Samstag, 17. März 2018

Die sakramentale Anderwelt der Eucharistie (II) - Was ist der Unterschied zwischen einem sakralen Gastmahl und einem "Opfer" (sacrificium)?



II. Was ist der Unterschied zwischen einem sakralen Gastmahl und einem "Opfer" (sacrificium)?


Man muss noch einmal zurücksehen in die Geschichte:
Im Verständnis der Eucharistiefeier war und ist die Kirche mehrfach uneins, und dies nicht erst mit der Reformation. Der römisch-katholische Versuch, dies alleine der Reformation zuzuschustern, ist eine historische Notlüge angesichts ihrer rücksichtslosen Veränderung ursprünglicher Lehren unter Inkaufnahme von Schismen und Entfremdungen. Auch wenn Katholiken gelehrt werden zu glauben, ihre Kirche habe die unwandelbare Lehre getreulich bewahrt, muss man das Gegenteil konstatieren, sobald man in die Quellen sieht: sie war es, die eine Neuerung nach der anderen eingeführt hat und dabei alle „Altgläubigen“ in verschiedenen Stadien der Entwicklung einfach abgespalten, vertrieben oder sogar verketzert hat. Nicht die anderen haben sich von ihr getrennt, sondern sie wollte andere zwingen, ihre neuen Lehren anzuerkennen und stieß sie von sich, als jene nicht mitmachen wollten.
Man kann also die Reformation vielmehr als eine Eruption lange gehegten Unbehagens ansehen. Lange gehegt deshalb, weil die sich aufbäumende Papstkirche progressiv die Eucharistiefeier faktisch aus der Hand der ganzen Kirche gerissen und alleine ihrer sich verselbständigenden Hierarchie als perfektes psychologisches und magisches Machtinstrument zugeschlagen hatte. Die Eucharistie wurde ein Ritus, der immer stärker die Merkmale von Zauberkulten annahm, erzeugte Idole („Hostien“) und käufliche magische „Wirkungen“.
Man hatte im Verlauf des Mittelalters die gesamte Ostkirche abgehängt, die Wert auf das „mysterium“ legte in dem Sinn, dass man ein Mysterium nicht mithilfe spitzfindiger Philosophien dogmatisch klären kann. Mit dem Aufkommen der neuen „Messopfer“-Lehre im 9. Jh, die aus dem zuvor geistig verstandenen Kontext unbedingt einen materiellen Zusammenhang schaffen wollte in dem Sinn, dass in den sakramentalen Zeichen buchstäblich der geopferte leibhafte Christus vom Himmel herabgeholt werde und in einer „sakramentalen Welt“, also einer Art materieller „Parallelwelt“ als reales Fleisch und Blut gegessen werden müsse, wobei unser Mahlhalten dann in einem Zwischenreich zwischen unserer Realität und der himmlischen Welt als sakramentale Parallelwelt stattfände, wurde es notwendig, allerlei mystifizierende Begleithandlungen auszudenken und eine elitäre Zone für die Priester zu schaffen, die alleine die Macht haben, zwischen den Welten hin- und her zu „switchen“. Die Laien wurden schrittweise ausgeschlossen aus dem Geschehen, der Pflichtzölibat für Priester durchgesetzt, die Verstoßung der Frau aus dem in den ursprünglichen „ecclesiis“ (auch im NT kommen sie im Plural vor und sind von dem Begriff der Griechen für Bürgerversammlungen der Freien und Berufenen abgeleitet!) ohnehin nicht vorhandenen Altarbereich angeordnet. Der Zölibat fungierte dabei als Strategie zur absoluten Trennung einer elitären Männerkaste von den „normalen“ Männern und vor allem der Gesamtheit der Frauen. Mit dem Pflichtzölibat für Priester wurden alle Bindungen zwischen Klerus und Laien, so weit es geht, zurückgeschnitten.  Der „Geweihte“ erhielt als suggerierter „Reiner“ einen quasigöttlichen Status. Dass solche Konstruktionen immer zu Personen- und Führerkulten und davon abgesehen zu unmoralischen und unzüchtigen und ausschweifenden Lebensformen führen, weiß jeder Lebenserfahrene, und genauso kam es auch: der Priester wurde der „Hochwürden“, er musste für die sinnlich fassbare Realisation Jesu Christi gehalten werden, eines „Christus“, der mit dem demütigen Christus der Evangelien allerdings kaum mehr etwas zu tun hatte. Früh wird der unsittliche Lebenswandel der „Hochwürden“ beklagt. Und je „höher“ die Hochwürden als Eminenzen und „heilige Väter“ aufstiegen, desto extremer mussten sie verehrt werden. Man war dreist genug zu behaupten, Jesus selbst hätte diese „göttliche Hierarchie“ gestiftet und gewollt. Ich habe das ganze NT danach abgesucht: es ist allerdings von einer solchen Stiftung dort nichts zu lesen, ganz im Gegenteil. Alles, was sich dort „hierarchisch“ aufwirft, wird von Jesus mit äußerster Skepsis behandelt. Zölibatärer Hochmut wird von Jesus entlarvt als Hartherzigkeit und Anmaßung des Mannes und als Frauenverachtung, als ein fromm verbrämter Aufstand gegen die Schöpfungsordnung, es sei denn, jemand macht sich wirklich aus eigenständiger (nicht institutioneller!) Berufung und Gottes- und Menschenliebe„zur Ehe unfähig“ (Mt 19, 3ff). Jesu Schlusssatz „Wer es fassen kann, der erfasse es!“, der häufig zur Anwerbung für zölibatäre Lebensformen genutzt wurde, als sei diese Lebensform ein Über-Mysterium gegenüber der natürlichen Neigung zur Ehe, meint im Kontext nicht den Zölibat, sondern die Ehe, wie Gott sie will, in der die Frau nicht das Herrschaftsobjekt des Mannes ist. Die Favorisierung des Zölibats seitens der Jünger in dieser Episode wird von Jesus klar und deutlich wegen ihres Verweigerungscharakters gegenüber der Schöpfungsordnung verworfen. Der gesamte Abschnitt handelt primär von der schöpfungsgemäßen Ehe und dem Verbot, seine Frau zu verstoßen und nur sekundär von zölibatären Lebensformen. Bei genauer Lektüre wird erkennbar, dass Jesus den Zölibat nicht empfiehlt, nicht als göttliche Berufung darstellt, sondern als ein Geschenk, das einer möglicherweise von sich aus, weil er es will oder meint zu sollen, gibt: „…manche haben sich selbst dazu gemacht - um des Himmelreiches willen“. Bedenken sollte sein Hinweis darauf auslösen, dass Menschen von anderen zu Zölibatären „gemacht“ würden, und nichts weist darauf hin, dass er das in irgendeiner Weise gutheißen würde.

Der Mensch kann ohne gesellschaftliche Organisation schwerlich in Frieden leben, aber die äußerste Skepsis Jesu gegenüber solchen Institutionen oder „Reichen“, die eben immer nur „von dieser Welt“ sein können, weil uns die Anschauung der Verhältnisse in der kommenden Herrlichkeit ebenso fehlt wie eine realistische Transfermöglichkeit in dieses absterbende Äon, selbst dann, wenn wir eine solche Anschauung hätten, hätte eine deutliche Warnung im Gedächtnis der Kirche bleiben müssen. All die früh einsetzenden Spekulationen über eine liturgische Abbildung angeblich himmlischer hierarchischer Verhältnisse sind Schwärmertum, denn niemand weiß, wie es im Himmel aussieht, und niemand kann wissen, wie dort die Beziehungsgefüge und „Vergesellschaftungen“ von Wesen ihrer Natur nach beschaffen sind. Eine Projektion unserer sündhaften Machtgelüste in den Himmel ist unzulässig. Rangordnungen sind vielleicht viel eher Folge des verzweifelten Widerstandes gegen das schwindende Leben in uns und der Versuch, anderes Leben zu eigenen Gunsten zu berauben, als dass der Himmel, der Leben in Fülle hat, dies nötig hätte. Wenn Jesus, wie Paulus im Hebräerbrief sagt, nicht davor zurückscheute, uns „Brüder“ zu nennen, weil alles Leben aus Gott kommt und ihm gehört, dann sagt dies sehr viel aus über das irdische Konstrukt der „Rangordnungen“.
Auch hier gilt, dass wir im Glauben und nicht im Schauen leben. Jesus hat vielmehr jeglicher hierarchischer Aufpflanzung ein deutliches „Nein“ entgegengesetzt für die Kirche. Das an so vielen Stellen von ihm auf den letzten Platz verwiesene „Erster-sein-wollen“, um das die Jünger so häufig stritten, wird auch an dieser Stelle als ein Wille zur Macht seitens der Menschen gezeichnet, nicht etwa Gottes (Mt 20, 25b f):

„Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Großen ihre Vollmacht gegen sie gebrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein.“

„Wer bei euch groß sein will„wer bei euch der Erste sein will: es liegt am Willen zur Macht beim Menschen. Jesus brüskiert mit solchen Worten kaum etwas mehr als diesen Willen zur Macht!
Jesus begründet diese Abwehr gegen Machtwillige damit, dass er, der doch als der einzige und zukunftsweisende, vollkommene Menschensohn kam, der alles Recht der Welt hätte, sich als der „Erste“ aufzugipfeln, dennoch der Sklave aller wurde. Je mehr also einer oder eine ihm folgen will, desto mehr muss er oder sie Sklave werden, bereit sein, der oder die letzte zu werden. Von einer institutionellen „Sicherung“ des „Erster-Seins“ für Männer ist nirgends auch nur entfernt eine Rede!
Die Machtkirche hat aber genau diese Skepsis und diese Vorsicht umgedreht und den Gläubigen förmlich ausgetrieben wie einen bösen Geist und sie zu solchen gemacht, die „von dieser Welt“ sind und beständig ihre irdische „christliche Kultur“ mit dem „Reich Gottes“ verwechseln. In dieser tragischen Verkennung sind sie sich alle einig. Ob Traditionalist oder Progressist, man hält das Reich Gottes für eine Zielsetzung dieses Äons und bildet sich ein, man müsse es verwirklichen, wenn nötig auch mit Gewalt, Nötigung, Lockmitteln, Lügen und Intrigen.
Die Eucharistie war, weil der Mensch Zauber und Glamour, Mysteriöses, elitäres Zeremoniell und die sinnliche Vulgarität liebt, ein willkommenes Medium, die Menschen zum Zweck der Installation des Reiches Gottes auf Erden an die Institution zu ketten, denn ohne „Weiheträger“ keine Eucharistiefeier. Wer sich also den selbsternannten „Ersten“ nicht unterwirft, bekommt nichts von Jesus Christus — das ist die Logik. Was aber sagte dazu das NT?
Der Geist, sagte Jesus, „weht wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist.“ (Joh 3, 8) Für die Geistbeseelung eines solchen Gläubigen ist objektiv keine Hierarchie notwendig. Im Gegenteil — ein solcher Gläubiger ist per definitionem unantastbar und seine Wege sind von niemandem zu beurteilen. Er oder sie ist ein wirklich freier Mensch geworden. Genau das aber leugnet die Kirche. Für eine Bannung der Seelen an die Eucharistie im Sinne einer Opferhandlung, die angeblich alleine die Seele „nährt“, bedarf es einer Hierarchie. Und deshalb wird auch so erbittert die katholische „Identität“ vonseiten ihrer Apologeten, egal, was sich sonst theologisch entwickelt, an diese hierarchische und sakramentale Verfasstheit gebunden.[1]
Die Erinnerung an die ursprünglichen Bräuche der Apostel wurde sorgfältig ausgelöscht. Die Argumente konservativer katholischer Apologeten setzen daher auch immer erst mit dem Staatskirchentum ein und befragen die davor liegenden Jahrhunderte kaum. Als authentische „Quelle“ gilt das, was mit der „konstantinischen Wende“ einsetzte oder als maßgeblich festgelegt wurde.

