Sonntag, 20. April 2014

Christus resurrexit!

Christus resurrexit!
 Resurrexit vere!



Tulpen -
in temporibus tenebricosis
Christus resurrexit!


"Aber auch die weibliche Gestalt, die ich früher vor dem Altare (...) erblickt hatte, wurde mir wieder gezeigt. (...) Von der Mitte des Leibes an abwärts bis zur Stelle des weiblichen Erkennens, hatte sie mannigfaltige schuppenähnliche Flecken. Ein unförmliches, ganz schwarzes Haupt erschien dort.
Seine Augen glühten wie Feuer. Es hatte Ohren wie ein Esel, Nase und Maul wie ein Löwe. (...)
Von seinem Haupt an bis zu den Knien war die Gestalt weiß und rot und erschien wie von heftigem Stoßen verletzt. (...)
Und siehe, nun löste sich das unförmliche Haupt mit lautem Krachen von seiner Stelle, so dass dadurch die ganze Gestalt der Jungfrau in all ihren Gliedern erschüttert wurde. Und eine gewaltige Masse von Kot sammelte sich um das Haupt, so dass es sich wie auf einem Berg emporhob und zur Höhe des Himmels aufzusteigen versuchte. Aber da traf plötzlich ein Donnerschlag das Haupt mit solcher Wucht, dass es vom Berge herabstürzte und seinen Geist im Tode aushauchte. Alsbald umwehte ein übelriechender Nebel den ganzen Berg und darin das Haupt, von solchem Schlamm umhüllt, daß die umstehenden Scharen in größten Schrecken versetzt wurden. Der Nebel verweilte (...)
Als die anwesenden Leute dies sahen, sprachen sie (...): " Wehe! Wehe! Was ist das? (...) Lasst uns umkehren! Kehren wir eiligst zurück zum Zeugnisse des Evangeliums Christi. Denn ach! ach! Bitter sind wir getäuscht worden."
Und sieh, da erschienen die Füße der Jungfrau blendend weiß und gaben einen Glanz, der strahlender leuchtete als der Glanz der Sonne."

(Hildegard von Bingen: Scivias. III,11)

Samstag, 5. April 2014

Fatima und die Verbindlichkeit anerkannter Erscheinungen (II)

Wurde die "Gottheit Jesu Christi Gott aufgeopfert"?

Gedanken zum Gebet des Engels 1916, zur traditionellen Opfertheologie und zur Frage, ob selbige „theologischen Unsinn“ enthalten

Polemik gegen das Gebet des Engels in Fatima

Unlängst – ich falle gleich mit der Tür ins Haus - verstieg man sich auf einem Blog, das Gebet des Engels in Fatima, gerichtet an die Heiligste Dreifaltigkeit, als „theologischen Unsinn“ zu betiteln. Der Blogartikel trägt den Titel „Dogmatik ist wichtiger als Privatoffenbarungen“ und stellt u.a. eine Polemik gegen das fragliche Gebet dar, die erst einmal vorausschickt, kein Mensch müsse sowieso eine kirchlich approbierte „Privatoffenbarung“ glauben.[1] Warum dann aber die Aufregung darüber?

Ja, ja, ja, möchte man erst einmal rufen, natürlich, selbstverständlich steht das Dogma über einer bloßen „Privatoffenbarung“, aber wenn man den Artikel liest, gerät man mehr und mehr ins Staunen, wie Dogmatik offenbar ein Feld privater Meinungen oder auch Ignoranzen geworden ist, die man dann in theologischer Holzfällermanier nicht nur gegen die „Privatoffenbarung“, die ja besser gesagt eine seit 1930 kirchlich anerkannte, mit dem „constat de supernaturalitate“ („die Übernatürlichkeit steht fest“) bestätigte Erscheinung ist, sondern auch mithilfe einer total missverstandenen dogmatischen Setzung gegen zentrale dogmatische Sätze des Trienter Konzils ankämpft.

