In welcher Nachfolge steht die sichtbare, hierarchische Kirche nach dem Selbstverständnis, das in ihr seit mindestens einem Jahrtausend zwar niemals dogmatisch, aber eben doch faktisch in zahlreichen Äußerungen und Einrichtungen dominant werden konnte?
Steht sie in der Kreuzesnachfolge, die bedeutet, dass der Hierarch seine natürlichen Interessen als Mann unter Sünde und auch die vermeintlich "natürlichen", politischen Interessen der Kirche als irdischem Institut vollkommen aufgibt, um den gekreuzigten Herrn sichtbar zu machen?
Wollen diese Männer wirklich, wie Johannes der Täufer, immer mehr verschwinden, damit Christus in ihnen groß und in den Sakramenten objektiv aufscheint und unerschütterliches Zeichen der Treue Gottes ist - aber als der, der in dieser Welt gerade nicht um Macht kämpfte, sondern sein Leben dahingab, um viele zu erlösen, als Opfer? Als das Lamm Gottes?
Christus, der hier nirgends einen Ort hatte, an den er sein Haupt betten konnte?
Ist die Kirche Braut, also wirklich weiblich, in dem Sinne, dass sie gebeugt wird und sich beugen lässt unter die Hand sündhaften maskulinen Dominanzstrebens, das diese verlorene Welt und ihren Fürsten zeichnet, weil Christus, selbst als Mann ins Fleisch gekommen, sich genauso unter die Hand des dominanten Mannes beugen ließ, wie es der Frau als Sündenfolge angesagt war? Er enttäuschte und brüskierte die Erwartungen der damaligen Hierarchie und sogar seiner männlichen Jünger, aber er erfüllte die der Frauen, die ihn ohne spezielle Berufungsgeschichten ganz dicht und wie selbstverständlich umlagerten.
War und ist es nicht ganz so, wie es uns das Protoevangelium der Genesis angekündigt hat?
Wissen wir, dass die Hierarchie der Kirche eine Verfremdung jeder irdischen Hierarchie sein müsste, denn Maria, die Braut, das Weibliche, steht in der Logik des Fürsten der Welt, der die Frau hasst, weil Gott sie an erster Stelle in Feindschaft zu ihm gesetzt hat, unter, philosophisch gesprochen außerhalb und geistig gesprochen über dem Hierarchischen?
Der Herr stellte sich als Mann auf die Seite der Frau in diesem Äon, er nahm ihre "passive Rolle" ein.
Oder erlagen viele der Hirten bis heute dem Wahn, sie müssten als Männer den Fürsten der Welt in diesem Äon ablösen, ja: beerben oder gar mit dessen eigenen Waffen schlagen? Und immer wieder und immer mehr haben diese Männer ihn tatsächlich abgelöst und beerbt und mit seinen Waffen bekämpft - doch zu welchem Preis? Und: haben sie ihn damit wirklich geschlagen? Meinten sie wirklich, sie könnten etwas erreichen, dem der Herr sich doch einst in der Wüste verweigert und was er dem Petrus in dramatischen Worten abgesagt hatte, als er aus seinem ersten Jünger für Momente den Satan sprechen hörte? Der irdische Acker der civitas Dei steht jedenfalls heute zweifelsfrei und schmerzlich voller Unkraut, wie es uns angekündigt wurde.
Das Streben vieler in der Kirche nach Ablösung des Fürsten der Welt in der irdischen Macht ist die tiefste Ursache unserer Verwirrung in ihren mannigfachen, unübersichtlichen Spielarten.
Ist dies ein Aspekt des Geheimnisses des Bösen, das immer mehr offenbar werden soll?
Horologium musicum et poeticum. Aliquando Dominus parietes temporum in aeternum verrerit .
Sonntag, 17. Juli 2016
Donnerstag, 16. Juni 2016
Apostolae apostolorum II: Eine namenlose Prophetin des Königreiches Christi
II. Die Salbung
des Herrn: Die namenlose Prophetin
Die Frau, die man
in der Kirche gerne mit Maria Magdalena identifizierte, mit einer „Hure“ also, obwohl
dafür keinerlei sachlicher Grund gegeben ist, wird in den Evangelien in drei bzw.
vier verschiedenen Berichten genannt.
Es handelt sich
um die Geschichte von der „Salbung Jesu in Bethanien“. Die Erzählung findet
sich sowohl bei Matthäus (Mt 26, 6ff), als auch bei Markus (Mk 14, 3ff), als
auch bei Lukas (Lk 7, 36). Eine ähnliche Geschichte weist das
Johannes-Evangelium (12, 1ff) auf.
In den synoptischen Evangelien ist Jesus zu Gast bei einem Mann namens Simon, der
zweimal als (ehemaliger) „Aussätziger“ bezeichnet wird (Matthäus, Markus),
einmal als „Pharisäer“ (Lukas). Jesus ist dort zu Tisch eingeladen. In allen
Erzählungen tritt eine Frau ein, die in der Hand ein Alabastergefäß mit
kostbarem Salböl trägt und Jesus damit salbt. In allen Berichten wird die Frau
von den männlichen Jüngern hart kritisiert für die Salbung Jesu, vom Herrn
selbst aber verteidigt.
Unterschiede
bestehen
1. hinsichtlich
des Ortes, der nur bei Matthäus und Markus das Haus des Simon in Bethanien ist.
Bei Lukas wird der Ort nicht genannt. Im Johannes-Evangelium wird zwar
Bethanien genannt, aber das Haus der Geschwister Maria, Martha, Lazarus und
nicht das des Pharisäers Simon.
2. hinsichtlich
des Körperteils Jesu, der gesalbt wird. Bei Matthäus und Markus ist es der Kopf
Jesu bzw. sein Haar. Bei Lukas sind es die Füße. In der ähnlichen Geschichte in
Johannes 12 salbt Maria ebenfalls Jesu Füße.
3. hinsichtlich
der Begründung des Unwillens der männlichen Jünger: Bei Lukas ist Simon
unwillig, weil die Frau eine stadtbekannte Sünderin sei und Jesus sich durch
ihre Berührung unrein gemacht habe. In den anderen Evangelien argumentieren
Jünger damit, es sei Verschwendung, ein so teures Öl zu dieser Salbung zu
verwenden, und man hätte dafür viel Geld bzw. 300 Denare erhalten und den Armen
schenken können.
4. hinsichtlich
des Standes der Frau: Während sie bei Matthäus und Markus als anonyme Frau
auftritt, im Johannes-Evangelium die Salbende die Gastgeberin Maria ist,
berichtet nur das Lukasevangelium, dass der Pharisäer Simon sie als „Sünderin“
betitelt, die in der ganzen Stadt bekannt sei.
Man kann bezweifeln,
ob es sich bei den Erzählungen in den synoptischen Evangelien um ein und
dieselbe Begebenheit handelt. Der Grund liegt darin, dass im Lukas-Evangelium
die Begebenheit sehr früh berichtet wird. Sie fällt in die Zeit, in der Jesus
im Land unterwegs ist und zum Befremden vieler frommer Juden mit den Sündern
keinerlei Berührungsängste aufweist. Johannes der Täufer scheint zu dieser Zeit
ebenfalls noch aus dem Kerker heraus zu wirken (Lk 7, 18 ff). In den
Erzählungen bei Matthäus und Markus dagegen findet das Zusammentreffen Jesu mit
der Frau wenige Tage vor seinem Tod statt. Bei Matthäus sagt Jesus selbst, „in
zwei Tagen“ beginne das Pessachfest, und da werde er gekreuzigt werden (Mt 26,
2). Auch Markus beginnt seinen Bericht über die Salbung Jesu mit dem Hinweis,
es sei zwei Tage vor Pessach gewesen. Die Erzählung im Matthäus- und Markus-Evangelium weist daher die größten Übereinstimmungen auf, und auf sie
will ich mich im Folgenden konzentrieren. Die Erzählung im Johannes-Evangelium
hat zwar ähnliche Züge, kann aber alleine schon aufgrund der völlig
verschiedenen Gastgeber und Namen nicht „objektiv“ dieselbe Geschichte sein.
Der Gedanke liegt selbstverständlich nahe, dass alle vier Erzählungen aus einem
und demselben Gut schöpfen. Ob die „Sünderin“ Maria von Bethanien sein könnte,
ließe sich zur Not aus den Evangelien rekonstruieren, nicht aber die
Identifikation mit der Lieblingsjüngerin Jesu. Eine Verbindung dieser vier
Erzählungen zu Maria Magdalena gibt es im Neuen Testament nicht. Als Salbende
tritt Maria Magdalena vielmehr erst auf, als Jesus im Grab ist. Früh am Morgen
eilt sie zum Grab und will den Leichnam salben (Mk 16, 1). Es spricht nichts
dagegen, dass Jesus mehrfach in verschiedenen Situationen durch Frauen gesalbt
wurde.
Die namenlose
Frau, die nach Matthäus und Markus auf das Gastmahl bei Simon, dem Aussätzigen
kommt, ist symptomatisch für die Geschehnisse um den Opfertod Christi.
Es ist eine Frau,
die eine Schlüsselrolle innehat. Ihre Anonymität lässt sie als exemplarisch für
die Frau überhaupt erscheinen. Sie tritt offenbar überraschend und ungebeten ein
und salbt das Haupt Jesu. Dem Unwillen der Jünger begegnet Jesus mit dem
Hinweis darauf, dass diese Frau etwas Prophetisches getan habe: sie habe ihn
für sein Begräbnis gesalbt. Und wo das Evangelium verkündigt werde, werde man
ihrer Tat gedenken.
Was bedeutet das?