Am ursprünglichen Mahltisch hatten alle ihren Platz gehabt, wenngleich eine soziale Trennung der Mahlteilnehmer wohl immer besonders unter den Heidenchristen eine Gefahr war und bereits von Paulus mit eindringlichen Worten verurteilt wird (s.u.). Es war das Heidentum, das sakrale Mähler nur Hochgestellten und sakral Gewürdigten zukommen ließ und Frauen ausschloss.[2] Aus dem Judentum ist das nicht bekannt, auch wenn es die Frau oder auch den „Goi“ in vieler Hinsicht demütigte und benachteiligte — am Pessachmahl nahmen sie ebenso teil wie Knechte, Mägde, Fremdlinge und Sklaven, vorausgesetzt, es war ein Jude dabei, der das Pessachlamm als „geeignete Person“ darbringen konnte. Auch wenn die Gesetzeslehrer allerlei Hürden einbauten, galt doch die vollständige Offenheit für jegliche Person, solange der personelle und intentionale jüdische Bezugspunkt gewahrt blieb.[3] Auch Quellen über zeitgenössische jüdische Asketengemeinschaften kennen den Ausschluss der Frau von sakralen Mählern nicht.[4] Die frühen Heidenchristen wurden daher insbesondere von Paulus ermahnt, jegliche soziale Unterscheidung aus Ehrfurcht vor Gott, der alle errettet hat, zu unterlassen. Am Tisch des christlichen Brotbrechens im Gedenken an Jesus Christus und seine Heilstat nahm tatsächlich jeder und jede in gleicher Weise teil. Egal, was die Kirche uns glauben machen will: im NT gab es definitiv keinen „Klerus“ und erst recht keine „Hierarchie“.
Die Trennung eines „Altarbereiches“ von dem der Laien, womöglich noch durch eine räumliche Schranke oder ein Gatter ausgedrückt, und die Ausweisung der Frau aus dem Bereich des Tisches ist in jedem Fall unbiblisch und im Rahmen der jüdischen Traditionen nicht zu begründen. Es hat ausschließlich im Bereich des heidnischen Mysterienkultes seinen Platz und lässt sich auch nur von daher plausibel machen.
Eine Assoziation an das Tempelopfer Israels war und ist sachlich immer ausgeschlossen. Es ist bezeichnend, dass Jesus nicht das Pessachlamm, das er damals nach den Evangelienberichten darbrachte, als „mein Leib“ bezeichnete, sondern er nahm das „Brot des Elends“[5] und sprach darüber die bekannten Worte. Er umging einen direkten Vergleich mit den tierischen Tempelopfern. In dieselbe Richtung weist die paulinische Aussage im Hebräerbrief, die das Opfer Christi und sein ewiges Priestertum nicht im Rahmen des levitischen Priestertums, sondern nach der „Ordnung Melchisedeks“ deutet, die dem alten Bund überlegen und übergeordnet ist. Melchisedek bewirtete Abraham mit Brot und Wein. (Hebr 6, 13; 7, 1-28) Die Klärung dieses Unterschiedes spricht Paulus gegenüber Judenchristen aus, damit hier keine Missverständnisse entstehen.
Doch was ist geworden aus dem, was die Apostel überlieferten?

Nicht nur die Still- und Privatmessen des späten Mittelalters kamen vielfach gänzlich ohne reale „circumstantes“ aus, sondern auch die Gemeindemessen wiesen den Laien immer mehr eine Rolle zu, in der sie passiv bleiben, nicht einmal mehr hören durften, was da vorne am Altar gesprochen und ob es überhaupt korrekt gesprochen wurde (wie Luther in seiner Schrift „Von der Winkelmesse und der Pfaffenweihe“ von 1532 beklagt hatte), nur mehr „virtuell“ teilnehmen sollten. Der Begriff „Hokuspokus“ leitet sich höchstwahrscheinlich ab von den „unverständlichen“, gemurmelten „Wandlungsworten“, die eigentlich Jesu heilige „Einsetzungsworte“ sind: „Hoc est enim corpus meum.“ Man speiste die Laien mit der einseitigen Teilnahme an der Hostienkommunion ab, zu der sie fühllos und nach „mehrstöckigen“ veräußerlichten psychischen Kontrollschranken (rituelle Buße, Ablass, Beichte) vor der räumlichen Schranke des Lettners hintaumeln und auf die Knie sinken sollten, und schloss sie vom Kelch aus, der doch das eigentliche Zeichen des Neuen Bundes ist, wie Jesus es sagte. Und dies, obwohl der Herr ausdrücklich angeordnet hatte, dass „alle“ daraus trinken sollen. Die Kirche tradiert eine Kompilation verschiedener neutestamentlicher Schriftstellen mit den Worten Jesu:

„Nehmet und trinket alle daraus: Das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für viele (im Deutschen entgegen dem Schriftwort lange Zeit „alle“) vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Tut dies zu meinem Gedächtnis.“

Man muss fragen, was diese Kirche für ein Verständnis von „alle“ hatte? Die Verdrängung der Laien in die rein „geistige (geistliche) Kommunion“ oder allenfalls die Brotkommunion trieb so verheerende Blüten, dass man sich wundern muss, dass die Eruption erst im 16. Jh kam und nicht schon viel früher. Immerhin hat eine erbitterte Debatte über das rechte Verständnis der Eucharistie seit dem 9. Jh in Schüben stattgefunden.
Das „Messopfer“ war das Standeszeichen der Kleriker und die häufigere Kommunion Privileg des klösterlichen geistlichen Standes geworden. In der mystifizierten sakramentalen Parallelwelt hatten Laien kein unbefangenes Wohnrecht mehr. Eingeschüchtert wichen sie zurück und der Kommuniongang nahm rapide ab. Auf dem Laterankonzil 1215 wurde erstmals eine Vorschrift erlassen, dass der Gläubige wenigstens einmal im Jahr zur Kommunion gehen müsse. Der Kommunionempfang wandelte sich vor allem anderen zu einem nicht mehr mystischen, sondern magischen Privileg. Man war so weit gegangen, der Zelebration der Hl. Messe durch einen einsamen Priester einen magischen Wert zuzusprechen, den der Laie sich kaufen konnte, um ihn sich selbst oder anderen, Lebenden und Toten, „zuzuwenden“. Mit dem neutestamentlichen, gemeinschaftlichen „Brotbrechen“ hat(te) das alles wenig oder gar nichts mehr zu tun. Aber man hat es verstanden, den klaren Verstand der Menschen so zu betäuben und zu umnachten, dass man als Katholik (sofern man überhaupt je ernsthaft gläubig sein wollte) zunächst der Logik dieser Verzerrung vollkommen erliegt, viele lebenslang und in aller Unschuld und Frömmigkeit. Bei vielen von uns aber regt sich irgendwann wieder der wache Sinn für die Wahrheit.
Das Unbehagen und Befremden vieler nachdenklicher Männer und Frauen begann sich nachweisbar spätestens ab dem 13. Jh in aller Deutlichkeit bemerkbar zu machen, und viele von ihnen wurden wegen des Einspruchs gegen diese Verwahrlosung und Verfremdung der Eucharistiefeier im Zuge der ständischen Klerikalisierung der Kirche gnadenlos verfolgt und bei lebendigem Leib verbrannt. Wir gedenken heute noch mit Abscheu, Scham und Fassungslosigkeit  — um nur zwei Beispiele zu nennen — der hasserfüllten Ermordung der Beghine und geistlichen Schriftstellerin Marguerite Porête an der Wende zum 14. Jh oder des Rektors der Prager Universität Jan Hus’ auf dem Konstanzer Konzil zu Beginn des 15. Jh. Die Kirche opferte für die totale Verfremdung des Glaubens um eines unheimlichen Machtgeiferns willen das Blut ihrer Heiligen und hat sich damit selbst mit der Hure identifiziert, die die Apokalypse beschreibt (Apk 17): eine Frau in Scharlach und Purpur, also in leuchtend rote Hierarchengewänder (!) gekleidet, hält sie einen Kelch aus Gold in der Hand, indem sie Opferblut der Heiligen und Zeugen Jesu trinkt, Opfer, die als „Hurerei“ und „abscheulicher Schmutz“ bezeichnet werden. Es ist unmöglich, diese Allegorie nicht in Verbindung zu bringen mit dem realen historischen Erscheinungsbild der römischen Kirche! Die habsüchtige Beanspruchung des eucharistischen Kelches nur für die Hierarchie kann aus dieser Perspektive sogar als Schutz für die Gläubigen angesehen werden, die auf diese Weise nicht unbewusst teilhaben müssen an der Perversion des Opfers Christi hin zu einem Opfer der Heiligen durch die „Mutter Kirche“. Während sie großmäulig ein „unblutiges Opfer“ zu zelebrieren vorgab, vergoss sie wie eine wilde Bestie das Blut ihrer besten Glieder.

Man sollte dennoch keine unkritische Verherrlichung der Reformation und all ihrer teilweise ebenso haarsträubenden Abarten, die ab dem 15. Jh „anrollten“, betreiben. Jeder einzelne Fall muss sorgsam geprüft werden. Es gibt keinen „Ort“ an den man gehen könnte, an dem man eine bessere „Institution“ antrifft. Die Bilanz der Kirche, auch der abgetrennten Teile, ist und bleibt insgesamt verheerend und grausam. Auch Protestanten führten totalitäre Systeme ein, quälten Menschen zum „rechten Glauben“ hin, richteten Ketzer hin und überstellten „Hexen“ zu Verbrennung den staatlichen Behörden. Ähnliches muss von der Ostkirche festgestellt werden, deren byzantinische Zeit vor dem Fall Konstantinopels ebenso von Grausamkeit und Blutvergießen gezeichnet ist wie das der weströmischen Kirche ab dem Mittelalter. Bis heute setzen auch evangelikale Freikirchen ihre Mitglieder teilweise seelisch schwer unter Druck und beuten sie finanziell ebenso aus, wie die römische Kirche das tut. Man lehnt die römische Hierarchie zu Recht ab, installiert aber anschließend sich selbst als Lehrer und Meister anderer. Offenbar schaffte es keine organisierte Kraft, von der dämonischen und gewalttätigen Lehre und Praxis der „Kirche“ loszukommen, nachdem sie sich früh durch die Teilhabe an der politischen Macht korrumpiert und prostituiert hatte. Die Aussage Jesu „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ (Mt 8, 20) wurde niemals ernst genommen. Jesus sagt diesen Satz einem Schriftgelehrten, der behauptet, ihm überall hin folgen zu wollen. In einem konkreten Sinn kann es auf Erden keine „Kirche“ geben, die man anfassen oder anschauen kann. Wie ihr Herr kann sie nur „Kein Ort“, im ureigensten Sinn einer „utopia“ sein. Nicht eine sinnlich verwertbare „sakramentale“ Parallelwelt kann sich einnisten und diese Utopie verwirklichen in diesem Äon — nein: das „Reich Gottes ist mitten unter uns“, aber dieses „Wir“ hat keinen Ort, geführt von dem Geist, dessen Brausen man hört, dessen Wege aber niemand kennt. Was immer sich auf Erden sinnlich fassbar manifestiert, kann nur „irdenes Gefäß“ und „blinder Spiegel“ sein und keinesfalls ein totales „Abbild himmlischer Dinge“. Ein „blinder Spiegel“ erzeugt nur Schemen und keine Abbilder. Vielmehr verweisen uns die Apostel auf das einzige wahre Abbild des Vaters: Jesus Christus, der nicht in steinernen Tempeln lebt und sich nicht in Purpur kleidet, sondern in den „Herzen“ wohnt. Wer aber hätte je ein „Herz“ des Menschen gesehen? Jesus ist aufgefahren und hat uns zurückgelassen. Das bedeutet: wir sehen ihn nicht mehr. Er hat uns den Hl. Geist geschickt, den niemand sehen kann.
Mit einer Radikalität ohnegleichen hat der Jesus der Evangelien und der Jesus, den die Apostel im NT bezeugen, uns tatsächlich jeglichen sinnlichen Bezugspunkt genommen und uns ein „Vergeistigungsprogramm“ verordnet, bis er wiederkommt.
Die Kirche hat sich darüber in einer verstörenden Dreistigkeit hinweggesetzt.

