist. Eine Vorstellung, in der A zu B verzaubert, also „verwandelt“ wird, aber jedermann nach wie vor nur A wahrnimmt, ergibt keinen Sinn. Es sei denn, man nimmt das Vorstellungsmuster der „Verhexung“ eines Gegenstandes an, der aussieht wie A, in Wahrheit aber durch eine Beschwörung oder Besprechung mit einer positiven oder negativen geistigen Kraft aufgeladen und wesenhaft verändert wurde. Szenen aus Horrorfilmen drängen sich auf, in denen ahnungslosen Menschen unter der Hand Gegenstände plötzlich ihr Wesen wandeln und sie bedrohen. Der berühmte „Wolf im Schafspelz“, der sich von einem Wort Jesu ableitet, steigt in uns auf: er sieht aus wie ein Lamm, offenbart aber plötzlich ein Wolfsgesicht: „Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch in Schafskleidern, im Inneren aber sind sie reißende Wölfe.“ (Mt 7, 15) Es handelt sich um fromm erscheinende, die sich selbst große Vollmachten zuschreiben, und doch weist Jesus sie von sich und nennt sie solche, „qui operamini iniquitatem“ (V 23), solche die „dem Bösen dienen“. Es sind Menschen, die dem „mysterium iniquitatis“, dem „Geheimnis des Bösen“ entstammen, sich in ihm verbargen und von ihm aus Macht über die Dinge gewinnen wollten, sie, die sich selbst für vollmächtig halten. Sie reden prophetisch, treiben Dämonen aus und begehen Machttaten (V 22). Sie erscheinen so, als seien sie eines bestimmten Wesens, das einer bestimmten äußeren Form korrespondiert, aber sie verbergen sich in einer Form, die ihnen nicht passt. Und genau nach dieser Devise sollte Jesus Christus mit uns verfahren?
Nichts ist dem NT fremder als die Verknüpfung des wahren Gottes mit der Maskerade des „mysterium“! Er tut alles offenbar. Es sind unsere Augen, die es nicht sehen und unsere schwachen Ohren, die es nicht hören und unser böser Wille, der es nicht ertragen will, diese offenbare Glut des Herrn. Wir weichen zurück vor ihm, weil er ein „verzehrendes Feuer“ ist (Hebr 12, 29) und weil wir nicht wollen, dass ans Licht kommt, was wir sind. Wir lieben Adams Verborgenheit mitten unten den Paradiesbäumen und behaupten, Gott sei auch so. Das gesamte NT zeugt nur von einem: dass Gott sich uns sichtbar gemacht hat, aber nicht in „Mysterien“, sondern ganz konkret und für immer in der Person Jesu Christi. Seine Offenbarung ist das blanke Gegenteil eines „Mysteriums“. Und so schließt sich der Kreis wieder: die Hure der Apokalypse trägt den Namen „mysterium“. Sie ist es, die allem, was göttlich ist, entgegensteht mit ihrer mysteriösen Maskerade, mit ihrem äußeren Schein der Frömmigkeit, ihrem rituellen Hokuspokus, ihrer angeblichen Macht über die Dämonen, ihrer angemaßten pseudopriesterlichen „Verwaltung Gottes“, ihren sinnlichen Reizen, die den Geist des Menschen betören und von dem, der Geist ist, abbrachten.

Die Alchemie ging von einem Urstoff aus, aus dem man alle materiellen Gegenstände erzeugen könne und nur insofern den Gegenstand A zum Gegenstand B wandeln könne. Man musste den Gegenstand A „rückverwandeln“ in den Urstoff, um aus dem Urstoff den Gegenstand B zu erschaffen. Diese alchemistische Vorstellung wäre ein weiterer Zugang zur Gendertheorie. Allerdings ging man in der Alchemie auch mit der Tatsache um, dass erzeugtes Gold etwa nur wie Gold aussieht, aber eben doch keines ist, dass man einen Anschein wandeln konnte, nicht aber das Wesen. Die Frage der Erzeugung eines Anscheins spielte hier eine große Rolle, und immer wieder warf man der Kirche vor, mit der Transsubstantiationslehre eine Art läppischer „Alchemie“ zu betreiben.[12]
Am nächsten kommt der Lehre ein magisches Denken, das an bestimmten Orten oder Gegenständen den Anschein einer bestimmten Form behauptet, die aber in Wahrheit ein anderes Wesen verbirgt. Die Magie operiert grundsätzlich mit der Annahme einer zerstörten Beziehung von Substanzen und ihrer äußerlichen Erscheinung. Manche Opfertheorie, die im Opfer die Zerstörung eines Wesens annimmt, um zu einem anderen Wesen zu gelangen oder Ersatz zu schaffen für ein nicht vorhandenes Wesen, spielen auch in der Kirche eine große Rolle. Man sortierte das Kreuzesopfer unter diese alchemistischen „Vernichtungen“ ein, bei denen ein Gegenstand dran glauben muss, um das Bessere und Edlere zu erzielen. Dieses Grundmuster liegt jedem paganen Opfergedanken zugrunde, im NT ausgesprochen durch den Hohenpriester Kaiphas, aber unfreiwillig hindeutend auf eine andere Dimension des „Opfers“:

„50 Ihr bedenkt nicht, dass es besser für euch ist, wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht.
51 Das sagte er nicht aus sich selbst; sondern weil er der Hohepriester jenes Jahres war, sagte er aus prophetischer Eingebung, dass Jesus für das Volk sterben werde.
52 Aber er sollte nicht nur für das Volk sterben, sondern auch, um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln.“ (Joh 11)

Der „Opfer“-Charakter an dieser Stelle erhält durch die vorangehende Beratung im Sanhedrin eine eigentümliche Wendung. Offenbar wollten die Juden nicht, dass alle Welt an Jesus glaubt, weil damit ihre Vorrangstellung vor allen Völkern aufgehoben würde:

„47 bWas sollen wir tun? Dieser Mensch tut viele Zeichen.
48 Wenn wir ihn gewähren lassen, werden alle an ihn glauben. Dann werden die Römer kommen und uns die heilige Stätte und das Volk nehmen.“

Die Worte des Kaiphas ragen geradezu bizarr in diese Gedanken hinein, die das Opfer Jesu vornehmen wollen, um die Vorrangstellung Israels vor den Römern zu wahren. Anders gesagt: Israel opferte den Messias, zu dessen Heraufkunft es eigentlich berufen war, um nicht aufzugehen in der erlösten Schar aus allen Völkern und nicht der römischen Macht zu erliegen. Der Hohe Rat hat aus der Mission Israels, den Erlöser vorzubereiten und hervorzubringen, anders als einst seine vornehmste Tochter, Maria, ein „Nein“ gemacht, ein „Non fiat“, das “Es geschehe nicht!“. Israel vertauschte das „Fiat“ Marias mit dem „Non serviam“, um „Erster“ bleiben zu dürfen, für den es sich selbst hielt. Und so wurde es zum Letzten, wie Jesus es all jenen, die „Erster“ zu sein glauben oder Vorrang vor anderen zu haben meinen, immer wieder voraussagte. Dass der für Israel vorgesehene Dienst ihm letztendlich keinen „Vorrang“ sondern nur eine erste Pflicht für alle anderen Völker gegeben hat, erkannte es bis heute nicht. Aber es ist mit dieser vermessenen Haltung nicht alleine. Es ist das Urmuster jegliches Patriarchalismus auf dieser Welt, die Verwechslung von Verantwortung und Pflicht mit Macht und „Mehrseinwollen“. Nur: welcher Vater, welche Mutter kann im Ernst denken, er oder sie sei „mehr“ als ihre Kinder?! Israel verkehrte das „Opfer“ bis hin zur Perversion, indem es die Frucht seiner Mission ermordete, um sich selbst an dessen Stelle zu setzen und sich lieber selbst künftig opfern zu lassen. Was Kaiphas abwenden wollte, nämlich den Tod des Volkes, handelte er sich ein. Und doch war sein Satz prophetisch, weil Gott ihn — ohne das Kaiphas es erfassen konnte —  mit einem anderen Sinn versah. Die Römer kamen wirklich und nahmen den Juden die heilige Stätte und das Volk, aber nicht das ist es, wofür der Christus stirbt: er stirbt dafür, dass die verstreuten Kinder Gottes in allen Völkern gesammelt werden. In der prophetischen Schau des Kaiphas und der Panik des Sanhedrin spiegelt sich irrlichternd die zukünftige Situation. Die Überwältigung durch die Römer kam, und sie hielt an bis zum heutigen Tag, aber sie ist nicht die vorhergesagte Sammlung der verstreuten Kinder Gottes, sondern hat sich nur deren Maske angelegt.