Dogma und Prophetie sind zwei Seiten einer Medaille

Allein an dieser Stelle tritt, bevor wir weiter über den „theologischem Unsinn“ sprechen wollen, ein logischer Unsinn zutage:
Die Kirche hat die Erscheinungen und Offenbarungen an die Seherkinder in Fatima anerkannt. Diese Offenbarungen sind keineswegs etwas Privates und dienen nicht der persönlichen Erbauung der Betroffenen. Konkret hat die Muttergottes an den Papst, die Gläubigen und die ganze Welt über die kleinen Propheten Jacinta, Francisco und Lucia eindeutige und präzise Forderungen gestellt, die zu erfüllen seien.
Wer eine solche Botschaft als übernatürlich anerkennt, kann, sofern er nicht schizophren denkt, unmöglich zugleich behaupten, es müsse sich aber keiner dran halten.

Zu der Behauptung, dass nun jedes übernatürliche Erlebnis oder Ereignis unter der Rubrik „Privatoffenbarung“ abzuschmettern sei, hat sich Bischof Rudolf Graber 1984 folgendermaßen geäußert:
„(Wir weisen) eine irrige Meinung zurück, als ob Gott die große Offenbarung mit dem Tod des letzten Apostel so abgeschlossen hätte, daß ihm in der nun folgenden geschichtlichen Periode - fast in deistischer Weise - keine Eingreifmöglichkeit mehr zur Verfügung stünde. Dabei übersieht man, dass der Kirche Christi der Heilige Geist gegeben wurde, der die Jünger Christi alles lehren wird (vgl. Joh. 14, 26) und der Söhne und Töchter weissagen, die Jünglinge Gesichte und selbst Greise Traumgesichte schauen lässt (vgl. Apg. 2, 17) (…) Wir müssen mit dem Einbruch des Geistes rechnen und dürfen nicht alles von unserer menschlichen Vernunft erwarten. Dieser Einbruch des Geistes erfolgt in vielfältiger Form, nicht zuletzt durch Engel und Heilige, und hier vor allen durch die Erscheinungen der Gottesmutter, die nach den Worten des Konzils >>dem wandernden Gottesvolk als Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes bis zur Ankunft des Tages des Herrn voranleuchtet<<."[2]
Nun ist Bischof Graber beileibe nicht der einzige, der das Phänomen von übernatürlichen Wirkweisen des Herrn in die Geschichte hinein sorgsamer bedacht hat. Laurenz Volken reflektiert in seinem Buch über „Die Offenbarungen in der Kirche“ von 1964 auf seine Weise die Gesamtproblematik mit großer Akribie.[3] Es zeigt sich, dass die Kirche zwar einerseits immer vorsichtig umgegangen ist mit übernatürlichen Erscheinungen, weil sie besonders gerne exaltierte Geister anziehen und ein Feld für freies Fabulieren und Wichtigtuerei sein können, deren Realität nur schwer – auch für das Lehramt - zu kontrollieren ist. Zugleich ist der „Kanal“, auf dem Gott zu den Menschen spricht, auch der Weg, auf dem der Satan als Lügner und Blender dem Herrn seine Konkurrenz ansagt und Menschen in die Irre führen kann. Große Heilige, die selbst mystisch begabt waren, wie Johannes vom Kreuz, haben daher z.T. strikte davon abgeraten, solche Geistesgaben anzustreben oder gar zu suchen oder zu erbitten.[4] Andere, wie Franz von Sales, äußerten sich ähnlich, wenn auch offenherziger, unterwarfen aber jede Erscheinung einer sorgsamen Prüfung durch das formelle Lehramt, um hier nicht in Fallen des Satans oder persönlicher Eitelkeiten abzustürzen.[5] Das heißt, man folgte der Spur, solche überraschenden und in Demut empfangenen Geistesgaben voll anzuerkennen, nachdem sie sorgsam geprüft worden waren. Dass dabei keine neuen oder irrigen Lehren verbreitet werden durften, versteht sich von selbst und wurde schon in Teil I ausführlich besprochen.
Die Fallgruben, die in der einbrechenden Übernatürlichkeit für den sündhaften Menschen existieren, sind jedoch keinerlei Argument dagegen, dass Gott doch auf genau diesem Weg zu Menschen in die Geschichte hinein redet oder reden lässt: Über die „Grundlehre (dass der Heilige Geist v.a. durch das formelle Lehramt wirkt, Anm. HJ) dürfen wir nicht vergessen, dass der Geist der Weissagung, dessen Rolle in der Kirche beträchtlich ist, in ihr bleibt, wenn auch in etwas untergeordneter Weise. Er ist es, der die großen Fortschritte und die großen Erneuerungen in der Kirche anregt, und manchmal auch in den unscheinbarsten Menschen. Und in dieser Form ist das prophetische Charisma zwar keineswegs an die Priesterschaft gebunden, aber es ist ihr unterworfen. Es gibt keine Periode in der Geschichte der Kirche, in der sich diese Anregung durch den Geist nicht erkennen lässt.“[6]
Die Kirchengeschichte weist überdies immer wieder das Phänomen auf, dass visionär begabte Gläubige verkannt und durch die Priesterschaft vorübergehend verworfen wurden.[7] Volken geht dabei einigen Beispielen weit zurückliegender Jahrhunderte nach.