Die Entstehung des Jesuitenordens im 16. Jh, der die Macht über das viel zu spät einberufene Trienter Konzil an sich reißen konnte und eine psychologisch ausgefeilte totalitäre Unterwerfungsideologie entwickelte, verhinderte als die treibende gegenreformatorische Kraft künftig das ernsthafte Nachdenken, jeden echten mystischen Glauben zugunsten einer Versinnlichung der Frömmigkeit und sperrte sich gegen eine Reform der Missstände in der Hierarchie und im Messablauf. Die Eruptionen der Reformation erlaubten der Kirche überhaupt erst, die umstrittene neue mittelalterliche Eucharistieauffassung als Opfer, das eine materielle „Transsubstantiation“ in einer sakramentalen „Anderwelt“ durchläuft, dogmatisch zu definieren, beförderten also tragischerweise das, was sie verhindern wollten. Was zu den tiefen Zerwürfnissen mit der Ostkirche und den einheimischen Protestanten geführt hatte, wurde nun auf eine plumpe, gewaltsame, aber farbige, „verspielte“ und propagandistische Art und Weise immer weiter vertieft. Die versinnlichte Lehre wurde in Jesuitentheatern auf eine frühe Art und Weise massenmedial verbreitet. Der Glaube verkam unter der wachsenden und schleichenden Herrschaft der Societas Jesu über das Papsttum und die Bischofssitze, die Höfe, das Bildungswesen in den Ländern und die Beichtstühle zum verbissenen machtpolitischen Ränkespiel einerseits und zum spirituellen Budenzauber andererseits. Wie ein Nachtmar hatte sich dieser Orden der Kirche und den Fürstenhöfen auf die Brust gesetzt und ist seither nicht mehr abzuschütteln gewesen. Auch heute noch beherrscht der Orden alle Schlüsselpositionen der Kirche offen und heimlich, inzwischen sogar den Stuhl Petri und den Vorsitz der Glaubenskongregation („Hl. Inquisition“) ganz ohne Maske. Es ist dies nicht ein Bruch mit Traditionen, wie Traditionalisten mit Hysterie meinen, sondern das lange gehegte und erreichte Ziel des Ordens, dessen Wiederzulassung doch gerade sie 1814 als „Segen“ und als Sieg über die „Freimaurer“ auffassen…

Die Festlegung auf dem Trienter Konzil auf die scholastische Lehre von der Transsubstantiation, die man dem heiligen Thomas zuschrieb, war nicht der einzige, unverständliche Fallstrick. Unverständlich blieb auch, inwiefern die Hl. Messe ein „wahres Opfer“ sein soll, wie das Trienter Konzil es definierte, aber nicht erklärte. Wir kennen alle die Rede vom „unblutigen Opfer“, das auf gar keinen Fall eine Wiederholung des einmaligen Opfers auf Golgotha sein soll, sondern nur dessen Evokation. Was soll aber ein evoziertes, also „heraufbeschworenes“, modern gesprochen „gegenwärtig gesetztes“ „unblutiges Opfer“ sein, das dann doch beansprucht, wesenhaft Fleisch und Blut, „sakamentales“ Fleisch und Blut, das aber in diversen „Wundern“ (s.u.) dann doch ganz schnödes irdisches Fleisch wird, auf den Altar zu „zaubern“? Man stellt sich vor, es werde hier aktuell kein Leben mehr zerstört, aber man holt gewissermaßen das einmalige gewaltsame Opfer Jesu entweder aus den Tiefen der Zeit oder aus dem Himmel[6] auf den jeweiligen Altar, indem man Brot und Wein buchstäblich materiell — nicht mehr nur geistig — umwandelt in geopfertes Fleisch und Blut. Die Zeugnisse der ersten zwei Jahrhunderte kennen eine solche Lehre und Praxis nicht, sondern die Brotsegnung und das Brotbrechen und sogenannte „Agapefeiern“, die ein vollständiges Mahl mit integrierter Eucharistiefeier als „Brotbrechen“ gewesen sein dürften.[7] Eine Lehre, wie sie im Staatskirchentum entstand, ist mehr als eigentümlich. In verschiedenen, nachreformatorischen Opfertheorien versuchte man die Frage nach dem Opfercharakter und eine Entfaltung der Sühneopfertheologie Anselms von Canterbury (+ 1109) zu bearbeiten. Überzeugende Ergebnisse sind dabei nicht zustande gekommen, eher Skizzen und torsohafte Versuche, die alle einen philosophischen Haken haben.

Das Heidentum kennt vielfach unblutige Opfer, v.a. als Brotopfer, aber auch Milchopfer. Aber es handelt sich dabei nicht um ein „re-issue“ eines davor liegenden „Uropfers“. Wir kommen auf die Frage der heidnischen „unblutigen Opfer“ und Evokationen von „Uropfern“ später zurück. Ein „Speiseopfer“ und ein „Trankopfer“ kannte auch das altisraelitische Opferpriestertum. Diese vegetabilen Opfer wurden nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht isoliert dargebracht, sondern als Beigabe der Tieropfer (vgl. Num 15 + 28; Lev 2; Ez 45, 18ff). Das Brot sollte immer ungesäuert, aber gesalzen sein. Das Trankopfer als „Libation“ sollte Wein sein. Das Speise- und Trankopfer war dem biblischen Kontext nach v.a. als Spende an die Priesterkaste gedacht (Lev 2, 3), vergleichbar vielleicht dem „Messstipendium“.[8]

Es ist philosophisch unverständlich, inwiefern die Evokation, das Heraufbeschwören eines einmal geschehenen und vollendeten (!) Opfers („Es ist vollbracht“, sagte der Herr und nicht „Dieser Zustand hält an, bis ich komme“…) selbst wieder ein „wahres“ Opfer sein kann. Was soll, was kann hier geopfert werden, wenn es nicht das vollendete Opfer selbst ist? Wenn es aber das vollendete Opfer selbst wäre, wäre es nicht doch eine erneute Opferung des ehemaligen Opfers? Oder wird hier ein ganz anderes Opfer zelebriert? In den modernen Texten des Vaticanum II haben wir gesehen, dass die Kirche glaubt, sie selbst könne das einmal geschehene Opfer darbringen und damit sich selbst: „…bringen sie das göttliche Opferlamm Gott dar und sich selbst mit ihm…“. Solche Aussagen findet man überall in modernen kirchlichen Verlautbarungen, aber was soll das eigentlich heißen? Was soll das sein, dass „wir“ das „göttliche Opferlamm“ in einer Feier „Gott darbringen“ und uns gleich noch mit dazu, dies aber iS eines „wahren Opfers“? Wie kann die Kirche das Opfer, in dem Christus sich selbst dargebracht hat, erneut als bereits getätigtes Opfer „darbringen“? Und vor allem: warum sollte sie das tun? Niemand konnte mir diesen Gedanken erklären. Christus hat sich selbst dargebracht. Wer sind wir, dass wir seine Darbringung wiederum als „Opfer“ darbringen könnten? Kann man ein Opfer als Opfer erneut opfern? Und vor allem: ist es das, was er geboten hat, als er das letzte Abendmahl feierte? Man kann eines Opfers gedenken, man kann es meinetwegen über-lebendig erinnern, aber kann man es als bereits vollendetes Dargebrachtes immerfort wieder — wenn auch „nur“ sakramental — „darbringen“? Es wäre verständlich zu sagen, man beantworte das wunderbare Opfer, das Jesus gebracht hat für uns, mit einem eigenen Opfer, so wie es auch im NT formuliert wird, etwa mit „Dankopfer“, „Lobopfer“, „Demut“ oder Freigebigkeit gegenüber den Armen. Meine Antwort auf eine Erlösung, die teuer erkauft wurde, kann doch nur der tiefste und ergebenste Dank („eucharistia“) sein und eine Kehrtwende in meinem Leben, um sich des Opfers als würdig zu erweisen, soweit es von meiner Seite aus möglich ist.
Das Geopferte selbst aber kann ich nicht „zurückspenden“ oder gar selber opfern. Selbst in irdischen relationen kann ich einem, der mir ein Organ und damit das Leben spendet, niemals dieses Organ zurückspenden. Das wäre unmöglich. Noch viel weniger kann niemand Jesus Christus das, was er uns getan hat, als es selbst zurückspenden.
Es gehört Demut dazu, sich beschenken zu lassen, ohne der Fiktion zu erliegen, man könne oder müsse das Geschenk wieder zurückschenken.
In diesen Fragen kreisen seither die Positionen.
Ich habe noch keinen Katholiken kennengelernt, der diese Fragen beantworten könnte oder überhaupt ein genaueres Verständnis dieser Opfertheologie hätte.
Vollends irritiert ist ein Christ, wenn er dazu die eindringlichen Worte des Paulus an die Hebräer liest, die die kirchlichen Lehren samt und sonders Lügen strafen und um ein weiteres Mal die radikale Entsinnlichung der Dinge des Glaubens ausdrückt:

„24 Christus ist nicht in ein von Menschenhand gemachtes Heiligtum hineingegangen, in ein Abbild des wirklichen, sondern in den Himmel selbst, um jetzt vor Gottes Angesicht zu erscheinen für uns;
25 auch nicht, um sich selbst viele Male zu opfern, wie der Hohepriester jedes Jahr mit fremdem Blut in das Heiligtum hineingeht;
26 sonst hätte er viele Male seit der Erschaffung der Welt leiden müssen. Jetzt aber ist er am Ende der Zeiten ein einziges Mal erschienen, um durch sein Opfer die Sünde zu tilgen.
27 Und wie es dem Menschen bestimmt ist, ein einziges Mal zu sterben, worauf dann das Gericht folgt,
28 so wurde auch Christus ein einziges Mal geopfert, um die Sünden vieler hinwegzunehmen; beim zweiten Mal wird er nicht wegen der Sünde erscheinen, sondern um die zu retten, die ihn erwarten.“ (Hebr 9)

Lehren, die von einem eigenen täglichen Sterben mit dem Messopfer sprechen, widersprechen diesem Text ausdrücklich. Immer wieder geistert dies durch die Kirchen, etwa, wenn der koptische Patriarch Tawadros II. in einer Rede an die Priester Johannes Chrysostomus in Anknüpfung an eine Teilnahme am Kreuzesopfer, ja sogar eine Identifizierung des Priesters mit Jesus als Opfer selbst, zitiert:

Am Donnerstag, den 15. Februar, hat Papst Tawadros in einer Feier zum Gedenken an die neuen koptischen Märtyrer den heiligen Johannes Chrysostomus zitiert: „Der Märtyrer stirbt einmal für seinen HERRN, aber der Hirte stirbt jeden Tag für die Herde des HERRN“.“[9]

Eine Gleichsetzung des Standes Jesu als Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks und als Opfer, das sich selbst opfert, mit dem sakralen Priestertum tritt auch hier deutlich zutage. Diese Identifizierung ist in sich schlüssig, aber sie entbehrt jeglicher neutestamentlichen Grundlage. Es gibt dort den Christus als wahren Hohepriester, aber kein Opferpriestertum mehr! Woher kommt aber dann diese „Logik“?