In der magischen Auffassung der römischen Messfeier irrlichtern dementsprechend pagane römische und „babylonische“, „ägyptische“ Vorstellungen:
Es ist zum einen die alte Annahme, Götter oder göttliche Wesen oder Engel könnten sich materialisieren und in einer bestimmten irdischen Gestalt „erscheinen“, die hier mitschwingt. Zugespitzt kennt der Mensch dies als abgöttische Verstellungskunst: der Böse etwa erscheint als hübscher Jüngling oder als Engel des Lichtes, ist aber in Wahrheit der Teufel. Oder an sich unspektakuläre „neutrale“ Orte in der Natur, etwa ein bestimmter Baum, ein Hügel, ein See oder eine Höhle sind nicht das, was sie scheinen, sondern Sitz eines Dämons oder Gottes oder Eingänge in andere Welten. Der magische Baum etwa ist dann ein böser Geist. Und der See ist dann als „Vorhof“ des Reiches der Götter des Abgrundes vollständig kontaminiert. Aber selbst im Heidentum leugnet man nicht, dass der Baum trotz allem noch Baum ist, der See noch See…
Zum anderen kennen wir aus zahlreichen paganen Kulturen die Verhexung von Idolen: sie stehen für eine geistige Macht und sind förmlich deren Sitz und in der Folge Gegenstand göttlicher Verehrung. Das Idol oder Abbild des Gottes ist der Gott. Ein Abbild kann nicht als wesenhaft total geschieden von seinem Urbild angesehen werden: es trägt das Wesen des Urbildes in sich, eben weil es auch der Form nach dem Urbild gleicht. Im AT begegnen uns solche Idole im Übergang von angemessener liturgischer Kleidung der Priester hin zu einem unangemessenen Abgott, als „Efod“: ein „Efod“ taucht als liturgisches Gewand auf, wird aber auch als Idol verehrt. Solche Praktiken werden aber durchweg kritisiert und als Abgötterei gebrandmarkt (Ex 28,31; Ex 28,4; Ri 17,5; Ri 18,14; 1 Sam 19,13; Gen 31,19ff). Die wesenhafte Verknüpfung eines Idols mit einem Gott wird bei den Propheten durchweg „entmythologisiert“, indem auf deren jedermann sichtbare Gestalt gezeigt wird, die doch nur ein vom Menschen bearbeitetes Stück Holz sei und darum auch wesenhaft kein Gott sein könne (etwa Jesaja 40-55 macht diese Fragen immer wieder zum Thema).

Es mag so gar nicht zu unserem Herrn Jesus passen, dass er inkognito als Brot erscheint oder als Wein, in Wahrheit aber Fleisch und Blut und Gottheit sei, wie das Trienter Konzil dogmatisch festlegte. Gerade Jesus Christus steht dafür, dass sich Gott nicht verborgen hält, sondern in ihm offenbar wurde, und vor dem Hohen Rat sagt Jesus aus, er habe niemals etwas im Verborgenen gehalten (Joh 18, 20). Das gesamte Wesen Jesu ist Offenbarung und nicht mysteriöse Verborgenheit.
Dass diese „Offenbarung“, diese „apocalypsis“ aber nicht sinnlich fassbar, sondern nur im Geist erkennbar werden kann: dafür hat Jesus sich in den Himmel begeben und uns den Hl. Geist gesandt und eben nicht sein Fleisch und Blut in einer materiellen, sakramentalen Parallelwelt. Die gebotene Eucharistiefeier ist demnach so zu verstehen, wie dies aus den allerfrühesten Texten vor dem Staatskirchentum noch aufscheint. Wir sollen den Herrn in dieser Zeit nicht sehen, also sinnlich und leiblich nicht wahrnehmen können, um überhaupt den Zugang zu dieser geistigen Formung zu erhalten. Sinnliche Metaphern wollen auf eine geistige Deutung hinaus. Das hat er selbst gesagt, und es ist ein — wenn man es nüchtern durchdenkt — ungeheuerlicher Widerspruch, den die Kirche seinem Wort und seiner eigenen Erklärung als Widerpart entgegensetzt.

Wie ungereimt und in sich widersprüchlich diese Lehre einer sakramentalen Parallelwelt ist, zeigt uns die kirchliche Realität, die aus der eucharistischen Anderwelt sehr schnell zurückfiel in schnödeste, irdische Welten:


[1] Paul VI., Mysterium fidei. Über die Lehre und den Kult der Eucharistie“, 1965, abrufbar hier: http://w2.vatican.va/content/paul-vi/de/encyclicals/documents/hf_p-vi_enc_03091965_mysterium.html, (8.3.2018), Kap 1.
[2] A.a.O., Kap. 4
[3]
[4] Johannes Paul II.: Ecclesia de eucharistia. 2003. Kann auf der Vatikanwebsite auf Deutsch abgerufen werden: http://www.vatican.va/holy_father/special_features/encyclicals/documents/hf_jp-ii_enc_20030417_ecclesia_eucharistia_ge.html (19.3.2018). Kap. 1
[5] A.a.O., Kap. 5
[6] A.a.O.
[7] A.a.O., Kap. 6
[8] A.a.O., Kap. 10
[9] A.a.O., Kap. 15
[10] Cyrill von Jerusalem: Mystagogische Katechesen II. Bibliothek der Kirchenväter der Universität Fribourg/CH. Online abrufbar http://www.unifr.ch/bkv/kapitel2761-2.htm, (19.3.2018)
[11] „Reflexionen über die Eucharistie“ 2017

[12] Als Beispiel mag hier Prof. Dr. Hubertus Mynarek genügen, der in einem Interview davon sprach, die Transsubstantiationslehre sei nichts weiter als „Alchemie“. Film „Der Katholizismus - Christentum oder Heidentum? Interview mit Prof. Dr. Hubertus Mynarek“, auf Youtube am 8.8.2017 hochgeladen https://www.youtube.com/watch?v=BxCOQPyn5LU, (abgerufen am 16.2.2018)


Samstag, 17. März 2018

Die sakramentale Anderwelt der Eucharistie (II) - Was ist der Unterschied zwischen einem sakralen Gastmahl und einem "Opfer" (sacrificium)?