Die Frau, die man
im Judentum aus allem Heiligen und aus der Beschäftigung mit der Thora ausgegrenzt
hat, tritt hier also ungebeten ein – ein Rabbi und (wahrscheinlich) ein
Pharisäer hatten sich getroffen. Die Frau tritt einfach hinzu. Während Jesus Männer
ausdrücklich berief, ist bei keiner einzigen Frau davon die Rede. Sie hängen
sich von sich aus an Jesus oder treten einfach ungebeten hinzu. Und der Herr
lässt sie kommen und steht dafür ein, dass sie es dürfen. Ähnlich wie bei den
verachteten Kindern wehrt er den Unwillen der Männer ab, denen eher so etwas
wie ein „Arkanprinzip“ vorschwebt: „Die
Jünger aber wiesen die Leute schroff ab. Doch Jesus sagte: Lasst die Kinder zu
mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das
Himmelreich.“ (Mt 19, 13b+14)
„Talium est enim regnum cælorum.“ – „Solchen gehört nämlich das Himmelreich.“ Solchen - das kann man auch auf die Frauen übertragen...
Die Frau tritt
also überraschend, ungebeten und absolut zielstrebig ein. Sie weiß ganz genau,
was sie vorhat. Doch welches Motiv könnte sie haben?
Salbungen mögen
kosmetische Zwecke gehabt haben, aber diese Situation hat keine Merkmale einer „Badezimmer“-
oder „Beauty-Salon-Situation“. Rituelle
und auch überraschende Salbungen gebühren nur Königen und Propheten.
Der „Gesalbte“,
der „Maschiach“, dessen griechische Übersetzung „Christus“ lautet, ist ein
Gesandter oder Erwählter Gottes, ja, sogar der erwartete Retter der Welt.
Diese
Salbung Jesu erinnert in ihrer Plötzlichkeit an die, die einst der Prophet
Samuel auf Geheiß des Herrn an dem Knaben David vollzogen hatte. In 1. Samuel
16 wird uns berichtet, wie Samuel vom Herrn gesandt ins Haus Isais eintritt,
die Leute auffordert, sich mit ihm auf ein Opfer vorzubereiten. In einem
inneren Dialog zwischen Gott und Prophet wird ihm angewiesen, nach einem etwa
noch nicht aufgetretenen weiteren Isai-Sohn zu fragen. Man lässt den jungen
David von der Schafweide holen. Gott gibt Samuel ein, diesen zum König zu
salben. Der Prophet macht auch hier keine weiteren Umstände und salbt David inmitten
der Familie kurzerhand zum König.
Diese Situation
steigt auf, wenn man die Geschichte von der Salbung in Bethanien liest.
Die
Frau tritt ein, trägt ein geradezu sündhaft teures Salböl in der Hand und
vollzieht ohne langes Federlesens das, was keiner der Männer, auch nicht des
Zwölferkreises, für nötig befunden hätte, nämlich die Salbung Jesu zum König
und Retter. Sie spricht kein Wort. Sie vollzieht gestisch, was keiner öffentlich
zu sagen wagt:
Dieser ist der Gesalbte des Herrn, er ist der Herr und König
über des All, denn alles ist durch ihn gemacht.
Seine Salbung ist
hier eine Salbung zum wahren König der Welt, zum verborgenen König, und es ist
symptomatisch, dass nicht irgendein stolzer, hochgestellter Mann diese Salbung
Jesu für das verborgene Reich Gottes vornimmt, sondern eine Frau, deren Name
uns nicht einmal bekannt ist.
Wie es die Gottesmutter im Magnificat schon sagt:
Die Niedrigen erhebt er, die Mächtigen stürzt er, die, die den Luxus innehaben,
die stürzt er, an allen Schlüsselstellen wendet sich der Herr zuerst an eine
Frau: er lässt sich durch die niedrige Magd gebären, er offenbart zuerst der
Elisabeth, wen Maria im Leib trägt, er erscheint zuerst Maria Magdalena und anderen Frauen am Grab,
und er lässt sich von einer Frau zum verborgenen König salben. Damit wird das
gesamte antike System vor den Kopf gestoßen.
Die Geschichte hat allerdings neben dieser ersten Tiefenschicht noch eine
zweite, darunter liegende Tiefenschicht: Der Herr wird getötet werden und die
Salbung ist auch die für einen, der zu Grabe getragen wird. Das sagt er selbst
den Jüngern: „Sie hat im voraus meinen
Leib für das Begräbnis gesalbt.“ (Mk 14, 8)
Mit der Salbung Jesu zum König in diesem Äon und mit den kostbarsten
Mitteln dieses Äons also wird auch zugleich sein Tod angesagt. Es ist tiefgründig,
was hier erzählt wird und passt zum Machtverzicht Jesu, als er der Versuchung
zur Macht in der Wüste widerstand:
Jesus ist der König des Alls, weil durch ihn alle Dinge gemacht sind, aber er stirbt der pervertierten Macht in dieser Welt, ja, er geht an ihr und mit ihr förmlich zugrunde. So erhält das, was dem König gebührt, einen verfremdeten Charakter.
Die männlichen Jünger erfassen nicht, dass es hier um die Salbung des sterbenden Königs in der sterbenden Welt geht und halten es für „Verschwendung“.
Jesus ist der König des Alls, weil durch ihn alle Dinge gemacht sind, aber er stirbt der pervertierten Macht in dieser Welt, ja, er geht an ihr und mit ihr förmlich zugrunde. So erhält das, was dem König gebührt, einen verfremdeten Charakter.
Die männlichen Jünger erfassen nicht, dass es hier um die Salbung des sterbenden Königs in der sterbenden Welt geht und halten es für „Verschwendung“.
Warum sollte man
für immer der Tat dieser Frau gedenken, wenn sie nur eine der vielen
Nettigkeiten, meinetwegen Liebeserweise oder Opfer durch Frauen für Jesus
gewesen wäre? Jesus sagt voraus, dass man niemals mehr vergessen werde, was sie
getan hat. Das heißt: Bis er kommt, soll man über diese Geschichte nachdenken
und begreifen, was sich damals abgespielt hat. Denn dies hier ist eine Schlüsselerzählung für das rechte Verständnis des Reiches Gottes.
Eine Frau wurde
zur Prophetin der Königsherrschaft Christi, die mit seiner Inkarnation für alle
Welt sichtbar begann, durch das Grab ging und ein Äon lang ihre Kinder sammelt,
um im himmlischen Jerusalem mit ihm für immer zu regieren, als selbst mit
seinem heiligen Namen Gesalbte:
„Sie werden sein Angesicht schauen und sein Name
ist auf ihre Stirn geschrieben.“ (Apk
22, 4)
Mittwoch, 15. Juni 2016
Apostolae apostolorum I: Maria Magdalena und andere Frauen als erste nachösterliche Gesandte des Herrn
Apostolae apostolorum
Maria Magdalena und eine namenlose Prophetin
I. Maria
Magdalena und andere Frauen
Die katholische
„Tradition“, Maria Magdalena mit der anonymen „Sünderin“ und Maria von
Bethanien zu identifizieren, wurde weder von den Christen der ersten
Jahrhunderte geteilt, noch ist sie nach moderner theologischer Forschung
haltbar.
Die gesamte Ostkirche kennt Maria Magdalena als die, die in den Evangelien namentlich überliefert ist. Und dies zeichnet sie als die bedeutendste weibliche Jüngerin Jesu, der er sieben Dämonen ausgetrieben hat (Lk 8, 2), die Jesus finanziell unterstützt, die (zusammen mit anderen Frauen) mit ihm den Kreuzweg geht, unterm Kreuz steht und als erste ans Grab eilt.
Und vor allem ist sie nach dem Johannes-Evangelium in einem ausführlichen Bericht (Joh 20, 11-18), nach dem Matthäus-Evangelium (Mt 28, 9) und nach dem Markus-Evangelium (Mk 16, 9) eindeutig der erste Mensch, dem sich Jesus als Auferstandener zeigt.
Dieser Befund in
den kanonischen Evangelien ist so unmissverständlich, dass man sich einige
Fragen stellt angesichts der Tatsache, dass die Kirche diese Tatsache in der
Abfolge der Evangelien-Lesungen in der Osteroktav förmlich unterdrückt hat und
zuerst die Erscheinung des auferstandenen Herrn vor allen in Frage kommenden Männern,
selbst den Emmaus-Jüngern, vorträgt, bis sie dann endlich am Donnerstag nach
dem Ostersonntag den Bericht über die Begegnung Marias mit Jesus, den sie
zuerst für den Gärtner hält, als Schlusslicht rezitieren lässt. Sie setzt an
den Anfang der Lesungen denjenigen Bericht, der bei der Entdeckung des leeren
Grabes durch die Frauen abbricht und verschweigt, wie es gleich danach
weiterging, so, als habe der Auferstandene die Frauen, die sich zuerst an sein
Grab bemühten, übergangen und sich erst den Männern, die nicht von sich aus an
sein Grab kamen, gezeigt und danach erst die Frauen gewürdigt.
Zu dieser Unterdrückung der wahren und in den Evangelien dreifach bezeugten Vorgänge passt auch die Aufschäumung Maria Magdalenas zu einer Ex-Hure oder Hetäre, die den Rest ihres Lebens im Fellgewand oder in Lumpen wegen ihrer schlimmen Sünden verbracht habe.
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Carlo Crivelli: Maria Magdalena 1476 |
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Tizian: Maria Magdalena als Büßerin 1533 |
Eine weitere Identifikation Maria Magdalenas mit Maria von Bethanien (Lk 10, 38 ff), die sich von Jesus lehren ließ und der Jesus dies als das „Bessere“, das sie „erwählt“ habe, unbedingt gegen eine angeblich wichtigere Haushaltspflicht und Sorgepflicht zuerkennt, ist genauso unhaltbar und geht aus den Evangelien mit keinem Wort hervor.
