Donnerstag, 15. März 2018

Die sakramentale Anderwelt der Eucharistie (I) - Sakrale Riten als Medium irdischer ständischer Machtgefüge



Die sakramentale Anderwelt der Eucharistie (I)

I. Sakrale Riten als Medium irdischer ständischer Machtgefüge


Aus der sehr alten Meinung, bei der Abendmahlsfeier, die Jesus den Zwölfen am Abend vor seiner Hinrichtung geboten hat, handle es sich um ein „Opfer“ (sacrificium), ergeben sich alle Probleme der späteren Jahrhunderte. Diese Prämisse hat die gesamte Kirche in ein unlösbares und weitverzweigtes gedankliches Dilemma geführt und ist Ausdruck des verdorbenen Ackers.
Im NT findet sich tatsächlich keine Stelle, die diese gebotene Feier als „Opfer“ kennzeichnet. Die entsprechenden Texte geben nicht im mindesten das her, was die Kirche später hineingelesen hat. Die Rede Jesu, Brot und Wein seien sein Fleisch und Blut, deuten selbst dann, wenn man glaubt, das sei buchstäblich sein Fleisch und Blut, kein rituelles „Opfer“ an.
Ein guter Teil innerkirchlicher Streitigkeiten besteht daher von alters her aus Ritenzerwürfnissen: inwiefern ist  das ein „Opfer“, ab wann werden die natürlichen Gaben zu Fleisch und Blut und wer darf diese „Wandlung“ rituell vollziehen oder herbeibitten. Andererseits muss man fragen, ob der Vorwurf, die Liturgiereform 1970 habe ein „neues“ Verständnis der Eucharistie installiert, der v.a. von Traditionalisten vertreten wird, sachlich überhaupt zutrifft.
Ich möchte mit der letzten Auseinandersetzung unserer Tage beginnen und mich vorsichtig rückwärts durch die Zeit arbeiten. Auf diese Weise hoffe ich, trotz der vorhandenen Verwirrung, ein wenig Klarheit zu bekommen.

Der „novus ordo missae“ geht zurück auf Impulse aus der ökumenisch ausgerichteten Liturgischen Bewegung der ersten Hälfte des 20. Jh und ihres Haustheologen, Romano Guardini, und des Laacher Benediktiners Odo Casel OSB, der in den 20er Jahren seine „Mysterientheologie“ entwickelte, die die Eucharistiefeier als eine Mysterienfeier im antiken Sinne auffasste und deutete. Eine Beziehung zum alttestamentlichen Tempelkult wurde nicht hergestellt. In Maria Laach wurden nach dem 1. Weltkrieg ab 1918 sogenannte „Gemeinschaftsmessen“ gefeiert, die dem heutigen „novus ordo missae“ sehr nahekommen, aber immer noch stark an die überlieferte tridentinische „missa lecta“ gebunden waren. Sie stellen faktisch einen Zwischenschritt zwischen dem „usus antiquior“ und dem „novus ordo“ dar und wurden vom Vaticanum II als Impuls für eine liturgische Erneuerung aufgefasst. Diese „Gemeinschaftsmessen“ waren zunächst seitens Roms nicht gern gesehen.
Mit dem Beginn des Nationalsozialismus 1933 und nach dem Konkordat konnten sie sich im deutschsprachigen Raum jedoch massiv durchsetzen. Die deutschen Bischöfe erklärten 1936 in ihren „Richtlinien zur katholischen Seelsorge“, dass diese Messform sogarfür den Gottesdienst der Jugend kirchenamtlich geboten“ sei.[1]
Es war schließlich der wegen seiner teilweise dem NS-Staat huldigenden Haltung hochumstrittene Kardinal Bertram von Breslau, der von Rom 1943 einen Indult für die Feier der Gemeinschaftsmesse erhielt. Die verworrene Lage des Katholizismus während der 12 Jahre des Nationalsozialismus gibt Fragen auf und lässt erahnen, dass manche Zuordnung, die später vorgenommen wurde, anders gesehen werden müsste: die Gemeinschaftsmesse gehört nicht etwa in einen „linken“ oder „protestantisierenden“, „liberalen“ oder gar (marxistisch) „sozialistischen“, sondern viel eher in einen ultramontanen, korporativ gedachten, faschistisch ausgerichteten Kontext, wenngleich selbstverständlich nicht alle Verfechter dieser Bewegung sich selbst dort verortet sehen wollten, so wie auch heute viele Freunde des „novus ordo missae“ mit der Messreform von 1970 ganz andere ideologische Strukturen verwirklicht glauben, als das in Wahrheit der Fall ist.
Oder anders gesagt: Die Frontlinien der liturgischen Auseinandersetzung spiegeln nicht „traditionelle“ und „protestantische“, nicht „rechte“ oder „linke“ Standpunkte, sondern gehören beide in dasselbe ständische Modell von „Kirche“, das neuere aber führt das ältere in seiner merkwürdigen Verklammerung eines „Sozialismus“ für die „Herde“ und eines knallharten Neofeudalismus für die „Hierarchie“ auf eine ebenso graue wie schillernde Spitze. Das erste beließ den Laien-Gläubigen (noch) in indivualisierter Andacht, das zweite aber fordert ihm gleichgeschaltetes und reguliertes Mittun ab. Durch einen zugelassenen Wildwuchs werden die Menschen im Glauben gelassen, sie hätten hier einige Freiheiten, die sie vorher nicht hatten. Ich werde zeigen, dass das eine Täuschung ist.
Mir ist bewusst, dass diese These viele überraschen, vielleicht ärgern wird.

Am nächsten kommt der Wahrheit wohl — gegen den Strich verstanden — Joseph Ratzinger, Benedikt XVI., mit seiner Meinung, es sei kein wesentlicher Unterschied zwischen der älteren und der neueren Liturgie. Viele der Kontrahenten auf beiden Seiten haben Anstoß genommen an dieser Sicht in seinem Motu proprio „Summorum pontificum“ von 2007 und dem Begleitschreiben an die Bischöfe. Die Kirche kann naturgemäß, wenn man unterstellt, sie müsse überhaupt so etwas wie eine Liturgie bzw. einen Kult haben, nur eine Liturgie, nur einen Kult haben, und niemand kann im Ernst glauben, dass sie, nachdem sie dies einmal so felsenfest und aggressiv etabliert hat, dieses Markenzeichen ihrer Macht einfach aufgäbe! Dieser Kult ist konstitutiv für das gesamte Kirchenbild, das sich seit der konstantinischen Wende immer weiter verfestigt und durchgesetzt hat. Das Machtinteresse der Kirchenmänner wird jeglichen liturgischen oder kultischen Bruch verhindern. Es geht um nichts Geringeres als den selbstreferentiellen Anspruch, sie seien ein „alter Christus“, ein „anderer (zweiter) Christus“, ihm wesenhaft näher und ihn mehr abbildend als jeder andere Gläubige. Die Weihe präge ihnen ein „Wesensmarkmal“ auf, das allen anderen fehlt. Sie wiegeln zwar stets ab, dass sie sich damit über alle anderen stellen und betonen ihre Gleichheit mit dem Volk, aber sie lügen uns an: das Sakrament der Weihe meint objektiv eine substanzielle Erhöhung der Priester über die anderen und schreibt dem Priester das Wesen Jesu mehr zu als anderen Christen. Aber auch die kirchlichen Schreiben zeigen eindeutig, dass es so ist, wie ich es sage (s.u.). Man sagt uns, Jesus habe das so gestiftet. Wer aber das NT danach durchsucht, findet nirgends etwas von einer solchen theokratisch-korporativen Stiftung.
Ob der Gläubige möglicherweise spürt, dass hier geistliche Unstimmigkeiten im Raum stehen, ob er vielleicht ahnt, dass das alles nicht zu Jesus Christus passt, ist eine andere Frage als die, ob die Kirche einen „Bruch“ vollzogen habe. Ich sehe keinen Bruch, und werde das erklären. Die heutigen Änderungen bedeuten nicht zwingend einen Bruch, sondern sind eher bestürzende Zuspitzungen dessen, was bereits keimhaft angelegt war.
Der „novus ordo missae“ ist nach dieser „Logik“ eine Entfaltung dessen, was in der Messe Pius V. bereits begonnen hatte. Nicht von Ungefähr kommt es, dass sowohl Pius V. nach dem Trienter Konzil im 16. Jh, als auch 400 Jahre später Paul VI. nach dem Vaticanum II behauptet haben, sie hätten auf die ältesten liturgischen Vorlagen der Kirche zurückgegriffen. Wenn das wahr wäre, müsste man zurückfragen, was das für Vorlagen gewesen sind.[2] In beiden Fällen aber führten diese ältesten Vorlagen zu einer Messreform und können, vorausgesetzt es handelt sich um dieselben Quellen und vorausgesetzt, sie sind sorgfältig berücksichtigt worden, nicht zu einem konträren Ergebnis geführt haben, auch wenn es manchen so erscheint und darum eine erbitterte und zerstörerische Debatte geführt wird, die maßgeblich durch die Anhänger Erzbischof Marcel Lefebvres (+) und dessen Priesterbruderschaft des hl. Pius X. (FSSPX), Sedisvakantisten und Altrituelle innerhalb der „Amtskirche“ am Leben erhalten wird.

Doch zunächst schauen wir an, was die „Gemeinschaftsmesse“ nach dem einfachen Verständnis vieler sein wollte:
Die Gemeinde sollte wieder — nach der jahrhundertelangen, wachsenden Verdrängung der Gläubigen in die indivualisierte Andacht und eine handgreifliche Scheidung zwischen „Hierarchie“ („heiliger Rangordnung“) und „Herde“ — in das vorausgesetzte „mystische“ Geschehen am Altar als „tätige Teilhaberin“ einbezogen werden. Die Verdrängung der Gläubigen aus dem Geschehen der Messfeier war mit der forcierten ständischen Trennung von Klerus und Laien, aber auch mit der Modifikation des christlichen Gottesdienstes in alter Zeit geschehen. Eine „Schere“, wie man modern sagt, war immer weiter „aufgegangen“. Die Laien wünschten, in Zukunft wieder ihren vermeintlich „urchristlichen“ Platz als „Mysthen“ in der Zelebration des „Pascha-Mysteriums“ zu „zurückzuerhalten“.
Ob allerdings die seitens der Hierarchie gewollten liturgischen Reformbewegungen an der Beseitigung dieses ständischen Missstandes interessiert waren, kann man bezweifeln.
Zunächst ist Vorsicht geboten mit jeglicher Euphorie bezüglich des Begriffes der „participatio actuosa“ (tätige Teilnahme) des Laien am Messgeschehen. Der Begriff taucht amtlich erstmalig in einem Motu proprio Pius X. 1903 auf: „Tra le sollicitudini“. Häufig wird eine Verbindungslinie zwischen Pius X. und der liturgischen Bewegung mit ihren gemeinschaftlichen Anliegen gezogen. Sein Ansatzpunkt scheint der liturgischen Erneuerungsbewegung, die im 19. Jh von Dom Guéranger und Solemnes und dem Cäcilianismus ausging, nahezustehen: Entrümpelung aller in die Messe hineingewachsenen Aktionen und Motive seitens der Völker und ihrer kulturellen Eigenheiten, Rückkehr zur Gregorianik und die Restauration des Lateinischen als alleiniger Liturgiesprache, der Rauswurf aller instrumentalen und modernen harmonischen Kompositionstechniken und die Rückkehr zu den „Alten“, worunter er Palestrina versteht und die radikale Verbannung sämtlicher volkssprachlicher Elemente, selbst der jahrhundertealten deutschen Messgesänge, die niemals ein Problem waren oder verboten worden wären.[3]
Pius X. untersagte jegliche volkssprachliche liturgische Äußerung, obwohl dies seit dem Ende des 16. Jh in der deutschsprachigen Kirche überall üblich und kirchlich auch erlaubt war, schloss Frauen kategorisch aus dem Gesang aus, weil das angeblich „alter Brauch“ sei, schloss jegliches Instrumentalspiel (ausgenommen die Orgel) aus, obwohl in Italien und Österreich Instrumental- und Orchestermessen von allen bedeutenden Tonsetzern, aber auch in den Klöstern, auch den Frauenklöstern (wie in dem „Musik“-Kloster Nonnberg bei Salzburg), seit Jahrhunderten nicht nur in großer Zahl komponiert, sondern auch kirchlicherseits gerne zelebriert wurden, und forderte ein rigoroses ständisches Modell für den Gottesdienst, das die erhöhte Priesterkaste von den Laien abgrenzte und letzteren eine faktisch vollkommen passive, akklamierende Rolle zuordnete, die irreführend als „participatio actuosa“ benannt wurde. Ihre „Teilhabe“ bestand in einer künftig bewussteren, kollektiven kultischen Formung, um danach im Alltag als „Gesendete“ der Hierarchie deren Vorgaben in Familie, Politik und Gesellschaft zu erfüllen. Im Rahmen eines ständischen Modells fiel den Laien die Aktion zu, dem zu huldigen und sich dem zu ergeben, was die Führerkaste ihnen vorgab. Eine „aktive Teilhabe“ im egalitären  Sinne war bei Pius X. jedenfalls nicht gemeint.
Davon kann — anders als es viele glauben — auch nach dem Vaticanum II keinerlei Rede sein, das ausdrücklich weiterhin ein ständisches Modell vertritt, dies aber hinter salbungsvollen Worten verbirgt. Das Vaticanum II verstärkt mehr als jedes Konzil zuvor das klassische „suum cuique“ („Jedem das Seine“), obwohl es im 20. Jh in der Kirche und in der Politik zu schaurig-zynischer Bedeutung gelangt war[4]:

„In der Teilnahme am eucharistischen Opfer, der Quelle und dem Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens, bringen sie das göttliche Opferlamm Gott dar und sich selbst mit ihm; so übernehmen alle bei der liturgischen Handlung ihren je eigenen Teil, sowohl in der Darbringung wie in der heiligen Kommunion, nicht unterschiedslos, sondern jeder auf seine Art. Durch den Leib Christi in der heiligen Eucharistiefeier gestärkt, stellen sie sodann die Einheit des Volkes Gottes, die durch dieses hocherhabene Sakrament sinnvoll bezeichnet und wunderbar bewirkt wird, auf anschauliche Weise dar.“[5]

Die Eucharistiefeier ist eben nicht nur allgemeiner Ausdruck der Gemeinschaft aller Gläubigen, sondern drückt dieser Gemeinschaft einen feudalistischen oder pseudofeudalistischen Stempel auf: Hier agieren Herren und Knechte, auch wenn sie alle dasselbe Brot essen — es ist ganz klar, wer das Brot „herstellt“ („wandelt“), deshalb auch verwaltet und verteilt. Es geht nicht um eine Vielfalt der Gleichen, sondern um Oben und Unten, um Hoch und Niedrig, um „mehr-gottabbildend“ und um „weniger-gottabbildend“.
Es ist angesichts der Tatsache, dass im Vaticanum II entgegen allen Hoffnungen, die auch die Liturgische Bewegung beflügelt haben mögen, unbeirrt das ständische Modell vertreten wurde, fraglich, ob die Liturgische Bewegung diesen Begriff der „participatio actuosa“, die Vorgabe Pius X. verfremdend, nicht irrtümlich „demokratisch“ auffasste. Anders: Man beließ die Laien in einer falschen Hoffnung auf Reform und nutzte ihr Engagement dazu, ein theoretisch noch rigideres Modell ins Werk zu setzen als das, das sie für reformbedürftig hielten.
Joseph Ratzinger schreibt, der „’Kult’, in seiner wahren Weite und Tiefe verstanden“, reiche hinaus über die „liturgische Aktion“. Die „participatio actuosa“ meint also nicht das bloße „aktive“ Mittun während der Messe in Form von Lektoren-, Kommunionhelfer- oder sonstigen Diensten, sondern eine totale Formung des Gläubigen durch die Hierarchie, um dadurch im Auftrag der Führer zum Zwecke einer bestimmten Repräsentanz der Hierarchie in den Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Geltung zu verschaffen, auf die sie naturgemäß weniger Zugriff hätten.