Luthers berechtigte Infragestellungen der theologischen Verengung, die er in seiner Schrift „De captivitate Babylonica ecclesiae“ von 1520 veröffentlichte, legen dem gelehrten Publikum seine Einwände dar. Man muss dazu anmerken: zu dieser Zeit war die verengte und verfremdete katholische Abendmahlslehre noch nicht dogmatisiert, lag aber offenkundig „in der Luft“. Er rieb sich u.a. daran, dass man die Einsetzungsworte Jesu in ein philosophisches Konzept zwängte, als sei letzteres fähig, ein echtes Mysterium zu beschreiben. Luther steht mit dieser Kritik der ostkirchlichen Zurückhaltung mehr als nahe. Wie sie besteht Luther darauf, dass man ein „mysterium“ ein Mysterium sein lassen muss, wenn man sich nicht in Blasphemien stürzen will.
Luther klärt an dieser Stelle die Frage, welchen Anhalt der Begriff des Mysteriums (oder Sakramentes) im christlichen Kontext überhaupt haben kann, noch nicht. Es bleibt unklar, woher dieser Begriff im Zusammenhang mit der Eucharistie überhaupt kommt und seit wann er angewandt wird. Luther scheint hinsichtlich der Sakramentenlehre später noch einen langen Weg gegangen zu sein und hat am Ende nur noch Christus selbst als „mysterium“ anerkannt. In der katholischen Theologie ist man heimlich zwar längst von der alten Sakramententheologie abgekommen, weil sie sich, wie man verspätet erkennt, nur sehr schwer aufgrund der neutestamentlichen und frühchristlichen Überlieferung begründen lässt, hält sie aber andererseits, wie bereits erwähnt in der Apologetik mit Zähnen und Klauen fest, weil ohne sie die Kirche sich sofort auflösen müsste.[10]


[1] Diese Richtung wird auch heute unverkürzt vertreten und institutionell hoch belohnt. Etwa ist die Grundthese der Arbeit von Karl-Heinz Menke: Sakramentalität. Wesen und Wunde des Katholizismus. Regensburg 2012 alleine von dieser Absicht getragen zu zeigen, dass das Wesensmerkmal des Katholischen in der vollständigen Durchdringung aller Lehen und geistlichen Lebensvollzüge der Kirche diesen zeichenhaften Charakter des Mysteriums haben. Menke wurde von Papst Franziskus nicht etwa wegen dieses ultrakonservativen Ansatzes auf ein Abstellgleis gestellt, sondern 2014 in die „Internationale Theologenkommission“ (Nomina di nuovi Membri e conferme nella Commissione Teologica Internazionale in: Presseamt des Heiligen Stuhls, Tägliches Bulletin vom 23. September 2014)
Ein anderes Beispiel ist von Joseph Schumacher: Die Identität des Katholischen. Mainz 2016, ein Buch, das ebenfalls das Wesen des katholischen in seiner institutionellen Verfasstheit, die dem „sakramentalen Prinzip“ folgt, verwirklicht sieht.
Die Kirche realisiert in beiden Werken eine „Zwischenwelt“, eine „Parallelwelt in der Welt“, die vorgibt, in genau dieser Verfasstheit, die eine „sakramentale“ Welt ausdrücken könne, nicht von dieser Welt zu sein.
[2] Karin Lehmeier: Abendmahl. Das wissenschaftliche Portal der Deutschen Bibelgesellschaft, 2017 https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/abendmahl-2/ch/938393ef0928d2e2d06e6f45e93e85ae/ (11.3.2018): „Das im privaten Rahmen stattfindende Gastmahl ist vor allem durch eine klar geregelte soziale Stufung der Teilnehmer und ihrer Plätze gekennzeichnet. In der Regel sind nur Männer geladene Gäste. Der Gastgeber sorgt für die Speisen, bezeugt sind aber auch Mahlzeiten (sog. eranoi), zu welchen alle Teilnehmer etwas beitragen (Schmitt-Pantel). Die antike Literatur bezeugt breit die Ungleichbehandlung höher gestellter und niedrig gestellter Männer beim Mahl.“
[3] Ma Nischtana HaLaila HaSe? Nichtjuden am Sedertisch, anonym erschienener Artikel auf dem jüdischen Online-Portal „Hagalil“: http://www.hagalil.com/judentum/feiertage/pessach/pesach/goyim.htm (11.3.2018). Die strikte Bejahung jeglicher Person am Sedertisch wird in der jüdischen Theologie dort folgendermaßen begründet: Uns „erinnernd, dass es Pharao’s Tochter war, die das im Nil ertrinkende Baby Moses rettete, schulden wir gerechten Nichtjuden Dank, und dies im Besonderen während der Pessachzeit“. (Noam Zion).“ Also auch die Frau und der Heide nehmen teil, wenn sie gerecht sind.
[4] A.a.O.: „Als Hintergrund der Entstehung des urchristlichen Abendmahls werden daneben (neben dem Pessachmahl, H.J.) die Gemeinschaftsmähler der Therapeutinnen und Therapeuten herangezogen, einer in Ägypten lebenden asketischen jüdischen Gruppierung, die in sieben-wöchigem Rhythmus ein Mahl (Pannychis) feierte, an welchem Männer und Frauen teilnahmen.“
[5] Mit den Worten „Ha Lachma anja“ („Seht das Brot des Elends“) beginnt der Sederabend und damit das Pessachfest und lädt alle Armen zum Mitessen ein. Die Juden deuten diese Tradition folgendermaßen: „Wir pflegen die Mazzot, das Proviant, das das Volk beim Auszug aus Ägypten mitnahm, mit Freiheit und Befreiung zu verbinden. Aber die Mazza symbolisiert auch die Speise der Sklaven und Armen, des fremden Arbeiters. Der Seder beginnt in Schande und endet in Lobpreis (Mischna Pessachim 10, 4) – die Demütigung wird zur Freiheit und zum Gesang des Hallel.“ Erklärung auf einem jüdischen Flugblatt zum Pessachfest: www.zwst-hadracha.de/cms/.../de.../Das%20ist%20das%20Brot%20des%20Elends.doc (11.3.2018)
[6] „Und ich sah: Zwischen dem Thron und den vier Lebewesen und mitten unter den Ältesten stand ein Lamm; es sah aus wie geschlachtet und hatte sieben Hörner und sieben Augen; die Augen sind die sieben Geister Gottes, die über die ganze Erde ausgesandt sind.“ (Apk 5, 6)
[7] Beschreibungen davon finden sich in der Didache (60-65 n. Chr.), Kap. 9, 10, 14, bei Klaus Berger/Christiane Nord: Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, Frankfurt a. M. 2005, S. 307 ff. Ebenso im „Hirt des Hermas“, ebenda ab S. 817. Die „Traditio Apostolica“ aus dem 3.-Ende des 4. Jh enthält ebenfalls keine deutliche Messopfertheologie, sondern eine danksagende Darbringung ohne „Wandlung“, aber Anklänge, die später in Zusammenhang mit einer Wandlung der Gaben gebracht wurden. Geistepiklesen entwickelten sich erst im syrischen Raum im 4. Jh. Vgl. dazu Helmut Hoping: Mein Leib für euch gegeben. Theologie und Geschichte der Eucharistie. Freiburg 2015. S. 125 ff. Zu den „Agapefeiern“ vgl. Anonym: „Einführung in Geschichte und Wesen der Agapefeiern. Vortrag Regensburg 2006 (Kolpingfamilie) http://kolping-herzmarien.de/downloads/agapefeier.pdf (abgerufen am 4.3.2018)
[8] Ulrike Dahm: Opfer. 2006; Lexikoneintrag im Internetlexikon „Bibelwissenschaft“ der Deutschen Bibelgesellschaft, https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/opfer-at/ch/65856f9e669583b01dccb66d4f140690/, (abgerufen am 15.2.2018)
[9] Artikel „Koptischer Patriarch warnt Priester vor Vernachlässigung ihrer Familien“ auf https://charismatismus.wordpress.com/?s=tawadros am 18.2.2018
[10] Hubertus Mynarek etwa beschreibt in seinem Buch „Herren und Knechte in der Kirche“, Köln 1973, wie in der bischöflich geförderten akademischen Theologie hinter verschlossener Tür die Sakramentenlehre bezweifelt wurde, S. 189f, nach außen hin aber der schöne Schein aufrecht gehalten wurde. Er hielt Karl Rahner SJ für den janusköpfigen Erfinder einer modernen Vertretung des „geheimnisvollen Humanum“ und dessen Kirchenkonzept als einen „Anwalt des unbegreiflichen Geheimnisses“, innerhalb dessen alleine die „letzten Dinge“ verwaltet und definiert werden könnten. Rahner habe ein „neues Zeitalter der Geheimniskrämerei“ eröffnet. S. 207f. Es gibt keinerlei Grund, diese Aussagen Mynareks, der als Theologieprofessor viele Jahre im katholischen akademischen Milieu verbracht hat, zu bezweifeln, zumal sie die merkwürdig inkonsistente Haltung vieler Bischöfe zu erklären vermögen.

Donnerstag, 15. März 2018

Die sakramentale Anderwelt der Eucharistie (I) - Sakrale Riten als Medium irdischer ständischer Machtgefüge



Die sakramentale Anderwelt der Eucharistie (I)

I. Sakrale Riten als Medium irdischer ständischer Machtgefüge


Aus der sehr alten Meinung, bei der Abendmahlsfeier, die Jesus den Zwölfen am Abend vor seiner Hinrichtung geboten hat, handle es sich um ein „Opfer“ (sacrificium), ergeben sich alle Probleme der späteren Jahrhunderte. Diese Prämisse hat die gesamte Kirche in ein unlösbares und weitverzweigtes gedankliches Dilemma geführt und ist Ausdruck des verdorbenen Ackers.
Im NT findet sich tatsächlich keine Stelle, die diese gebotene Feier als „Opfer“ kennzeichnet. Die entsprechenden Texte geben nicht im mindesten das her, was die Kirche später hineingelesen hat. Die Rede Jesu, Brot und Wein seien sein Fleisch und Blut, deuten selbst dann, wenn man glaubt, das sei buchstäblich sein Fleisch und Blut, kein rituelles „Opfer“ an.
Ein guter Teil innerkirchlicher Streitigkeiten besteht daher von alters her aus Ritenzerwürfnissen: inwiefern ist  das ein „Opfer“, ab wann werden die natürlichen Gaben zu Fleisch und Blut und wer darf diese „Wandlung“ rituell vollziehen oder herbeibitten. Andererseits muss man fragen, ob der Vorwurf, die Liturgiereform 1970 habe ein „neues“ Verständnis der Eucharistie installiert, der v.a. von Traditionalisten vertreten wird, sachlich überhaupt zutrifft.
Ich möchte mit der letzten Auseinandersetzung unserer Tage beginnen und mich vorsichtig rückwärts durch die Zeit arbeiten. Auf diese Weise hoffe ich, trotz der vorhandenen Verwirrung, ein wenig Klarheit zu bekommen.