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Donatello: Maria Magdalena 14. Jh |
Von dieser Verzerrung durch Gregor den Großen leiten sich alle schlüpfrigen Legenden über Maria Magdalena ab, die heute ihren einsamen Gipfel in der romanhaften Überzeichnung Maria Magdalenas als der Liebhaberin oder Ehefrau Jesu erhalten haben. Man unterstellt – Ironie der Geschichte - der Kirche, sie habe genau diese sinnliche Tradition unterdrückt. Diese Wendung der Maria-Magdalena-Traditionen ist die faule Frucht jahrhundertealter kirchlicher Verzerrungen und führt uns vor Augen, wohin solch fahrlässige und vor allem frei erfundene Lehren wie die des Papstes Gregor führen können… Die Sünder in der Hierarchie der Kirche jedenfalls erhalten in Romanen wie „The Da Vinci Code“ von Dan Brown, in dem Maria Magdalena sinnliche Frau Jesu sei und der leibliche „heilige Gral“ nur einen Denkzettel für die Verzerrungen und Legenden, deren Samen sie doch selbst in die Welt gesprüht hatten. Schmerzlich ist vor allem, dass damit durch die Hierarchie einer der vielen scheinbaren Makel auf die heilige Kirche gebracht wurde, und dass die Welt längst die Bedeutung einer Apostelin „aufgespießt“ hat, die die Kirche nicht anerkennen wollte, obwohl die Evangelien sie doch darstellen und die frühe Kirche dies – neben der aufkeimenden Unterdrückung - noch so tradiert. Hinzugekommen sind in jüngerer Zeit verschiedene Schriftfunde frühchristlicher Texte, in denen Maria Magdalena ebenfalls als bedeutendste Jüngerin und Apostelin beschrieben wird.[2]
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Jules-Joseph Lefebvre: Maria Magdalena 1876 |
Es ist daher vollkommen richtig und eine große Freude, dass Franziskus den Gedenktag Maria Magdalenas nun zu einem Fest erhebt.[3]
Für diesen
Festtag wurde ein Präfation erstellt, die Maria Magdalena folgendermaßen
würdigt:
„Qui in hortu maniféstus appáruit Maríæ Magdalénæ,
quippe quae eum diléxerat vivéntem,
in cruce víderat moriéntem,
quæsíerat in sepúlcro iacéntem,
ac prima adoráverat a mórtuis resurgéntem,
et eam apostolátus offício coram apóstolis honorávit
ut bonum novæ vitæ núntium
ad mundi fines perveníret.“[4]
((Jesus Christus), der im Garten - wie geschrieben
steht – Maria Magdalena erschienen ist,
die ihn als Lebendigen geliebt hat
die ihn am Kreuze sterben sah,
die den suchte, der ins Grab gelegt worden war,
und als Erste den von den Toten Auferstandenen
angebetet hatte,
hat sie geehrt mit dem Aposteldienst an den
Aposteln selbst,
damit die frohe Botschaft des neuen Lebens
Der begleitende Artikel von Erzbischof Arthur
Roche, dem Sekretär der Kongregation für den Gottesdienst und die
Sakramentenordnung, benennt im Schlussabsatz die Gleichwürde des Apostelamtes
der Maria Magdalena:
„Sie ist
Zeugin des auferstandenen Christus und verkündet die Botschaft von der
Auferstehung des Herrn wie die übrigen Apostel. Daher ist es richtig, dass die
liturgische Feier dieser Frau denselben Grad eines Festes erhält, den die
Apostelfeiern im Römischen Generalkalender erhalten haben und dass die
besondere Sendung dieser Frau herausgearbeitet werde, die Beispiel und Modell
für jede Frau in der Kirche ist.“ [5]
Die Rede Maria
Magdalenas davon, dass sie den „Herrn“ (den Kyrios)
gesehen habe (Joh. 20, 18), legitimiert sie bereits im biblischen Kontext als „apostola“ im selben Sinne, mit dem auch
Paulus später in 1. Kor. 9, 1 sein Apostelsein „außerhalb der zwölf Jünger“ als
gleichwertiges Apostolat legitimiert. Den Titel der „apostola (apostolorum)“
haben ihr daher einige Kirchenlehrer unbefangen gegeben – nach Hippolyt von Rom
oder Rabanus Maurus selbst noch Thomas von Aquin.
Interessant ist
in diesem Zusammenhang, dass in der altkirchlichen Auffassung die apostolische
Beauftragung der Maria Magdalena nicht nur ihr, sondern allen Frauen erteilt
wurde, die mit ihr im Grabesgarten unterwegs waren. Hieronymus äußert sich
eindeutig:
„Mihi tantum (…)
sufficiat, Dominum resurgentem primum apparuisse mulieribus, et apostolorum
illas fuisse apostolas, ut erubescerent viri non quaerere, quem iam fragilius
sexus invenerat. »[6]
(Mir genügt es,
dass der auferstandene Herr zuerst Frauen erschienen ist, und dass sie
Apostelinnen der Apostel waren, damit die Männer schamrot würden darüber, dass
sie nicht gesucht hatten, den das zerbrechlichere Geschlecht schon gefunden
hatte.)
Oliver Achilles[7] hat in altkirchlichen Dokumenten eine Stelle aus einem Kommentar Hippolyts von Rom zum Hohenlied gefunden, der ebenfalls davon ausgeht, dass der Auftrag an Maria Magdalena an mehrere Frauen erging und daher als generalisiertes Apostelamt allen Frauen gilt, die von Jesus persönlich beauftragt werden:
„Ein gutes Zeugnis offenbaren uns jene, die
Apostel wurden für die Apostel, gesandt durch Christus. Zu denen zuerst die
Engel sagten: ‚Gehet und saget den Jüngern: Er geht vor euch hin nach Galiläa.
Dort werdet ihr ihn sehen.‘ Und damit jene Apostel nicht zweifelten an den
Engeln, so begegnete den Apostel Christus selbst, damit diese Frauen seien
Apostel Christi und durch Gehorsam das erfüllten, was mangelte der alten
Eva. Von nun an werden sie, gehorsam gehorchend, als vollkommene erscheinen.“[8]
Im Kommentar
Hippolyts findet sich auch folgender Ausruf:
„O selige
Tröstung! Eva wird Apostel genannt!“
Auch diese
Formulierung versteht das, was Maria Magdalena empfängt, als ein Apostelamt für
jede Frau, die von Jesus selbst gesandt wird.
Die echte
Tradition Maria Magdalenas also lässt uns erahnen, dass Jesus es sich nicht
nehmen lässt, Frauen zu beauftragen, die den männlichen Aposteln etwas
anzusagen haben, ohne dass letztere dies zuvor oder danach bestimmen könnten.
Hippolyt weist
darauf hin, dass auch in der Erzählung der Evangelien die männlichen Apostel
dem Aposteldienst der Frauen nicht glauben. Sie sind zu stolz, und Hippolyt
beschreibt ihren Hochmut mit drastischen Worten und illustriert, wie Jesus
dadurch, dass er, obwohl sie den Gesandten Jesu – also den Frauen - nicht glaubten,
ihnen dennoch erschien, sich ihres Kleinglaubens erbarmt und sie zugleich kritisiert:
„Und darum hielten sie (die Männer) sie (die
Frauen) für Verirrte. Damit sie aber nicht wiederum als (…) Verirrte, sondern als
die Wahrheit Redende sich erweisen, erscheint ihnen Christus an der Stelle und
spricht: ‚Friede sei mit euch!’ Womit er dies als wahr zeigte: Als ich den
Frauen erschien, (sie) zu euch sendend, habe ich (sie) als Apostel senden
gewollt.“[9]
Hippolyt kann sich dabei auf das Markus-Evangelium stützen, in dem beschrieben wird, wie Jesus die Verstocktheit der männlichen Jünger gegen die Frauen verurteilt:
"Später erschien Jesus auch den Elf, als sie bei Tisch waren; er tadelte ihren Unglauben und ihre Verstocktheit, weil sie denen nicht glaubten, die ihn nach seiner Auferstehung gesehen hatten." (Mk 16, 14)
Diese frühschristlichen Haltungen offenbaren, dass man damals ein Apostelamt der Frau für wahr und gleichwürdig hielt, wenn auch nicht im Sinne des Priesteramtes und das Problem, dies anzuerkennen, eindeutig beim Stolz des Mannes sah.
"Später erschien Jesus auch den Elf, als sie bei Tisch waren; er tadelte ihren Unglauben und ihre Verstocktheit, weil sie denen nicht glaubten, die ihn nach seiner Auferstehung gesehen hatten." (Mk 16, 14)
Diese frühschristlichen Haltungen offenbaren, dass man damals ein Apostelamt der Frau für wahr und gleichwürdig hielt, wenn auch nicht im Sinne des Priesteramtes und das Problem, dies anzuerkennen, eindeutig beim Stolz des Mannes sah.
Bemerkenswert ist
daran also nicht, dass man damit ein Frauenpriestertum rechtfertigen könnte. Bemerkenswert
ist vielmehr, dass es ein Apostelamt gibt, das dem der Apostel vorgelagert ist
und der direkten Begegnung mit Jesus entspringt. Diese Begegnung darf vom „Lehramt“
nicht leichtfertig und im Hochmut des klerikalen Amtes für „untergeordnet“
erklärt werden. Wenn es vom Herrn selbst kommt, ist es nicht unter-, sondern
übergeordnet.
Die Frage wäre,
wie man hier ein falsches von einem rechten weiblichen Apostelamt unterscheiden
kann.
Diese Frage
stellt sich aber, wenn man sich nicht beirren lässt von maximalistisch-infallibilistischen
Irrlehren, auch beim formellen Apostelamt. Und die rigide Behauptung, die
Hierarchie mache alleine schon deshalb alles recht, weil sie die Hierarchie ist,
ist durch die Geschichte und vor allem den aktuellen Zustand der Kirche auf
beschämendste widerlegt.