„Er (der Kult, Anm. HJ) umfasst letztendlich die Ordnung des ganzen menschlichen Lebens. (…) Anbetung, die richtige Weise des Kultes, der Gottesbeziehung, ist konstitutiv für die rechte menschliche Existenz in der Welt; sie ist es gerade dadurch, daß sie über das Leben im Alltag hinausreicht…“[6]

Ratzinger will genau dies im Gegensatz zum „Götzendienst“ sehen, der die kultische Gemeinde „innerweltlichen Mächten und Werten“ zuwende und damit die „Freiheit“ zum Verfall bringe.[7]
Nun ist aber schon hier zu fragen, ob er damit das Selbstverständnis der „Götzendiener“ überhaupt richtig referiert oder nicht vielmehr in seinem Sinne beurteilt, und ob sich der kirchliche „Kult“, unvoreingenommen und nüchtern betrachtet, wirklich so essentiell von dem der „Götzendiener“ unterscheidet oder ihm nicht sogar erschreckend ähnlich ist.
Dass man das Amt der Laien keineswegs als ein eigenständiges, selbstverantwortetes Amt auffasst, sondern als einen verlängerten Arm der Hierarchie in alle Winkel des gesellschaftlichen Lebens hinein, belegt auch später die dogmatische Konstitution „Lumen gentium“ des Vaticanum II von 1964. Viel Raum nimmt darin die Erklärung ein, dass sich die Kirche überall ausbreiten müsse und die ganze Menschheit unter einen Hirten zu bringen habe:

„Zum neuen Gottesvolk werden alle Menschen gerufen. Darum muß dieses Volk eines und ein einziges bleiben und sich über die ganze Welt und durch alle Zeiten hin ausbreiten. So soll sich das Ziel des Willens Gottes erfüllen, der das Menschengeschlecht am Anfang als eines gegründet und beschlossen hat, seine Kinder aus der Zerstreuung wieder zur Einheit zu versammeln (vgl. Joh 11,52) (…)“[8]

Man kommt nicht umhin, sich hier an frühe Worte aus der Genesis erinnert zu fühlen, an die Erzählung des Turmbaus zu Babel:

„3 Sie sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als Mörtel.
4 Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis in den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.
5 Da stieg der HERR herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten.
6 Und der HERR sprach: Siehe, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, wenn sie es sich zu tun vornehmen.
7 Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht.
8 Der HERR zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen.
9 Darum gab man der Stadt den Namen Babel, Wirrsal, denn dort hat der HERR die Sprache der ganzen Erde verwirrt und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut.“ (Gen 11)

In der ganzen Heiligen Schrift finden wir nicht einen einzigen Hinweis darauf, dass das „Menschengeschlecht“ in diesem Äon wieder politisch und religiös eins werden soll. Das Pfingstereignis hat für die Christgläubigen die Verwirrung der Sprachen für einen heiligen Moment der „Vorausschau“ aufgehoben, aber, wie wir wissen, nicht bleibend. Christen sind nach wie vor in Nationen geteilt und müssen mühsam fremde Sprachen lernen. Die kommende und perfekte Einheit von Menschen in Christus ist ausgelagert auf das Himmlische Jerusalem. In diesem Äon wird Unkraut neben Weizen, Bock neben Schaf aufwachsen, wie vielfach bezeugt wird. Erst beim Jüngsten Gericht werden sie voneinander endgültig geschieden. Diese Einheit eines Teils des Menschengeschlechtes mit ihrem Herrn wird nicht alle Menschen umschließen. Auch das ist eindeutig und häufig im NT ausgesagt. Es geht also nicht primär um die Einheit des Menschengeschlechtes, sondern um die Einheit der wahren Kinder Gottes mit dem Herrn!
Warum lehrt die Kirche hier eine abweichende Lehre?
Wie stellt sich die Kirche diese irdische Welteinheit vor?
Dies geschieht auf gar keinen Fall „demokratisch“, sondern in demselben ständischen Sinn, der schon zuvor dogmatisch festgelegt worden war:

„Diese Heilige Synode setzt den Weg des ersten Vatikanischen Konzils fort und lehrt und erklärt feierlich mit ihm, daß der ewige Hirt Jesus Christus die heilige Kirche gebaut hat, indem er die Apostel sandte wie er selbst gesandt war vom Vater (vgl. Joh 20,21). Er wollte, daß deren Nachfolger, das heißt die Bischöfe, in seiner Kirche bis zur Vollendung der Weltzeit Hirten sein sollten. Damit aber der Episkopat selbst einer und ungeteilt sei, hat er den heiligen Petrus an die Spitze der übrigen Apostel gestellt und in ihm ein immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft eingesetzt.“[9]

Diese „feierliche Erklärung“ des Dogmas von 1870 kommt einer bestätigenden Verdoppelung der Papstdogmen gleich, eine Aussage, die das Vaticanum II mW keinem anderen Dogma angedeihen ließ.
In langen Kapiteln wird anschließend die Machtstellung der Bischöfe dargelegt. Zu guter Letzt erwähnt die Konstitution auch die Rolle der Laien. Und hier tritt uns wieder das „Jedem das Seine“ entgegen:

„Die geweihten Hirten wissen sehr gut, wieviel die Laien zum Wohl der ganzen Kirche beitragen. Sie wissen ja, daß sie von Christus nicht bestellt sind, um die ganze Heilsmission der Kirche an der Welt allein auf sich zu nehmen, sondern daß es ihre vornehmliche Aufgabe ist, die Gläubigen so als Hirten zu führen und ihre Dienstleistungen und Charismen so zu prüfen, daß alle in ihrer Weise zum gemeinsamen Werk einmütig zusammenarbeiten.“[10]

Dieser Passus drückt entweder ein neofeudalistisches oder geradezu klassisch ein korporativ-faschistisches Ständemodell aus, und es wundert mich, dass das so gar niemandem auffallen wollte. Wie konnte man an einen „Geist des Konzils“ glauben und übersehen, dass dieses Konzil an den entscheidenden Punkten, den quälend empfundenen Weg der „Kirche“ noch fester vertäute, als dies zuvor der Fall war.
Die Unterordnung der Laien unter die Führer-Vorgaben der Hirten wird — unter erneuter, herablassender Behauptung des „suum cuique“ — mehrfach und unbeirrt wiederholt, etwa hier:

Der Unterschied, den der Herr zwischen den geweihten Amtsträgern und dem übrigen Gottesvolk gesetzt hat, schließt eine Verbundenheit ein, da ja die Hirten und die anderen Gläubigen in enger Beziehung miteinander verbunden sind. Die Hirten der Kirche sollen nach dem Beispiel des Herrn einander und den übrigen Gläubigen dienen, diese aber sollen voll Eifer mit den Hirten und Lehrern eng zusammenarbeiten. So geben alle in der Verschiedenheit Zeugnis von der wunderbaren Einheit im Leibe Christi: denn gerade die Vielfalt der Gnadengaben, Dienstleistungen und Tätigkeiten vereint die Kinder Gottes, weil "dies alles der eine und gleiche Geist wirkt" (1 Kor 12,11).“[11]

Man möge mir verzeihen, aber die Parole „Ein Volk - ein Reich - ein Führer“ ist diesem so ungeschminkt verweltlichten kirchlichen Modell keineswegs unähnlich. Und selbstverständlich verschanzt man sich hinter der Schutzbehauptung, die Oberen innerhalb der „Heiligen Rangordnung“ („Hierarchie“) seien „Brüder“ und „Diener“, aber weder formell noch strukturell noch jurisdiktionell sind sie es: sie sind samt und sonders Herren, und es ist eine Konstante der Menschheitsgeschichte, dass Herren niemals freiwillig zu Dienern werden und ihre Privilegien und Machtbefugnisse aufgeben. „Die Brüder“ und „Diener“ haben selbst diese anscheinend so egalitären Titel zu Herrschaftstiteln umgemünzt: nur der Papst darf sich „servus servorum Dei“ nennen seit den Tagen des Mittelalters. Ein Laie darf sich nicht „Diener“ nennen. Laien sind vielmehr die Leibeigenen der „Diener“…
Und als ob es damit noch nicht genug wäre mit der Betonung der Knechtschaft der Laien um der Sammlung unter einem irdischen Hirten willen, geht es in diesem Stil noch autoritärer und anmaßender weiter. Man muss sich vor Augen halten, dass die, die solches prä-dogmatisch„definieren“, sich dreist selbst diese Autorität zusprechen und den anderen huldvoll Unterwerfung und die Rolle als Erfüllungsgehilfen „höherer Interessen“ zuweisen. Der Laie soll Dachshund in den Erdwinkeln sein, an die der Arm der Geweihten nicht hinreicht:

Wie die Laien aus Gottes Herablassung Christus zum Bruder haben, der, obwohl aller Herr, doch gekommen ist, nicht um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen (vgl. Mt 20,28), so haben sie auch die geweihten Amtsträger zu Brüdern, die in Christi Autorität die Familie Gottes durch Lehre, Heiligung und Leitung so weiden, daß das neue Gebot der Liebe von allen erfüllt wird. Daher sagt der heilige Augustinus sehr schön: "Wo mich erschreckt, was ich für euch bin, da tröstet mich, was ich mit euch bin. Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ. Jenes bezeichnet das Amt, dieses die Gnade, jenes die Gefahr, dieses das Heil." (…)[12]
„Der Apostolat der Laien ist Teilnahme an der Heilssendung der Kirche selbst.“ (…) Die Laien sind besonders dazu berufen, die Kirche an jenen Stellen und in den Verhältnissen anwesend und wirksam zu machen, wo die Kirche nur durch sie das Salz der Erde werden kann. So ist jeder Laie kraft der ihm geschenkten Gaben zugleich Zeuge und lebendiges Werkzeug der Sendung der Kirche… (…) Außer diesem Apostolat, das schlechthin alle Christgläubigen angeht, können die Laien darüber hinaus in verschiedener Weise zu unmittelbarerer Mitarbeit mit dem Apostolat der Hierarchie berufen werden. (…) Außerdem haben sie die Befähigung dazu, von der Hierarchie zu gewissen kirchlichen Ämtern herangezogen zu werden, die geistlichen Zielen dienen.“[13]

So kann man es auch ausdrücken: Der Sklave hat die „Befähigung“, zu gewissen Ämtern „herangezogen zu werden“. Solche Passagen entbehren nicht eines gewissen Zynismus, aber auch das ist scheinbar unbemerkt geblieben.
Der Fall ist eindeutig: alle nachkonziliaren Träume von einer Demokratisierung oder einer Re-Spiritualisierung der geistlichen Aufgaben finden sich nicht nur nicht in diesem Dokument, sondern sie sind ausdrücklich ausgeschlossen. Der Laie ist die Infanterie, das Kanonenfutter der Hierarchie im Kampf um die Weltherrschaft. Und wenn der Hl. Geist einen Laien etwa besonders befähigt, wird er an der erwähnten „Prüfung“ durch einen Hierarchen nicht vorbeikommen. Weist die Hierarchie den frei wirkenden Hl. Geist ab, hat er keineswegs die größere Autorität über die menschlich-hierarchische, sondern muss ihr weichen. Ist es das, was Christus „gestiftet“ hat?
Die Marschrichtung ist, wie gesagt, hierarchisch, ständisch, konzeptionell faschistisch: eine selbsternannte Elite, die ihre ökonomischen, politischen und geistlichen Kräfte bündelt, sammelt durch ihr providentielles, quasigöttliches Anführertum die „Gaben“, gerne auch das Geld der Laien, über die sie der Form und dem Inhalt nach und hinsichtlich jeder einzelnen Person („suum cuique“) bestimmt, in ihr „Liktorenbündel“, um am Ende eine Weltherrschaft der Kirche zu erreichen, die als Ziel der Sendung der Kirche behauptet wird. Es wird eine primitive Gleichung aufgestellt: Was Gott will ist immer das, was die Hierarchie will.
Seit 500 Jahren ergab sich durch den vermessenen Versuch alchemistischer und astrologischer Wirrköpfe, bestimmen zu wollen, wie die Gestalt der Erde ausschaut und inwiefern sie damit auch abgeschlossen und begrenzt ist, für die nachreformatorische Machtkirche ein perfekter Anhaltspunkt, die Welt als Ganze in den Griff zu bekommen und zu beherrschen. Die Kirche in der Auseinandersetzung mit Galilei warf ihm nicht vor, dass er von der Lehre des AT abging, sondern dass er keine Beweise geliefert habe für die ansonsten doch sehr willkommene Sichtweise, die er verkündete. Selbstverständlich geschieht dieses machttaktische Vorgehen der Kirche unter der weiteren Schutzbehauptung, auf diese Weise versammle man die ganze Menschheit unter dem einen Hirten Christus… Die Möglichkeit, dass ein Laie von Christus bzw dem Heiligen Geist anders instruiert werden könnte, als es der Hierarchie gefällt, ist ausgeschlossen. Die Perspektive des NT, dass diese Welt einem Ende mit Schrecken entgegen geht und ein perverser Abfall von Gott innerhalb der Kirche vor sich gehen wird, blendet die Kirche vollständig aus in diesen Texten, auch wenn sie parallel dazu nach wie vor die Wiederkunft Jesu bekennt, die die Herrschaft des Antichristen beenden wird. Der große Abfall geschieht nicht ohne Christus, sondern er reißt ein Christus-Konstrukt mit sich. Ein solches Christus-Konstrukt mit großen Schwung also umklammernd erscheint ein solcher Abfall womöglich als Aufbruch, Erneuerung oder „Erweckungsbewegung“. Wir befinden uns, wenn wir nicht ganz genau prüfen, in einem Spiegelkabinett.