Der „novus ordo missae“ geht zurück auf Impulse aus der ökumenisch ausgerichteten Liturgischen Bewegung der ersten Hälfte des 20. Jh und ihres Haustheologen, Romano Guardini, und des Laacher Benediktiners Odo Casel OSB, der in den 20er Jahren seine „Mysterientheologie“ entwickelte, die die Eucharistiefeier als eine Mysterienfeier im antiken Sinne auffasste und deutete. Eine Beziehung zum alttestamentlichen Tempelkult wurde nicht hergestellt. In Maria Laach wurden nach dem 1. Weltkrieg ab 1918 sogenannte „Gemeinschaftsmessen“ gefeiert, die dem heutigen „novus ordo missae“ sehr nahekommen, aber immer noch stark an die überlieferte tridentinische „missa lecta“ gebunden waren. Sie stellen faktisch einen Zwischenschritt zwischen dem „usus antiquior“ und dem „novus ordo“ dar und wurden vom Vaticanum II als Impuls für eine liturgische Erneuerung aufgefasst. Diese „Gemeinschaftsmessen“ waren zunächst seitens Roms nicht gern gesehen.
Mit dem Beginn des Nationalsozialismus 1933 und nach dem Konkordat konnten sie sich im deutschsprachigen Raum jedoch massiv durchsetzen. Die deutschen Bischöfe erklärten 1936 in ihren „Richtlinien zur katholischen Seelsorge“, dass diese Messform sogarfür den Gottesdienst der Jugend kirchenamtlich geboten“ sei.[1]
Es war schließlich der wegen seiner teilweise dem NS-Staat huldigenden Haltung hochumstrittene Kardinal Bertram von Breslau, der von Rom 1943 einen Indult für die Feier der Gemeinschaftsmesse erhielt. Die verworrene Lage des Katholizismus während der 12 Jahre des Nationalsozialismus gibt Fragen auf und lässt erahnen, dass manche Zuordnung, die später vorgenommen wurde, anders gesehen werden müsste: die Gemeinschaftsmesse gehört nicht etwa in einen „linken“ oder „protestantisierenden“, „liberalen“ oder gar (marxistisch) „sozialistischen“, sondern viel eher in einen ultramontanen, korporativ gedachten, faschistisch ausgerichteten Kontext, wenngleich selbstverständlich nicht alle Verfechter dieser Bewegung sich selbst dort verortet sehen wollten, so wie auch heute viele Freunde des „novus ordo missae“ mit der Messreform von 1970 ganz andere ideologische Strukturen verwirklicht glauben, als das in Wahrheit der Fall ist.
Oder anders gesagt: Die Frontlinien der liturgischen Auseinandersetzung spiegeln nicht „traditionelle“ und „protestantische“, nicht „rechte“ oder „linke“ Standpunkte, sondern gehören beide in dasselbe ständische Modell von „Kirche“, das neuere aber führt das ältere in seiner merkwürdigen Verklammerung eines „Sozialismus“ für die „Herde“ und eines knallharten Neofeudalismus für die „Hierarchie“ auf eine ebenso graue wie schillernde Spitze. Das erste beließ den Laien-Gläubigen (noch) in indivualisierter Andacht, das zweite aber fordert ihm gleichgeschaltetes und reguliertes Mittun ab. Durch einen zugelassenen Wildwuchs werden die Menschen im Glauben gelassen, sie hätten hier einige Freiheiten, die sie vorher nicht hatten. Ich werde zeigen, dass das eine Täuschung ist.
Mir ist bewusst, dass diese These viele überraschen, vielleicht ärgern wird.

Am nächsten kommt der Wahrheit wohl — gegen den Strich verstanden — Joseph Ratzinger, Benedikt XVI., mit seiner Meinung, es sei kein wesentlicher Unterschied zwischen der älteren und der neueren Liturgie. Viele der Kontrahenten auf beiden Seiten haben Anstoß genommen an dieser Sicht in seinem Motu proprio „Summorum pontificum“ von 2007 und dem Begleitschreiben an die Bischöfe. Die Kirche kann naturgemäß, wenn man unterstellt, sie müsse überhaupt so etwas wie eine Liturgie bzw. einen Kult haben, nur eine Liturgie, nur einen Kult haben, und niemand kann im Ernst glauben, dass sie, nachdem sie dies einmal so felsenfest und aggressiv etabliert hat, dieses Markenzeichen ihrer Macht einfach aufgäbe! Dieser Kult ist konstitutiv für das gesamte Kirchenbild, das sich seit der konstantinischen Wende immer weiter verfestigt und durchgesetzt hat. Das Machtinteresse der Kirchenmänner wird jeglichen liturgischen oder kultischen Bruch verhindern. Es geht um nichts Geringeres als den selbstreferentiellen Anspruch, sie seien ein „alter Christus“, ein „anderer (zweiter) Christus“, ihm wesenhaft näher und ihn mehr abbildend als jeder andere Gläubige. Die Weihe präge ihnen ein „Wesensmarkmal“ auf, das allen anderen fehlt. Sie wiegeln zwar stets ab, dass sie sich damit über alle anderen stellen und betonen ihre Gleichheit mit dem Volk, aber sie lügen uns an: das Sakrament der Weihe meint objektiv eine substanzielle Erhöhung der Priester über die anderen und schreibt dem Priester das Wesen Jesu mehr zu als anderen Christen. Aber auch die kirchlichen Schreiben zeigen eindeutig, dass es so ist, wie ich es sage (s.u.). Man sagt uns, Jesus habe das so gestiftet. Wer aber das NT danach durchsucht, findet nirgends etwas von einer solchen theokratisch-korporativen Stiftung.
Ob der Gläubige möglicherweise spürt, dass hier geistliche Unstimmigkeiten im Raum stehen, ob er vielleicht ahnt, dass das alles nicht zu Jesus Christus passt, ist eine andere Frage als die, ob die Kirche einen „Bruch“ vollzogen habe. Ich sehe keinen Bruch, und werde das erklären. Die heutigen Änderungen bedeuten nicht zwingend einen Bruch, sondern sind eher bestürzende Zuspitzungen dessen, was bereits keimhaft angelegt war.
Der „novus ordo missae“ ist nach dieser „Logik“ eine Entfaltung dessen, was in der Messe Pius V. bereits begonnen hatte. Nicht von Ungefähr kommt es, dass sowohl Pius V. nach dem Trienter Konzil im 16. Jh, als auch 400 Jahre später Paul VI. nach dem Vaticanum II behauptet haben, sie hätten auf die ältesten liturgischen Vorlagen der Kirche zurückgegriffen. Wenn das wahr wäre, müsste man zurückfragen, was das für Vorlagen gewesen sind.[2] In beiden Fällen aber führten diese ältesten Vorlagen zu einer Messreform und können, vorausgesetzt es handelt sich um dieselben Quellen und vorausgesetzt, sie sind sorgfältig berücksichtigt worden, nicht zu einem konträren Ergebnis geführt haben, auch wenn es manchen so erscheint und darum eine erbitterte und zerstörerische Debatte geführt wird, die maßgeblich durch die Anhänger Erzbischof Marcel Lefebvres (+) und dessen Priesterbruderschaft des hl. Pius X. (FSSPX), Sedisvakantisten und Altrituelle innerhalb der „Amtskirche“ am Leben erhalten wird.

Doch zunächst schauen wir an, was die „Gemeinschaftsmesse“ nach dem einfachen Verständnis vieler sein wollte:
Die Gemeinde sollte wieder — nach der jahrhundertelangen, wachsenden Verdrängung der Gläubigen in die indivualisierte Andacht und eine handgreifliche Scheidung zwischen „Hierarchie“ („heiliger Rangordnung“) und „Herde“ — in das vorausgesetzte „mystische“ Geschehen am Altar als „tätige Teilhaberin“ einbezogen werden. Die Verdrängung der Gläubigen aus dem Geschehen der Messfeier war mit der forcierten ständischen Trennung von Klerus und Laien, aber auch mit der Modifikation des christlichen Gottesdienstes in alter Zeit geschehen. Eine „Schere“, wie man modern sagt, war immer weiter „aufgegangen“. Die Laien wünschten, in Zukunft wieder ihren vermeintlich „urchristlichen“ Platz als „Mysthen“ in der Zelebration des „Pascha-Mysteriums“ zu „zurückzuerhalten“.
Ob allerdings die seitens der Hierarchie gewollten liturgischen Reformbewegungen an der Beseitigung dieses ständischen Missstandes interessiert waren, kann man bezweifeln.
Zunächst ist Vorsicht geboten mit jeglicher Euphorie bezüglich des Begriffes der „participatio actuosa“ (tätige Teilnahme) des Laien am Messgeschehen. Der Begriff taucht amtlich erstmalig in einem Motu proprio Pius X. 1903 auf: „Tra le sollicitudini“. Häufig wird eine Verbindungslinie zwischen Pius X. und der liturgischen Bewegung mit ihren gemeinschaftlichen Anliegen gezogen. Sein Ansatzpunkt scheint der liturgischen Erneuerungsbewegung, die im 19. Jh von Dom Guéranger und Solemnes und dem Cäcilianismus ausging, nahezustehen: Entrümpelung aller in die Messe hineingewachsenen Aktionen und Motive seitens der Völker und ihrer kulturellen Eigenheiten, Rückkehr zur Gregorianik und die Restauration des Lateinischen als alleiniger Liturgiesprache, der Rauswurf aller instrumentalen und modernen harmonischen Kompositionstechniken und die Rückkehr zu den „Alten“, worunter er Palestrina versteht und die radikale Verbannung sämtlicher volkssprachlicher Elemente, selbst der jahrhundertealten deutschen Messgesänge, die niemals ein Problem waren oder verboten worden wären.[3]
Pius X. untersagte jegliche volkssprachliche liturgische Äußerung, obwohl dies seit dem Ende des 16. Jh in der deutschsprachigen Kirche überall üblich und kirchlich auch erlaubt war, schloss Frauen kategorisch aus dem Gesang aus, weil das angeblich „alter Brauch“ sei, schloss jegliches Instrumentalspiel (ausgenommen die Orgel) aus, obwohl in Italien und Österreich Instrumental- und Orchestermessen von allen bedeutenden Tonsetzern, aber auch in den Klöstern, auch den Frauenklöstern (wie in dem „Musik“-Kloster Nonnberg bei Salzburg), seit Jahrhunderten nicht nur in großer Zahl komponiert, sondern auch kirchlicherseits gerne zelebriert wurden, und forderte ein rigoroses ständisches Modell für den Gottesdienst, das die erhöhte Priesterkaste von den Laien abgrenzte und letzteren eine faktisch vollkommen passive, akklamierende Rolle zuordnete, die irreführend als „participatio actuosa“ benannt wurde. Ihre „Teilhabe“ bestand in einer künftig bewussteren, kollektiven kultischen Formung, um danach im Alltag als „Gesendete“ der Hierarchie deren Vorgaben in Familie, Politik und Gesellschaft zu erfüllen. Im Rahmen eines ständischen Modells fiel den Laien die Aktion zu, dem zu huldigen und sich dem zu ergeben, was die Führerkaste ihnen vorgab. Eine „aktive Teilhabe“ im egalitären  Sinne war bei Pius X. jedenfalls nicht gemeint.
Davon kann — anders als es viele glauben — auch nach dem Vaticanum II keinerlei Rede sein, das ausdrücklich weiterhin ein ständisches Modell vertritt, dies aber hinter salbungsvollen Worten verbirgt. Das Vaticanum II verstärkt mehr als jedes Konzil zuvor das klassische „suum cuique“ („Jedem das Seine“), obwohl es im 20. Jh in der Kirche und in der Politik zu schaurig-zynischer Bedeutung gelangt war[4]:

„In der Teilnahme am eucharistischen Opfer, der Quelle und dem Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens, bringen sie das göttliche Opferlamm Gott dar und sich selbst mit ihm; so übernehmen alle bei der liturgischen Handlung ihren je eigenen Teil, sowohl in der Darbringung wie in der heiligen Kommunion, nicht unterschiedslos, sondern jeder auf seine Art. Durch den Leib Christi in der heiligen Eucharistiefeier gestärkt, stellen sie sodann die Einheit des Volkes Gottes, die durch dieses hocherhabene Sakrament sinnvoll bezeichnet und wunderbar bewirkt wird, auf anschauliche Weise dar.“[5]

Die Eucharistiefeier ist eben nicht nur allgemeiner Ausdruck der Gemeinschaft aller Gläubigen, sondern drückt dieser Gemeinschaft einen feudalistischen oder pseudofeudalistischen Stempel auf: Hier agieren Herren und Knechte, auch wenn sie alle dasselbe Brot essen — es ist ganz klar, wer das Brot „herstellt“ („wandelt“), deshalb auch verwaltet und verteilt. Es geht nicht um eine Vielfalt der Gleichen, sondern um Oben und Unten, um Hoch und Niedrig, um „mehr-gottabbildend“ und um „weniger-gottabbildend“.
Es ist angesichts der Tatsache, dass im Vaticanum II entgegen allen Hoffnungen, die auch die Liturgische Bewegung beflügelt haben mögen, unbeirrt das ständische Modell vertreten wurde, fraglich, ob die Liturgische Bewegung diesen Begriff der „participatio actuosa“, die Vorgabe Pius X. verfremdend, nicht irrtümlich „demokratisch“ auffasste. Anders: Man beließ die Laien in einer falschen Hoffnung auf Reform und nutzte ihr Engagement dazu, ein theoretisch noch rigideres Modell ins Werk zu setzen als das, das sie für reformbedürftig hielten.
Joseph Ratzinger schreibt, der „’Kult’, in seiner wahren Weite und Tiefe verstanden“, reiche hinaus über die „liturgische Aktion“. Die „participatio actuosa“ meint also nicht das bloße „aktive“ Mittun während der Messe in Form von Lektoren-, Kommunionhelfer- oder sonstigen Diensten, sondern eine totale Formung des Gläubigen durch die Hierarchie, um dadurch im Auftrag der Führer zum Zwecke einer bestimmten Repräsentanz der Hierarchie in den Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Geltung zu verschaffen, auf die sie naturgemäß weniger Zugriff hätten.

„Er (der Kult, Anm. HJ) umfasst letztendlich die Ordnung des ganzen menschlichen Lebens. (…) Anbetung, die richtige Weise des Kultes, der Gottesbeziehung, ist konstitutiv für die rechte menschliche Existenz in der Welt; sie ist es gerade dadurch, daß sie über das Leben im Alltag hinausreicht…“[6]

Ratzinger will genau dies im Gegensatz zum „Götzendienst“ sehen, der die kultische Gemeinde „innerweltlichen Mächten und Werten“ zuwende und damit die „Freiheit“ zum Verfall bringe.[7]
Nun ist aber schon hier zu fragen, ob er damit das Selbstverständnis der „Götzendiener“ überhaupt richtig referiert oder nicht vielmehr in seinem Sinne beurteilt, und ob sich der kirchliche „Kult“, unvoreingenommen und nüchtern betrachtet, wirklich so essentiell von dem der „Götzendiener“ unterscheidet oder ihm nicht sogar erschreckend ähnlich ist.
Dass man das Amt der Laien keineswegs als ein eigenständiges, selbstverantwortetes Amt auffasst, sondern als einen verlängerten Arm der Hierarchie in alle Winkel des gesellschaftlichen Lebens hinein, belegt auch später die dogmatische Konstitution „Lumen gentium“ des Vaticanum II von 1964. Viel Raum nimmt darin die Erklärung ein, dass sich die Kirche überall ausbreiten müsse und die ganze Menschheit unter einen Hirten zu bringen habe:

„Zum neuen Gottesvolk werden alle Menschen gerufen. Darum muß dieses Volk eines und ein einziges bleiben und sich über die ganze Welt und durch alle Zeiten hin ausbreiten. So soll sich das Ziel des Willens Gottes erfüllen, der das Menschengeschlecht am Anfang als eines gegründet und beschlossen hat, seine Kinder aus der Zerstreuung wieder zur Einheit zu versammeln (vgl. Joh 11,52) (…)“[8]

Man kommt nicht umhin, sich hier an frühe Worte aus der Genesis erinnert zu fühlen, an die Erzählung des Turmbaus zu Babel:

„3 Sie sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als Mörtel.
4 Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis in den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.
5 Da stieg der HERR herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten.
6 Und der HERR sprach: Siehe, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, wenn sie es sich zu tun vornehmen.
7 Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht.
8 Der HERR zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen.
9 Darum gab man der Stadt den Namen Babel, Wirrsal, denn dort hat der HERR die Sprache der ganzen Erde verwirrt und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut.“ (Gen 11)

In der ganzen Heiligen Schrift finden wir nicht einen einzigen Hinweis darauf, dass das „Menschengeschlecht“ in diesem Äon wieder politisch und religiös eins werden soll. Das Pfingstereignis hat für die Christgläubigen die Verwirrung der Sprachen für einen heiligen Moment der „Vorausschau“ aufgehoben, aber, wie wir wissen, nicht bleibend. Christen sind nach wie vor in Nationen geteilt und müssen mühsam fremde Sprachen lernen. Die kommende und perfekte Einheit von Menschen in Christus ist ausgelagert auf das Himmlische Jerusalem. In diesem Äon wird Unkraut neben Weizen, Bock neben Schaf aufwachsen, wie vielfach bezeugt wird. Erst beim Jüngsten Gericht werden sie voneinander endgültig geschieden. Diese Einheit eines Teils des Menschengeschlechtes mit ihrem Herrn wird nicht alle Menschen umschließen. Auch das ist eindeutig und häufig im NT ausgesagt. Es geht also nicht primär um die Einheit des Menschengeschlechtes, sondern um die Einheit der wahren Kinder Gottes mit dem Herrn!
Warum lehrt die Kirche hier eine abweichende Lehre?
Wie stellt sich die Kirche diese irdische Welteinheit vor?
Dies geschieht auf gar keinen Fall „demokratisch“, sondern in demselben ständischen Sinn, der schon zuvor dogmatisch festgelegt worden war:

„Diese Heilige Synode setzt den Weg des ersten Vatikanischen Konzils fort und lehrt und erklärt feierlich mit ihm, daß der ewige Hirt Jesus Christus die heilige Kirche gebaut hat, indem er die Apostel sandte wie er selbst gesandt war vom Vater (vgl. Joh 20,21). Er wollte, daß deren Nachfolger, das heißt die Bischöfe, in seiner Kirche bis zur Vollendung der Weltzeit Hirten sein sollten. Damit aber der Episkopat selbst einer und ungeteilt sei, hat er den heiligen Petrus an die Spitze der übrigen Apostel gestellt und in ihm ein immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft eingesetzt.“[9]

Diese „feierliche Erklärung“ des Dogmas von 1870 kommt einer bestätigenden Verdoppelung der Papstdogmen gleich, eine Aussage, die das Vaticanum II mW keinem anderen Dogma angedeihen ließ.
In langen Kapiteln wird anschließend die Machtstellung der Bischöfe dargelegt. Zu guter Letzt erwähnt die Konstitution auch die Rolle der Laien. Und hier tritt uns wieder das „Jedem das Seine“ entgegen:

„Die geweihten Hirten wissen sehr gut, wieviel die Laien zum Wohl der ganzen Kirche beitragen. Sie wissen ja, daß sie von Christus nicht bestellt sind, um die ganze Heilsmission der Kirche an der Welt allein auf sich zu nehmen, sondern daß es ihre vornehmliche Aufgabe ist, die Gläubigen so als Hirten zu führen und ihre Dienstleistungen und Charismen so zu prüfen, daß alle in ihrer Weise zum gemeinsamen Werk einmütig zusammenarbeiten.“[10]

Dieser Passus drückt entweder ein neofeudalistisches oder geradezu klassisch ein korporativ-faschistisches Ständemodell aus, und es wundert mich, dass das so gar niemandem auffallen wollte. Wie konnte man an einen „Geist des Konzils“ glauben und übersehen, dass dieses Konzil an den entscheidenden Punkten, den quälend empfundenen Weg der „Kirche“ noch fester vertäute, als dies zuvor der Fall war.
Die Unterordnung der Laien unter die Führer-Vorgaben der Hirten wird — unter erneuter, herablassender Behauptung des „suum cuique“ — mehrfach und unbeirrt wiederholt, etwa hier:

Der Unterschied, den der Herr zwischen den geweihten Amtsträgern und dem übrigen Gottesvolk gesetzt hat, schließt eine Verbundenheit ein, da ja die Hirten und die anderen Gläubigen in enger Beziehung miteinander verbunden sind. Die Hirten der Kirche sollen nach dem Beispiel des Herrn einander und den übrigen Gläubigen dienen, diese aber sollen voll Eifer mit den Hirten und Lehrern eng zusammenarbeiten. So geben alle in der Verschiedenheit Zeugnis von der wunderbaren Einheit im Leibe Christi: denn gerade die Vielfalt der Gnadengaben, Dienstleistungen und Tätigkeiten vereint die Kinder Gottes, weil "dies alles der eine und gleiche Geist wirkt" (1 Kor 12,11).“[11]