[1] Die
aber, welche Lukas eine sündige Frau, Johannes aber Maria nennt [Joh 12,3],
halten wir für jene Maria, von welcher Markus versichert, dass ihr sieben
Dämonen ausgetrieben wurden [Mk 16,9; Lk 8,2= Maria Magdalena]. Und was wird
mit diesen sieben Dämonen bezeichnet, wenn nicht sämtliche Laster? Denn da die
ganze Zeit durch sieben Tage zusammengefasst wird, dann wird richtigerweise mit
der Siebenzahl eine Gesamtheit bezeichnet. Sieben Dämonen also hatte Maria, die
voll von allen Lastern war. Aber siehe: Weil sie die Flecken ihrer
schändlichen Lebensweise ansah, lief sie, um sich zu waschen zu der Quelle der
Barmherzigkeit und errötete auch nicht vor der Tischgesellschaft. Denn da sie
sich in ihrem Inneren zutiefst schämte, meinte sie, es gebe nichts, wofür sie
sich äusserlich schämen müsste.
Was also wundern wir uns, Brüder, ob der Herr, als Maria kommt, sie aufnimmt? Soll ich sagen, er nimmt sie auf oder – er zieht sie? Ich sollte besser sagen, er zieht sie und nimmt sie auf, da er sie sicherlich selbst in seiner Barmherzigkeit im Inneren an sich gezogen, sie äusserlich mit Sanftmut aufgenommen hat. Aber wenn wir jetzt den Text des heiligen Evangeliums durchlaufen, sollen wir auch die Reihenfolge beachten, in der sie gekommen ist, um geheilt zu werden.
Sie brachte eine Alabasterflasche von Salböl, stand hinten zu den Füßen Jesu und begann, seine Füsse mit Tränen zu benetzen; sie trocknete mit ihren Haaren seine Füsse, küsste sie und salbte sie mit dem Salböl.. (Lk 7,37c-38)
Es ist klar, Brüder, dass die Frau, die früher auf unerlaubte (unmoralische)Taten ausgerichtet war, das Salböl für den Duft ihres Fleisches selbst verwendete. Was sie also schändlich für sich verwendet hatte, das brachte sie jetzt Gott. Mit ihren Augen hatte sie Irdisches begehrt , nun aber beweinte sie zerknirscht und voll Reue ihre Augen. Die Haare hatte sie zur Zierde ihres Gesichtes verwendet, nun aber trocknete sie damit ihre Tränen. Mit dem Mund hatte sie hochmütig geredet, küsste aber die Füsse des Herrn und presste ihn auf die Fusssohlen ihres Erlösers. Wie viele Vergnügungen sie in sich hatte, so viele Opfer erlangte sie von sich. Sie verwandelte die Zahl ihrer Vergehen in die von Tugenden, um Gott mit Leib und Seele in Busse zu dienen, so weit sie schuldhaft von sich aus Gott verachtet hatte.« (MPL LXXVI 1239-1240 MÜ – entspricht S. 83 in der PDF-Datei).
Was also wundern wir uns, Brüder, ob der Herr, als Maria kommt, sie aufnimmt? Soll ich sagen, er nimmt sie auf oder – er zieht sie? Ich sollte besser sagen, er zieht sie und nimmt sie auf, da er sie sicherlich selbst in seiner Barmherzigkeit im Inneren an sich gezogen, sie äusserlich mit Sanftmut aufgenommen hat. Aber wenn wir jetzt den Text des heiligen Evangeliums durchlaufen, sollen wir auch die Reihenfolge beachten, in der sie gekommen ist, um geheilt zu werden.
Sie brachte eine Alabasterflasche von Salböl, stand hinten zu den Füßen Jesu und begann, seine Füsse mit Tränen zu benetzen; sie trocknete mit ihren Haaren seine Füsse, küsste sie und salbte sie mit dem Salböl.. (Lk 7,37c-38)
Es ist klar, Brüder, dass die Frau, die früher auf unerlaubte (unmoralische)Taten ausgerichtet war, das Salböl für den Duft ihres Fleisches selbst verwendete. Was sie also schändlich für sich verwendet hatte, das brachte sie jetzt Gott. Mit ihren Augen hatte sie Irdisches begehrt , nun aber beweinte sie zerknirscht und voll Reue ihre Augen. Die Haare hatte sie zur Zierde ihres Gesichtes verwendet, nun aber trocknete sie damit ihre Tränen. Mit dem Mund hatte sie hochmütig geredet, küsste aber die Füsse des Herrn und presste ihn auf die Fusssohlen ihres Erlösers. Wie viele Vergnügungen sie in sich hatte, so viele Opfer erlangte sie von sich. Sie verwandelte die Zahl ihrer Vergehen in die von Tugenden, um Gott mit Leib und Seele in Busse zu dienen, so weit sie schuldhaft von sich aus Gott verachtet hatte.« (MPL LXXVI 1239-1240 MÜ – entspricht S. 83 in der PDF-Datei).
[2] Silke
Petersen: Maria aus Magdala. 2011. Kapitel 3 „Apokryph gewordene Schriften des
frühen Christentums“ https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/maria-aus-magdala/ch/ddd3d9408b85e07c1c25b5601caaaae0/#h8
(15.6.2016)
[3] Im
Dekret „Apostola apostolorum“ vom 3. Juni 2016 http://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/pubblico/2016/06/10/0422/00974.html
[6]
Hieronymus: Kommentar zum Propheten Zefanja, Prolog. In: S. Eusebii Hieronymi
Commentariorum in Sophoniam prophetam. Liber unus. Prologus, digitalisiert
hier: http://www.documentacatholicaomnia.eu/02m/0347-0420,_Hieronymus,_Commentariorum_In_Sophoniam_Prophetam_Liber_Unus,_MLT.pdf
(15.6.2016)
[8]) G.
Nathanael Bonwetsch: Hippolyt’s Kommentar zum Hohenlied auf Grund von M. Marr’s
Ausgabe des grusinischen Textes herausgegeben. Leipzig 1902, S. 67 ff
in: Akademie der Wissenschaften, Berlin, Kommission
für spätantike Religionsgeschichte: Oscar von Gebhard und Adolf Harnack (Hg.): Texte
und Untersuchungen zur altchristlichen Literatur, Neue Folge achter Band. Der
ganzen Reihe Band 23. Heft 2
Digitalisiert hier: https://archive.org/details/texteunduntersuc23akad
(15.6.2016). Im Buch S. 63 ff
[9] A.a.O.
S. 70
Samstag, 11. Juni 2016
Die Frauenkrise VII: Papolatrie, Führerzentrierung und Maskulinismus
3.6. Faschistische Verweltlichung und Glaubensabfall
Die postmoderne weibliche
Irritation in der Kirche ist nicht Ursache der Kirchenkrise, sondern deren langfristige
Folge. Die wahre Hoch- und Wertschätzung, Gerechtigkeit und Liebe der Frau
gegenüber ist einer der Seismographen der Rechtgläubigkeit. Wer dem Herrn
nachfolgen will, muss ihn in seiner Haltung der Frau gegenüber nachahmen, oder
er folgt dem Widersacher nach.
Wer die Frau „untergeordnet“ sehen
will, hasst die Kirche und will sie beherrschen. Dieser Impuls, über die Kirche
zu herrschen, kennzeichnet aber sowohl gewisse Staatsgewalten als auch das
Papsttum und die Hierarchie selbst: beide wollen sie die Seelen (die „Braut
Christi“) dominieren und die Hierarchie des 19. und frühen 20. Jh forderte nach
jesuitischer und teilweise franziskanischer „Kadaver“-Ideologie absoluten und
blinden Gehorsam der Gläubigen – gegenüber der Hierarchie! Die Hierarchie hat
sich selbst und insbesondere das Papsttum als „gottgleich“ dargestellt und den
Gläubigen eingeimpft, wenn sie dem Papst blind gehorchten, gehorchten sie Gott.
Es ist mir unbegreiflich, dass so weite Teile der konservativen Katholiken den
hellen Wahnsinn, der in diesem Anspruch steckt, nicht begreifen: das ist nicht
die Freiheit Christi, die hier propagiert wird, sondern ein katholischer Islam
oder ein faschistisches Führerprinzip.
In Rom sitzt seit dem Vaticanum I
spätestens ein römischer Augustus, der sich selbst vergötzt hat. Sätze wie „La traditione sono io!“ („Die
Tradition, das bin ich!“)[1]
von Pius IX. oder das Eintrichtern der absoluten Papstliebe als Synonym für
„Gottesliebe“ bei Pius X. in folgendem Satz: „Wie muss man den Papst lieben? Wer liebt, der gehorcht. Wer den Papst
liebt, diskutiert nicht. Der Papst ist das Haupt, von dem niemand sich
tyrannisiert zu fühlen braucht, denn er repräsentiert Gott, er ist der Vater
par excellence, der in sich alles vereint, was liebenswert, heilig und göttlich
ist“[2]
klingen einem gesunden katholischen Empfinden als maßlos und übertrieben.
Nicht die Frau hat sich irgendetwas
angemaßt, wie Traditionalisten gerne behaupten (Wo denn? Und wann denn? Etwa
weil sie nun gleiche Bürgerrechte haben? Oder wählen gehen dürfen?!), sondern
der Mann setzt sich generell und insbesondere der Frau gegenüber mit Gott
gleich. Die Frau ist die Projektionsfläche maskuliner Selbstherrlichkeit. Am
Verhalten zu ihr offenbart sich, wes Geistes Kind ein Mann ist.
Diese Haltung, dieser Anspruch,
diese maskuline Selbstvergötzung ist der Auslöser der Kirchenkrise.