II. Was ist der Unterschied zwischen einem sakralen Gastmahl und einem "Opfer" (sacrificium)?


Man muss noch einmal zurücksehen in die Geschichte:
Im Verständnis der Eucharistiefeier war und ist die Kirche mehrfach uneins, und dies nicht erst mit der Reformation. Der römisch-katholische Versuch, dies alleine der Reformation zuzuschustern, ist eine historische Notlüge angesichts ihrer rücksichtslosen Veränderung ursprünglicher Lehren unter Inkaufnahme von Schismen und Entfremdungen. Auch wenn Katholiken gelehrt werden zu glauben, ihre Kirche habe die unwandelbare Lehre getreulich bewahrt, muss man das Gegenteil konstatieren, sobald man in die Quellen sieht: sie war es, die eine Neuerung nach der anderen eingeführt hat und dabei alle „Altgläubigen“ in verschiedenen Stadien der Entwicklung einfach abgespalten, vertrieben oder sogar verketzert hat. Nicht die anderen haben sich von ihr getrennt, sondern sie wollte andere zwingen, ihre neuen Lehren anzuerkennen und stieß sie von sich, als jene nicht mitmachen wollten.
Man kann also die Reformation vielmehr als eine Eruption lange gehegten Unbehagens ansehen. Lange gehegt deshalb, weil die sich aufbäumende Papstkirche progressiv die Eucharistiefeier faktisch aus der Hand der ganzen Kirche gerissen und alleine ihrer sich verselbständigenden Hierarchie als perfektes psychologisches und magisches Machtinstrument zugeschlagen hatte. Die Eucharistie wurde ein Ritus, der immer stärker die Merkmale von Zauberkulten annahm, erzeugte Idole („Hostien“) und käufliche magische „Wirkungen“.
Man hatte im Verlauf des Mittelalters die gesamte Ostkirche abgehängt, die Wert auf das „mysterium“ legte in dem Sinn, dass man ein Mysterium nicht mithilfe spitzfindiger Philosophien dogmatisch klären kann. Mit dem Aufkommen der neuen „Messopfer“-Lehre im 9. Jh, die aus dem zuvor geistig verstandenen Kontext unbedingt einen materiellen Zusammenhang schaffen wollte in dem Sinn, dass in den sakramentalen Zeichen buchstäblich der geopferte leibhafte Christus vom Himmel herabgeholt werde und in einer „sakramentalen Welt“, also einer Art materieller „Parallelwelt“ als reales Fleisch und Blut gegessen werden müsse, wobei unser Mahlhalten dann in einem Zwischenreich zwischen unserer Realität und der himmlischen Welt als sakramentale Parallelwelt stattfände, wurde es notwendig, allerlei mystifizierende Begleithandlungen auszudenken und eine elitäre Zone für die Priester zu schaffen, die alleine die Macht haben, zwischen den Welten hin- und her zu „switchen“. Die Laien wurden schrittweise ausgeschlossen aus dem Geschehen, der Pflichtzölibat für Priester durchgesetzt, die Verstoßung der Frau aus dem in den ursprünglichen „ecclesiis“ (auch im NT kommen sie im Plural vor und sind von dem Begriff der Griechen für Bürgerversammlungen der Freien und Berufenen abgeleitet!) ohnehin nicht vorhandenen Altarbereich angeordnet. Der Zölibat fungierte dabei als Strategie zur absoluten Trennung einer elitären Männerkaste von den „normalen“ Männern und vor allem der Gesamtheit der Frauen. Mit dem Pflichtzölibat für Priester wurden alle Bindungen zwischen Klerus und Laien, so weit es geht, zurückgeschnitten.  Der „Geweihte“ erhielt als suggerierter „Reiner“ einen quasigöttlichen Status. Dass solche Konstruktionen immer zu Personen- und Führerkulten und davon abgesehen zu unmoralischen und unzüchtigen und ausschweifenden Lebensformen führen, weiß jeder Lebenserfahrene, und genauso kam es auch: der Priester wurde der „Hochwürden“, er musste für die sinnlich fassbare Realisation Jesu Christi gehalten werden, eines „Christus“, der mit dem demütigen Christus der Evangelien allerdings kaum mehr etwas zu tun hatte. Früh wird der unsittliche Lebenswandel der „Hochwürden“ beklagt. Und je „höher“ die Hochwürden als Eminenzen und „heilige Väter“ aufstiegen, desto extremer mussten sie verehrt werden. Man war dreist genug zu behaupten, Jesus selbst hätte diese „göttliche Hierarchie“ gestiftet und gewollt. Ich habe das ganze NT danach abgesucht: es ist allerdings von einer solchen Stiftung dort nichts zu lesen, ganz im Gegenteil. Alles, was sich dort „hierarchisch“ aufwirft, wird von Jesus mit äußerster Skepsis behandelt. Zölibatärer Hochmut wird von Jesus entlarvt als Hartherzigkeit und Anmaßung des Mannes und als Frauenverachtung, als ein fromm verbrämter Aufstand gegen die Schöpfungsordnung, es sei denn, jemand macht sich wirklich aus eigenständiger (nicht institutioneller!) Berufung und Gottes- und Menschenliebe„zur Ehe unfähig“ (Mt 19, 3ff). Jesu Schlusssatz „Wer es fassen kann, der erfasse es!“, der häufig zur Anwerbung für zölibatäre Lebensformen genutzt wurde, als sei diese Lebensform ein Über-Mysterium gegenüber der natürlichen Neigung zur Ehe, meint im Kontext nicht den Zölibat, sondern die Ehe, wie Gott sie will, in der die Frau nicht das Herrschaftsobjekt des Mannes ist. Die Favorisierung des Zölibats seitens der Jünger in dieser Episode wird von Jesus klar und deutlich wegen ihres Verweigerungscharakters gegenüber der Schöpfungsordnung verworfen. Der gesamte Abschnitt handelt primär von der schöpfungsgemäßen Ehe und dem Verbot, seine Frau zu verstoßen und nur sekundär von zölibatären Lebensformen. Bei genauer Lektüre wird erkennbar, dass Jesus den Zölibat nicht empfiehlt, nicht als göttliche Berufung darstellt, sondern als ein Geschenk, das einer möglicherweise von sich aus, weil er es will oder meint zu sollen, gibt: „…manche haben sich selbst dazu gemacht - um des Himmelreiches willen“. Bedenken sollte sein Hinweis darauf auslösen, dass Menschen von anderen zu Zölibatären „gemacht“ würden, und nichts weist darauf hin, dass er das in irgendeiner Weise gutheißen würde.