Genau diese Marschrichtung, die die Kirche seit mindestens 500 Jahren verfolgt, sollte in einer dementsprechend reformierten Liturgie noch stärker Ausdruck finden als in der erstmalig stark zentralisierten Liturgie Pius V. aus dem 16. Jh. Dass dabei selbstverständlich die Frau grundsätzlich im Rang der „Geführten“ und des „Handlangers“ für die hohen Herren sein muss, wird weiterhin bekräftigt. In einer heidnisch gefärbten „Abbildideologie“ kann sie Gott nicht abbilden und darum auch niemals Priester sein. Man kann in postmodernen theologischen Bestsellern genau diese alte Ideologie in Reinform lesen. So verweist Klaus Berger in seinem Buch „Die Urchristen“, das so etwas wie eine Apologetik des Ständemodells trotz anderer wissenschafticher Erkenntnisse darstellt, auf die frühen „schöpfungstheologischen“ Überlegungen der Kirchenväter, die auf Paulus zurückgehen sollen. Demnach gibt es den Schöpfungsbericht in Gen 1 und den in Gen 2. Es ist geradezu ein Hohn, wenn Berger behauptet, man müsse mit den frühen Vätern den Menschen, den Gott in Gen 1 schafft, „christologisch“ verstehen, also in dem Sinne, dass hier eigentlich nur der eine Christus benannt werde. Im zweiten Bericht in Gen 2 erschafft Gott die Frau aus der Rippe Adams. Und darum bilde vorrangig der Mann Gott ab. Nur einer der beiden Menschen also kann Christus abbilden? Nun unterschlägt Berger ebenso wie die frühen Väter, dass im Bericht in Gen 1 ausdrücklich steht, Gott habe den Menschen zu seinem Abbild geschaffen, und dies „männlich und weiblich“ (Gen 1, 26 ff). Gerade die Stelle in Gen 1 gibt keinerlei Hinweis auf einen seinshaften Vorrang des männlichen Wesens. Es gibt in dieser Stelle nicht einmal ein spezielles männliches Wesen. Es gibt den „Adam“ (hebr. "Mensch"), als ein Wesen in zwei Gestalten, „männlich und weiblich“. Diese Beschreibung in Gen 1 wird übrigens wortgleich in Gen 5, 1 f wiederholt: "Am Tag, da Gott den Menschen erschuf, machte er ihn Gott ähnlich. Als Mann und als Frau erschuf er sie, er segnete sie und nannte sie Mensch an dem Tag, da sie erschaffen wurden." Auch diese Stelle gibt keinerlei Rangfolge zu erkennen, was die Ebenbildlichkeit betrifft! In Gen 2 dagegen, wo der genaueren Umstände der Erschaffung erzählt werden, ist an keiner Stelle von Ebenbildlichkeit die Rede, will hier also nicht auch nicht thematisiert werden. Es ist geradezu abenteuerlich, aus Gen 2 rückzuschließen, dass das, was Gen 1 und Gen 5 aussagen, nicht wahr sei.
Beide bzw alle drei Genesisberichte weisen keinerlei Darstellung einer Rangfolge oder verschiedener Wesen auf, sondern eines Wesens in zwei Gestalten. Dennoch behauptet Berger mit Verweis auf die alte Schriftverzerrung, die er auch bei Paulus erblicken will: „In einer solchen Lektüre Gen 1—2 liegt daher der Schlüssel dafür, dass Jesus Christus nicht durch eine Frau repräsentiert werden kann, sondern nur durch einen Mann. (…) Eine Frau kann Christus nicht direkt repräsentieren.“[14] Berger beeilt sich zu betonen, dass das natürlich keine „bewusste Diskriminierung“ der Frau bedeute, sondern sich schlicht aus Gen 1 ergebe. Liest man aber Gen 1, steht dort das Gegenteil.
Ob es im NT überhaupt um so etwas wie „repraesentatio Christi“ in diesem kultischen Sinne geht, wurde oft und mit vielen Argumenten bezweifelt, die man nicht einfach vom Tisch wischen kann. Eine sehr gründliche und kenntnisreiche, intelligente Studie über die Zuspitzung der Repraesentatio-Ideologie in der römisch-katholischen Kirche verfasste der evangelische Theologe Per Erik Persson 1961 — also noch vor dem Vaticanum II. Er kommt zu dem Schluss, dass das Konzept einer vermittelten Gnade in Sakramenten zwingend zu einer Überspannung des Repraesentatio-Gedankens kommen muss. Das Konzept von „Gnade“ und „Verdienst“ erfordert eine immer schärfere Trennung dessen, was gnadenhaft und was verdienstlich ist. Es ist dieses Konzept, was in der Trennung von Amtsträgern und Laien abgebildet wird. Wenn die sichtbare, institutionelle Kirche der „fortlebende Christus“ sein soll, eine „Verlängerung dessen, was mit der Inkarnation begann“, dann bedarf es tatsächlich einer Repräsentation. Persson zeigt anhand vatikanischer Quellen auf, dass dabei dem Weiheträger eine repraesentatio in zwei Richtungen zukommt. Er repräsentiert sowohl Christus als auch das Volk. Die repraesentatio schafft damit einen halbgöttlichen Zwischenstand.[15] Die verbissene Zuspitzung dieses Modells schreibt er der antiprotestantischen Ambition der katholischen Theologie nach der Reformation zu. Er erblickt im Jahr 1961 auf katholischer Seite ebenso eine Lockerung dieser Verkrampfung, auch die Bereitschaft, überhaupt von den Laien und ihren Aufgaben zu sprechen, aber er sieht klar, dass das niemals zu einer Verwischung der Grenze zwischen Hierarchie und Laien führen wird, wenn die katholische Kirche sich nicht selbst auflösen will. Er zeigt auf, dass die Hierarchie dem Laien der Rede nach Anteil an der prophetischen, könglichen und priesterlichen Funktion zubilligt, dies aber nur um den Preis größerer Unterordnung als bisher. Er analysiert eingehend Lehrschreiben Pius XII. und kommt zu dem Schluss:
„Eine von Laien selbständig betriebene Theologie, die dem Lehramt der Kirche bei- und nicht untergeordnet wäre und von ihr nicht kontrolliert würde, ist eine absolut undenkbare Möglichkeit. Pius XII. betont (…) mit Nachdruck, (…) daß (…) die Unterordnung jeder Art von Laienapostolat unter die göttlich eingesetzte Hierarchie als Selbstverständlichkeit zu betrachten sei. (…) Je intensiver der Laie an der Sendung und Aufgabe der Kirche teilnimmt, desto größer und intensiver wird seine Abhängigkeit und Unterordnung unter die Hierarchie.“[16]
Persson referiert in der Folge dann genau jene Lehre, die wir später in der zweitvatikanischen, dogmatischen Konstitution „Lumen gentium“ finden. Es war also lange vor dem Konzil absehbar, dass sich nichts an der alten Lehre ändern, sondern sie im Gegenteil noch stärker festgezurrt werden würde.

Die Hoffnung vieler erschöpfter Katholiken darauf, dass sich je etwas an diesem Unterwerfungskonzept ändern könnte, ist mit dem Vaticanum II erneut und um ein weiteres erloschen. Ob Frauen oder männliche Laien nun auch „Pastoralreferenten“ oder „Messdiener“ sein dürfen oder Kommunionhelferin oder einmal einen Schrifttext am Ambo vortragen dürfen, ob sie in Pfarrgemeinderäten tönen dürfen, ändert objektiv nichts an der grundsätzlich zuarbeitenden und hörigen Stellung. Auch der griechische Sklave, der den römischen Herrensohn unterrichtete und „belehren“ durfte, wurde dadurch nicht ein Freier. Wir erleben bis heute, wie unerwünschte Entwicklungen ebenso gnadenlos wie zu früheren Zeiten von den Bischöfen und Rom eliminiert oder aus der Kirche getrieben werden. Dass dies gelegentlich auch Kleriker trifft, ändert nichts am Prinzip. Die Kirche opfert für ihr Machtkonzept auch ohne Skrupel ihre lebendigen Heiligen.
Es ist ein Irrtum zu glauben, umfangreichere Aufgabenzuweisungen könnten einen sozialen oder geistlichen Stand verändern. Nur eine bedeutsame Entscheidungskompetenz im Führungsapparat würde den oder die Freie(n) kennzeichnen. Diese Entscheidungskompetenz liegt aber noch rabiater als vor dem Vaticanum II inzwischen ausschließlich beim Klerus. Zuvor konnten tatsächlich gelegentlich Laien und vor allem auch Ordensfrauen sehr hohe Stellungen erhalten — das alles ist seit den Reformen infolge des Vaticanum II ausgeschlossen. Man suggeriert aber in konservativen kreisen, das „Zuviel an Mitsprache“ durch Laien und vor allem Frauen sei schuld an der Kirchenkrise. Objektiv, lehramtlich und auf der rechtlichen Ebene ist das Gegenteil der Fall.
Die aus Sicht der Gläubigen, die — freilich mit einer gewissen logischen Berechtigung — immer noch an der Abrichtung der Katholiken vergangener Tage festhalten, verworrenen Zustände in der Kirche heute sind vielleicht weniger verworren als wir glauben. Der Zustand ist erwünscht und geplant. Warum sonst sollten Päpste sie so zielsicher und ohne Not durch ihre jurisdiktionellen und lehramtlichen Entscheidungen herbeigeführt haben? Auf dem Weg zur totalen Weltherrschaft opfert man auch die überholte Volkskirche zugunsten einer übernationalen neuen, totalitären Struktur, die sich bislang noch verborgen hält, aber erahnbar vorbereitet wird. Viele Gläubige sind mit wahrer Blindheit geschlagen und erkennen nicht, dass an der gegenwärtigen Situation nichts zufällig, sondern alles sorgsam bewacht und gehegt ist, denn die Kirche schlägt sehr wohl hart zu, wenn sie etwas wirklich gar nicht will, gerüchteweise oder aufgrund dubioser Umstände nach wie vor durch Mord und Totschlag.

In der „Konstitution über die Heilige Liturgie“, dem Text „Sacrosanctum concilium“, die das Vaticanum II 1963 als ersten Beschluss herausgab, finden wir dieselben Absichten und Pläne. Es geht um die Sammlung aller Menschen unter einer Herrschaft, nämlich der römischen, die gleichgesetzt wird mit der des guten Hirten Christus:

„Dabei baut die Liturgie täglich die, welche drinnen sind, zum heiligen Tempel im Herrn auf, zur Wohnung Gottes im Geist bis zum Maße des Vollalters Christi. Zugleich stärkt sie wunderbar deren Kräfte, daß sie Christus verkünden. So stellt sie denen, die draußen sind, die Kirche vor Augen als Zeichen, das aufgerichtet ist unter den Völkern. Unter diesem sollen sich die zerstreuten Söhne Gottes zur Einheit sammeln, bis eine Herde und ein Hirt wird.“[17]

Warum baut die Liturgie den heiligen Tempel Gottes auf? Woher diese Meinung? Und wie sollte sie es sein, die dem Geist Gottes eine Wohnung herstellt? Schafft sich der Hl. Geist nicht selbst seine Wohnung in den Gläubigen? Sagte nicht einst Gott zu David, nicht er könne ihm, der doch Gott ist und keinen Tempel braucht, einen Tempel bauen, sondern er, der große Gott, baue dem Menschen einen Tempel aus dem Königsgeschlecht Davids (2. Sam 7, 4 ff), das ewig währen wird? Was soll das heißen, dass die Kirche behauptet, sie selbst baue mithilfe der Liturgie diesen ewigen Tempel?