Man kann es einmal zugespitzt
sagen: Frauen, die sich als Zeichen ihrer geistlichen Minderwertigkeit und
Unterordnung unter … den Mann ...
verschleiern, drücken damit aus, dass der Mann das „velamen“ ist, das sie sich vor die Augen hängen, um Jesus nicht
mehr sehen zu müssen. Mein Herr hat nicht gesagt: Folgt dem Petrus, er ist der „Vater par excellence“, sondern er
mahnte Petrus: „Du folge mir nach!“
(Joh 21,22) und „Und ihr sollt niemanden
unter euch Vater nennen auf Erden; denn einer ist euer Vater, der im Himmel
ist.“ (Mt. 23, 9) Es erschreckt mich, wenn ich an die Wehe-Worte Jesu an
die Schriftgelehrten und Pharisäer denke. Das ganze 23. Kapitel des
Matthäus-Evangeliums erinnert an die römische Hierarchie, durch die Papstvergötzung aber vor allem an dies:
„Weh
euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich
zuschließt vor den Menschen! Ihr geht nicht hinein und die hineinwollen, lasst
ihr nicht hineingehen.“ (Mt 23, 13)
Es ist eine hauchdünne Linie
zwischen berechtigter Verwerfung der Lüge und der Verketzerung der Wahrheit.
Die einfache Gleichung: „Wahr und göttlich ist alles, was der Papst sagt“, die
sich Päpste wie Pius IX. oder Pius X. angemaßt haben, ist selbst häretisch. Ein
kurzer – redlicher - Blick in die Kirchengeschichte offenbart Abgründe von
schweren Sünden, Fehlentscheidungen und sogar regelrechten Irrtümern durch
Päpste. Wie konnte man also so leichtfertig den Papst zu einem magischen
Fetisch aufbauen?
Der Papst mag väterliche
Eigenschaften haben und den Vater im Himmel als seinen Herrn unbedingt achten
und alles tun, um dessen Reich kommen zu lassen, aber der „Vater par excellence“ kann er niemals sein, denn gerade das „par excellence“ kommt eben nur dem
Vater im Himmel zu. Das wahre christliche Vaterbild hat der heilige Josef
gelebt: er verschwand vollkommen, wurde unsichtbar, gerade das, was der Mann so
kategorisch von sich weist und der Frau abpressen will – das wäre echte
väterliche Autorität. Man kann ohne zu zögern sagen, dass es zahllose Priester
mit einer solchen Haltung gab und auch noch gibt: sie haben sich weggeschenkt
an Jesus, um ihn „im Fleisch sichtbar bleiben zu lassen, bis er kommt“. Von
Päpsten kann man das erheblich seltener sagen… Ein Papst, von dem man nichts
sieht, wenn man auf ihn schaut, der den Menschen den Weg freigibt, förmlich
„aus dem Weg geht“, damit sie Christus finden, der als Wegzeichen am Wegrand
fungiert, der wie der gute Hirte nicht voran-, sondern hinter den Schafen geht
– das wäre das „echte“ Papstamt. Der „Fels Petrus“ ist nicht der „Grundstein“
und nicht das Fundament der Kirche, denn das kann nur Christus selbst sein,
sondern der „Schlussstein“ des Torbogens aus vielen lebendigen Steinen in den
Himmel hinein. Dieser Schlussstein ist in jedem Rundbogen unerlässlich und
wichtig, aber er ist nicht der Stein, auf den das Gebäude gegründet wäre. Der
„Eckstein“ ist nach dem mannigfachen Zeugnis der Schrift Jesus selbst! Ein
„Eckstein“ ist ein Stein, der größer und schwerer ist als die anderen Steine.
Er wird in die Ecke eines Natursteinmauerwerks eingebaut. Auf ihm ruht der
Zusammenhalt und die Stabilität des ganzen Gebäudes. Ein Eckstein thront nicht
über allem, sondern stützt von unten her. Die Kirche besteht aus lebendigen
Steinen. Es ist der erste Papst, der davon spricht: Petrus. Er schreibt nicht
davon, dass er der Chef und der Fels “par excellence“ sei und alle zu ihm
schauen müssten, sondern er sagt etwas anderes:
„Ad
quem accedentes lapidem vivum, ab hominibus quidem reprobatum, a Deo autem
electum, et honorificatum :
et ipsi tamquam lapides vivi
superædificamini, domus spiritualis, sacerdotium sanctum, offerre spirituales
hostias, acceptabiles Deo per Jesum Christum.
Propter quod continet Scriptura : Ecce
pono in Sion lapidem summum angularem, electum, pretiosum : et qui crediderit
in eum, non confundetur.“
(1. Petrus 2, 4 f)
(„Zu diesem lebendigen Stein eilt
hin, von den Menschen ist er verworfen, bei Gott aber erwählt und geehrt: und
zu ebensolchen lebendigen Steinen baut euch auf, zu einem geistlichen Haus, zu
einem heiligen Priestertum, um geistliche Opfer zu bringen, die Gott gefallen
durch Jesus Christus. Deswegen heißt es in der Schrift: Seht, ich lege in Zion
einen höchsten, auserwählten, wertvollsten Eckstein: und wer an ihn glauben
wird, der wird nicht durcheinander gebracht werden.“)
Es ist wichtig, dass wir uns immer
wieder durch das Schriftwort den Blick für das schärfen lassen, was der Glaube
bedeutet: er bedeutet keine Papolatrie und keine Hoffnung auf den Papst,
sondern alleine auf Jesus Christus. Der Papst hat ein Amt, und es besteht
darin, die Herde zu weiden, Menschen zu fischen und vor allem: Jesus radikal nachzufolgen.
Und ob er das tut – das zu beurteilen hätte man niemals in dieser totalitären
Weise tabuisieren dürfen. Die Folge dieser Tabuisierung ist der große und
institutionell erzwungene Glaubensabfall.
Wenn die Priesterbruderschaft St.
Pius X., die sich auf ein solches Imperatoren-Idol beruft, sich über die Päpste
seit Johannes XXIII. beschwert, dann muss man sich fragen, welche Schizophrenie
ihre Köpfe besetzt hält: Wollten sie ihrem Idol Pius X. folgen, müssten sie alles
„fressen“, was aus Rom kommt, alles – von Liturgiereformen über
Lehrveränderungen bis hin zu regelrechten Umkehrungen. Warum dann bitteschön so
„widerständig“?!
Dieselbe Frage müssen sich aber
auch die Sedisvakantisten gefallen lassen, die zwar hart mit der FSSPX ins
Gericht gehen, selbst aber einem noch ausgeprägteren Papstfetischismus folgen –
auch sie müssten erklären können, mit welchem Recht sie sich „anmaßen“, die
aktuellen Päpste als falsche Päpste zu definieren. Wollten sie ihrem Papstwahn
folgen, hätten auch sie alles zu schlucken, was aus Rom kommt, zu parieren und
ohne Diskussion zu gehorchen: das hat das Idol Pius X. angeordnet. Und es steht
in dieser Logik niemandem zu, darüber zu entscheiden, ob ein Papst ein „echter“
oder „unechter“ Papst ist. Um das zu entscheiden, müsste man gewisse
„modernistische“ oder „liberale“ Grundannahmen machen, die diese Personen doch
sonst scheuen wie der Teufel das Weihwasser…
Gerade Monsignore Umberto Benigni,
auf den sich Pius X. in seinem Machtanspruch stark abstützte, der Mann, der den
mehrdimensionalen, vatikanischen Spitzel- und Geheimdienst „sodalitium
pianum“ innerhalb des Staatssekretariats im Kampf gegen den „Modernismus“
aufbaute, wird von Zeitgenossen mehrfach als Menschenverächter, ja sogar als „Glaubensloser“
geschildert. Pius X. war ihm nicht nur totaler „Vater“, sondern es wird auch
berichtet, er habe den Sarto-Papst als „Mama“
bezeichnet[3],
denn der Papst stellt sowohl Gott als auch die ganze Kirche dar… Man beachte,
wie in der extrem-integralistischen Zuspitzung der Mann sich auch noch das
Muttersein selbst einverleibt…
Misanthropisch und getragen von
Hass ist etwa sein Satz:
„Guter
Freund, glaubt ausgerechnet Ihr daran, daß die Menschen zu etwas Gutem in der
Welt fähig sind. Die Geschichte ist ein andauernder und verzweifelter
Brechreiz, und für diese Menschheit taugt nur die Inquisition.“[4]
Benigni trat in Deutschland mit der
propagierten totalitären Gehorsamsforderung auf: Dem Papst müsse man in „allen“ Dingen gehorchen, und Pius X
habe gesagt, der Papst tue „immer das Rechte“,
weil er der „Vater“ sei.[5]
Bestürzend klingt folgende Aussage
über ihn:
„Ich
hörte von vertrauenswürdigen Personen, die ihn näher kennen, sie schildern ihn
als ‚glaubenslos’…“[6]
Gegen sein Lebensende hin wandte er
sich dem Faschismus zu und veröffentlichte ein umfangreiches Werk über die
angeblichen Ritualmorde der Juden. Benigni, der mit seiner extremen Haltung
nach dem Tode Pius X. nicht mehr so leicht durchkam, wandte sich später der
Politik zu:
„Benedikt
XV., der Nachfolger Pius X., war kein Freund Benignis. Ein Jahr darauf wurde
das Sodalitium von Gaetano De Lai allerdings wieder unter neuen Leitlinien
hergestellt. Es blieb dann bis 1921 aktiv, da dann dessen Tätigkeiten
öffentlich wurden und Benigni zur Auflösung seines Geheimdienstes gezwungen
wurde. Enttäuscht und verbittert wandte er sich Mussolini und dem Faschismus
zu. Gasparri und Benedikt XV. galten im (sic!) als Zerstörer der Kirche, die
alles ruinierten. Benigni gründete einen neuen, einen faschistischen
Geheimdienst und kämpfte nun vor allem gegen Demokratie und andere soziale wie
gesellschaftliche Liberalisierungen. Er starb 1934 in Rom. Keiner seiner
ehemaligen Priesterfreunde kam zu seiner Beerdigung.“[7]
Papolatrie, Führerzentrierung und
Maskulinismus – das sind die Früchte des Antimodernismus, und es sind faule
Früchte, die man mit dem Mann am Kreuz nicht zusammenbringt. Diese Früchte
erinnern an radikale islamische Haltungen.