Der Mensch kann ohne gesellschaftliche Organisation schwerlich in Frieden leben, aber die äußerste Skepsis Jesu gegenüber solchen Institutionen oder „Reichen“, die eben immer nur „von dieser Welt“ sein können, weil uns die Anschauung der Verhältnisse in der kommenden Herrlichkeit ebenso fehlt wie eine realistische Transfermöglichkeit in dieses absterbende Äon, selbst dann, wenn wir eine solche Anschauung hätten, hätte eine deutliche Warnung im Gedächtnis der Kirche bleiben müssen. All die früh einsetzenden Spekulationen über eine liturgische Abbildung angeblich himmlischer hierarchischer Verhältnisse sind Schwärmertum, denn niemand weiß, wie es im Himmel aussieht, und niemand kann wissen, wie dort die Beziehungsgefüge und „Vergesellschaftungen“ von Wesen ihrer Natur nach beschaffen sind. Eine Projektion unserer sündhaften Machtgelüste in den Himmel ist unzulässig. Rangordnungen sind vielleicht viel eher Folge des verzweifelten Widerstandes gegen das schwindende Leben in uns und der Versuch, anderes Leben zu eigenen Gunsten zu berauben, als dass der Himmel, der Leben in Fülle hat, dies nötig hätte. Wenn Jesus, wie Paulus im Hebräerbrief sagt, nicht davor zurückscheute, uns „Brüder“ zu nennen, weil alles Leben aus Gott kommt und ihm gehört, dann sagt dies sehr viel aus über das irdische Konstrukt der „Rangordnungen“.
Auch hier gilt, dass wir im Glauben und nicht im Schauen leben. Jesus hat vielmehr jeglicher hierarchischer Aufpflanzung ein deutliches „Nein“ entgegengesetzt für die Kirche. Das an so vielen Stellen von ihm auf den letzten Platz verwiesene „Erster-sein-wollen“, um das die Jünger so häufig stritten, wird auch an dieser Stelle als ein Wille zur Macht seitens der Menschen gezeichnet, nicht etwa Gottes (Mt 20, 25b f):

„Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Großen ihre Vollmacht gegen sie gebrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein.“

„Wer bei euch groß sein will„wer bei euch der Erste sein will: es liegt am Willen zur Macht beim Menschen. Jesus brüskiert mit solchen Worten kaum etwas mehr als diesen Willen zur Macht!
Jesus begründet diese Abwehr gegen Machtwillige damit, dass er, der doch als der einzige und zukunftsweisende, vollkommene Menschensohn kam, der alles Recht der Welt hätte, sich als der „Erste“ aufzugipfeln, dennoch der Sklave aller wurde. Je mehr also einer oder eine ihm folgen will, desto mehr muss er oder sie Sklave werden, bereit sein, der oder die letzte zu werden. Von einer institutionellen „Sicherung“ des „Erster-Seins“ für Männer ist nirgends auch nur entfernt eine Rede!
Die Machtkirche hat aber genau diese Skepsis und diese Vorsicht umgedreht und den Gläubigen förmlich ausgetrieben wie einen bösen Geist und sie zu solchen gemacht, die „von dieser Welt“ sind und beständig ihre irdische „christliche Kultur“ mit dem „Reich Gottes“ verwechseln. In dieser tragischen Verkennung sind sie sich alle einig. Ob Traditionalist oder Progressist, man hält das Reich Gottes für eine Zielsetzung dieses Äons und bildet sich ein, man müsse es verwirklichen, wenn nötig auch mit Gewalt, Nötigung, Lockmitteln, Lügen und Intrigen.
Die Eucharistie war, weil der Mensch Zauber und Glamour, Mysteriöses, elitäres Zeremoniell und die sinnliche Vulgarität liebt, ein willkommenes Medium, die Menschen zum Zweck der Installation des Reiches Gottes auf Erden an die Institution zu ketten, denn ohne „Weiheträger“ keine Eucharistiefeier. Wer sich also den selbsternannten „Ersten“ nicht unterwirft, bekommt nichts von Jesus Christus — das ist die Logik. Was aber sagte dazu das NT?
Der Geist, sagte Jesus, „weht wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist.“ (Joh 3, 8) Für die Geistbeseelung eines solchen Gläubigen ist objektiv keine Hierarchie notwendig. Im Gegenteil — ein solcher Gläubiger ist per definitionem unantastbar und seine Wege sind von niemandem zu beurteilen. Er oder sie ist ein wirklich freier Mensch geworden. Genau das aber leugnet die Kirche. Für eine Bannung der Seelen an die Eucharistie im Sinne einer Opferhandlung, die angeblich alleine die Seele „nährt“, bedarf es einer Hierarchie. Und deshalb wird auch so erbittert die katholische „Identität“ vonseiten ihrer Apologeten, egal, was sich sonst theologisch entwickelt, an diese hierarchische und sakramentale Verfasstheit gebunden.[1]
Die Erinnerung an die ursprünglichen Bräuche der Apostel wurde sorgfältig ausgelöscht. Die Argumente konservativer katholischer Apologeten setzen daher auch immer erst mit dem Staatskirchentum ein und befragen die davor liegenden Jahrhunderte kaum. Als authentische „Quelle“ gilt das, was mit der „konstantinischen Wende“ einsetzte oder als maßgeblich festgelegt wurde.

Am ursprünglichen Mahltisch hatten alle ihren Platz gehabt, wenngleich eine soziale Trennung der Mahlteilnehmer wohl immer besonders unter den Heidenchristen eine Gefahr war und bereits von Paulus mit eindringlichen Worten verurteilt wird (s.u.). Es war das Heidentum, das sakrale Mähler nur Hochgestellten und sakral Gewürdigten zukommen ließ und Frauen ausschloss.[2] Aus dem Judentum ist das nicht bekannt, auch wenn es die Frau oder auch den „Goi“ in vieler Hinsicht demütigte und benachteiligte — am Pessachmahl nahmen sie ebenso teil wie Knechte, Mägde, Fremdlinge und Sklaven, vorausgesetzt, es war ein Jude dabei, der das Pessachlamm als „geeignete Person“ darbringen konnte. Auch wenn die Gesetzeslehrer allerlei Hürden einbauten, galt doch die vollständige Offenheit für jegliche Person, solange der personelle und intentionale jüdische Bezugspunkt gewahrt blieb.[3] Auch Quellen über zeitgenössische jüdische Asketengemeinschaften kennen den Ausschluss der Frau von sakralen Mählern nicht.[4] Die frühen Heidenchristen wurden daher insbesondere von Paulus ermahnt, jegliche soziale Unterscheidung aus Ehrfurcht vor Gott, der alle errettet hat, zu unterlassen. Am Tisch des christlichen Brotbrechens im Gedenken an Jesus Christus und seine Heilstat nahm tatsächlich jeder und jede in gleicher Weise teil. Egal, was die Kirche uns glauben machen will: im NT gab es definitiv keinen „Klerus“ und erst recht keine „Hierarchie“.
Die Trennung eines „Altarbereiches“ von dem der Laien, womöglich noch durch eine räumliche Schranke oder ein Gatter ausgedrückt, und die Ausweisung der Frau aus dem Bereich des Tisches ist in jedem Fall unbiblisch und im Rahmen der jüdischen Traditionen nicht zu begründen. Es hat ausschließlich im Bereich des heidnischen Mysterienkultes seinen Platz und lässt sich auch nur von daher plausibel machen.
Eine Assoziation an das Tempelopfer Israels war und ist sachlich immer ausgeschlossen. Es ist bezeichnend, dass Jesus nicht das Pessachlamm, das er damals nach den Evangelienberichten darbrachte, als „mein Leib“ bezeichnete, sondern er nahm das „Brot des Elends“[5] und sprach darüber die bekannten Worte. Er umging einen direkten Vergleich mit den tierischen Tempelopfern. In dieselbe Richtung weist die paulinische Aussage im Hebräerbrief, die das Opfer Christi und sein ewiges Priestertum nicht im Rahmen des levitischen Priestertums, sondern nach der „Ordnung Melchisedeks“ deutet, die dem alten Bund überlegen und übergeordnet ist. Melchisedek bewirtete Abraham mit Brot und Wein. (Hebr 6, 13; 7, 1-28) Die Klärung dieses Unterschiedes spricht Paulus gegenüber Judenchristen aus, damit hier keine Missverständnisse entstehen.
Doch was ist geworden aus dem, was die Apostel überlieferten?