Die schizophrene Haltung der Päpste gegenüber Fatima ist eines der auffallendsten Probleme des Kirche im 20. Jahrhundert. Keiner von ihnen hat gewagt, etwa wie die Autorin der genannten Polemik, die Erscheinungen von Fatima inhaltlich und theologisch öffentlich und direkt in Frage zu stellen. Die Anforderung an den Papst, die in der Botschaft enthalten ist, haben sie allerdings entweder gar nicht oder eigenwillig oder nur halb erfüllt. Oder, sie haben wie Johannes XXIII., die Gottesmutter von Fatima, die sich mit Ihrer Sorge im Verein mit den antimodernistischen Päpsten befindet, als einen der vaticinatores rerum adversarum, der „Unglückspropheten“, abgetan. Noch perfider ist die Strategie, der Gottesmutter lehramtliche Worte zu widmen, die ihr Bild so nuancieren, dass ihre reale Erscheinung und Präsenz im Leben der Kirche – zum Beispiel die in Fatima - verdeckt oder sogar verneint wird, obwohl man andererseits ja die Befugnis erteilt hat, über diese Erscheinung zu predigen und zu schreiben. Man setzt Marientexte gegen die Gottesmutter ein, wie Sie glaubhaft und approbiert selbst geredet hat. Diese These ist einen eigenen Aufsatz wert, den ich hier an dieser Stelle jedoch noch nicht präsentieren werde.