Schon sitzen in unseren
Fernsehtalkshows vollverschleierte muslimische Konvertitinnen, sehen mit Mühe
durch ihre vergitterten Augenschlitze in die Runde und wollen der Welt
erklären, dass die Polygamie und damit die Übermacht des Mannes natürlich und
daher zu erlauben und gesund für jede Ehe und überhaupt das gesellschaftliche Leben
sei… und nicht selten stimmen katholische Traditionalisten dieser grundsätzlichen
maskulinistischen Tendenz (wenn auch nicht hinsichtlich einer formell erlaubten
Polygamie) islamischer Einstellungen zu. Man kämpft ausdrücklich auf
propagandistische, hetzerische und unsachliche Art für die Restauration
maskuliner Übermacht und glaubt, damit ein Werk Gottes zu tun („Verzicht auf
neutralen Standpunkt“).[8]
In den letzten Monaten wurde das
Leben des des Paters Pedro Poveda verfilmt. P. Poveda (1874 – 1936) war ein
spanischer Priester, der besonders die Bildung und Gleichstelung von Frauen
förderte. Er wurde 1936 ermordet. Liest man die Einträge auf Wikipedia[9]
oder im Heiligenlexikon[10]
über ihn, wird offenbar bewusst verschleiert, wer ihn ermordet hat: Nein, es
waren nicht die Kommunisten, wie es suggestiv erscheint! Es waren die
Faschisten Francos, denen er mit seiner Haltung nicht genehm war. Und er war
offenbar nicht der einzige Priester und Katholik, der von den Franco-Truppen ermordet
wurde, weil er sich dem faschistischen Glaubensabfall widersetzte.[11]
Wir sind wieder da angekommen, wo
wir vor der Christianisierung aufgehört hatten… und noch schlimmer…[12]
[1]
Bekannter Ausspruch Pius IX., hier zitiert nach Georg Denzler: „Die Tradition
bin ich“. Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt 35/2000, kann online gelesen
werden: http://www.georgdenzler.de/Die_Tradition_bin_ich.html
(4.5.2016)
[2]
Ansprache Pius X. vom 19. 11. 1912, zitiert nach Otto Weiß: Der Modernismus in
Deutschland. Regensburg 1995. S. 52
[3] Josef
Jung: Das Werk Gottes oder Kirchen-Stasi? – Das „Sodalitium Pianum“
(1911-1921), vom 19.10.2014 in der katholischen Wochenzeitung „hinsehen.net“,
online lesbar: https://hinsehen.net/2014/10/19/werk-gottes-oder-kirchenstasi/
(4.5.2016)
[4]
Benigni an Buonaiuti, zitiert nach Otto Weiß, Modernismus, a.a.O. S. 120
[5] Vgl.
Otto Weiß, a.a.O.; S. 120
[6] Vgl.
Weiß, a.a.O., S. 137, Anm. 10
[7] Josef
Jung a.a.O.
[8] Im
Internet gibt es ein stark bei katholischen Traditionalisten und
Sedisvakantisten beliebtes Portal namens „WikiMANNia“, mit einem Istanbuler
Impressum (!), das in seinem Programm folgende offenkundig ressentimentgeleitete
und sprachideologisch eingefärbte Selbstbeschreibung voranstellt:
„Dieses Wiki ist eine Wissens-Datenbank über Benachteiligungen von
Jungen und Männern, sowie Bevorzugungen von Maiden und Frauen. Die Belege
hierfür sind im ganzen Internet teilweise sehr unübersichtlich verteilt und
werden hier übersichtlich strukturiert, konzentriert und untereinander
verknüpft angesammelt. WikiMANNia verzichtet auf einen neutralen Standpunkt
und bietet eine feminismusfreie Ergänzung zum Informationsangebot des
Internets. WikiMANNia ist die Antithese zur feministischen Opfer-
und Hassideologie.
Keine Angst vor dem Feminismus, nieder mit der Schweigespirale.
Seit Januar 2009 sind 2.949 Artikel entstanden. Über unser Kontaktformular können Sie
uns mit Informationen unterstützen und auch Wünsche, Vorschläge und Anregungen
mitteilen. Für eine Mitarbeit in diesem Wiki ist eine einfache Registrierung ausreichend.
Frauen sind nicht das unterdrückte Geschlecht.
Frauen sind das subventionierte Geschlecht.“
Frauen sind das subventionierte Geschlecht.“
Vgl. http://de.wikimannia.org/Hauptseite
(11.6.2016)
[11] Vgl. http://www.pedropoveda.org/ , auch
Bericht auf Deutsch hier: https://charismatismus.wordpress.com/?s=poveda
(11.6.2016)
[12]
Erschütternd die Schweizerin Nora Illi, die mit einem Schweizer Konvertiten
verheiratet ist und solche Ansichten zum besten gibt. Etwa bei Sandra
Maischberger ind er ARD-Sendung „Menschen bei Maischberger“ http://www.focus.de/kultur/kino_tv/schleierhafter-auftritt-bei-sandra-maischberger-sex-ansichten-der-burka-traegerin-nora-illi-verwirren-alle_aid_836112.html
(7.4.2016)
Dienstag, 7. Juni 2016
Franziskus alleine im Irrgarten
Die aktuelle Debatte um die seltsam
indifferente Haltung des Papstes und der deutschen Bischöfe gegenüber der
Tatsache, dass islamische Aggressivität in der ganzen Welt eine zunehmende
Bedrohung für viele, ganz besonders für Christen ist, offenbart ein lange
gehegtes und gepflegtes philosophisches Defizit. Die große Empörung, die seit einiger Zeit durch die katholischen Medien flutet, ist verständlich, aber ihrerseits oberflächlich. Und Franziskus hat sich, wie so oft, mal wieder unklar oder einfach viel zu knapp ausgedrückt - vorausgesetzt, er wollte etwas Bedeutsames sagen...
Jedes politische und religiöse
Denkgebäude ist um Geschlossenheit bemüht. Es soll in der Lage sein, das
gesamte Bedürfnis einer Gemeinschaft und des Einzelnen nach einem geordneten
Leben und einem Weg zum himmlischen Ziel zu erfüllen.
Anders gesagt: wer von etwas
überzeugt ist, kann nicht zugleich dem Widerspruch zu dieser Überzeugung ein
gleiches Recht im Anspruch auf die Wahrheit zubilligen.
Jede Religion muss einen
Alleingeltungsanspruch behaupten, denn andernfalls gäbe es keinen Grund, ihr zu
folgen. Nun sind Religionen aber nicht vom Himmel gefallen und meinen auch
nicht alle „dasselbe“, wie man es aus unbedarften Mündern wie einen cantus firmus der Oberflächlichkeit
hören kann. Alleine die Tatsache, dass sich Religionen oder Konfessionen
voneinander abgespalten haben, sollte uns doch zeigen, dass sie definitiv nicht
alle „dasselbe“ meinen. Denn hätten sie das getan, wären sie nie
auseinandergedriftet. Viele glauben ernsthaft, ihr persönliches Desinteresse an
der Religion bilde den einzig möglichen Herzenszustand der Menschheit zum Thema
Religion ab. Sie belächeln solche Eiferer, die eine Religionsspaltung
verursachen, sind doch deren Fragen aus ihrer Sicht unbedeutend. Entsprechend
vulgär fällt die zeitgenössische Auseinandersetzung in den Medien und in der
Kunst aus – von wenigen Ausnahmen abgesehen.
Schaut man in die Weltgeschichte,
fällt auf, wie sehr Religionen historische Phänomene und konkurrierend
entstanden sind:
Unzählige Male bezeugt das Alte
Testament, dass Gott sich hier ein Volk erwählt hat, das er sich im Gegensatz
zu allen anderen mit ihren „Baalen“ und „Götzenbildern“, „heiligen“ will. Im
Selbstverständnis der Religion Israels meint man also überhaupt nicht dasselbe
wie alle anderen Völker, wenn es um die Religion geht. Im Gegenteil: Israel übt
eine fundamentale Kritik daran, dass die Heiden Holzbilder, die sie sich zuvor
geschnitzt haben, anbeten und Götzen dienen, die nur Auslagerungen der eigenen
Seelenvorgänge seien.
Oder sehen wir nach Indien. Der
Buddha zog viele Jahre, durch die Hindureligion mit ihren brahmanischen und
yogischen Lehren ebenso wie durch ein materielles und lustvolles Leben unerfüllt
geblieben und suchend, durchs Land, bis ihn die Erleuchtung unter dem berühmten
„Bodhi-Baum“ ereilte. Auch hier meint der daraus entstehende Buddhismus gerade
nicht „dasselbe“ wie hinduistischen Lehren.
Das Christentum entstand aus der
Religion Israels, nachdem die jüdische Priesterkaste für den Tod des Rabbis
gesorgt hatte, den einige für den erwarteten Messias hielten. Auch hier meint
weder das Judentum „dasselbe“ wie das Christentum noch das Christentum „dasselbe“
wie das Judentum. Mit der Entwicklung des trinitarischen Gottesbildes entstand
ein größtmöglicher „Affront“ gegen den jüdischen Glauben. Diese Problematik
spiegelt sich im Prozess Jesu bereits selbst, aber auch in der Auseinandersetzung
mit den jüdischen Hohepriestern und der anschließenden Hinrichtung des ersten
Märtyrers Stephanus.
Das Christentum rang von Anfang an
gegen gnostische Irrlehren, seit der „konstantinischen Wende“ im 4. Jh massiv
mit häretischen Abspaltungen, die vom trinitarischen Gottesbild abwichen. Und
immer ging es dabei um so schwerwiegende Gründe, dass die Betroffenen nicht
mehr der Meinung waren, sie meinten „dasselbe“.