Nicht nur die Still- und Privatmessen des späten Mittelalters kamen vielfach gänzlich ohne reale „circumstantes“ aus, sondern auch die Gemeindemessen wiesen den Laien immer mehr eine Rolle zu, in der sie passiv bleiben, nicht einmal mehr hören durften, was da vorne am Altar gesprochen und ob es überhaupt korrekt gesprochen wurde (wie Luther in seiner Schrift „Von der Winkelmesse und der Pfaffenweihe“ von 1532 beklagt hatte), nur mehr „virtuell“ teilnehmen sollten. Der Begriff „Hokuspokus“ leitet sich höchstwahrscheinlich ab von den „unverständlichen“, gemurmelten „Wandlungsworten“, die eigentlich Jesu heilige „Einsetzungsworte“ sind: „Hoc est enim corpus meum.“ Man speiste die Laien mit der einseitigen Teilnahme an der Hostienkommunion ab, zu der sie fühllos und nach „mehrstöckigen“ veräußerlichten psychischen Kontrollschranken (rituelle Buße, Ablass, Beichte) vor der räumlichen Schranke des Lettners hintaumeln und auf die Knie sinken sollten, und schloss sie vom Kelch aus, der doch das eigentliche Zeichen des Neuen Bundes ist, wie Jesus es sagte. Und dies, obwohl der Herr ausdrücklich angeordnet hatte, dass „alle“ daraus trinken sollen. Die Kirche tradiert eine Kompilation verschiedener neutestamentlicher Schriftstellen mit den Worten Jesu:

„Nehmet und trinket alle daraus: Das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für viele (im Deutschen entgegen dem Schriftwort lange Zeit „alle“) vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Tut dies zu meinem Gedächtnis.“

Man muss fragen, was diese Kirche für ein Verständnis von „alle“ hatte? Die Verdrängung der Laien in die rein „geistige (geistliche) Kommunion“ oder allenfalls die Brotkommunion trieb so verheerende Blüten, dass man sich wundern muss, dass die Eruption erst im 16. Jh kam und nicht schon viel früher. Immerhin hat eine erbitterte Debatte über das rechte Verständnis der Eucharistie seit dem 9. Jh in Schüben stattgefunden.
Das „Messopfer“ war das Standeszeichen der Kleriker und die häufigere Kommunion Privileg des klösterlichen geistlichen Standes geworden. In der mystifizierten sakramentalen Parallelwelt hatten Laien kein unbefangenes Wohnrecht mehr. Eingeschüchtert wichen sie zurück und der Kommuniongang nahm rapide ab. Auf dem Laterankonzil 1215 wurde erstmals eine Vorschrift erlassen, dass der Gläubige wenigstens einmal im Jahr zur Kommunion gehen müsse. Der Kommunionempfang wandelte sich vor allem anderen zu einem nicht mehr mystischen, sondern magischen Privileg. Man war so weit gegangen, der Zelebration der Hl. Messe durch einen einsamen Priester einen magischen Wert zuzusprechen, den der Laie sich kaufen konnte, um ihn sich selbst oder anderen, Lebenden und Toten, „zuzuwenden“. Mit dem neutestamentlichen, gemeinschaftlichen „Brotbrechen“ hat(te) das alles wenig oder gar nichts mehr zu tun. Aber man hat es verstanden, den klaren Verstand der Menschen so zu betäuben und zu umnachten, dass man als Katholik (sofern man überhaupt je ernsthaft gläubig sein wollte) zunächst der Logik dieser Verzerrung vollkommen erliegt, viele lebenslang und in aller Unschuld und Frömmigkeit. Bei vielen von uns aber regt sich irgendwann wieder der wache Sinn für die Wahrheit.
Das Unbehagen und Befremden vieler nachdenklicher Männer und Frauen begann sich nachweisbar spätestens ab dem 13. Jh in aller Deutlichkeit bemerkbar zu machen, und viele von ihnen wurden wegen des Einspruchs gegen diese Verwahrlosung und Verfremdung der Eucharistiefeier im Zuge der ständischen Klerikalisierung der Kirche gnadenlos verfolgt und bei lebendigem Leib verbrannt. Wir gedenken heute noch mit Abscheu, Scham und Fassungslosigkeit  — um nur zwei Beispiele zu nennen — der hasserfüllten Ermordung der Beghine und geistlichen Schriftstellerin Marguerite Porête an der Wende zum 14. Jh oder des Rektors der Prager Universität Jan Hus’ auf dem Konstanzer Konzil zu Beginn des 15. Jh. Die Kirche opferte für die totale Verfremdung des Glaubens um eines unheimlichen Machtgeiferns willen das Blut ihrer Heiligen und hat sich damit selbst mit der Hure identifiziert, die die Apokalypse beschreibt (Apk 17): eine Frau in Scharlach und Purpur, also in leuchtend rote Hierarchengewänder (!) gekleidet, hält sie einen Kelch aus Gold in der Hand, indem sie Opferblut der Heiligen und Zeugen Jesu trinkt, Opfer, die als „Hurerei“ und „abscheulicher Schmutz“ bezeichnet werden. Es ist unmöglich, diese Allegorie nicht in Verbindung zu bringen mit dem realen historischen Erscheinungsbild der römischen Kirche! Die habsüchtige Beanspruchung des eucharistischen Kelches nur für die Hierarchie kann aus dieser Perspektive sogar als Schutz für die Gläubigen angesehen werden, die auf diese Weise nicht unbewusst teilhaben müssen an der Perversion des Opfers Christi hin zu einem Opfer der Heiligen durch die „Mutter Kirche“. Während sie großmäulig ein „unblutiges Opfer“ zu zelebrieren vorgab, vergoss sie wie eine wilde Bestie das Blut ihrer besten Glieder.