Angeblich unsinnige Formulierung im Gebet des Engels

Doch zunächst zurück zum „theologischen Unsinn“ des Engelgebetes. Hören wir uns doch erst einmal den Stein des Anstoßes vollständig an. Der Schutzengel Portugals lehrte die Kinder folgendes Gebet:
Allerheiligste Dreifaltigkeit,
Vater, Sohn und Heiliger Geist,
in tiefster Ehrfurcht bete ich Dich an,
und opfere Dir auf
den kostbaren Leib und das Blut,
die Seele und die Gottheit unseres Herrn Jesus Christus,
gegenwärtig in allen Tabernakeln der Welt,
zur Sühne für alle Lästerungen, Sakrilegien und Gleichgültigkeiten,
durch die Er selbst beleidigt wird.
Durch die unendlichen Verdienste Seines Heiligsten Herzens
und des Unbefleckten Herzens Mariens bitte ich Dich
um die Bekehrung der armen Sünder.“[8]
F. Küble argumentiert hinsichtlich dieses Gebetes und seiner Formel von der „Aufopferung des kostbaren Leib und das Bluts, der Seele und der Gottheit unseres Herrn Jesus Christus“, die auch im  Barmherzigkeitsrosenkranz (und weiteren Sonderrosenkränzen), der an Sr. Faustyna Kowalska offenbart wurde, vorkommt, folgendermaßen:
„Am 6. März dieses Jahres haben wir über einen visionären Sonder-Rosenkranz “zum einladenden Herzen” berichtet, der eine theologisch eindeutig falsche Formel enthält, denn dort ist die Rede davon, daß der Betende dem ewigen Vater die “Gottheit” Christi aufopfert. Das allerdings ist nicht möglich, denn man kann Gott nicht die Gottheit aufopfern, weil diese unsterblich und zudem nicht leidensfähig ist. Wir haben ausführlich  -  auch anhand dogmatischer Lehrbücher  -  dargelegt, daß diese Gebetsaussage logisch und theologisch unsinnig ist.“[9]
Abgesehen davon, dass Küble lediglich Sätze aus Lehrbüchern und von Theologen anführt, teilweise nicht einmal ordentlich und nachvollziehbar zitiert, deren Aussagen jedoch in keiner Weise ordentlich, wie es üblich ist, diskutiert oder im Rahmen einer bestehenden theologischen Debatte referiert, sondern als „Totschläger“ einfach ihrer These beifügt, widerspricht Kübles doch sehr großspurig vorgetragene Meinung einer zentralen Aussage der katholischen Dogmatik, die allerdings seit dem 19. Jahrhundert und schließlich mit dem Vaticanum II von immer mehr Theologen klammheimlich über Bord geworfen wurde – unbemerkt für viele, gerade auch konservative Katholiken.
Es geht um die Frage der Opfertheologie, wie sie das Konzil von Trient ein für allemal ausgesprochen hat. Kübles rhetorischer Hinweis darauf, ein Kritiker dieser Formulierung – Konrad Algermissen - sei nicht nur angesehen, sondern auch „konservativ“ gewesen, ist daher leerlaufende Propaganda für eine Position, die auf ihren Sachinhalt hin und nicht daraufhin, wer sie ausgesprochen hat, befragt werden muss. Leider ist mir die fragliche Kritik Algermissens nicht zugänglich, und folglich kann ich nicht über sie urteilen.
Ich möchte aber anhand eines anderen Beispiels zeigen, dass die Debatte um das Gebet des Engels Anzeichen des Glaubensabfalls durch die Theologie seit mindestens 100 Jahren sein dürfte, der sich inzwischen – gespiegelt auch im Novus Ordo Missae - flächendeckend ausgebreitet hat.