Die Ausführungen in „Sacrosanctum concilium“ dagegen klingen der menschlichen Eitelkeit verlockend und „richtig“:

Die Mutter Kirche wünscht sehr, alle Gläubigen möchten zu der vollen, bewußten und tätigen Teilnahme an den liturgischen Feiern geführt werden, wie sie das Wesen der Liturgie selbst verlangt und zu der das christliche Volk, "das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, der heilige Stamm, das Eigentumsvolk" (1 Petr 2,9; vgl. 2,4-5) kraft der Taufe berechtigt und verpflichtet ist. Diese volle und tätige Teilnahme des ganzen Volkes ist bei der Erneuerung und Förderung der heiligen Liturgie aufs stärkste zu beachten, ist sie doch die erste und unentbehrliche Quelle, aus der die Christen wahrhaft christlichen Geist schöpfen sollen.[18]

Doch bevor weitergeredet wird, stellt das Konzil klar, wer hier wem etwas zu sagen hat:

„§ 1. Das Recht, die heilige Liturgie zu ordnen, steht einzig der Autorität der Kirche zu. Diese Autorität liegt beim Apostolischen Stuhl und nach Maßgabe des Rechtes beim Bischof. (…)[19]

Es folgen Ausführungen unter der vielsagenden Überschrift:

Regeln aus der Natur der Liturgie als einer hierarchischen und gemeinschaftlichen Handlung (…)“[20]

Die „participatio actuosa“ wird unter dieser Rubrik aufgeführt. Es scheint durch, dass das gesamte liturgische Geschehen ein „heiliges Theater“ ist, das als vollziehende Gebärde einen Eigenwert zu besitzen scheint (inwiefern genau wäre zu fragen), in dem der Laie allerdings keinerlei bestimmende Rolle innehaben kann, sondern ausschließlich die eines Statisten, der nun besser trainiert werden soll, als dies zuvor der Fall war:

Um die tätige Teilnahme zu fördern, soll man den Akklamationen des Volkes, den Antworten, dem Psalmengesang, den Antiphonen, den Liedern sowie den Handlungen und Gesten und den Körperhaltungen Sorge zuwenden. Auch das heilige Schweigen soll zu seiner Zeit eingehalten werden.“[21]

Der solcherart „abgerichtete“ Laie soll die Liturgie v.a. als „Belehrung“ und „Nahrung“ aus der Hand der „Auszeichnungen, die auf dem liturgischen Amt oder der heiligen Weihe beruhen“ annehmen.[22] Indem er vollzieht, wird er indoktriniert. Das „liturgische Leben der Pfarrei“ soll die Beziehung zur bischöflichen Hierarchie vertiefen helfen im Denken und Tun der Gläubigen und des Klerus“.[23]
Die „Liturgische Bewegung“ der ersten Hälfte des 20. Jh wird als „Fügung der göttlichen Vorsehung“ betrachtet, die nun das Konzil aufgreift, um eine liturgische Erneuerung in ihrem Sinne, die sie ohnehin vorgehabt hätte, zu initiieren.[24] Man kann sich ohne Not diese Bewegung aus der Laienschaft heraus zunutze machen für „höhere Ziele“. Doch welche Ziele — neben dem unverhohlenen Weltherrschaftsziel der Kirche — sind das?


[1] Josef Höfer, Karl Rahner (Hg): Lexikon für Theologie und Kirche. Band 4,Freiburg 1960, S. 655 Stichwort „Gemeinschaftsmesse“, vgl. auch
[2] Motu proprio „Summorum pontificum“ kann hier gelesen werden: https://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/letters/2007/documents/hf_ben-xvi_let_20070707_lettera-vescovi.html, (abgerufen am 14.2.2018)
[3] Was ist eigentlich „Cäcilianismus“? Internetauftritt der Peter Heinrich Thielen-Gesellschaft e.V.: http://www.phtg.de/caecilianismus.html, (abgerufen am 14.2.2018)
[4] Die 1861 zuzeiten Pius IX. vom Großvater von Pius XII. ins Leben gerufene Zeitschrift „Osservatore romano“ trägt bis heute dieses Motto „Unicuique suum – non praevalebunt“ und knüpfte damals und heute an die kirchliche Ideologie von der Gottgewolltheit des Ständestaates und der hierarchischen Ordnung der Kirche an. „Jedem das Seine“ stand über dem KZ-Tor von Buchenwald.
[6] Joseph Ratzinger: Der Geist der Liturgie. Freiburg 2006. S. 17f
[7] A.a.O., S. 16
[8] A.a.O. 13
[9] A.a.O. 18
[10] A.a.O. 30
[11] A.a.O. 32
[12] A.a.O. 32
[13] A.a.O. 33
[14] Klaus Berger: Die Urchristen. München 2008, S. 240
[15] Per Erik  Persson: Repraesentatio Christi. Der Amtsbegriff in der neueren römisch-katholischen Theologie. Erschienen in der Reihe „Kirche und Konfession. Veröffentlichungen des Konfessionskundlichen Instituts des Evangelischen Bundes, Band 10. Göttingen 1966, S. 94 ff
[16] A.a.O., S. 101 f
[18] A.a.O. 14
[19] A.a.O. 22
[20] A.a.O. unter Rubrik III Abschnitt B
[21] A.a.O. 30
[22] A.a.O. 32
[23] A.a.O. 42
[24] A.a.O. 43

Dienstag, 12. Dezember 2017

Reflexionen über die Eucharistie



Reflexionen über die Eucharistie

Nachdem mehrere Kommentatoren auf dem „Christlichen Forum“ unter einem Artikel (https://charismatismus.wordpress.com/2017/11/09/dekret-des-erzbischofs-von-brindisi-verhaengt-kirchliche-massnahmen-gegen-seher-mario/) zu einem an sich ganz anders ausgerichteten Thema schließlich beim Thema „Eucharistie“ gelandet sind und über sie intensiv schriftlich „kommuniziert“ haben, habe ich in den vielverzweigten Baumstrukturen dieses Threads völlig den Überblick verloren. Neben der Herausgeberin des Blogs, Felizitas Küble, und einer Posterin mit dem Nickname „Ester“ beteiligte sich der Poster Claus Stephan Merl mit nachdenklichen und suchenden Überlegungen. Herr Merl schrieb mir am Ende noch einen Kommentar, den ich aber bisher nicht beantwortet hatte. Stattdessen aber entspann sich zwischen ihm und „Ester“ ein kleiner Disput. Diesen Disput möchte ich in voller Länge zitieren und anschließend selbst Herrn Merl antworten und interessierte Leser dazu anregen, sich an diesen Reflexionen mit zu beteiligen:
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„Liebe Frau Jüngling,
da müssen Sie sich keinen Vorwurf machen, wenn ich noch nicht so recht mit der Eucharistie weitergekommen bin. Es ist ja auch nicht so, dass ich mein Fragen nicht betend „begleiten“ würde.
Ich knüpfe nochmal an dem Punkt an, dass niemand im Traum daran dachte, oder es auch nur versucht hätte, von Jesu Blut zu trinken oder von seinem Körper zu essen, egal, ob das vor oder nach der Kreuzigung, nach der Auferstehung oder erst recht nach der Himmelfahrt Jesu hätte stattfinden sollen. Wenn Jesus also davon spricht, sein Leib sei eine wahre Speise und sein Blut ein wahrer Trunk, kann er es nicht wortwörtlich meinen.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Wort Jesu, wonach man diverse Gliedmassen sich entfernen solle, die einen zur Sünde verführen wollen. Außer Origenes hat das wohl niemand wirklich praktiziert; und selbst das ist zweifelhaft. Es ist jedenfalls nichts von massenhaften Selbstverstümmelungen der Christen bekannt.
Es gibt also im Hebräischen diese sehr drastischen Ausdrucksformen, die natürlich etwas völlig Wahres transportieren ohne deshalb wortwörtlich gemeint zu sein. Es ist hier bisweilen vom Stilmittel der Übertreibung die Rede. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es dieser Begriff wirklich trifft.
Was also ist die transportierte Wahrheit des „Jesu Fleisch essen und sein Blut trinken“? Vielleicht helfen folgende Überlegungen weiter:
Für mich steht doch das ganze Christ-Sein, die Nachfolge Jesu unter folgendem Vorzeichen:
Um ein wahrer Jünger Jesus sein zu können, muss ich zuerst eine neue Kreatur sein. Mein „alter Mensch“ ist völlig ungeeignet dazu. Es findet also ein Austausch statt. Mein altes Ich stirbt mit Christus am Kreuz, mein neues Ich aufersteht mit ihm. Die Wassertaufe drückt das aus. Dieser „neue Mensch“, das ist „Christus in mir, die Hoffnung der Herrlichkeit“ oder, um es mit Paulus zu sagen: „Nun lebe nicht mehr ich, sondern Christus in mir.“ Das betrifft zunächst nur meinen Geist und muss sich jetzt in mein gesamtes Menschsein; d.h. in meine Seele und meinen Leib hinein „übersetzen“ oder inkarnieren.
Und dieser Prozess der Heiligung oder neudeutsch „Transformation“ ist nur möglich, wenn Christus selbst in mir Gestalt annimmt. Oder anders gesagt: Es kommt zu einer vollständigen Übernahme des Wesens Christi in mir. Jedenfalls so vollständig wie dies auf dieser Seite des Grabes möglich ist. Vollendet wird das natürlich erst mit unserer leiblichen Auferstehung.
Und genau hier kommt die Metapher des „Essens von seinem Fleisch“ und „des Trinkens von seinem Blut“ zum Tragen. Sie beschreibt die Radikalität und Ausschließlichkeit eines Lebens, das danach ausgerichtet ist, Christus widerzuspiegeln. In 2. Kor. 3, 18 wird als Ergebnis des Wandels im Neuen Bund folgendes ausgesagt:
„Wir alle aber schauen mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn an und werden so verwandelt in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, wie es vom Herrn, dem Geist, geschieht.“
Es ist nicht nur die Wiederherstellung unserer Stellung vor dem Sündenfall, als wir ohne Sünde im Bild Gottes erschaffen wurden, sondern geht darüber hinaus bis zur Teilhabe an der göttlichen Natur. Man macht sich oft keinen Begriff davon, was Erlösung in der letzten Konsequenz bedeutet.
Freilich bedarf es unserer Mitwirkung. Nicht in dem Sinn, dass wir irgendetwas aus uns heraus; d.h. aus unserer natürlichen Verfasstheit produzieren oder beisteuern könnten. Nein, es geht um aktives Empfangen dessen, was schon für uns bereit liegt. Oder um es in einem Beispiel zu sagen: Der Ertrinkende in der Wüste, dem plötzlich ein Fremder einen Becher mit Wasser reicht, würde es im Traum nicht einfallen, das Ergreifen des Bechers und das Trinken des Wassers als besondere eigene Leistung anzusehen; geschweige denn zu behaupten, er habe sich damit dass Wasser verdient.
Und so ruft uns Jesus dazu auf, ihn zu essen und zu trinken im Sinne dessen, ihn in seinem Menschsein völlig in einer ständigen und aktiven Bereitschaft zu empfangen. Das ist die einzige Nahrung, die uns das Leben in Christus ermöglicht.
Unser ganzes Leben ist damit eucharistisch und das feiern wir beim Herrenmahl. Das ist der neue Bund, in dem sich Jesus Christus uns vorbehaltlos hingibt, damit wir ihn völlig ergreifen und „verstoffwechseln“. Wie tun das in diesem Mahl selbst wie wir es auch sonst ständig tun sollten.
Diese Interpretation macht für mich im Moment am meisten Sinn.
Folgende Analogie fällt mir dazu ein: Im Ehebund kehren Mann und Frau zu dieser mystischen Einheit zurück, aus der sie entstanden sind. Eva wurde ja aus Adam heraus erschaffen. Das musste sein, damit sie sich erkannten. Der sexuelle Akt bewirkt geistlich real diese Einheit, ob wir es fühlen oder nicht. Deshalb ist sein Missbrauch auch so dramatisch. Sind z.B. meine Frau und ich aber als Ehepaar im Willen des Vaters „ein Fleisch“, dann leben wir das nicht nur dann, wenn wir miteinander schlafen, sondern dann bestimmt das unsere Beziehung.
Ist das Ihrer Meinung nach sinnvoll, Frau Jüngling? Falls nicht, warum nicht?“
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Darauf antwortete „Ester“:

„… genauso ist es, indem wir kommunizieren, kommt das Sein und Wesen Christi in uns hinein, und wir können nur so an seiner, der gottmenschlichen Substanz teilhaben, indem wir eben sein Fleisch und Blut essen.
Und damit das nicht nur im Geist geschieht, sondern real, muss auch notwendig diese Hostie und dieser Wein real und wirklich Fleisch und Blut Christi geworden sein.“
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Darauf antwortete Herr Merl:

„Hallo Ester,
„kommunizieren“ ist ein guter Begriff, auch wenn wir nicht unbedingt das Selbe darunter verstehen. Wenn ich wiedergeboren bin, dann lebt Christus bereits in mir. Und im Geist habe ich mit ihm Gemeinschaft.
Liebe Grüße“
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Darauf antwortete „Ester“:

„Eben nur geht diese Gemeinschaft, zu der wir gerufen sind, über das geistige hinaus.
Das Grundwesen des Katholischen und auch der permanente Stein des Anstoßes ist, dass das Katholische seine Glaubenswahrheiten durchweg körperlich und fleischlich versteht.
Wir heißen nicht nur Kinder Gottes, wir sind es!“
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Darauf antwortete Herr Merl:

„Hallo Ester,
Sie schreiben:
„Das Grundwesen des Katholischen und auch der permanente Stein des Anstoßes ist, dass das Katholische seine Glaubenswahrheiten durchweg körperlich und fleischlich versteht.“
Das möchte ich doch zugunsten des Katholizismus vehement bestreiten. Ich möchte aber nicht ausführlich auf Ihre Wortwahl eingehen, weil – wie ich an anderer Stelle schon mal ausgeführt habe – das Problem darin besteht, dass Katholiken und Nichtkatholiken unter den gleichen Begriffen durchaus nicht das Gleiche verstehen.
Abgesehen davon tasten wir uns hier ja vor und versuchen, es zu vermeiden, endgültige „dogmatische“ Sätze zu formulieren.
Nur ein Hinweis sei mir gestattet:
Der Begriff „fleischlich“ ist im Neuen Testament durchweg negativ besetzt. Er steht im scharfen Kontrast zu „geistlich“. Paulus sagt, wir sollen „geistlich“ gesinnt sein und nicht „fleischlich“, denn der „natürliche“ oder „fleischliche“ Mensch kann und will das von Gott geistgewirkte Leben nicht verstehen und akzeptieren. Ja, er bekämpft es geradezu.
Selbst Jesus, der „im Fleisch“ gekommen ist und ohne Sünde war, wusste: „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“
Aber, wie gesagt, wahrscheinlich haben Sie das nicht gemeint.“
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Darauf schrieb „Ester“:

„… aber Herr Merl genau das ist ja der immerwährende Skandal des Katholischen, dass es darauf besteht, dass das Wort Fleisch geworden ist und als der Auferstandene im auferstandenen Fleisch in den Himmel aufgefahren ist, und das um uns im Fleisch zu erlösen,
Wir werden einen Körper haben, dort, wenn wir bei Gott sein werden!
Richtig ist, aber auch, dass das Fleisch schwach ist und der Geist zwar willig, aber dennoch in diesem Ringen mit dem Fleisch oft erliegt, und wir geistliche Menschen werden sollen und müssen, wenn wir zu Christus gehören wollen,
Aber diese geistlichen Menschen sind keine umherschwebenden Astralkörper, sondern Menschen aus Fleisch und Blut und sollen als solche in die Gemeinschaft der Heiligen kommen
dazu soll ja auch die ganze Schöpfung erlöst werden, auch und wenn, die Gestalt dieser Welt vergehen wird.“
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Nun schaltete sich Felizitas Küble ein:

„Guten Tag,
natürlich ist Christus körperlich auferstanden, sein Leib im Himmel ist derselbe wie einst auf Erden, aber in einem anderen, nämlich einem verklärten Daseinszustand, der nicht mehr den irdischen Naturgesetzen unterliegt. „Fleisch und Blut“ bzw. der menschliche Leib erfährt bei der Auferstehung eine himmlische Verklärung, überirdische Vergeistigung und gottgeschenkte Verherrlichung, ohne deshalb seine Realität zu verlieren.
Das sollte man schon dazusagen!
Freundlichen Gruß!
Felizitas Küble“
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Herr Merl antwortete „Ester“:

„Hallo Ester,
Inkarnation ist keine katholische Spezialität. Bei den Begriffen „Fleisch“ oder „fleischlich“ muss man die Bedeutungsinhalte sehr sauber auseinander halten. “Jesus kommt im Fleisch“ heißt: Er wird Mensch. Daran ist nichts „fleischlich“ in dem Sinn wie Paulus den Begriff verwendet. Entscheidend ist, WORAUS ein Mensch lebt.“
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Zunächst einmal, lieber Herr Merl, hänge ich mich am Begriff „Transformation“ auf. „Transformation“ heißt „Umformung“. Die paulinische Ausdrucksweise, dass Christus in uns Gestalt annehmen werde, bedeutet mehr als nur eine Transformation. Es ist nicht einfach nur eine „Umschichtung“ des vorhandenen Leibes aus der alten Substanz , sondern ein „neuer Mensch“, wie Paulus sagt.
Es ist also eine regelrechte Erneuerung — kein „Upcycling“, um es Neudeutsch zu sagen! Eine Erneuerung im Lebensvollzug, die durch Hinzugabe bestimmter Gegenstände und das Mitwollen des Menschen erreicht wird.
Wenn Paulus uns sagt, „durch den Sohn seien alle Dinge gemacht“, und er sei „der Erbe des Alls“, dann bedeutet das, dass die Gottebenbildlichkeit des Menschen ursprünglich eine direkte Sohn-Ebenbildlichkeit gewesen ist. So zumindest verstehe ich das. Der Mensch hat durch einen Akt der Distanzierung diese Ebenbildlichkeit in ihrer Vollkommenheit verloren. Ist er aber — auf eigenen Wunsch — kein vollkommenes Ebenbild des Sohnes mehr, kann er nicht überleben und muss sterben. Seine Unsterblichkeit bleibt nur intakt, wenn sie sich vollständig aus dem herleitet, „durch den alle Dinge gemacht sind“. Durch die tödliche Wunde der Sünde in Adam aber sind wir alle gezeichnet und können  diese Zeichnung nicht ohne Hilfe überwinden. Das ist unsere Wirklichkeit: wir müssen sterben, weil wir ihn verneinen. Diese Grundhaltung haben wir „in Adam“ alle mitvollzogen. Das ist ein geheimnisvoller Satz, der uns ungerecht vorkommt, aber so wird uns die Sachlage von Paulus erklärt. Sie Vorstellung der Präexistenz ist hier mit im Spiel, wird aber nicht weiter ausgebreitet. Die Menschheit war offenbar in Adam von Anfang an vollständig anwesend. Das Konzept der „Erbsünde“ ist ein missverständliches Vehikel, diese Tatsache plausibel zu machen, hat aber abgeführt und die Sexualität zum Objekt der „Ursünde“ gemacht und in der Kirche einen ungesunden und hysterischen Umgang mit der Sexualität hergestellt. Davon ist aber im NT nicht einmal die Rede (und im AT sowieso nicht)! Die hinzugegebenen äußerlichen und fassbaren Gegenstände und Zeichen der wirklichen Gegenwart Christi, die die Erneuerung in uns notwendig bewirken, sind die Taufe und die Firmung (im katholischen Kontext gerne als „unauslöschliche Wesensmerkmale“ bezeichnet) für alle Christen, im Falle des Weihepriestertums auch die Priesterweihe. Alle anderen Sakramente sind für die einzelne Person nicht heilsnotwendig. Man sagt aber, sie seien für die Kirche im Ganzen notwendig zur Erlangung des Heiles. Es ist insofern eine Hierarchie der Sakramente durchaus erkennbar, und an ihrer Spitze steht die Taufe mit der Firmung.
Nun muss man deutlich unterscheiden, dass die Taufe (Wassertaufe) und die Firmung (Geisttaufe) neutestamentlich in diesem Sinne begründbar sind, das Priestertum allerdings, wenn überhaupt, indirekt und auf theologischen Umwegen, und selbst dann ist sein Konzept nicht so eindeutig wie die beiden Taufkonzepte. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ein guter Teil der Kirchenkrise nicht mit diesem schwer begründbaren Konzept samt seinem Beiwerk wie etwa der zölibatären Lebensform und der absoluten Machtkonzentration hinsichtlich aller Belange der Kirche auf das Weihepriestertum zusammenhängt. Man hat faktisch (nicht zwingend theoretisch) die Wertigkeit der Sakramente verschoben und umgekehrt.
Man hat dass Konzept der Abhängigmachung der Gläubigen vom Priestertum, das im NT in dieser Form nicht nachweisbar ist, so auf die Spitze getrieben, dass ihm nur der Zusammenbruch blieb.
Und den Zusammenbruch erleben wir seit Jahrzehnten in einer schockierenden Deutlichkeit. Aber viele verstehen den Zusammenhang nicht. Ähnlich wie verzweifelte Muslime in Pakistan nicht begreifen können, dass der extreme Islam das Land zugrunde richtet, und durch noch radikaleren Islamismus die Rettung erzeugen wollen, begreifen auch sie nicht, dass die Kirche, da sie doch dem Anschein nach durch einen feudalistischen „Ultramontanismus“ gerettet erschien, trotz allem zusammenbrechen musste und verdächtigen „Freimaurer“ als bekannten „großen Unbekannten“ der bösen Tat. Wir befinden uns in einer surrealen Situation, die direkt auch mit der Frage nach der Eucharistie zusammenhängt.
Jesus selbst sagt zu Nikodemus, einem Mitglied des Sanhedrin, wer nicht neu, „von oben“ geboren werde aus „Wasser und Geist“, der könne „nicht in das Reich Gottes“ kommen (Joh 3). Das ist mehr als nur eine Umformung, das ist eine völlig neue Gestalt, die aber an die je alte auf geheimnisvolle Weise anknüpft. Eine Person fängt tatsächlich noch einmal von vorne an, wird noch einmal geboren. Auf die natürliche Geburt aus dem Fleisch kann keine Erneuerung und keine Erlösung gegründet werden. Dass die Geisttaufe bereits im NT extra verliehen worden sein muss, erkennen wir an Stellen wie in Apg 8, 15 ff, wo es heißt: „Diese zogen hinab und beteten für sie, dass sie den Heiligen Geist empfingen. Denn er war noch auf keinen von ihnen herabgekommen; sie waren nur getauft auf den Namen Jesu, des Herrn. Dann legten sie ihnen die Hände auf und sie empfingen den Heiligen Geist.“  Diese Stelle deutet an, dass eine einfache Wassertaufe vielleicht diese Festigung im Heiligen Geist noch nicht auslöst. Wenn man vielleicht einwenden wollte, dass die betroffenen Leute „nur“ auf den Namen Jesu getauft worden seien und nicht auf die Hl. Dreifaltigkeit, wie Jesus es geboten hatte, muss dem entgegengehalten werden, dass der Text uns nichts über eine etwaige Ungültigkeit der Taufe sagt. Vielmehr scheint man diese Taufe anzuerkennen, aber festzustellen, dass der Hl. Geist noch nicht verliehen worden sei. Und aus der Tatsache, dass es sehr wohl eine Rolle spielt, ob er verliehen wurde, darf man folgern, dass dies auch in der frühen Kirche keine Nebensächlichkeit gewesen sein kann.
Ebenso spricht das Pfingstereignis dafür, dass eine besondere Geistbeseelung, von der Jesus ankündigte, sie verleihe den Jüngern eine „Kraft“ (Apg 1, 8), ausgegossen werde. Die Geistbeseelung in Christus geschieht also im Pfingstereignis frei durch das freie Wirken Gottes und andererseits auch durch Handauflegung. Die Kirche kann nicht ohne an der Realität der Texte vorbeizuargumentieren behaupten, der Hl. Geist könne Menschen nicht jenseits konkreter Sakramente verliehen werden. Es wird sowohl im AT davon berichtet, dass der Geist Gottes über Menschen kommt, wann er will und wie er will,  und das NT hat an dieser Freiheit Gottes nichts geändert. Die Bitte um den Hl. Geist ist demgegenüber eher sekundär, zumal er ja bereits bei der Taufe verliehen wird. Und der, der diese Handauflegung vornimmt, muss selbst die Vollmacht dazu haben, den Hl. Geist zu vermitteln. Ob allerdings diese Vollmacht rein formalistisch und im Extremfall sogar aufseiten des Spenders persönlich glaubenslos als möglich anzusehen ist, geht aus dem NT nicht hervor. Der kirchliche Kniff zu sagen: Der Spender müsse ja nur die rechte „Intention“ haben und das „tun wollen, was die Kirche tut“, ist zwar zur Entlastung der Gläubigen gedacht, die sich andernfalls beständig fragen müssten, ob sie überhaupt recht getauft oder gefirmt worden seien, aber andererseits kann ich nicht verstehen, wie im Fall einer Firmung ein zwar formal bevollmächtigter, aber ungläubiger Mann wollen können soll, was die Kirche tut, wenn er dem doch willentlich entgegensteht. Unglaube ist doch nicht etwas Beiläufiges! Anders als bei der Taufe scheint bei der Firmung doch eine besondere Vollmacht vonnöten zu sein. Die Taufe geschieht auf das Begehren dessen, der getauft wird. Sie wird, vorausgesetzt dabei geschieht die korrekte Form, dadurch gültig. Jeder, selbst einer, der gar nicht weiß, was Taufe bedeutet, darf sie auf Verlangen im Notfall dem Begehrenden spenden. Bei einer Firmung ist das nicht möglich, denn hier wird eine Kraft vermittelt, die aus Gott selbst stammt. Schon hier offenbart sich eine merkwürdige Unsicherheit für den Fall, dass der Spender nicht tun will, was die Kirche tut, also nicht die rechte Intention hat. Man sagt tröstend, man nehme natürlich erst einmal an, dass stets die rechte Intention vorliege, selbst dann, wenn der Spender nicht glaube, wolle er sicher nicht entgegen dem handeln, was die Kirche tue, andernfalls würde er es ja nicht tun, und setzt die Kriterien dazu so tief herab, wie nur möglich, untergäbt damit aber letztendlich die grundsätzliche Vollmacht dessen, der die Firmung spendet. Denn jeder, der halbwegs bei Verstand ist, wird zu recht fragen: Was ist eine Firmspendung wert, wenn sie im Un- oder Fehlglauben des Spenders vollzogen wird? Solche und ähnliche Fragen trieben bereits John Wycliff im 14. Jh und Jan Hus im frühen 15. Jh angesichts eines verheerendes Bildes um, das die Hierarchie abgab. Anders als bei der Taufe ist der Gläubige hinsichtlich der Firmung ja vollkommen passiv und „machtlos“.

Nun muss Ester energisch widersprochen werden insofern, als Jesus in demselben Gespräch mit Nikodemus doch ausdrücklich sagt, aus dem Fleisch könne nichts als nur Fleischliches und damit nur Sterbliches und Verlorenes kommen: „Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; was aber aus dem Geist geboren ist, das ist Geist.“ (Joh 3, 6). Der neue Mensch aber wird nicht mehr aus dem Fleisch geboren, sondern aus „Wasser und Geist“. Was materiell ist, wird hier mit „Wasser“ benannt. Aus Wasser ist die erste Schöpfung gemacht, aus den Urfluten, dem Chaoswasser, dem hebräischen „t’hom“, wie die Genesis 1 berichtet. Der neue Mensch muss das Grab dieses Chaoswassers verlassen und durch „strukturiertes“, „lebendiges Wasser“ gereinigt werden, um ein vollkommenes Geistwesen zu werden. Das Wasser steht für seine leibliche Existenz, aber wie lebendiges Wasser ist die Materie dieses neuen Leibes, auf den wir noch hoffen, biegsam, „flüssig“ und frisch, vollkommenes Vollzugsorgan des Geistes.
Wie es aussieht, gibt es den Worten Jesu zufolge hier keine Schnittstelle! Ganz eindeutig und ohne jeden Zweifel drückt Jesus hier ein Entweder-Oder aus.
Eine zweite Sache tritt Ester entgegen, denn niemals hat die Kirche je behauptet, es handle sich bei der Eucharistie um das nicht-verklärte Fleisch und Blut Jesu Christi. Ester liegt also auch im allgemeinen überlieferten katholischen Kontext — wenn man präzise denken will — nicht richtig. Die Eucharistie ist tatsächlich „geist-leiblich“, also so, wie der erneuerte Mensch sein wird im Himmel, daneben auch göttlich, weil Jesus Christus nicht nur Mensch, sondern auch Gott ist.
Insofern hat Frau Kübles Einwurf hier die richtige Zielrichtung, spricht aber die letzte Konsequenz nicht ganz deutlich aus: dass es eben nicht „Fleisch“ im irdischen Sinne ist, das hier substanziell „gewandelt“ wird, sondern verklärtes Fleisch, das vollkommener Verweser des Geistes ist.
Nun ist seit Trient bzgl. der Eucharistie soviel geschrieben und gelehrt worden, und leider zielte sehr viel davon darauf ab, sich vom konfessionellen Gegner möglichst weit zu distanzieren. Auf diese Weise haben alle sich in ein Extrem verbissen. Protestanten (außer den Lutheranern) wissen teilweise mit dem Abendmahl gar nichts mehr anzufangen. Häufig bestreiten sie sogar, dass es Sakramente überhaupt gebe geschweige denn, dass sie irgendeine Heilsnotwendigkeit besäßen. Manche bestreiten sogar, dass die Taufe heilsnotwendig sei. Da ist nun guter Rat teuer, denn soweit ich das NT verstehe, ist die Taufe sehr wohl heilsnotwendig, mindestens das Verlangen danach (wenn der Vollzug verunmöglicht ist).
Im Evangelikalismus ist das Abendmahl völlig leer, zur überflüssigen Symbolhandlung geworden. Und viele feiern es erst gar nicht mehr oder nur ganz selten und dann ohne eine besondere Zuspitzung, handeln damit aber dem Auftrag Jesu zuwider. Denn wenn Jesus eine rituelle Handlung anweist, dann gewiss nicht deshalb, weil sie doch auch sonst und auf anderem Weg verwirklicht wird. An dieser Stelle müssen sich protestantische Theologien hinterfragen.