Man sollte dennoch keine unkritische Verherrlichung der Reformation und all ihrer teilweise ebenso haarsträubenden Abarten, die ab dem 15. Jh „anrollten“, betreiben. Jeder einzelne Fall muss sorgsam geprüft werden. Es gibt keinen „Ort“ an den man gehen könnte, an dem man eine bessere „Institution“ antrifft. Die Bilanz der Kirche, auch der abgetrennten Teile, ist und bleibt insgesamt verheerend und grausam. Auch Protestanten führten totalitäre Systeme ein, quälten Menschen zum „rechten Glauben“ hin, richteten Ketzer hin und überstellten „Hexen“ zu Verbrennung den staatlichen Behörden. Ähnliches muss von der Ostkirche festgestellt werden, deren byzantinische Zeit vor dem Fall Konstantinopels ebenso von Grausamkeit und Blutvergießen gezeichnet ist wie das der weströmischen Kirche ab dem Mittelalter. Bis heute setzen auch evangelikale Freikirchen ihre Mitglieder teilweise seelisch schwer unter Druck und beuten sie finanziell ebenso aus, wie die römische Kirche das tut. Man lehnt die römische Hierarchie zu Recht ab, installiert aber anschließend sich selbst als Lehrer und Meister anderer. Offenbar schaffte es keine organisierte Kraft, von der dämonischen und gewalttätigen Lehre und Praxis der „Kirche“ loszukommen, nachdem sie sich früh durch die Teilhabe an der politischen Macht korrumpiert und prostituiert hatte. Die Aussage Jesu „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ (Mt 8, 20) wurde niemals ernst genommen. Jesus sagt diesen Satz einem Schriftgelehrten, der behauptet, ihm überall hin folgen zu wollen. In einem konkreten Sinn kann es auf Erden keine „Kirche“ geben, die man anfassen oder anschauen kann. Wie ihr Herr kann sie nur „Kein Ort“, im ureigensten Sinn einer „utopia“ sein. Nicht eine sinnlich verwertbare „sakramentale“ Parallelwelt kann sich einnisten und diese Utopie verwirklichen in diesem Äon — nein: das „Reich Gottes ist mitten unter uns“, aber dieses „Wir“ hat keinen Ort, geführt von dem Geist, dessen Brausen man hört, dessen Wege aber niemand kennt. Was immer sich auf Erden sinnlich fassbar manifestiert, kann nur „irdenes Gefäß“ und „blinder Spiegel“ sein und keinesfalls ein totales „Abbild himmlischer Dinge“. Ein „blinder Spiegel“ erzeugt nur Schemen und keine Abbilder. Vielmehr verweisen uns die Apostel auf das einzige wahre Abbild des Vaters: Jesus Christus, der nicht in steinernen Tempeln lebt und sich nicht in Purpur kleidet, sondern in den „Herzen“ wohnt. Wer aber hätte je ein „Herz“ des Menschen gesehen? Jesus ist aufgefahren und hat uns zurückgelassen. Das bedeutet: wir sehen ihn nicht mehr. Er hat uns den Hl. Geist geschickt, den niemand sehen kann.
Mit einer Radikalität ohnegleichen hat der Jesus der Evangelien und der Jesus, den die Apostel im NT bezeugen, uns tatsächlich jeglichen sinnlichen Bezugspunkt genommen und uns ein „Vergeistigungsprogramm“ verordnet, bis er wiederkommt.
Die Kirche hat sich darüber in einer verstörenden Dreistigkeit hinweggesetzt.

Die Entstehung des Jesuitenordens im 16. Jh, der die Macht über das viel zu spät einberufene Trienter Konzil an sich reißen konnte und eine psychologisch ausgefeilte totalitäre Unterwerfungsideologie entwickelte, verhinderte als die treibende gegenreformatorische Kraft künftig das ernsthafte Nachdenken, jeden echten mystischen Glauben zugunsten einer Versinnlichung der Frömmigkeit und sperrte sich gegen eine Reform der Missstände in der Hierarchie und im Messablauf. Die Eruptionen der Reformation erlaubten der Kirche überhaupt erst, die umstrittene neue mittelalterliche Eucharistieauffassung als Opfer, das eine materielle „Transsubstantiation“ in einer sakramentalen „Anderwelt“ durchläuft, dogmatisch zu definieren, beförderten also tragischerweise das, was sie verhindern wollten. Was zu den tiefen Zerwürfnissen mit der Ostkirche und den einheimischen Protestanten geführt hatte, wurde nun auf eine plumpe, gewaltsame, aber farbige, „verspielte“ und propagandistische Art und Weise immer weiter vertieft. Die versinnlichte Lehre wurde in Jesuitentheatern auf eine frühe Art und Weise massenmedial verbreitet. Der Glaube verkam unter der wachsenden und schleichenden Herrschaft der Societas Jesu über das Papsttum und die Bischofssitze, die Höfe, das Bildungswesen in den Ländern und die Beichtstühle zum verbissenen machtpolitischen Ränkespiel einerseits und zum spirituellen Budenzauber andererseits. Wie ein Nachtmar hatte sich dieser Orden der Kirche und den Fürstenhöfen auf die Brust gesetzt und ist seither nicht mehr abzuschütteln gewesen. Auch heute noch beherrscht der Orden alle Schlüsselpositionen der Kirche offen und heimlich, inzwischen sogar den Stuhl Petri und den Vorsitz der Glaubenskongregation („Hl. Inquisition“) ganz ohne Maske. Es ist dies nicht ein Bruch mit Traditionen, wie Traditionalisten mit Hysterie meinen, sondern das lange gehegte und erreichte Ziel des Ordens, dessen Wiederzulassung doch gerade sie 1814 als „Segen“ und als Sieg über die „Freimaurer“ auffassen…

Die Festlegung auf dem Trienter Konzil auf die scholastische Lehre von der Transsubstantiation, die man dem heiligen Thomas zuschrieb, war nicht der einzige, unverständliche Fallstrick. Unverständlich blieb auch, inwiefern die Hl. Messe ein „wahres Opfer“ sein soll, wie das Trienter Konzil es definierte, aber nicht erklärte. Wir kennen alle die Rede vom „unblutigen Opfer“, das auf gar keinen Fall eine Wiederholung des einmaligen Opfers auf Golgotha sein soll, sondern nur dessen Evokation. Was soll aber ein evoziertes, also „heraufbeschworenes“, modern gesprochen „gegenwärtig gesetztes“ „unblutiges Opfer“ sein, das dann doch beansprucht, wesenhaft Fleisch und Blut, „sakamentales“ Fleisch und Blut, das aber in diversen „Wundern“ (s.u.) dann doch ganz schnödes irdisches Fleisch wird, auf den Altar zu „zaubern“? Man stellt sich vor, es werde hier aktuell kein Leben mehr zerstört, aber man holt gewissermaßen das einmalige gewaltsame Opfer Jesu entweder aus den Tiefen der Zeit oder aus dem Himmel[6] auf den jeweiligen Altar, indem man Brot und Wein buchstäblich materiell — nicht mehr nur geistig — umwandelt in geopfertes Fleisch und Blut. Die Zeugnisse der ersten zwei Jahrhunderte kennen eine solche Lehre und Praxis nicht, sondern die Brotsegnung und das Brotbrechen und sogenannte „Agapefeiern“, die ein vollständiges Mahl mit integrierter Eucharistiefeier als „Brotbrechen“ gewesen sein dürften.[7] Eine Lehre, wie sie im Staatskirchentum entstand, ist mehr als eigentümlich. In verschiedenen, nachreformatorischen Opfertheorien versuchte man die Frage nach dem Opfercharakter und eine Entfaltung der Sühneopfertheologie Anselms von Canterbury (+ 1109) zu bearbeiten. Überzeugende Ergebnisse sind dabei nicht zustande gekommen, eher Skizzen und torsohafte Versuche, die alle einen philosophischen Haken haben.