Man möge mir verzeihen, aber die Parole „Ein Volk - ein Reich - ein Führer“ ist diesem so ungeschminkt verweltlichten kirchlichen Modell keineswegs unähnlich. Und selbstverständlich verschanzt man sich hinter der Schutzbehauptung, die Oberen innerhalb der „Heiligen Rangordnung“ („Hierarchie“) seien „Brüder“ und „Diener“, aber weder formell noch strukturell noch jurisdiktionell sind sie es: sie sind samt und sonders Herren, und es ist eine Konstante der Menschheitsgeschichte, dass Herren niemals freiwillig zu Dienern werden und ihre Privilegien und Machtbefugnisse aufgeben. „Die Brüder“ und „Diener“ haben selbst diese anscheinend so egalitären Titel zu Herrschaftstiteln umgemünzt: nur der Papst darf sich „servus servorum Dei“ nennen seit den Tagen des Mittelalters. Ein Laie darf sich nicht „Diener“ nennen. Laien sind vielmehr die Leibeigenen der „Diener“…
Und als ob es damit noch nicht genug wäre mit der Betonung der Knechtschaft der Laien um der Sammlung unter einem irdischen Hirten willen, geht es in diesem Stil noch autoritärer und anmaßender weiter. Man muss sich vor Augen halten, dass die, die solches prä-dogmatisch„definieren“, sich dreist selbst diese Autorität zusprechen und den anderen huldvoll Unterwerfung und die Rolle als Erfüllungsgehilfen „höherer Interessen“ zuweisen. Der Laie soll Dachshund in den Erdwinkeln sein, an die der Arm der Geweihten nicht hinreicht:

Wie die Laien aus Gottes Herablassung Christus zum Bruder haben, der, obwohl aller Herr, doch gekommen ist, nicht um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen (vgl. Mt 20,28), so haben sie auch die geweihten Amtsträger zu Brüdern, die in Christi Autorität die Familie Gottes durch Lehre, Heiligung und Leitung so weiden, daß das neue Gebot der Liebe von allen erfüllt wird. Daher sagt der heilige Augustinus sehr schön: "Wo mich erschreckt, was ich für euch bin, da tröstet mich, was ich mit euch bin. Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ. Jenes bezeichnet das Amt, dieses die Gnade, jenes die Gefahr, dieses das Heil." (…)[12]
„Der Apostolat der Laien ist Teilnahme an der Heilssendung der Kirche selbst.“ (…) Die Laien sind besonders dazu berufen, die Kirche an jenen Stellen und in den Verhältnissen anwesend und wirksam zu machen, wo die Kirche nur durch sie das Salz der Erde werden kann. So ist jeder Laie kraft der ihm geschenkten Gaben zugleich Zeuge und lebendiges Werkzeug der Sendung der Kirche… (…) Außer diesem Apostolat, das schlechthin alle Christgläubigen angeht, können die Laien darüber hinaus in verschiedener Weise zu unmittelbarerer Mitarbeit mit dem Apostolat der Hierarchie berufen werden. (…) Außerdem haben sie die Befähigung dazu, von der Hierarchie zu gewissen kirchlichen Ämtern herangezogen zu werden, die geistlichen Zielen dienen.“[13]

So kann man es auch ausdrücken: Der Sklave hat die „Befähigung“, zu gewissen Ämtern „herangezogen zu werden“. Solche Passagen entbehren nicht eines gewissen Zynismus, aber auch das ist scheinbar unbemerkt geblieben.
Der Fall ist eindeutig: alle nachkonziliaren Träume von einer Demokratisierung oder einer Re-Spiritualisierung der geistlichen Aufgaben finden sich nicht nur nicht in diesem Dokument, sondern sie sind ausdrücklich ausgeschlossen. Der Laie ist die Infanterie, das Kanonenfutter der Hierarchie im Kampf um die Weltherrschaft. Und wenn der Hl. Geist einen Laien etwa besonders befähigt, wird er an der erwähnten „Prüfung“ durch einen Hierarchen nicht vorbeikommen. Weist die Hierarchie den frei wirkenden Hl. Geist ab, hat er keineswegs die größere Autorität über die menschlich-hierarchische, sondern muss ihr weichen. Ist es das, was Christus „gestiftet“ hat?
Die Marschrichtung ist, wie gesagt, hierarchisch, ständisch, konzeptionell faschistisch: eine selbsternannte Elite, die ihre ökonomischen, politischen und geistlichen Kräfte bündelt, sammelt durch ihr providentielles, quasigöttliches Anführertum die „Gaben“, gerne auch das Geld der Laien, über die sie der Form und dem Inhalt nach und hinsichtlich jeder einzelnen Person („suum cuique“) bestimmt, in ihr „Liktorenbündel“, um am Ende eine Weltherrschaft der Kirche zu erreichen, die als Ziel der Sendung der Kirche behauptet wird. Es wird eine primitive Gleichung aufgestellt: Was Gott will ist immer das, was die Hierarchie will.
Seit 500 Jahren ergab sich durch den vermessenen Versuch alchemistischer und astrologischer Wirrköpfe, bestimmen zu wollen, wie die Gestalt der Erde ausschaut und inwiefern sie damit auch abgeschlossen und begrenzt ist, für die nachreformatorische Machtkirche ein perfekter Anhaltspunkt, die Welt als Ganze in den Griff zu bekommen und zu beherrschen. Die Kirche in der Auseinandersetzung mit Galilei warf ihm nicht vor, dass er von der Lehre des AT abging, sondern dass er keine Beweise geliefert habe für die ansonsten doch sehr willkommene Sichtweise, die er verkündete. Selbstverständlich geschieht dieses machttaktische Vorgehen der Kirche unter der weiteren Schutzbehauptung, auf diese Weise versammle man die ganze Menschheit unter dem einen Hirten Christus… Die Möglichkeit, dass ein Laie von Christus bzw dem Heiligen Geist anders instruiert werden könnte, als es der Hierarchie gefällt, ist ausgeschlossen. Die Perspektive des NT, dass diese Welt einem Ende mit Schrecken entgegen geht und ein perverser Abfall von Gott innerhalb der Kirche vor sich gehen wird, blendet die Kirche vollständig aus in diesen Texten, auch wenn sie parallel dazu nach wie vor die Wiederkunft Jesu bekennt, die die Herrschaft des Antichristen beenden wird. Der große Abfall geschieht nicht ohne Christus, sondern er reißt ein Christus-Konstrukt mit sich. Ein solches Christus-Konstrukt mit großen Schwung also umklammernd erscheint ein solcher Abfall womöglich als Aufbruch, Erneuerung oder „Erweckungsbewegung“. Wir befinden uns, wenn wir nicht ganz genau prüfen, in einem Spiegelkabinett.

Genau diese Marschrichtung, die die Kirche seit mindestens 500 Jahren verfolgt, sollte in einer dementsprechend reformierten Liturgie noch stärker Ausdruck finden als in der erstmalig stark zentralisierten Liturgie Pius V. aus dem 16. Jh. Dass dabei selbstverständlich die Frau grundsätzlich im Rang der „Geführten“ und des „Handlangers“ für die hohen Herren sein muss, wird weiterhin bekräftigt. In einer heidnisch gefärbten „Abbildideologie“ kann sie Gott nicht abbilden und darum auch niemals Priester sein. Man kann in postmodernen theologischen Bestsellern genau diese alte Ideologie in Reinform lesen. So verweist Klaus Berger in seinem Buch „Die Urchristen“, das so etwas wie eine Apologetik des Ständemodells trotz anderer wissenschafticher Erkenntnisse darstellt, auf die frühen „schöpfungstheologischen“ Überlegungen der Kirchenväter, die auf Paulus zurückgehen sollen. Demnach gibt es den Schöpfungsbericht in Gen 1 und den in Gen 2. Es ist geradezu ein Hohn, wenn Berger behauptet, man müsse mit den frühen Vätern den Menschen, den Gott in Gen 1 schafft, „christologisch“ verstehen, also in dem Sinne, dass hier eigentlich nur der eine Christus benannt werde. Im zweiten Bericht in Gen 2 erschafft Gott die Frau aus der Rippe Adams. Und darum bilde vorrangig der Mann Gott ab. Nur einer der beiden Menschen also kann Christus abbilden? Nun unterschlägt Berger ebenso wie die frühen Väter, dass im Bericht in Gen 1 ausdrücklich steht, Gott habe den Menschen zu seinem Abbild geschaffen, und dies „männlich und weiblich“ (Gen 1, 26 ff). Gerade die Stelle in Gen 1 gibt keinerlei Hinweis auf einen seinshaften Vorrang des männlichen Wesens. Es gibt in dieser Stelle nicht einmal ein spezielles männliches Wesen. Es gibt den „Adam“ (hebr. "Mensch"), als ein Wesen in zwei Gestalten, „männlich und weiblich“. Diese Beschreibung in Gen 1 wird übrigens wortgleich in Gen 5, 1 f wiederholt: "Am Tag, da Gott den Menschen erschuf, machte er ihn Gott ähnlich. Als Mann und als Frau erschuf er sie, er segnete sie und nannte sie Mensch an dem Tag, da sie erschaffen wurden." Auch diese Stelle gibt keinerlei Rangfolge zu erkennen, was die Ebenbildlichkeit betrifft! In Gen 2 dagegen, wo der genaueren Umstände der Erschaffung erzählt werden, ist an keiner Stelle von Ebenbildlichkeit die Rede, will hier also nicht auch nicht thematisiert werden. Es ist geradezu abenteuerlich, aus Gen 2 rückzuschließen, dass das, was Gen 1 und Gen 5 aussagen, nicht wahr sei.
Beide bzw alle drei Genesisberichte weisen keinerlei Darstellung einer Rangfolge oder verschiedener Wesen auf, sondern eines Wesens in zwei Gestalten. Dennoch behauptet Berger mit Verweis auf die alte Schriftverzerrung, die er auch bei Paulus erblicken will: „In einer solchen Lektüre Gen 1—2 liegt daher der Schlüssel dafür, dass Jesus Christus nicht durch eine Frau repräsentiert werden kann, sondern nur durch einen Mann. (…) Eine Frau kann Christus nicht direkt repräsentieren.“[14] Berger beeilt sich zu betonen, dass das natürlich keine „bewusste Diskriminierung“ der Frau bedeute, sondern sich schlicht aus Gen 1 ergebe. Liest man aber Gen 1, steht dort das Gegenteil.
Ob es im NT überhaupt um so etwas wie „repraesentatio Christi“ in diesem kultischen Sinne geht, wurde oft und mit vielen Argumenten bezweifelt, die man nicht einfach vom Tisch wischen kann. Eine sehr gründliche und kenntnisreiche, intelligente Studie über die Zuspitzung der Repraesentatio-Ideologie in der römisch-katholischen Kirche verfasste der evangelische Theologe Per Erik Persson 1961 — also noch vor dem Vaticanum II. Er kommt zu dem Schluss, dass das Konzept einer vermittelten Gnade in Sakramenten zwingend zu einer Überspannung des Repraesentatio-Gedankens kommen muss. Das Konzept von „Gnade“ und „Verdienst“ erfordert eine immer schärfere Trennung dessen, was gnadenhaft und was verdienstlich ist. Es ist dieses Konzept, was in der Trennung von Amtsträgern und Laien abgebildet wird. Wenn die sichtbare, institutionelle Kirche der „fortlebende Christus“ sein soll, eine „Verlängerung dessen, was mit der Inkarnation begann“, dann bedarf es tatsächlich einer Repräsentation. Persson zeigt anhand vatikanischer Quellen auf, dass dabei dem Weiheträger eine repraesentatio in zwei Richtungen zukommt. Er repräsentiert sowohl Christus als auch das Volk. Die repraesentatio schafft damit einen halbgöttlichen Zwischenstand.[15] Die verbissene Zuspitzung dieses Modells schreibt er der antiprotestantischen Ambition der katholischen Theologie nach der Reformation zu. Er erblickt im Jahr 1961 auf katholischer Seite ebenso eine Lockerung dieser Verkrampfung, auch die Bereitschaft, überhaupt von den Laien und ihren Aufgaben zu sprechen, aber er sieht klar, dass das niemals zu einer Verwischung der Grenze zwischen Hierarchie und Laien führen wird, wenn die katholische Kirche sich nicht selbst auflösen will. Er zeigt auf, dass die Hierarchie dem Laien der Rede nach Anteil an der prophetischen, könglichen und priesterlichen Funktion zubilligt, dies aber nur um den Preis größerer Unterordnung als bisher. Er analysiert eingehend Lehrschreiben Pius XII. und kommt zu dem Schluss:
„Eine von Laien selbständig betriebene Theologie, die dem Lehramt der Kirche bei- und nicht untergeordnet wäre und von ihr nicht kontrolliert würde, ist eine absolut undenkbare Möglichkeit. Pius XII. betont (…) mit Nachdruck, (…) daß (…) die Unterordnung jeder Art von Laienapostolat unter die göttlich eingesetzte Hierarchie als Selbstverständlichkeit zu betrachten sei. (…) Je intensiver der Laie an der Sendung und Aufgabe der Kirche teilnimmt, desto größer und intensiver wird seine Abhängigkeit und Unterordnung unter die Hierarchie.“[16]
Persson referiert in der Folge dann genau jene Lehre, die wir später in der zweitvatikanischen, dogmatischen Konstitution „Lumen gentium“ finden. Es war also lange vor dem Konzil absehbar, dass sich nichts an der alten Lehre ändern, sondern sie im Gegenteil noch stärker festgezurrt werden würde.