Aus jüdischen und christlichen Versatzstücken entstand der Islam, dessen Glaubensbekenntnis eine eindeutige Polemik gegen den trinitarischen Glauben der Christen sein wollte und will. Das islamische Glaubensbekenntnis verweigert ausdrücklich den Glauben, Gott könne zeugen (wie Gottvater) oder gezeugt sein (wie Gottes Sohn), was das christliche Credo dagegen ausdrücklich bekennt. Manche Forscher vertreten heute die Ansicht, diese Religion sei Folge mehrerer christlicher, arianisch gefärbter Häresien. Sie tritt auf mit dem Anspruch, Gottes letztes Wort zu allen religiösen Dingen gewesen zu sein und den Monotheismus in seiner edelsten und reinsten Form restauriert zu haben. Trotzdem blieb auch diese Religion nicht monolithisch, sondern zerfiel gleich zu Beginn in mehrere Lager. Der Zerfall in dieser Religion kann durch die noch vorhandene „Mehrheits“-Richtung nicht ausgeblendet werden. Die beiden großen Kontrahenten dieser Religion versuchen in einem gigantischen politischen, stark autoaggressiven und weit in die nichtislamische Welt hinausstrahlenden destruktiven Akt, den weiteren Zerfall aufzuhalten, was aber nicht gelingt: immer mehr islamische Staaten werden zu sogenannten „failed states“, Staaten, die unregierbar geworden sind. Das „Haus des Friedens“, wie sich die islamische Gemeinschaft selbst nennt, ist ganz offenkundig ein Haus, in dem Mord und Totschlag die Herrschaft übernommen haben und viele fragen sich, ob diese Religion aus sich selbst heraus wirklich friedensstiftende Kraft hat und haben kann. Die Beantwortung dieser Frage ist Thema vieler Gespräche und Diskussionen, wobei sich die Stimmen derer mehren, die dies wegen der gewalttätigen Gründergestalt und ihres „kanonischen Vorbildes“ bezweifeln. Viele Konvertiten vom Islam zum Christentum unternahmen diesen für sie folgenschweren Schritt, weil sie im Islam keine Liebe fanden und nur einen voluntaristisch agierenden Gott, im Christentum dagegen einen Gott, der sie liebt und ihnen verlässliche Zusagen gibt. Die Dunkelziffer an Konvertiten ist hoch. Warum aber sollten sie diese Mühe auf sich nehmen, wenn beide Religionen „eigentlich dasselbe“ meinten?
Es gibt auch Konversionen
umgekehrt. Wer zum Islam konvertiert, ist meist von dessen einfacher
Gotteslehre beeindruckt und einem überschaubaren Regelwerk, das ein Gefühl von
Wahrheits- und Heils-Sicherheit einflößt. Viele ehemalige Christen nennen als
Grund für ihre Konversion zum Islam, die christlichen Dogmen seien „unlogisch“
bzw. unverstehbar, vor allem das Gottesbild. Die Vorstellung eines „einen“
Gottes, um dessen Differenziertheit sich der Mensch nicht kümmern muss,
erscheint ihnen erträglicher. Auch spielt die Vorstellung vom „leidenden Gott“
für viele eine anstößige Rolle – Gott am Kreuz? Das kann nicht sein … es will
ihnen nicht in den Kopf, wie es auch schon vielen Juden nicht einleuchten
wollte.
Der aufgeklärte Westen glaubt seit
200 Jahren, man könne all diese triftigen Differenzen zwischen den religiösen
Lebens- und Weltkonzepten durch bewusst herbeigeführte religiöse Ignoranz oder
wenigstens Indifferenz aufheben. Die Vorstellung, man erkläre die Religion zur
„Privatsache“ und gestalte ein laizistisches Gemeinwesen, verlockt mit
erleichternden Potenzialen: endlich können wir zusammenleben, ohne uns
gegenseitig zu fressen oder zu unterwerfen!
Allerdings hat sich die Religion im
Angesicht der Säkularisation nicht nur selbst aufgehoben, sondern auch überall
radikalisiert – warum das so ist, harrt noch eingehender Untersuchung… Im
Abendland ist das Sektenwesen angewachsen und hinter der Fassade der Privatheit
spielen sich häufig Dramen ab.
Im säkularen Staat hat sich die
Religion mit ihren internen Ordnungen der staatlichen Ordnung zu unterwerfen.
Nicht nur der Islam erkennt das aber
definitiv nicht an, denn er ist eine politische Religion, die einen
Dominanzanspruch in sich trägt, der zur Sendung dieses Glaubens gehört.
Auch die Kirche hat das gesamte 19.
und einen großen Teil des 20. Jh genau wegen dieses Anspruchs ihre Krise selbst
herbeigeführt: mit dem drohenden Zerfall des Kirchenstaates zerrüttete sich in
wenigen Jahrzehnten der über mehr als ein Jahrtausend systematisch immer höher
geschraubte Machtanspruch des Papsttums, den man nur noch schwer oder gar nicht
mit dem „Kreuzweg“ des Herrn der Kirche zusammenbringen konnte, der doch der
Weg des Christen und der Kirche sein muss. Jedenfalls hat es der Herr genau so
verfügt. Nicht von pompöser weltlicher Allmacht hat er gesprochen, nicht davon,
dass Päpste die Universalherrscher der Welt seien, sondern davon, dass seine
Diener nicht mehr sein sollen als der Herr, dessen Machtverzicht in dieser Welt
in den Versuchungen Jesu in der Wüste programmatisch ausgesprochen wird: der
Satan bot Jesus die Welt an. Der Preis dafür war, sich vor dem Bösen auf die
Knie zu werfen und ihn anzubeten. In dieser Erzählung scheint auf, dass es in
diesem Äon Macht über die Welt nur im Verbund mit dem Bösen geben kann.
Was immer zur Verteidigung der
aufgeblähten weltlichen Macht der Kirche vorgebracht wird – es lässt sich mit
der Predigt und dem Leben und Sterben des Herrn nicht vereinbaren. Ein unguter
Samen hat sich in die Kirche eingeschlichen, wohl von Anfang an schon, und
seine Saat ging langsam und verhängnisvoll auf.
Verhängnisvoll heißt: Selbst wenn
Päpste den Versuch unternommen haben, diesen totalitären Anspruch auf weltliche
und geistliche Übermacht über alle weltlichen Fürsten rückgängig zu machen,
gelang es nicht mehr. Man verlor die Macht, konnte aber den Anspruch auf die
Dominanz in der Gestaltung der Gemeinwesen nicht aufgeben, ohne das, was sich
als Kirche etabliert hatte, zu stürzen. Eine Amalgamierung von rein irdischen
und geistlichen Traditionen war entstanden, die kaum mehr voneinander zu lösen
war.
Die Tragik der Kirche ist nach dem
Vaticanum II, dass einerseits eine berechtigte und längst überfällige Reform
eingeleitet wurde. Andererseits aber war es unmöglich, dieses über so viele
Jahrhunderte gewachsene institutionelle Gebilde der Kirche in kurzer Zeit von
seinen Auswüchsen zu reinigen.
Nimmt man Jesu Rede ernst, ist es
sogar unmöglich, diese Reinigung des „Ackers“ zu erreichen. Der Christ muss
aushalten, dass nirgends auf Erden größere Schizophrenie wirkt als in der
Kirche. Warum? Wir wissen es nicht! Aber der Herr sagte, Unkraut und Weizen
sollten zusammen aufwachsen und niemand solle versuchen, das Unkraut
auszureißen. Wer es versuche, reiße den gesunden Weizen mit aus. Die radikalen
Restaurationsversuche des 19. und frühen 20. Jh haben der Kirche vermutlich den
größeren Schaden zugefügt, als dies vielen klar ist. In der radikalen ultramontanen
und später der Antimodernismus-Krise wurde mehr Gesundes zerstört, als die
Kirche es verkraften konnte. Die Hierarchie überblendete ihre Befugnisse, um
das „Übel mit der Wurzel auszureißen“. Um also genau das zu tun, was Jesus
untersagt hatte:
„Da
sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen? Er entgegnete:
Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus.“ (Mt.
13)
Und sie erntete auch genau das, was
Jesus angekündigt hatte: Es war die Hierarchie, die auch den Weizen ausriss.
Unsere Krise liegt nicht am
wachsenden Unkraut, sondern daran, dass Hierarchen glaubten, es ausreißen zu
müssen und damit das Gesunde zerstörten.
Wo soll ein Papst hier und heute da
noch anfangen?
Eigentlich müsste er sein
Pontifikat zu einem Pontifikat der Buße, des Schweigens und Gebetes machen.
Aber auch das ist unmöglich. Oder nur möglich in der Unmöglichkeit, wofür der
Rückzug Benedikts XVI. ebenso stehen kann wie der Coelestins V.
Franziskus ist nach den in der Absicht
vorsichtigen („pastoralen“) und in der Wirkung vor allem chaotischen
Reformversuchen der Päpste der zweiten Hälfte des 20. Jh endgültig eine
Jammergestalt der Hilflosigkeit.