Das Heidentum kennt vielfach unblutige Opfer, v.a. als Brotopfer, aber auch Milchopfer. Aber es handelt sich dabei nicht um ein „re-issue“ eines davor liegenden „Uropfers“. Wir kommen auf die Frage der heidnischen „unblutigen Opfer“ und Evokationen von „Uropfern“ später zurück. Ein „Speiseopfer“ und ein „Trankopfer“ kannte auch das altisraelitische Opferpriestertum. Diese vegetabilen Opfer wurden nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht isoliert dargebracht, sondern als Beigabe der Tieropfer (vgl. Num 15 + 28; Lev 2; Ez 45, 18ff). Das Brot sollte immer ungesäuert, aber gesalzen sein. Das Trankopfer als „Libation“ sollte Wein sein. Das Speise- und Trankopfer war dem biblischen Kontext nach v.a. als Spende an die Priesterkaste gedacht (Lev 2, 3), vergleichbar vielleicht dem „Messstipendium“.[8]

Es ist philosophisch unverständlich, inwiefern die Evokation, das Heraufbeschwören eines einmal geschehenen und vollendeten (!) Opfers („Es ist vollbracht“, sagte der Herr und nicht „Dieser Zustand hält an, bis ich komme“…) selbst wieder ein „wahres“ Opfer sein kann. Was soll, was kann hier geopfert werden, wenn es nicht das vollendete Opfer selbst ist? Wenn es aber das vollendete Opfer selbst wäre, wäre es nicht doch eine erneute Opferung des ehemaligen Opfers? Oder wird hier ein ganz anderes Opfer zelebriert? In den modernen Texten des Vaticanum II haben wir gesehen, dass die Kirche glaubt, sie selbst könne das einmal geschehene Opfer darbringen und damit sich selbst: „…bringen sie das göttliche Opferlamm Gott dar und sich selbst mit ihm…“. Solche Aussagen findet man überall in modernen kirchlichen Verlautbarungen, aber was soll das eigentlich heißen? Was soll das sein, dass „wir“ das „göttliche Opferlamm“ in einer Feier „Gott darbringen“ und uns gleich noch mit dazu, dies aber iS eines „wahren Opfers“? Wie kann die Kirche das Opfer, in dem Christus sich selbst dargebracht hat, erneut als bereits getätigtes Opfer „darbringen“? Und vor allem: warum sollte sie das tun? Niemand konnte mir diesen Gedanken erklären. Christus hat sich selbst dargebracht. Wer sind wir, dass wir seine Darbringung wiederum als „Opfer“ darbringen könnten? Kann man ein Opfer als Opfer erneut opfern? Und vor allem: ist es das, was er geboten hat, als er das letzte Abendmahl feierte? Man kann eines Opfers gedenken, man kann es meinetwegen über-lebendig erinnern, aber kann man es als bereits vollendetes Dargebrachtes immerfort wieder — wenn auch „nur“ sakramental — „darbringen“? Es wäre verständlich zu sagen, man beantworte das wunderbare Opfer, das Jesus gebracht hat für uns, mit einem eigenen Opfer, so wie es auch im NT formuliert wird, etwa mit „Dankopfer“, „Lobopfer“, „Demut“ oder Freigebigkeit gegenüber den Armen. Meine Antwort auf eine Erlösung, die teuer erkauft wurde, kann doch nur der tiefste und ergebenste Dank („eucharistia“) sein und eine Kehrtwende in meinem Leben, um sich des Opfers als würdig zu erweisen, soweit es von meiner Seite aus möglich ist.
Das Geopferte selbst aber kann ich nicht „zurückspenden“ oder gar selber opfern. Selbst in irdischen relationen kann ich einem, der mir ein Organ und damit das Leben spendet, niemals dieses Organ zurückspenden. Das wäre unmöglich. Noch viel weniger kann niemand Jesus Christus das, was er uns getan hat, als es selbst zurückspenden.
Es gehört Demut dazu, sich beschenken zu lassen, ohne der Fiktion zu erliegen, man könne oder müsse das Geschenk wieder zurückschenken.
In diesen Fragen kreisen seither die Positionen.
Ich habe noch keinen Katholiken kennengelernt, der diese Fragen beantworten könnte oder überhaupt ein genaueres Verständnis dieser Opfertheologie hätte.
Vollends irritiert ist ein Christ, wenn er dazu die eindringlichen Worte des Paulus an die Hebräer liest, die die kirchlichen Lehren samt und sonders Lügen strafen und um ein weiteres Mal die radikale Entsinnlichung der Dinge des Glaubens ausdrückt:

„24 Christus ist nicht in ein von Menschenhand gemachtes Heiligtum hineingegangen, in ein Abbild des wirklichen, sondern in den Himmel selbst, um jetzt vor Gottes Angesicht zu erscheinen für uns;
25 auch nicht, um sich selbst viele Male zu opfern, wie der Hohepriester jedes Jahr mit fremdem Blut in das Heiligtum hineingeht;
26 sonst hätte er viele Male seit der Erschaffung der Welt leiden müssen. Jetzt aber ist er am Ende der Zeiten ein einziges Mal erschienen, um durch sein Opfer die Sünde zu tilgen.
27 Und wie es dem Menschen bestimmt ist, ein einziges Mal zu sterben, worauf dann das Gericht folgt,
28 so wurde auch Christus ein einziges Mal geopfert, um die Sünden vieler hinwegzunehmen; beim zweiten Mal wird er nicht wegen der Sünde erscheinen, sondern um die zu retten, die ihn erwarten.“ (Hebr 9)

Lehren, die von einem eigenen täglichen Sterben mit dem Messopfer sprechen, widersprechen diesem Text ausdrücklich. Immer wieder geistert dies durch die Kirchen, etwa, wenn der koptische Patriarch Tawadros II. in einer Rede an die Priester Johannes Chrysostomus in Anknüpfung an eine Teilnahme am Kreuzesopfer, ja sogar eine Identifizierung des Priesters mit Jesus als Opfer selbst, zitiert:

Am Donnerstag, den 15. Februar, hat Papst Tawadros in einer Feier zum Gedenken an die neuen koptischen Märtyrer den heiligen Johannes Chrysostomus zitiert: „Der Märtyrer stirbt einmal für seinen HERRN, aber der Hirte stirbt jeden Tag für die Herde des HERRN“.“[9]

Eine Gleichsetzung des Standes Jesu als Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks und als Opfer, das sich selbst opfert, mit dem sakralen Priestertum tritt auch hier deutlich zutage. Diese Identifizierung ist in sich schlüssig, aber sie entbehrt jeglicher neutestamentlichen Grundlage. Es gibt dort den Christus als wahren Hohepriester, aber kein Opferpriestertum mehr! Woher kommt aber dann diese „Logik“?

Luthers berechtigte Infragestellungen der theologischen Verengung, die er in seiner Schrift „De captivitate Babylonica ecclesiae“ von 1520 veröffentlichte, legen dem gelehrten Publikum seine Einwände dar. Man muss dazu anmerken: zu dieser Zeit war die verengte und verfremdete katholische Abendmahlslehre noch nicht dogmatisiert, lag aber offenkundig „in der Luft“. Er rieb sich u.a. daran, dass man die Einsetzungsworte Jesu in ein philosophisches Konzept zwängte, als sei letzteres fähig, ein echtes Mysterium zu beschreiben. Luther steht mit dieser Kritik der ostkirchlichen Zurückhaltung mehr als nahe. Wie sie besteht Luther darauf, dass man ein „mysterium“ ein Mysterium sein lassen muss, wenn man sich nicht in Blasphemien stürzen will.
Luther klärt an dieser Stelle die Frage, welchen Anhalt der Begriff des Mysteriums (oder Sakramentes) im christlichen Kontext überhaupt haben kann, noch nicht. Es bleibt unklar, woher dieser Begriff im Zusammenhang mit der Eucharistie überhaupt kommt und seit wann er angewandt wird. Luther scheint hinsichtlich der Sakramentenlehre später noch einen langen Weg gegangen zu sein und hat am Ende nur noch Christus selbst als „mysterium“ anerkannt. In der katholischen Theologie ist man heimlich zwar längst von der alten Sakramententheologie abgekommen, weil sie sich, wie man verspätet erkennt, nur sehr schwer aufgrund der neutestamentlichen und frühchristlichen Überlieferung begründen lässt, hält sie aber andererseits, wie bereits erwähnt in der Apologetik mit Zähnen und Klauen fest, weil ohne sie die Kirche sich sofort auflösen müsste.[10]