Herrn Merls Ansatzpunkt, man „esse“ und „trinke“ doch metaphorisch gesprochen immer den Herrn, wenn man zu diesem Geistwesen verwandelt werde, erinnert mich an solche evangelikale Argumente.
Ja, ja, es stimmt: wir nehmen den Hl. Geist auf und werden dadurch als Einzelpersonen und als Communio (Gemeinschaft) erneuert. Aber ist das dasselbe wie das, was das Abendmahl meint?
Auf der katholischen Seite ist dagegen eine Versinnlichung geschehen, auf die sich Ester gründet und an der Ester festhält. Sie hat sich diese Lehren, die sie vertritt, nicht aus den Fingern gesogen, sondern von irgendwoher übernommen. Die Jesuitentheologie versinnlichte den Glauben über das Maß hinaus, das eingehalten hätte werden müssen. Es ist zwar auf katholischer Seite grundsätzlich richtig, dass man den Menschen als Leibwesen viel stärker einbezieht und berücksichtigt und sogar würdigt. Das ist gut. Aber wenn man beginnt, das, was doch nach der eindeutigen Lehre im NT geistig angelegt ist, nun auch noch zu versinnlichen, teilweise sogar rein fleischlich gedacht, dann wird es problematisch. Diese Problematik weist die spätneuzeitliche Kirche vermehrt nach 500 Jahren Societas Jesu (SJ) wie eine schwärende und verderbliche Wunde auf. Der bigotte Katholizismus dreht sich nur noch um Moral und da v.a. das 6. Gebot (Sex) und alles, was draus folgt, ist dabei aber teilweise schlüpfrig bis hin zur vulgär-pharisäischen Peinlichkeit.
Hinsichtlich der Eucharistie brachte die SJ die Ideologie von der „Seelenspeise“ ins Spiel. Sie war es auch, die vehement für eine sehr häufige Kommunion eintrat, um den Gläubigen damit zur Abhängigkeit vom Kirchgang und der Hierarchie zu erziehen. Man nutzte ein wirkliches und biblisches Gebot Jesu, um die Gläubigen zu entmündigen und von der Hierarchie abhängig zu machen.
Diese Tendenz muss sich schon vor dem Tridentinum abgezeichnet haben. Denn Luther wandte sich explizit in seiner fast unheimlichen Schrift „Von der Winckelmesse und Pfaffenweihe“ von 1533 dagegen. Luther berichtet, wie der Teufel mit ihm in der Nacht über die Priesterweihe, die er selbst ja empfangen hat, disputierte. Der Teufel nimmt hier die Rolle des „advocatus diaboli“ ein und Luther will sehen, ob er nicht sogar recht hat mit seinen Einwürfen gegen die Konstruktion von Hl. Messe und Priestertum: In einem ersten Punkt sagt Luther unumwunden, er sei gar nicht wirklich christgläubig, aber geweiht gewesen und fragt sich, wie er so habe (die Gaben) wandeln können. In einem zweiten Punkt sagt Luther, es sei nach der Beschreibung im NT nicht rechtens, das Sakrament zu wandeln und alleine zu genießen. Immer und ausschließlich werde es gewandelt, um an andere weitergereicht zu werden. Die Eucharistiefeier können nur eine Feier der ganzen Communio sein und bedürfe daher auch der konkreten Communio (Wo zwei oder drei…). Die Schrift zeige uns nicht einen Fall, in dem das anders sei. Er habe sich also als Priester gegen das Gebot Christi vergangen, der selbst ja auch sein Fleisch nicht für sich selbst gegeben habe, sondern für die vielen. Im dritten Gedanken verweist Luther auf das paulinische Wort, man feiere die Eucharistie, um den Tod des Herrn zu verkünden, bis er kommt, und stellt auch hier bei der einsamen Messe des einzelnen Priesters ein Vergehen gegen dieses Gebot Christi fest. Im vierten Gedanken nennt Luther es ein „Greuel“, dass die sakramentalen Gaben nicht vollständig weitergereicht werden (also auch das Blut Christi). Im fünften Gedanken klagt Luther sich selbst an, dass er reiner „Opferpfaffe“ gewesen sei, der damit ein eigenes „Werk“ getan habe anstatt Diener der Gemeinde zu sein, durch die alleine er überhaupt die Vollmacht ausüben hätte dürfen. Durch die Erniedrigung und den Ausschluss der Laien aus dem Priestertum habe er das Opfer Christi verfremdet und an sich gerissen — widerrechtlich. Im weiteren wendet er sich gegen die Praxis, die Hl. Messe unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu feiern und ihre „Früchte“ womöglich irgendwelchen fernen Personen für Geld „zuzuwenden“, Lebenden wie Toten. Für ihn ist das Problem der Bruch zwischen den Gläubigen und dem Klerus, der sich an Christus und seinem Sakrament vergeht. In einem bestimmten Verständnis prangert Luther hier einerseits eine Virtualisierung und magische „Spiritualisierung“ des Messopfers an. Alleine, dass es irgendwo stattfinde, genüge schon, um irgendwo an unabsehbaren Gelegenheiten, seine „Früchte“ zu entfalten, nicht aber mehr zwingend in dem, der die Kommunion leiblich genießt. Ich möchte an dieser Stelle gleich bemerken, dass die Kirche heute Luther in jedem Punkt offiziell zuzustimmen gelernt hat. Freilich lehnen die nun jahrhundertelang anders getrimmten Katholiken der traditionalistischen Färbung dies nach wie vor und vehement ab. Luther nahm Anstoß daran, dass das Sakrament der Eucharistie als einziges Sakrament entgegen der Meinung Christi einsam gefeiert werde, wo doch alle Sakramente nur Sinn in der konkreten (nicht der virtuellen) Gemeinschaft der Gläubigen ergeben. Man könne doch auch die Taufe nicht virtuell feiern und jemandem in Abwesenheit „zuwenden“. Und — Luther wird drastisch — es werde doch auch aus einem Beischlaf mit einer Frau, der man weder versprochen noch sonst irgendwie ausdrücklich verpflichtet ist, keine Ehe, nur weil vielleicht der Beischläfer in seinem Herzen denkt, das sei aber nun für ihn eine Ehe.
Um Luther zu verstehen, muss man sich vor Augen halten, dass er eine enorme Verunsicherung und Verdunkelung der Sakramente wahrnimmt durch die Kirche und ihre Machthaber. Insbesondere die Eucharistie wurde ihres Sinns beraubt, magisch vergeistigt und zugleich total versinnlicht im Sinne eines „Werkes“ des „Opferpfaffen“. Seine verzweifelte Aussage „sola scriptura“ ist ein Notbehelf, nicht ein Ausdruck des „Eigentlichen“. Wo alles genommen wurde, was Christus schenkte, bleibt nur noch das Wort allein, auch wenn das von Christus so nicht gedacht war. Ihm ist sehr wohl bewusst, dass es „eigentlich“ Christi „Wort und Sakrament“ sein müssten, aber er hat jedes Vertrauen in die Hierarchie verloren und die erschütternde Angst, durch die verbogenen und verzerrten Sakramente sogar dem Teufel zu dienen. Luther weiß nicht mehr, ob er Gott oder dem Satan dient, wenn er tut, was die Kirche behauptet, das getan werden müsse und dafür Gehorsam einfordert. Gerade wir heute müssten seine Verfassung doch sehr gut verstehen können! Luther äußert eine wahre Endzeitstimmung in seiner kleinen Schrift:

„Denn auf der Veter leben und thun können wir nicht trawen noch bawen/ Sondern auff Gottes wort allein/ weil Christus vns selbs gar trewlich gewarnet hat/ Matthei am vier vnd zwenzigsten/ das solcher jrthum komen solle/ dar ein auch die ausserweleten verfurt werden mügen/ Vnd da neben setzt/ Wo solche tage nicht verkürtzet würden/ wurde kein mensch selig/ Da zeiget er ja klerlich an/ das vnter den Christen das wort vnd Sakrament vnd Tauffe (durch welche wir müssen selig werden/ vnd sonst nicht) solle so jnn ferligkeit geraten/ das niemand da durch müge selig werden/ Nu haben wir vnter dem Bapstum solche zeit erfaren/ Denn ob wir wol die Tauffe/ Sacrament vnd Wort gehabt/ sind sie doch (wenn wir gros vnd alt worden) durch menschen lere vnd misbreuch so verkeret vnd vertunckelt/das wir vns nicht mehr der selben haben können rhümen/ Sondern haben vns der frembden Messen/ eigen wercken/ Müncherey/ Walfarten/ Heiligen dienst/ vnd der gleichen/ müssen trösten/ nicht anders/ denn wie sich die Türcken vnd Juden/ jrer werck vnd Gottes dienst trösten/ Vnd ist auff solchen des Bapstums verkerung vnd grewel/ aller welt gut gangen/ ob nu die ausserweleten hierin mit verfüret worden sind/ hat sie Gott an jrem ende (wie Sanct Bernhard vnd ander mehr) wol können herausreissen (gleich wie Lot aus Sodom/ vnd die sieben tausent zur zeit Elias/ Darumb auff ir thun und reden/ on Gottes wort/ nichts zu wogen ist/ jnn solcher hohen ewigen sachen.

Ist aber der leib vnd blut Christi da/ So mus jderman sagen vnd bekennen/ das sie die grössesten Gottes diebe vnd Kirchen reuber sind/ so auff erden jhe komen sind/ Denn das Sacrament (wie oben gesaget) ist nach Christus meinung da zu geordent vnd eingesetzt/ das mans sol den andern Christen reichen odder mit teilen/ als eine Communio vnd gemeine speise zur stercke vnd trost jres glaubens/ Das thun vnser Winckelmesser nicht/ sondern nemens vnd behaltens allein (…) vnd verkeuffen sie dar nach (…)“ (Martin Luther: Von der Winckelmesse und Pfaffenweihe, 1533, ohne Seitenangaben)

Bei manchen Kritikpunkten Luthers wird man mit Recht sagen, die Kirche habe versucht, nachzujustieren. Auch scheint die Bemühung der Jesuiten, den Gläubigen stärker zur Teilnahme an der Eucharistiefeier zu binden, dem auf den ersten Blick zu ähneln, was Luther doch als „Meinung Christi“ darlegte. Es ist aber nur der erste Blick. Die jesuitische Theologie führte wohl zur häufigeren Kommunion, änderte aber am Machtmissbrauch über die Eucharistie gar nichts — im Gegenteil: die absolute Macht über das Sakrament und die Marginalisierung der Gemeinde, die doch den Priester überhaupt erst mit der Wandlung beauftragt, ging so weit, dass sie völlig aus dem Blick geriet. Der Priester erfüllte nun nur mehr den Auftrag Roms, nahezu in einem luftleeren Raum. Im Prinzip ist die Gemeinde gar nicht nötig. Und die Hierarchie hüllte sich, wenn nun doch Laien anwesend sein sollten, in das anmaßende Gefühl, sie teile den Gläubigen das „christliche Manna“ als „Seelenspeise“ aus, zu dessen Genuss sie „verpflichtet“ wurden, die Gläubigen aber seien unmündige Empfänger. Unmerklich machte man die Gläubigen von dieser „Seelenspeise“ abhängig, als gäbe es sonst keinen Kontakt zwischen Christus und den Seinen. So konnte Ester schon an anderer Stelle sagen, wir hätten Christus doch nur in der Eucharistie. Man hat diese Auffassung den Gläubigen nahegelegt, aber ist sie wahr?
Und es waren auch die Jesuiten, die die marianische Frömmigkeit bis hin zum Kitschigen und Anstößigen ausbauten, also faktisch eine weitere Hürde zwischen Christus und die Seinen aufbauten. Sie sollten sich an die Gottesmutter wenden und nicht mehr an Christus. Christus wurde ihnen gewissermaßen „in kontrollierten Broteinheiten verabreicht“, sonst aber vorenthalten. Mir ist bewusst, dass das wie eine Überzeichnung klingt, aber wenn man sich die Früchte dieser Theologie ansieht, ist dieser Eindruck nicht von der Hand zu weisen.
Das Konzil von Trient hatte (In „Sacrosancta oecumenica (3)) noch an die Bischöfe die Mahnung ausgegeben, über die Gläubigen nicht zu herrschen und ihnen gegenüber keine Gewalt anwenden, eine entsprechende Mahnung an Päpste unterblieb aber. Zunächst bedeutet eine solche Mahnung an die Bischöfe, dass man ihre Übermachtstellung gegenüber den Gläubigen nicht zu reformieren gedenkt und der Appell nur an ihr Wohlwollen gerichtet wird, ihnen selbst aber, falls sie zuwider handeln, keinerlei Strafe droht, denn man beeilt sich hinzuzufügen, dass niemand von den Gläubigen gegen Entscheidungen der Bischöfe appellieren könne. Man kann also das Lippenbekenntnis zugunsten der Milde gegenüber den „Untertanen“ im wahrsten Sinne des Wortes den „Hühnern geben“, denn es wird ja im weiteren Text bereits gleich wieder ausgehebelt. Zwar wird zugestanden, dass Hierarchen zuweilen schwerste Vergehen vollbringen, aber die Hürde, diese Männer zur Anzeige und Amtsenthebung zu bringen, sind so hoch gesetzt und am Ende der reinen Willkür seitens der Kirche unterworfen (die sich stets vorbehält, ob sie die Zeugen anerkennen will), dass wohl kaum je ein Hierarch wegen Vergehen gegen die Gläubigen sich ernsthaft verantworten musste. Die Tatsache vieler verschleierter Verbrechen seitens der Hierarchie ist ein fernes Resultat des Tridentinums, dessen Rechtssetzungen in der Kirche bis heute in vielen Punkten wirksam und gültig sind. Der postmoderne Pädophilieskandal etwa wäre nach mehreren unter den Teppich gekehrten Jahrzehnten und Jahrhunderten, die er schon währte, und den Verantwortlichen bekannt war, munter weiter betrieben worden, hätte nicht alle Welt darüber Alarm geschlagen. In diesem Falle ist es opportun, sich zu beugen, aber mental und auf einer prinzipiellen Ebene denkt die Kirche nicht daran, sich zu beugen und würde im nächsten Falle ihre Verbrechen wieder vertuschen und ihre Hierarchen schützen. Andernfalls müsste sie ihre Gesetze radikal ändern, was sie aber nicht tut.