Wenn ihm angesichts der Gewalttätigkeit
des Islam unsere eigene Gewalttätigkeit in der Geschichte einfällt, dann mag
man das angesichts der aktuellen Weltlage für unausgegoren halten, aber er
spricht einen christlichen Alptraum aus, der in uns pocht, um den wir allesamt
ganz genau wissen und den wir uns auf tausend Weisen schönreden. Daher erntet er
auch solche heftige Entrüstung:
Die Hierarchie hat fast zu allen
Zeiten in nicht geringem Maß die Sendung Jesu verraten, der wirklich nicht so
war wie Mohammed… Aber wir, die Christen ... waren sehr oft genauso wie die
Muslime. Und das nicht aus Versehen, oder weil wir es nicht besser gewusst
hätten, sondern ganz bewusst. Wir bastelten eine Alltags-Theologie, die solche
Gräuel erlaubte, Päpste schrieben neben Gegenteiligem auch sehr wohl Lehramtstexte,
die Mord, Vertreibung und Versklavung nicht nur rechtfertigen, sondern auch anordnen
konnten. Das Kirchenrecht trug in einer Welt, die den Staat zum verlängerten
Arm kirchlicher Ansprüche umfunktioniert hatte, tatsächlich auch
scharia-ähnliche Züge. Auch wir Christen verstümmelten Menschen (vor allem in
Byzanz). Auch wir verfolgten und verbrannten Ketzer und führten Religionskriege
im eigenen Gebiet. Auch wir unterdrückten (trotz Polygamie-Verbotes) die Frau
und setzten sie auf erbärmliche Weise, fundiert von gewissen Kirchenvätern und
ihren heidnisch inspirierten Philosophien, so weit zurück, dass man sich fragen
konnte, welchen Rang dann die Braut Christi sich selbst eigentlich noch
zuerkennen wollte…Auch wir drückten bei der Hurerei der männlichen Fürsten alle
Augen zu, während wir ein ähnliches Verhalten bei Frauen unverhältnismäßig dramatisierten. Auch wir hassten die Juden, ghettoisierten
sie, grenzten sie aus fast allen Berufen aus, markierten sie äußerlich nach dem
Vorbild des Umgangs der Muslime mit den Juden, verleumdeten sie, pressten ihnen
Sondersteuern ab, vertrieben sie und zettelten fromme Pogrome gegen sie an.
Und auch wir haben für all das
Heerscharen von traditionalistischen Apologeten, die es besser wissen müssten.
Auch sie sprühen so beschämend oft vor Hass, Selbstgerechtigkeit und
Respektlosigkeit und radikalisieren sich in immer weiteren Spaltungen.
Es ist ein bestimmter „Pool“ von
Narrativen entstanden, was denn überhaupt „Tradition“ sei. Während Progressive
oft auf frühchristliche Traditionen zurückgreifen wollen, haben sich die
meisten Traditionalisten auf die Engführungen des 19. Jh eingependelt. Sie
betrauern weniger einen objektiven Traditionsverlust als den Verlust eines
kirchlichen Ambientes, das man bis zum Beginn des 20. Jh mit einem enormen
propagandistischen Aufwand als alleine gültig etabliert hatte.
Unzählige Bücher bejammern den
Zustand und fordern eine „Rückkehr zur wahren Lehre“. Sie alle wissen offenbar ganz genau, wie ein gesundes kirchliches Leben in der wahren Lehre auszusehen hat, sind sich darüber aber mehr als uneinig. Und überhaupt: Nachdem man
jahrhundertelang unter rigidem Lehrzwang, erstickenden Alltagsnormen und
Denkverboten geseufzt und das Vaticanum II befreit willkommen geheißen hatte,
sehnt man sich nun so unreflektiert und unbedarft zurück an die Fleischtöpfe
Ägyptens?
Franziskus weicht geistlichen Fragen
und Themen sehr oft und auffallend aus – so, als wüsste er nichts mehr dazu zu
sagen. Er schreibt endlose Lehramtstexte über Umweltpolitik und sentimentale
Gedanken zur Liebe nieder, aber das, was die Menschen brennend interessiert, lässt
er aus – nämlich klare Antworten auf klare Fragen.
Die Progressiven haben begriffen,
dass sie ihn nicht wirklich für sich vereinnahmen können, und die
Traditionalisten und Konservativen ebenfalls.
Er ist einsam in der Kirche.
Irgendwie tappt er in einem Irrgarten herum.
Irgendwie tappt er in einem Irrgarten herum.
Was also hat er vor, um was geht es
ihm?
Und vor allem: Was kann er
überhaupt leisten, nachdem sein Vorgänger die Segel gestreckt hat?
Fragen wir doch einmal anders: Wie
gläubig sind die Menschen wirklich? Wie gläubig waren sie früher? Was ist denn
überhaupt Glaube? Ich meine: wenn man aufhört, zum Glauben zu erpressen oder zu
verführen, und stattdessen das freie „Fiat“ geduldig erwartet und die Beziehung
des Einzelnen zu Gott nicht mehr dermaßen überreguliert und kontrolliert, wie
dies lange ausgeübt wurde?
Es sieht aus, als hätte man nur die
Wahl zwischen erpresstem, rein formellem Glauben, einem Glaubens-Brauchtum und
einem wachsenden Desinteresse am Glauben.
Ist das so?
Wir sind heute längst schon
jenseits des Scheidewegs: heute muss in religiöser Hinsicht niemand mehr etwas
selbstverständlich und schon gar nicht deswegen, weil es immer so üblich oder
immer „Tradition“ war. Vor allem weiß man heute auf eine ruhigere und
objektivere Art und Weise um die anderen, die einem schon so lange und so
hartnäckig widersprechen. Und die Welt ist enger geworden, wir hängen alle mehr
zusammen als früher und wirken uns gegenseitig tief in die Gesellschaften
hinein und dies meist auf eine problematische Weise. Die innerislamische
Katastrophe zeugt davon, dass man dort versucht, um jeden Preis diese
Entwicklung zu verhindern. Allein – es ist zu spät!
Das traditionalistische Schisma
dagegen, das sich in der Kirche schon vollzogen hat und weiterhin anbahnt,
versucht auf einem ähnlichen Weg wie der Islam, wenn auch bislang noch unter
Verzicht auf physische, nicht aber psychische Gewalt, die freie
Auseinandersetzung mit der Welt hier und heute zu verhindern. Der katholische
Traditionalismus hat einerseits Züge evangelikaler Sekten wie der Hutterer und
Amishen, die die Kostüme und Lebensstile älterer Zeiten für ein göttliches
Gebot halten. Andererseits bedient er sich modernster Techniken, um seine
Ideologie zu verbreiten, vor allem die postmodernen Kommunikationsmedien. Seine
Neigung zum politisch „Rechtsgerichteten“ hängt mit diesem Wunsch nach
Konservierung älterer politischer Zustände zusammen. Ein krudes,
selbstgebasteltes Gemisch aus Kirchenlehre, überspanntem Moralismus,
monarchistisch ausgerichtetem Nationalismus und altbewährten, aber
unbegründbaren (und nie so gelehrten!) Vorurteilen wird als „wahrer Glauben“
ausgegeben. Auf die Dauer entpuppt sich dies als hochkomplexe Märchenwelt mit
überbordenden Widersprüchen. In gewissem Sinn ist es eine katholische
Glamourwelt. Sie erfüllt tiefe Sehnsüchte nach gerechten Königen und schönen
Prinzessinnen und einem gottseligen Arkadien in diesem Äon. Aber erfüllt sie
die Sehnsucht nach Gott als dem wirklich ganz
Anderen, der aus jeglicher Perspektive dieses Äons, auch der
traditionellsten, glamourösesten und „ehrbarsten“, doch unsichtbar bleibt?
Aussteigerberichte aus
traditionalistischen Kreisen und neuen geistlichen Gemeinschaften führen eine
erschreckende Doppelmoral, heuchlerische Frömmigkeit und die Struktur von
Geheimgesellschaften vor Augen.
Wer ein bisschen nachdenkt, merkt
also bald, dass es damit für das, was einst unsere abendländischen
Mystikerinnen entdeckten, nämlich den Weg in die „innere Seelenburg“, die man
dem Herrn schon übergeben hat, und in deren verborgenstem Gemach der Geist zum
Geist spricht, bei den Traditionalisten nichts ist. Sie pflegen lieber
„ignatianische Exerzitien“ und üben den formellen „Kadavergehorsam“ ein. Ihre
Präferenz gilt dem Hierarchischen und der Unterwerfung – ganz ähnlich wie im
Islam. Sie lehnen die Demokratie ab und unterstellen moderneren, politischen
Gerechtigkeitskonzepten „Gleichmacherei“, ohne diesen Vorwurf im einzelnen zu
begründen oder begründen zu können.
Die katholischen Traditionalisten
sind ebenso wie die Charismatiker und die Progressiven Leute, die ihre Auffassung vom „wahren Glauben“ eben nicht primär an der Lehre, sondern an deren sinnlicher
Ausgestaltung aufhängen und darum mehr Ideologie als Glaube pflegen.
Franziskus wirkt in diesem
Hexenkessel wie einer, der selbst völlig desillusioniert ist, der sich von der
Religion hüben wie drüben nichts mehr erwartet. In hastiger täglicher Rede
wirft er mal den einen, mal den anderen einen Happen hin. Und alle bekommen
ebenso hastig, mal hier mal da auch etwas hinter die Löffel.
Es stellt sich die Frage für uns
alle, wie man hier und heute glauben kann, ohne in die alten Fallen zu tappen
und ohne den Glauben zugunsten der postmodernen Unsicherheit zu relativieren
oder aufzugeben.
Jesu fragte einst, ob er noch
Glauben finden werde, wenn er kommt. Das ist die Frage, die uns angeht.
Sie stand immer im Raum, diese
Frage.
Nach seiner Lehre ist der Glaube
ein Kreuzweg und der Weg der Kirche einerseits ein „Menschenfischen“,
andererseits aber ein Niedergang in dieser Welt mit dem Herrn. Die Kirche kann
in dieser Welt ebenso wenig eine Erfolgsstory sein wie der Lebensweg Jesu!
Wer, der wirklich glaubt, kann sich
darüber wundern?
Oder haben wir an etwas anderes
geglaubt, viele Hunderte von Jahren? Haben wir selbst Jesus mit Mohammed
verwechselt und gedacht, wir müssten eine christliche Umma schaffen, und das um
jeden Preis?
Obwohl der Herr uns das - gerade
das! - nicht verheißen hat?
Wenn das unser Problem ist, und ich
glaube, es ist unser Problem, dann kann man nachvollziehen, dass ein Papst
einfach nicht mehr weiterweiß.
Benedikt zog sich vornehm zurück –
Franziskus steht hilflos im Raum und rettet sich in einen Dauerdialog, dessen
Ergebnisse ihm gleich sind.
Er redet, als wollte er die Zeit
überbrücken, bis –
Ja: bis was eigentlich?
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