Häretische Opfer-Theologie am Beispiel Joseph Ratzingers

Nicht zuletzt hat der angesehene und für konservativ gehaltene Joseph Ratzinger, der nachmalige Papst Benedikt XVI. in seiner „Einführung in das Christentum“ eine merkwürdig verwaschene Theologie des eucharistischen Opfers präsentiert, die er der Erklärung Anselms von Canterbury (1033-1109) in dessen Dialog „Cur Deus homo“ und - ohne dies ehrlich zuzugeben - vor allem dem Tridentinum entgegensetzt.[10] Anselm hatte ausführlich einige Implikationen des christlichen Glaubens diskutiert, die aus der Sicht eines Ungläubigen anstößig wirken, darunter zentral die Inkarnation Gottes ins Fleisch als notwendige Voraussetzung für die Erlösung des sündhaften Menschen und die komplexe Theologie des Opfers. Ein Ungläubiger wird fragen, wieso Gott, wenn er den Menschen retten und erlösen will, dies nicht rein geistig tut und stattdessen die Mühe auf sich nimmt, in die leibhaftige Niedrigkeit des Menschen herabzusteigen und an seiner Stelle zu leiden und zu sterben und auf diese Weise sich selbst anstelle des Sünders als ein Sühneopfer darzubringen und den Menschen dadurch zu retten und zu erheben?[11] „Durch Gottes gerechtes Urteil nämlich war beschlossen und gleichsam durch eine Urkunde bekräftigt worden, daß der Mensch, der freiwillig gesündigt hatte, aus sich weder Sünde noch Sündenstrafe vermeiden konnte.“[12]
Es ist logisch, wenn man sagt, Gott sei inkarniert ins Fleisch, um sich selbst leidensfähig zu machen. Nun nimmt jedoch der Ungläubige an der Aussage Anstoß, Gott habe gelitten und sei gestorben, um an unserer Stelle das zu erleiden, was Folge des menschlichen sündhaften Zustandes sei. Diese Aussage schwäche unseren Gott doch und nehme ihm gewissermaßen das Gottsein weg. Anselm kontert hier, dass es bei der Inkarnation Gottes nicht um Seine Erniedrigung, sondern – im Gott-Menschen – um unsere Erhöhung gehe:
„So nämlich bezeichnen wir keine Erniedrigung der göttlichen Substanz, sondern zeigen, daß die Person Gottes und die des Menschen eine sei. (…)  So wird folglich unter der Inkarnation Gottes keineswegs seine Erniedrigung verstanden, sondern es wird geglaubt, daß die Natur des Menschen erhöht ist.“[13]
Ratzinger behauptet nun demgegenüber, das „zweite Jahrtausend der abendländischen Christenheit“ sei entscheidend durch diese Gedanken Anselms geprägt worden, dass „Christus am Kreuze sterben musste, um die unendliche Beleidigung gutzumachen, die geschehen, und solchermaßen die verletzte Ordnung wiederherzustellen.“[14] Wir erkennen spontan, dass diese alte und traditionell katholische Auffassung auch in den Formulierungen des Engels von Fatima eine zentrale Rolle spielen. Es geht nicht nur um eine diffuse „Buße“, sondern um das Anwachsen der Beleidigungen Gottes und die Notwendigkeit des Opferns und Sühnens.
Ratzinger gesteht Anselm zwar zu, dass in dieser Theorie auch „entscheidende biblische und menschliche Einsichten eingefangen sind“[15], man aber „auf der anderen Seite nicht leugnen könne (…), dass das perfekt logisierte göttlich-menschliche Rechtssystem, das Anselm aufgerichtet hat, die Perspektiven verzerrt und mit seiner ehernen Logik das Gottesbild in ein unheimliches Licht tauchen kann.“[16] Diese Formulierung lässt den Leser für kurze Zeit ratlos zurück. Doch dann fährt Ratzinger fort, in der Erlösungstat Jesu Christi den „ganz über sich hinausgekommene(n) und so wahrhaft zu sich gekommene(n) Menschen[17] zu erblicken. „Die volle Menschwerdung des Menschen setzt die Menschwerdung Gottes voraus.[18] Im Klartext: Ratzinger will die Frucht der Erlösungstat unter Umgehung des konkreten blutigen Opfers ernten. Gott musste offenbar nur zu dem Zweck Mensch werden, um sich in den sich selbst behauptenden Menschen liebend hinein zu inkarnieren, damit derselbe endlich vollgültig Mensch würde. Die Frage, warum der Mensch nicht vollgültig Mensch sei, wird diskret vernachlässigt. Was überhaupt „volle Menschwerdung“ jenseits der vagen Formulierung „Er (der Mensch) ist (…) ganz er selbst, wenn er aufgehört hat, in sich zu stehen, sich in sich abzuschließen und zu behaupten, wenn er die reine Öffnung auf Gott hin ist“[19] sein soll, verbirgt Ratzinger hinter gelehrtem, aber verschwommenem Wortschwall. Im übrigen gehört das "In-sich-Stehen" des Menschen ja an sich erst einmal zu dessen gottebenbildlicher Personwürde und ist für sich genommen kein Problem und auch keine Sünde. An späterer Stelle jedoch lässt er die Katze aus dem Sack und verrät seine Leugnung der tradierten Opfertheologie ausdrücklich: „Wenn (in Hebr. 9,11 ff) gesagt wird, Jesus habe durch sein Blut die Versöhnung vollzogen (9, 12), so ist dieses Blut nicht wieder als eine sachliche Gabe zu verstehen, als ein quantitativ zu bemessendes Sühnemittel, sondern es ist einfach die Konkretisierung einer Liebe, von der gesagt wird, dass sie bis zum Äußersten reicht.“[20] Das heißt im Klartext, der „konservative“ Theologe Ratzinger verleugnet hier ausdrücklich das konkrete Sühneopfer Christi durch sein Blut!