[1] Diese Richtung wird auch heute unverkürzt vertreten und institutionell hoch belohnt. Etwa ist die Grundthese der Arbeit von Karl-Heinz Menke: Sakramentalität. Wesen und Wunde des Katholizismus. Regensburg 2012 alleine von dieser Absicht getragen zu zeigen, dass das Wesensmerkmal des Katholischen in der vollständigen Durchdringung aller Lehen und geistlichen Lebensvollzüge der Kirche diesen zeichenhaften Charakter des Mysteriums haben. Menke wurde von Papst Franziskus nicht etwa wegen dieses ultrakonservativen Ansatzes auf ein Abstellgleis gestellt, sondern 2014 in die „Internationale Theologenkommission“ (Nomina di nuovi Membri e conferme nella Commissione Teologica Internazionale in: Presseamt des Heiligen Stuhls, Tägliches Bulletin vom 23. September 2014)
Ein anderes Beispiel ist von Joseph Schumacher: Die Identität des Katholischen. Mainz 2016, ein Buch, das ebenfalls das Wesen des katholischen in seiner institutionellen Verfasstheit, die dem „sakramentalen Prinzip“ folgt, verwirklicht sieht.
Die Kirche realisiert in beiden Werken eine „Zwischenwelt“, eine „Parallelwelt in der Welt“, die vorgibt, in genau dieser Verfasstheit, die eine „sakramentale“ Welt ausdrücken könne, nicht von dieser Welt zu sein.
[2] Karin Lehmeier: Abendmahl. Das wissenschaftliche Portal der Deutschen Bibelgesellschaft, 2017 https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/abendmahl-2/ch/938393ef0928d2e2d06e6f45e93e85ae/ (11.3.2018): „Das im privaten Rahmen stattfindende Gastmahl ist vor allem durch eine klar geregelte soziale Stufung der Teilnehmer und ihrer Plätze gekennzeichnet. In der Regel sind nur Männer geladene Gäste. Der Gastgeber sorgt für die Speisen, bezeugt sind aber auch Mahlzeiten (sog. eranoi), zu welchen alle Teilnehmer etwas beitragen (Schmitt-Pantel). Die antike Literatur bezeugt breit die Ungleichbehandlung höher gestellter und niedrig gestellter Männer beim Mahl.“
[3] Ma Nischtana HaLaila HaSe? Nichtjuden am Sedertisch, anonym erschienener Artikel auf dem jüdischen Online-Portal „Hagalil“: http://www.hagalil.com/judentum/feiertage/pessach/pesach/goyim.htm (11.3.2018). Die strikte Bejahung jeglicher Person am Sedertisch wird in der jüdischen Theologie dort folgendermaßen begründet: Uns „erinnernd, dass es Pharao’s Tochter war, die das im Nil ertrinkende Baby Moses rettete, schulden wir gerechten Nichtjuden Dank, und dies im Besonderen während der Pessachzeit“. (Noam Zion).“ Also auch die Frau und der Heide nehmen teil, wenn sie gerecht sind.
[4] A.a.O.: „Als Hintergrund der Entstehung des urchristlichen Abendmahls werden daneben (neben dem Pessachmahl, H.J.) die Gemeinschaftsmähler der Therapeutinnen und Therapeuten herangezogen, einer in Ägypten lebenden asketischen jüdischen Gruppierung, die in sieben-wöchigem Rhythmus ein Mahl (Pannychis) feierte, an welchem Männer und Frauen teilnahmen.“
[5] Mit den Worten „Ha Lachma anja“ („Seht das Brot des Elends“) beginnt der Sederabend und damit das Pessachfest und lädt alle Armen zum Mitessen ein. Die Juden deuten diese Tradition folgendermaßen: „Wir pflegen die Mazzot, das Proviant, das das Volk beim Auszug aus Ägypten mitnahm, mit Freiheit und Befreiung zu verbinden. Aber die Mazza symbolisiert auch die Speise der Sklaven und Armen, des fremden Arbeiters. Der Seder beginnt in Schande und endet in Lobpreis (Mischna Pessachim 10, 4) – die Demütigung wird zur Freiheit und zum Gesang des Hallel.“ Erklärung auf einem jüdischen Flugblatt zum Pessachfest: www.zwst-hadracha.de/cms/.../de.../Das%20ist%20das%20Brot%20des%20Elends.doc (11.3.2018)
[6] „Und ich sah: Zwischen dem Thron und den vier Lebewesen und mitten unter den Ältesten stand ein Lamm; es sah aus wie geschlachtet und hatte sieben Hörner und sieben Augen; die Augen sind die sieben Geister Gottes, die über die ganze Erde ausgesandt sind.“ (Apk 5, 6)
[7] Beschreibungen davon finden sich in der Didache (60-65 n. Chr.), Kap. 9, 10, 14, bei Klaus Berger/Christiane Nord: Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, Frankfurt a. M. 2005, S. 307 ff. Ebenso im „Hirt des Hermas“, ebenda ab S. 817. Die „Traditio Apostolica“ aus dem 3.-Ende des 4. Jh enthält ebenfalls keine deutliche Messopfertheologie, sondern eine danksagende Darbringung ohne „Wandlung“, aber Anklänge, die später in Zusammenhang mit einer Wandlung der Gaben gebracht wurden. Geistepiklesen entwickelten sich erst im syrischen Raum im 4. Jh. Vgl. dazu Helmut Hoping: Mein Leib für euch gegeben. Theologie und Geschichte der Eucharistie. Freiburg 2015. S. 125 ff. Zu den „Agapefeiern“ vgl. Anonym: „Einführung in Geschichte und Wesen der Agapefeiern. Vortrag Regensburg 2006 (Kolpingfamilie) http://kolping-herzmarien.de/downloads/agapefeier.pdf (abgerufen am 4.3.2018)
[8] Ulrike Dahm: Opfer. 2006; Lexikoneintrag im Internetlexikon „Bibelwissenschaft“ der Deutschen Bibelgesellschaft, https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/opfer-at/ch/65856f9e669583b01dccb66d4f140690/, (abgerufen am 15.2.2018)
[9] Artikel „Koptischer Patriarch warnt Priester vor Vernachlässigung ihrer Familien“ auf https://charismatismus.wordpress.com/?s=tawadros am 18.2.2018
[10] Hubertus Mynarek etwa beschreibt in seinem Buch „Herren und Knechte in der Kirche“, Köln 1973, wie in der bischöflich geförderten akademischen Theologie hinter verschlossener Tür die Sakramentenlehre bezweifelt wurde, S. 189f, nach außen hin aber der schöne Schein aufrecht gehalten wurde. Er hielt Karl Rahner SJ für den janusköpfigen Erfinder einer modernen Vertretung des „geheimnisvollen Humanum“ und dessen Kirchenkonzept als einen „Anwalt des unbegreiflichen Geheimnisses“, innerhalb dessen alleine die „letzten Dinge“ verwaltet und definiert werden könnten. Rahner habe ein „neues Zeitalter der Geheimniskrämerei“ eröffnet. S. 207f. Es gibt keinerlei Grund, diese Aussagen Mynareks, der als Theologieprofessor viele Jahre im katholischen akademischen Milieu verbracht hat, zu bezweifeln, zumal sie die merkwürdig inkonsistente Haltung vieler Bischöfe zu erklären vermögen.