In derselben Trienter Sitzung also, in der man über das Altarsakrament konferierte und Beschlüsse fasste, konsolidierte man die autoritäre Macht der Hierarchie gegenüber den Gläubigen.
Luther hatte in seiner kleinen Schrift die große Angst geäußert, dass der Pfarrer in der Stillmesse vielleicht gar nicht wirklich die rechten Wandlungsworte spreche. Niemand außer ihm höre ihn, und nirgends sonst verlasse man sich auf der Welt nur auf einen einzigen Zeugen. Niemand wisse, was er da vorne am Altar wirklich murmle, und niemand könne wissen, ob er sich nicht eines Sakrilegs teilhaftig mache unter solchen Heimlichtuer-Umständen. Luther empfiehlt die geistige Communio in einer Stillmesse, um der Gefahr der Teilhabe an einem Sakrileg zu entgehen.
Man liest Luthers Sätze und stellt sich unweigerlich die Frage, woher er solche Ängste entwickelt hat. Er war selbst katholischer Priester und berichtet uns, was er erlebt hat:

„Vnd wens Gott gleich nicht geboten hette/ das wir eines eintzeln mans wort vnd werck nicht sollten gleuben/ So zwünge uns doch die erfarung vnd not selbs dazu/ auch jnn diesen heimlichen odder Winckelmessen/ Ich bin zu Rom gewest (nicht lange) hab da selbs viel messe gehalten/ vnd auch sehen viel messe halten/ das mir grawet wenn ich dran dencke/ Da höret ich unter andern guten groben grumpen/ vber tissche/ Curtisanen lachen vnd rhümen/ wie ettliche messe hielten (vnd vber dem brot vnd wein sprechen/ diese wort/ Panis es/ panis manebis/ Vinum es/ vinum manebis/ vnd also auff gehaben/ Nu ich war ein junger vnd recht ernster fromer Münch/ dem solche wort wehe thetten/ Was solt ich doch dencken? Was konde mir anders einfallen/ denn solche gedancken? Redet man hie zu Rom frey/ offentlich vber tissche also/ Wie? Wenn sie alzumal/ beide Bapst/ Cardinal/ sampt den Curtisanen also messe hielten? Wie fein were ich betrogen/ der ich von ihnen so viel Messe gehört hette/ Vnd zwar ekelt mir seer da neben/ das sie so sicher vnd fein rips raps kundten Messe halten/ als trieben sie ein gauckel spiel/ Denn ehe ich zum Euangelio kam/ hatte mein neben Pfaff seine Messe aus gericht/ vnd schrien zu mir/ Passa/ Passa/ jmer weg/ kom da von etc.
Nu wissen wir/ das der Curtisanen tugent vnd glauben viel aus Rom und Welschland gebracht/ vnd beide Stifft vnd Pfarren wol da mit beschmeisst sind worden/ Denn wir haben viel ruchloser Thumbherrn (?)/ Vicarien vnd Altaristen gesehen/ die fast eines wildens/ wüsten lebens/ mit schwelgen vnd hurerey tag vnd nacht zu brachten/ vnd dennoch des morgens Messe gehalten haben/ Wer will hie burge da sein/ vnd vns gewis machen/ das sie nicht auch haben auff solche Römische vnd Curtisanische weise Messe gehalten/ vnd vns lassen eitel brod vnd wein anbeten? (…)
Ich bin durch solche exempel/ gebrand/ gewitzigt vnd gewarnet/ das ich nimer mehr will bey solcher Winckelmessen sein/ oder mus ich da bey sein/ so will ich doch jr nichts achten (…) so bleibt mein glaube vnbetrogen/ des bin ich gewis.“ (a.a.O.)

Luther zitiert in diesem Zusammenhang auch, dass Thomas Müntzer frei zugebe, er habe morgens früh den Nonnen Messen halten müssen und aus Übellaunigkeit und Müdigkeit auch gerne mal die Wandlungsworte nicht gesprochen…
Luthers Trauma des Unernstes, der Messe-Sakrilgien und Blasphemien aus dem Munde zahlreicher Weiheträger führt zum generellen, nagenden Zweifel daran, dass ein Priester überhaupt durch das ständige, fast achtlose und so oft übermüdete Messelesen die rechte Intention habe bzw ein Zuhörer gewiss sein könne, dass er die rechte Intention habe. Luthers Zweifel an der Hingabe des gewöhnlichen Priesters entspringt nicht einer theoretischen Erwägung, sondern der eigenen Erfahrung als Priester unter Priestern.
Das Trienter Konzil aber befasste sich trotz der Notwendigkeit weder mit einer Reform des Papsttums, noch mit einer ernsthaften Klerusreform. Man rang sich nur zu einer Residenzpflicht der Bischöfe durch — was für die Kirche eher eine Peinlichkeit darstellt, selbst eine solche Selbstverständlichkeit bisher nicht gewährleistet zu haben.
Die spätere liturgische Reform, auch wenn der Messritus insgesamt von großer Schönheit wäre, wenn er denn im rechten Geist ausgeführt wird, verfestigte die Problematik nur, denn die grundsätzliche Virtualisierung der Hl. Messe wurde nicht aufgegeben.
Die einzige weitreichende Reform des Trienter Konzils im Bezug auf geistliche Personen richtete sich gegen zölibatäre Frauen und in geringerem Maßen auch Ordensmänner : Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Bonifaz VIII., der selbst unter dem Verdacht gestanden war, Häretiker zu sein und eine frauenfeindliche Bulle („Periculoso“) verfasst hatte — ein Verdacht, der bis heute nicht ausgeräumt ist und für den immer noch viel spricht — schikanierte man die Nonnen, Mantellatinnen und freien Beghinen durch eine rabiate „Klosterreform“ („Cum catholica ecclesia“ 1563), schränkte ihre Rechte und Möglichkeiten erheblich ein und verdonnerte sie förmlich zu einer rigiden Klausur. Es ging, wie es scheint, um das regelrechte Wegsperren einflussreicher geistlicher Frauen. Eine Katharina von Siena wäre nach dem Tridentinum nicht mehr möglich gewesen.
Das Reformdekret ist gegenüber anderen Texten dieses Konzils bemerkenswert weitschweifig und ausführlich. Wenn es um die Beherrschung der Frau ging, fand man viele Worte. Wenn es um eine Selbstreinigung der Hierarchie ging, versagten dieselben bis auf ein Minimum.
An der grundsätzlichen Problematik der Praxis der Eucharistiefeiern und des „Verkaufs“ ihrer „Früchte“ hat sich nichts geändert. Man hat allerlei definiert, etwa dies:

„Wenn jemand sagt, Christus im Altarsakramente dargereicht, werde nur geistlicherweise genossen und nicht auch sakramental und wirklich, der sei im Bann.“ (Can 8, Sacrosancta oecumenica (3) 1551)

Oder das:

Wenn jemand leugnet, dass in dem heiligsten Altarsakrament, wahrhaft, wirklich und wesentlich der Leib und das Blut, zugleich mit der Seele und der Gottheit unsers Herrn Jesu Christi und folglich Christus ganz enthalten sei, sondern sagt, er sei in demselben nur, wie in einem Zeichen oder Bilde oder der Kraft nach, der sei im Bann.“ (Can 1, ebenda)

Oder dies:

„Wenn jemand sagt, in dem hochheiligen Altarsakrament verbleibe die Wesenheit des Brotes und Weines zugleich mit dem Leibe und Blute unsers Herrn Jesu Christi und jene wunderbare und einzige Umwandlung der ganzen Wesenheit des Brotes in dem Leib und der ganzen Wesenheit des Weines in das Blut leugnet, indessen nur die Gestalten des Brotes und des Weines verbleiben, welche Umwandlung eben die katholische Kirche sehr passend Transsubstantiation nennt, der sei im Bann.“ (Can 2, ebenda)

Letzterer Kanon betrifft besonders Luthers Erfahrungen, dass die Geistlichkeit diesen Glauben ja selbst oft nicht teile und sich darüber sogar während der Zelebration lustig mache. Die mechanistische, magische Auffassung der Wandlung leistete diesem Missstand Vorschub. Es ist schwerlich denkbar, dass solcher Unernst sich durch konziliare Appelle hätte umkehren lassen. Für Luther liegt das Problem in einer grundsätzlichen Fehlkonstruktion, an der aber nichts geändert wurde. Aber Luther hatte nicht nur ein Problem mit dem Missbrauch der Eucharistie durch einen Klerus, der sie „machen“ muss.
Er litt auch an der Ungewissheit über die rechte Intention des Zelebranten und daran, dass die, die sie nicht haben, am wenigsten zugeben werden, dass sie sie nicht haben. Luthers Antwort lautet: Heilige Messen sollten nur öffentlich und laut vollzogen werden, damit man erfassen kann, dass wenigstens der Wortlaut eingehalten wird. Das Tridentinum hat jedoch in dieser Hinsicht die gesamte Problematik unreformiert gelassen und durch Lippenbekenntnisse, eine Versteifung auf einen bestimmten philosophischen Ansatz (der aus der Schrift in keiner Weise hervorgeht) und eine Zentralisierung der Riten geglaubt, die Unsicherheiten ausräumen zu können.

Was aber geschieht denn bei der Eucharistiefeier, und warum hat Jesus sie eingesetzt, wo er doch andererseits versprochen hat, in unseren Herzen wohnen zu wollen ohne „materiellen“ oder materiell gewandelten Zwischenschritt. Auf diese „Zweiheit“ der Gegenwart Jesu weist Herr Merl hin. Die Geistbeseelung des Menschen ist ja etwas anderes als die Teilnahme an der Eucharistiefeier und kommt frei und in Gottes Souveränität zustande.
Die Erklärungshilfe mithilfe der „Transsubstantiationslehre“ für das eucharistische Wandlungswunder, die mit der Vorstellung operiert, Gegenstände könnten eine Gestalt behalten, ihr eigenes Wesen dabei aufgeben und ein anderes, unsichtbares beherbergen, reizte mit Sicherheit viele Geister schon zum Spott, weil sie dem normalen Menschenverstand so wenig plausibel erscheint wie sie gemessen an einem echten Mysterium als Erklärung angemessen scheint. Die spottenden und lästernden Pfaffen Luthers, die am Altar stehen und den beiden eucharistischen Gaben sagen, dass sie bleiben, was sie sind, resultiert aus dieser mangelnden Plausibilität und der Unzulänglichkeit einer solchen Erklärung angesichts eines Mysteriums.

Die Kirche hat sich durch ihre selbstgewählte Bindung an die heidnisch-griechische Philosophie auf ein bestimmtes Erklärungsmuster über die Dinge festgelegt und selbiges weiterentwickelt, aber nicht überschritten. Alles, was unplausibel oder dem Menschen natürlicherweise unmöglich scheint, hat sie philosophisch in einer bestimmten Weise analysiert, um es hernach, mit diesem Stempel versehen, wieder zusammenzusetzen.
Ein zentraler Begriff ist dabei das „Wesen“ oder die „Natur“. Die Frage stellte sich in mehreren zentralen theologischen Zusammenhängen: Wie kann Gott Mensch werden, wo es sich doch um zwei Wesenheiten oder Naturen handelt? Die Kirche antwortet darauf mit dem Begriff der „hypostatischen Union“: Christus ist eine Persönlichkeit mit zwei Naturen. „Hypostase“ heißt hier „Natur“. In der Trinitätslehre spricht sie von „drei Hypostasen“ des einen Gottwesens. „Hypostase“ bedeutet hier „Person“. Und wie können Brot und Wein zu Leib und Blut Christi werden, wo es doch um zwei verschiedene Wesenheiten geht? Und warum nimmt man in Christus zwei Naturen an, streitet sie aber unter Bannfluch hinsichtlich der eucharistischen Gaben ab? Anders gefragt: Warum ist es theologisch so abwegig, anzunehmen, dass sich auch in den eucharistischen Gaben eine Doppelnatur zusammenfindet, nämlich die der Gaben Brot und Wein und die Christi als Geopferter und Verklärter? Ich gebe zu, dass ich diese Frage aus logischen Gründen stelle, aber selbst nicht lösen könnte und auch niemals verstanden habe, warum die Kirche sie abschlägig beschieden hat. Im aristotelischen Kontext gibt es nämlich keine Gestalt des Gegenstandes, die unabhängig von seinem Wesen sein kann. In dieser Lehre wird jedoch konstruiert, dass in ein und derselben Gestalt das Wesen vollständig ausgetauscht würde, gewissermaßen „rückstandsfrei“. Das Akzidens (Gestalt von Brot und Wein) unterwirft, aus einer bestimmten Perspektive gesehen, die Substanz (Leib und Blut Christi). Wenn Jesus Wasser zu Wein verwandelte, geschah ein zwar wunderbarer, aber nachvollziehbarer Prozess:
Was aussah wie Wasser und schmeckte wie Wasser sah mit einem Male aus wie Wein und schmeckte wie Wein. Aus einem Gegenstand wurde vollständig ein anderer, materiell wie substanziell. Da Materie und Form klassisch argumentiert in Abhängigkeit stehen, kommt bei der Transsubstantiationslehre ein Moment hinzu, dass weit über die aristotelische Begrifflichkeit hinausreicht und den Menschen ratlos zurücklässt: Hier wird etwas, das aussieht wie Brot und Wein und schmeckt wie Brot und Wein zu Leib und Blut Christi, sowohl zu dem geopferten Leib als auch dem bereits verklärten, aber es schmeckt nach wie vor wie Brot und Wein und sieht aus wie Brot und Wein. Anders als auf der Hochzeit zu Kana gibt es für den, der beiwohnt oder kommuniziert, keinerlei fassbaren Hinweis, anhand dessen er überprüfen könnte, ob diese Wandlung überhaupt stattgefunden hat. Das blanke Autoritätsargument ist nicht hinreichend, wie man an der tiefen Unsicherheit Luthers, aber auch seiner zynischen Zeitgenossen („Panis es…“) erkennen kann.
An dieser Lehre stießen sich lange vor Luther aus philosophischen und logischen Gründen einige Theologen, etwa Berengar von Tour im 11. Jh. Viele versuchten, die Eucharistie im Rahmen scholastischer Begriffe nachzuvollziehen, wie etwa auch Savonarola, der darüber einiges schrieb, das aber die Sache kaum verständlicher macht und im übrigen leugnet, dass Christus örtlich in der Hostie sein könne, weil er schließlich örtlich im Himmel sei. In der Hostie und im Wein sei er „sakramentisch“. Was aber ist der Unterschied zwischen einer „örtlichen“ und einer „sakramentischen“ Anwesenheit?
Trient versuchte später, zu präzisieren, was genau bei der Hl. Wandlung geschehe:

„Denn noch hatten die Apostel die Eucharistie (Mt 26,26 u. Mk 14,22) aus den Händen den Herrn empfangen; als er doch schon selber wahrhaft versicherte, dass das, was er darreichte, sein Leib sei; und immer war dieser Glaube in der Kirche Gottes, dass sogleich nach der Konsekration der wahre Leib unsers Herrn und sein wahres Blut unter den Gestalten des Brotes und Weines zugleich mit seiner Seele und Gottheit da sei; der Leib aber zwar unter der Gestalt des Brotes und das Blut unter der Gestalt des Weines, vermöge der Kraft der Worte, derselbe Leib aber unter der Gestalt des Weines und das Blut unter der Gestalt des Brotes und die Seele unter beiden, kraft jener natürlichen Verbindung und Vergesellschaftung, durch welche die Teile Christi des Herrn, der (Röm 6,9) schon vom Tode auferstanden ist und nicht mehr sterben wird, unter sich vereinigt sind; die Gottheit endlich, wegen jener ihrer wunderbaren persönlichen Vereinigung mit dem Leibe und der Seele. Deswegen ist es sehr wahr, das gleichviel unter einer von beiden Gestalten und beiden enthalten ist. Denn Christus ist ganz und unversehrt unter der Gestalt des Brotes und unter jeglichem Teile dieser Gestalt und eben so ganz unter der Gestalt des Weines und unter dessen Teilen da.“ (a.a.O.)

Unweigerlich muss ich an die Debatte denken, die Frau Küble immer wieder eröffnet hat über Fatima und das Engelsgebet von 1916, in dem das durch eine Engelsvision an die drei Kinder offenbarte Gebet davon spricht, der Beter „opfere Leib und Blut und die Gottheit Christi auf“ (die er in „allen Tabernakeln der Welt“ annehmen dürfe), was doch nicht gehe, wo doch nur die Menschheit, nicht aber die Gottheit geopfert werden konnte.
Ich habe wohl verschiedene Male darauf hingewiesen, dass die Formulierung des Engelsgebetes wortwörtlich die tridentinische Formel wiedergibt. Frau Küble hat mir stets eine ähnliche sophistische Antwort gegeben, etwa des Inhaltes, der Trienter Kanon meine ja nicht, dass man eine solcherart konsekrierte Hostie erneut aufopfern könne, sondern nur, dass sie Leib und Blut und die Gottheit Christi enthalte. Dieses Argument mag zwar auf einer gewissen logischen Ebene richtig sein, kommt aber mit der kirchlichen Lehre ins Gehege, an der sich Luther so stark rieb: Solange die Kirche lehrt, man könne die virtuellen „Früchte“ einer Hl. Messe einem unabsehbaren Einsatzort „zuwenden“, muss man auch anerkennen, dass in diesem Akt der „Aufopferung“ (und nichts anderes meint diese Rede des „Früchtezuwendens“) dann auch alles, was in der Hostie steckt, aufgeopfert, also in seiner Frucht zugewandt wird, auch die Gottheit Christi. Frau Küble wies alle Gegenargumente gegen die ihren ab, die ihr zeigen sollten, dass Fatima nicht im Widerspruch zur Lehre der Kirche über die Eucharistie steht, wie sie oft meint, wohl aber natürlich im Gegensatz zu jedem nüchternen Glauben. Man kommt hier in eine Zerreißprobe: Entweder man glaubt die sperrige, mechanistische und das Mysterium zerstörende philosophische Krücke, mit deren Hilfe die Kirche sich erlaubt, ein Mysterium zu entschleiern, oder man hält am verschleierten Mysterium fest und muss zugeben, dass das Engelsgebet aus Fatima unsinnig wirkt. Man kann aber kaum an beidem festhalten. Und dieser Umstand sollte jedem Katholiken, der selbständig denkt, unheimlich sein. Unweigerlich quellen Fragen empor. Quälende Fragen des denkenden Menschen, der noch dazu auch sehr wohl die neutestamentlichen Texte kennt.
Warum versuchte die weströmische Kirche, auf Biegen und Brechen ein Mysterium begrifflich gewissermaßen „maximal präzise“ zu fassen, versuchte sich also an etwas, das in sich selbst zum Scheitern verurteilt ist? Was ein Mysterium ist, wird sich nun einmal nicht in philosophische Begriffssetzungen bannen lassen. Warum hat sie es nicht beim Mysterium belassen und einfach nur gesagt: was immer hier geschieht, es ist ein Mysterium, in dem der wahre Christus auch (aber nicht nur) gegenwärtig ist und uns nährt? Warum blieb man nicht dabei, das zu tradieren, was in den restlichen alten Kirchen überliefert wird, dass nämlich Christus in Brot und Wein auf dem Opferalter „nach der Ordnung Melchisedeks“ anwesend ist,  und die Gaben auf das Gebet der Kirche hin durch die Assistenz des Priesters gewandelt werden? Warum hinsichtlich des Priestertums der Austausch des dienenden Hirtenkonzeptes durch ein „Stellvertreter Christi“-Konzept?
Was ist geschehen, dass heute Orthodoxe schreiben:

„Die Orthodoxe Kirche glaubt, wie auch die Katholische Kirche, an die Realpräsenz Christi im eucharistischen Brot und Wein. Die von den Gläubigen dargebrachten Elemente Brot und Wein werden durch das Herabkommen des Heiligen Geistes als Antwort auf das Gebet der Gläubigen mit dem Bischof (oder in seiner Abwesenheit dem Priester) an der Spitze zum Leib und Blut des Herrn. Dies ist ein Sakrament (Geheimnis, Mysterium), das unser Verstand nicht begreifen kann, das wir aber im Glauben annehmen. Versuche der verstandesgemäßen Erklärung („Rationalisierung“) der Sakramente haben stets zu Häresien und zur Spaltung der Gläubigen geführt. Wir müssen das glauben, was Christus uns dazu gesagt hat, und zwar dass die in der gottesdienstlichen Versammlung konsekrierten Elemente Brot und Wein Sein Leib und Blut sind.“ (http://www.mitropolia-ro.de/index.php/2013-11-26-15-28-18/lehrreiche-worte/261-die-eucharistie-in-der-orthodoxen-tradition)

Sofort erkennt man, dass auch die Orthodoxen Stillmessen ablehnen und die Dominierung der Gemeinde durch das Opferpriestertum ausdrücklich ablehnen. Es ist die Gemeinde, die anwesend ist, im Messkanon der tridentinischen Liturgie wird sie ja korrekt immer noch als die „circumstantes“ benannt, die die eigentlichen „Auftraggeber“ des Priesters sind. Die Liturgie Trients offenbart uns jedoch nicht, welche Lehren an ihr hängen. Äußerlich gesehen ist sie der orthodoxen nicht fremd, sehr wohl aber von der theologischen Deutung her. Kriecht nicht der Verdacht in uns hoch, dass nicht die gebannten und als Häretiker und Schismatiker beschimpften anderen, sondern die katholische Kirche selbst durch ihre — gemessen am Mysterium — intellektualistischen, aber dennoch vulgären Rationalisierungsversuche die ganze Kirche durcheinandergerüttelt und gespalten hat, genauso, wie es das orthodoxe Zitat ausdrückt? Die Frage stellt sich unweigerlich, wenn man ernst nimmt, dass die Eucharistie ein echtes Mysterium ist.
Und was kam von dieser katholischen Lehre bei den einfachen Gläubigen an? Was stellten sie sich vor, wenn sie kommunizierten oder einer Hl. Messe beiwohnten oder vor einem Tabernakel beteten? Lag es nicht in der Natur der Sache, dass sich am Ende ein magisches, versinnlichtes Verständnis bei den Laien einstellte? Und was stellten sich die Philosophen vor, die Priester und Gelehrten? Wie viele glauben denn wirklich daran?!

Wie unklar die Transsubstantiationslehre letztendlich die Frage nach der Realität der Eucharistie ließ, offenbaren spätere Erklärungsversuche, die Rom nicht billigte. Etwa legten die Jesuiten Josef Bayma SJ und der General Pierre Beckx SJ 1875 Anfragen an das Hl. Offizium Erklärungsversuche vor, die das Unverständliche verständlicher machen wollten, allerdings ohne Erfolg. In einem Dekret vom 7. Juli 1875 wurden die Erklärungsversuche verworfen (ASS 11 (1878/79) 606f). Die Anfrage versuchte die unverständliche Lehre, dass eine Substanz ausgetauscht werde, während sie unter einer dem Anschein nach wesenfremden Gestalt bliebe, philosophisch im Rahmen neuscholastischer Winkelzüge zu erhellen, indem sie auf eine Theorie des „Selbststandes“ eines Gegenstandes hinauswollte. Da Brot und Wein keinen Selbststand als Leib und Blut Christi haben könnten, könnten sie nur im Sinne des Selbststandes Christi als sein Leib und Blut aufgefasst werden. Auch der Mensch in Christus stehe ja nicht in sich selbst als solcher, sondern nur aus der Substanz Christi. Die Erklärung wirkt hilflos. Roms Ablehnung erfolgte wie üblich autoritär und ohne Begründung.

In der neueren römischen Theologie wurde der Begriff des „Pascha-Mysteriums“ eingeführt, der auf Odo Casel OSB zurückgeht und das Mysterium wieder betonen wollte. Angesichts der Zustände in vielen Kirchen kann man bezweifeln, dass durch diese neue und interessante Theologie ein Verständnis erwachsen ist. Casels liturgietheologische Gedanken sind tiefschürfend, fordern die Bereitschaft zu einer verantwortliche Reflexion. Durch die jahrhundertealte Entmündigung des Gläubigen wirkt sich die Trägheit der Katholiken hier tödlich aus: die Sammlungen von den „horrores missae“ sind Legion, in denen alles, nur nicht dieses „Pascha-Mysterium“ aufscheint. Man hat verschwommene Vorstellungen von einem Gemeinschaftsmahl, von sozialer Gerechtigkeit und Hilfsbereitschaft, dem pathetischen Friedensgruß, aber ein lebendiger Bezug zum Leib Christi scheint weniger vorhanden.

Was aber soll dieses Mysterium denn darstellen?
Wenn Christus immer mit uns auf geistige Weise verbunden ist, warum dann extra noch einmal die Eucharistie?

Ist es nicht doch einfach nur das, was im Novus Ordo missae gesagt wird:
Priester: Geheimnis des Glaubens.
Gemeinde: Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.
Ist es nicht doch die orthodoxe Vorstellung, dass in diesem zentralen Akt der Kirchenversammlung der Gläubigen der Leib Christi, der die Kirche ja sein soll, aufgebaut wird? Es also nicht um das persönliche und ganz private Seelenheil oder eine private Seelenspeise geht, sondern die des Individuums in der Gemeinschaft des Leibes Christi, des Herrn, der geopfert wurde und bereits auferstanden und verklärt ist, und dem wir aus dem Opfer hier auf Erden hinauffolgen, dies aber niemals einsam? Geht es nicht vor allem um die Repräsentanz des Erlösers, der am Kreuz starb durch die Communio? Wie aber geht das zusammen mit den römischen „Stellvertreter“-Phantasien? Waren Luthers tiefe Bedenken nicht doch gerecht und zutreffend? Hat er nicht doch intuitiv erfasst, was an der römischen Praxis völlig pervertiert war? Und treten wir nicht auf der Stelle und haben in einem halben Jahrtausend nicht geschafft, von hier bis um die nächste geistliche Ecke zu kommen?

Man kann der tridentinischen Liturgie nicht vorwerfen, dass sie diese Grundgedanken verändert hätte, genauso wenig wie man dies dem Novus Ordo vorwerfen kann. Unser Problem ist eine heillose theologische Verwirrung hinter der Liturgie. Es ist der ideologische Wahnsinn, der sich an liturgische Vorgänge und Reformen geknüpft hat und aus dem Leib Christi, zumindest was die katholische Kirche betrifft, ein verwüstetes Schlachtfeld gemacht hat.

Ich breche meine Gedanken hier ab. Es sind fließende Gedanken, die keine Proklamation von etwas sein sollen, sondern der Versuch zu verstehen, in welcher Krise wir eigentlich wirklich sind und warum kaum einer versteht, was in einer Eucharistiefeier wirklich vor sich geht. Ich möchte an Luthers Angst erinnern, dass das Sakrament in einem apokalyptischen Szenario so verzerrt worden sein könnte in der weströmischen Tradition, dass es nicht mehr den Auftrag Christi erfüllt, sondern pervertiert. Er wurde schon vor 500 Jahren von dieser Angst erfasst. Wie viel mehr könnten wir heute besorgt darüber sein, ob wir nicht in einen großen Irrtum hinein erzogen wurden, der nur aufgrund eines läppischen Autoritätsargumentes immer weiter wirkt und nicht mehr gesunden kann.
Wie gesagt: Ich proklamiere hier nichts, sondern es sind quälende Fragen, die aufsteigen und ausgesprochen werden.

Ich freue mich über Mitdenkende und Mitdiskutanten.