Die unfehlbare Opfertheologie des Tridentinums

Das Tridentinum hatte dagegen auf der 22. Sitzung im Dekret „Sacrosancta oecumenica (10)“ im Kanon 1 noch festgestellt: „Wenn jemand sagt, in der Messe werde Gott nicht ein wahres und eigentliches Opfer oder was aufgeopfert wurde, sei nichts anderes, als dass uns Christus zur Speise gegeben werde, der sei im Banne.“ Ein „eigentliches Opfer“ ist ein Opfer im konkreten Sinn: die Zerstörung einer Gabe zur Genugtuung und zur Wiederherstellung eines Gleichgewichtes. Ratzinger aber will gerade das nicht hören. An anderer Stelle behauptet er, „Opfer“ sei einfach „Anbetung“ bzw. ein „Exodus des Für, das sich selbst verlässt“.[21] Er will das „Blutige“ und Gewaltsame des Opfers ersetzen durch ein bloßes weiches Hingeben oder gar eine Art sanfte Metamorphose.
Nun hat aber das Tridentinum folgendes festgehalten: „Obwohl also dieser unser Herr und Gott sich selbst (Hebr. 7, 27 und 9, 28) einmal auf dem Altare des Kreuzes, durch Dazwischentretung des Todes, Gott dem Vater aufopfern wollte, um daselbst die ewige Erlösung zu bewirken. So hat er doch, weil sein Priestertum durch den Tod nicht getilgt werden sollte, am letzten Abendmahle, in der Nacht, in welcher er überantwortet wurde – um seiner geliebten Braut, der Kirche, nach dem Bedürfnisse der menschlichen Natur, ein sichtbares Opfer zu hinterlassen, durch welches jenes Blutige, das einmal am Kreuze vollbracht werden musste, vergegenwärtigt, (1 Kor. 11, 24 du 26) sein eigenes Andenken aber bis zum Ende der Zeit verbleiben und desselben heilsame Kraft der Verzeihung der Sünden, deren wir uns täglich verschulden angeeignet würde – sich als den für ewig (Psalm 109, 4) Priester nach der Ordnung des Melchisedechs erklärt und seinen Leib und sein Blut unter den Gestalten des Brotes und des Weines Gott dem Vater aufgeopfert und unter den Symbolen der nämlichen Dinge den Aposteln, die er damals zu Priestern des Neuen Bundes einsetzte, zum Genusse übergeben und ihnen und ihren Nachfolgern im Priestertum dasselbe aufzuopfern mit den Worten befohlen (Lk 22,19; 1 Kor. 11,24): „Tut dies zu meinem Gedächtnis“, wie die Katholische Kirche diese immer verstand und lehrte.“[22]
Was lässt dagegen Joseph Ratzinger verlauten?
„Das Wesen des christlichen Kultes besteht demnach nicht in der Hingabe von Dingen, auch nicht in irgendeiner Zerstörung, wie man seit dem 16. Jahrhundert immer wieder in Meßopfertheorien lesen kann – auf diese Weise müsse die Oberherrschaft Gottes über alles anerkannt werden (…). Alle diese Denkbemühungen sind durch das Christusgeschehen und seine biblische Auslegung einfach überholt.“ [23]
Dieser Satz sagt nichts weniger als die Verleugnung und Aufgabe der unfehlbaren Lehre von Trient, die ihrerseits auf einen ganz präzisen und konkreten Auslegung der biblischen Texte beruht. Wer allerdings die „Messopfertheorie“ des Tridentinums verleugnet oder ihr widerspricht, ist automatisch im Bann.
Denn die Dogmen, die Dekrete und die Verwerfungen vorangegangener Konzilien stehen niemals mehr zur Disposition – auch nicht einer privaten Meinung eines Theologen, von denen es allerdings seit 150 Jahren in der Kirche so sehr wimmelt, dass sie aufgrund ihrer Mehrzahl den Anschein der Rechtgläubigkeit vorgaukeln, der Sache nach aber bleiben, was sie sind: Häretiker.