Die Hoffnung vieler erschöpfter Katholiken darauf, dass sich je etwas an diesem Unterwerfungskonzept ändern könnte, ist mit dem Vaticanum II erneut und um ein weiteres erloschen. Ob Frauen oder männliche Laien nun auch „Pastoralreferenten“ oder „Messdiener“ sein dürfen oder Kommunionhelferin oder einmal einen Schrifttext am Ambo vortragen dürfen, ob sie in Pfarrgemeinderäten tönen dürfen, ändert objektiv nichts an der grundsätzlich zuarbeitenden und hörigen Stellung. Auch der griechische Sklave, der den römischen Herrensohn unterrichtete und „belehren“ durfte, wurde dadurch nicht ein Freier. Wir erleben bis heute, wie unerwünschte Entwicklungen ebenso gnadenlos wie zu früheren Zeiten von den Bischöfen und Rom eliminiert oder aus der Kirche getrieben werden. Dass dies gelegentlich auch Kleriker trifft, ändert nichts am Prinzip. Die Kirche opfert für ihr Machtkonzept auch ohne Skrupel ihre lebendigen Heiligen.
Es ist ein Irrtum zu glauben, umfangreichere Aufgabenzuweisungen könnten einen sozialen oder geistlichen Stand verändern. Nur eine bedeutsame Entscheidungskompetenz im Führungsapparat würde den oder die Freie(n) kennzeichnen. Diese Entscheidungskompetenz liegt aber noch rabiater als vor dem Vaticanum II inzwischen ausschließlich beim Klerus. Zuvor konnten tatsächlich gelegentlich Laien und vor allem auch Ordensfrauen sehr hohe Stellungen erhalten — das alles ist seit den Reformen infolge des Vaticanum II ausgeschlossen. Man suggeriert aber in konservativen kreisen, das „Zuviel an Mitsprache“ durch Laien und vor allem Frauen sei schuld an der Kirchenkrise. Objektiv, lehramtlich und auf der rechtlichen Ebene ist das Gegenteil der Fall.
Die aus Sicht der Gläubigen, die — freilich mit einer gewissen logischen Berechtigung — immer noch an der Abrichtung der Katholiken vergangener Tage festhalten, verworrenen Zustände in der Kirche heute sind vielleicht weniger verworren als wir glauben. Der Zustand ist erwünscht und geplant. Warum sonst sollten Päpste sie so zielsicher und ohne Not durch ihre jurisdiktionellen und lehramtlichen Entscheidungen herbeigeführt haben? Auf dem Weg zur totalen Weltherrschaft opfert man auch die überholte Volkskirche zugunsten einer übernationalen neuen, totalitären Struktur, die sich bislang noch verborgen hält, aber erahnbar vorbereitet wird. Viele Gläubige sind mit wahrer Blindheit geschlagen und erkennen nicht, dass an der gegenwärtigen Situation nichts zufällig, sondern alles sorgsam bewacht und gehegt ist, denn die Kirche schlägt sehr wohl hart zu, wenn sie etwas wirklich gar nicht will, gerüchteweise oder aufgrund dubioser Umstände nach wie vor durch Mord und Totschlag.

In der „Konstitution über die Heilige Liturgie“, dem Text „Sacrosanctum concilium“, die das Vaticanum II 1963 als ersten Beschluss herausgab, finden wir dieselben Absichten und Pläne. Es geht um die Sammlung aller Menschen unter einer Herrschaft, nämlich der römischen, die gleichgesetzt wird mit der des guten Hirten Christus:

„Dabei baut die Liturgie täglich die, welche drinnen sind, zum heiligen Tempel im Herrn auf, zur Wohnung Gottes im Geist bis zum Maße des Vollalters Christi. Zugleich stärkt sie wunderbar deren Kräfte, daß sie Christus verkünden. So stellt sie denen, die draußen sind, die Kirche vor Augen als Zeichen, das aufgerichtet ist unter den Völkern. Unter diesem sollen sich die zerstreuten Söhne Gottes zur Einheit sammeln, bis eine Herde und ein Hirt wird.“[17]

Warum baut die Liturgie den heiligen Tempel Gottes auf? Woher diese Meinung? Und wie sollte sie es sein, die dem Geist Gottes eine Wohnung herstellt? Schafft sich der Hl. Geist nicht selbst seine Wohnung in den Gläubigen? Sagte nicht einst Gott zu David, nicht er könne ihm, der doch Gott ist und keinen Tempel braucht, einen Tempel bauen, sondern er, der große Gott, baue dem Menschen einen Tempel aus dem Königsgeschlecht Davids (2. Sam 7, 4 ff), das ewig währen wird? Was soll das heißen, dass die Kirche behauptet, sie selbst baue mithilfe der Liturgie diesen ewigen Tempel?

Die Ausführungen in „Sacrosanctum concilium“ dagegen klingen der menschlichen Eitelkeit verlockend und „richtig“:

Die Mutter Kirche wünscht sehr, alle Gläubigen möchten zu der vollen, bewußten und tätigen Teilnahme an den liturgischen Feiern geführt werden, wie sie das Wesen der Liturgie selbst verlangt und zu der das christliche Volk, "das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, der heilige Stamm, das Eigentumsvolk" (1 Petr 2,9; vgl. 2,4-5) kraft der Taufe berechtigt und verpflichtet ist. Diese volle und tätige Teilnahme des ganzen Volkes ist bei der Erneuerung und Förderung der heiligen Liturgie aufs stärkste zu beachten, ist sie doch die erste und unentbehrliche Quelle, aus der die Christen wahrhaft christlichen Geist schöpfen sollen.[18]

Doch bevor weitergeredet wird, stellt das Konzil klar, wer hier wem etwas zu sagen hat:

„§ 1. Das Recht, die heilige Liturgie zu ordnen, steht einzig der Autorität der Kirche zu. Diese Autorität liegt beim Apostolischen Stuhl und nach Maßgabe des Rechtes beim Bischof. (…)[19]

Es folgen Ausführungen unter der vielsagenden Überschrift:

Regeln aus der Natur der Liturgie als einer hierarchischen und gemeinschaftlichen Handlung (…)“[20]

Die „participatio actuosa“ wird unter dieser Rubrik aufgeführt. Es scheint durch, dass das gesamte liturgische Geschehen ein „heiliges Theater“ ist, das als vollziehende Gebärde einen Eigenwert zu besitzen scheint (inwiefern genau wäre zu fragen), in dem der Laie allerdings keinerlei bestimmende Rolle innehaben kann, sondern ausschließlich die eines Statisten, der nun besser trainiert werden soll, als dies zuvor der Fall war:

Um die tätige Teilnahme zu fördern, soll man den Akklamationen des Volkes, den Antworten, dem Psalmengesang, den Antiphonen, den Liedern sowie den Handlungen und Gesten und den Körperhaltungen Sorge zuwenden. Auch das heilige Schweigen soll zu seiner Zeit eingehalten werden.“[21]

Der solcherart „abgerichtete“ Laie soll die Liturgie v.a. als „Belehrung“ und „Nahrung“ aus der Hand der „Auszeichnungen, die auf dem liturgischen Amt oder der heiligen Weihe beruhen“ annehmen.[22] Indem er vollzieht, wird er indoktriniert. Das „liturgische Leben der Pfarrei“ soll die Beziehung zur bischöflichen Hierarchie vertiefen helfen im Denken und Tun der Gläubigen und des Klerus“.[23]
Die „Liturgische Bewegung“ der ersten Hälfte des 20. Jh wird als „Fügung der göttlichen Vorsehung“ betrachtet, die nun das Konzil aufgreift, um eine liturgische Erneuerung in ihrem Sinne, die sie ohnehin vorgehabt hätte, zu initiieren.[24] Man kann sich ohne Not diese Bewegung aus der Laienschaft heraus zunutze machen für „höhere Ziele“. Doch welche Ziele — neben dem unverhohlenen Weltherrschaftsziel der Kirche — sind das?


[1] Josef Höfer, Karl Rahner (Hg): Lexikon für Theologie und Kirche. Band 4,Freiburg 1960, S. 655 Stichwort „Gemeinschaftsmesse“, vgl. auch
[2] Motu proprio „Summorum pontificum“ kann hier gelesen werden: https://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/letters/2007/documents/hf_ben-xvi_let_20070707_lettera-vescovi.html, (abgerufen am 14.2.2018)
[3] Was ist eigentlich „Cäcilianismus“? Internetauftritt der Peter Heinrich Thielen-Gesellschaft e.V.: http://www.phtg.de/caecilianismus.html, (abgerufen am 14.2.2018)
[4] Die 1861 zuzeiten Pius IX. vom Großvater von Pius XII. ins Leben gerufene Zeitschrift „Osservatore romano“ trägt bis heute dieses Motto „Unicuique suum – non praevalebunt“ und knüpfte damals und heute an die kirchliche Ideologie von der Gottgewolltheit des Ständestaates und der hierarchischen Ordnung der Kirche an. „Jedem das Seine“ stand über dem KZ-Tor von Buchenwald.
[6] Joseph Ratzinger: Der Geist der Liturgie. Freiburg 2006. S. 17f
[7] A.a.O., S. 16
[8] A.a.O. 13
[9] A.a.O. 18
[10] A.a.O. 30
[11] A.a.O. 32
[12] A.a.O. 32
[13] A.a.O. 33
[14] Klaus Berger: Die Urchristen. München 2008, S. 240
[15] Per Erik  Persson: Repraesentatio Christi. Der Amtsbegriff in der neueren römisch-katholischen Theologie. Erschienen in der Reihe „Kirche und Konfession. Veröffentlichungen des Konfessionskundlichen Instituts des Evangelischen Bundes, Band 10. Göttingen 1966, S. 94 ff
[16] A.a.O., S. 101 f
[18] A.a.O. 14
[19] A.a.O. 22
[20] A.a.O. unter Rubrik III Abschnitt B
[21] A.a.O. 30
[22] A.a.O. 32
[23] A.a.O. 42
[24] A.a.O. 43