Einpoliges Verständnis eines zweipoligen Lehrsatzes

Die Autorin des polemischen Artikels gegen das Gebet des Engels von 1916 in Fatima zerpflückt im Verbund mit Fatima-Kritikern, deren Treue zum Tridentinum jedoch fraglich ist, die Formulierung von der Aufopferung der „Gottheit Jesu Christi“ und unterlegt ihr eine angeblich häretische Bedeutung: „Das allerdings ist nicht möglich, denn man kann Gott nicht die Gottheit aufopfern, weil diese unsterblich und zudem nicht leidensfähig ist.“[24] Es wird eine Differenz konstruiert zwischen der göttlichen Persönlichkeit Jesu Christi, die sich sehr wohl für uns geopfert hat als das Opferlamm und der „Gottheit“ Jesu Christi, die leidensunfähig sei und daher auch nicht sterben konnte. Küble doziert noch ein wenig weiter und verstrickt sich in ausgesprochen spekulative Differenzierungen, die zu treffen die Kirche aus Ehrfurcht und im Wissen um die Unvorstellbarkeit der Heilstat Jesu Christi stets vermieden hat:
„Die Gottheit Jesu kann gar nicht Gegenstand des Opfers sein, denn opfern heißt, so schreibt der bewährte “Grüne Katechismus”, Gott eine sichtbare Gabe darbringen, um ihn als den höchsten HERRN zu ehren. Darum ist der ewige Sohn Gottes Mensch geworden, damit ER sich dem himmlischen Vater zum Opfer darbringen konnte zur Erlösung der Welt. Was natürlich nichts daran ändert, daß Jesu Heilstat gleichwohl in Wert und Bedeutung ein “göttliches” Opfer darstellt , insofern Christus eben GOTT(-Mensch) ist und der “Träger” der Person Christi seine Gottheit ist (welche schon vor seiner Menschwerdung ewig existiert). Unser Heiland ist auch in seiner himmlischen Herrlichkeit Gott und Mensch zugleich (mit seinem verklärten Auferstehungsleib). Aber konkret “geopfert” hat ER nicht seine Gottheit, die ja nicht leidensfähig ist und die ihrem Wesen nach nicht sterben kann. Der Sohn Gottes ist vielmehr Mensch geworden vor allem deshalb, um so sein Opfer vollziehen zu können.“[25]
Man muss sich fragen, wie sich Küble samt den Kritikern, hinter denen sie sich verschanzt, das „Gottmenschentum“ Jesu eigentlich vorstellen, was sie unter „Gottheit Jesus Christi“ verstehen und ob sie überhaupt noch bereit sind, die Beschlüsse des Trienter Konzils anzuerkennen. Ihre Differenzierungen erreichen den Tatbestand des Absurden. Wenn „unser Heiland (..) auch in seiner himmlischen Herrlichkeit Gott und Mensch zugleich“ (ebenda) ist, dann ist es abwegig zu behaupten, seine Göttlichkeit habe mit seinem Opfer gewissermaßen nichts zu tun, sondern nur sein Menschsein. Das würde ja bedeuten, dass man den Gottmenschen zerteilt in den Menschen einerseits und den Gott andererseits und seine Göttlichkeit aus seinem Heilshandeln ausschneidet, wie etwas, das nicht dazugehören kann. Damit wird im übrigen der alte nestorianische, als Häresie verworfene Standpunkt wieder aufgewärmt. Wie wir zusätzlich nachgewiesen haben, hat das Tridentinum sogar ausdrücklich festgehalten, dass die Gottheit sich sich selbst opfert (s. Anm. 22).
Die Problematik solch zwanghaften Differenzierungswillens („Konkret geopfert hat ER nicht seine Gottheit, die ja nicht leidensfähig ist…s.o.) benennt übrigens auch Pohle ganz glasklar, auf dessen Dogmatik-Lehrbuch sich Küble (was die dogmatische Begründung betrifft) ausschließlich bezieht:
„Die erste Frage (inwiefern Christus zugleich Priester und Schlachtopfer war) ist nach den christologischen Grundsätzen dahin zu beantworten, dass es der Gottmensch oder noch schärfer der Logos in Person gewesen, welcher zum Schlachtopfer (…) auserkoren war, freilich nicht durch die Funktion seiner göttlichen, sondern nur durch seine menschliche Natur.“
Pohle bemerkt jedoch selbst, und man muss annehmen, dass Küble dies nicht weitergelesen hat, dass eine solche Zuspitzung der Formulierung im letzten Satzteil, der den ersten Teil möglicherweise bei voreingenommener Lesart gleich wieder vergessen lässt, äußerst missverständlich ist und den Erlöser all jenen in die Hände spielt, die seine Göttlichkeit bzw. sein konkretes, göttliches Schlachtopfer hintansetzen oder gar bestreiten wollen, was ja eines der Hauptprobleme moderner Theologie ist. In der Reduktion Christi als Opferlamm auf seine „Funktion als Mensch“ hat zu einer grenzenlosen Gottvergessenheit und zur Selbstüberhebung des Menschen in der modernen Menschenmachwerkskirche geführt.
Pohle fährt daher kleingedruckt fort:
Denn wie die Behauptung, nur die menschliche Natur sei geopfert worden, auf Nestorianismus hinausliefe, so wurde die andere, die Gottheit als solche sei gekreuzigt und geopfert worden, offenbar auf den theopaschitischen Monophysitismus hinaussteuern. Beide häretischen Extreme werden vermieden durch Einhaltung der „wahren Mitte“, indem man einerseits zwar lehrt, der Logos selber als das principium quod sei geschlachtet worden, aber andererseits sogleich hinzufügt: nur seiner alleine leidensfähigen Menschheit als dem principium quo. Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich in unmittelbarer Folgerung aus dem Dogma von der hypostatischen Union.“
Küble erfasst offenbar die Zweipoligkeit dieser Analyse nicht. Möglicherweise ist ihr Problem auch, dass sie das Gebet des Engels in seiner Zweipoligkeit nicht erkennt.

Analogie des Opfers Christi in einer Märchengeschichte

Jedermann kennt diese Märchenerzählungen, in denen ein Fürst, um die Lebenswelt der Armen kennenzulernen und für sie zu erdulden, in deren Kleider schlüpft, sich inkognito unter sie mischt und in der Folge all die Schmach und Fron ihrer Lebenssituation ganz genauso und unter der Meinung, er sei einer von ihnen, wobei er ja auch tatsächlich einer von ihnen geworden ist (!), erduldet. Als Fürst im Fürstengewand hätte er diese Situation niemals „authentisch“ erdulden können, eben weil er kein Armer ist. Es wäre ein hohles Spiel geblieben. Dennoch kann man nicht behaupten, er würde nun die Schmach und Fron, die er, weil er sich für die Armen zum Armen gemacht hat, nicht auch voll und ganz als Fürst erdulden. Würde man sagen, dass er die Schmach der Armut nur der angenommen Natur als Armer nach erdulde, würde man den Kern dessen, was da geschieht, ebenso verfehlen, wie wenn man sagen würde, er erlebe, weil er ja im Wesen doch vor allem der Fürst ist, die Schmach des Armen ausschließlich als Fürst.
Einerseits erduldet zwar tatsächlich mit einem gewissen Vorrang der Fürst die Schmach, allein weil er die Aktion zu den Armen hin willentlich und initiatorisch sucht. Die Expansion in den Stand des Armen ist eine fürstliche Intervention – keineswegs eine der Armen. Würde der Fürst nur der angenommen Lage nach das Los der Armen erdulden, wäre dieses Opfer sinnlos, weil es den Armen nicht erheben könnte aus seinem Elend. Der Sinn dieses Opfers besteht tatsächlich andererseits darin, dass die Erhebung des Armen nur geschehen kann, wenn der Fürst sich als Fürst hinab begibt in dessen Zustand, um ihn von dort aus abzuholen.

« Per viscera misericordiae Dei visitavit nos oriens ex alto »

Großartig drückt dies das Benedictus aus mit der Formel:
« Per viscera misericordiae Dei nostri in quibus visitavit nos oriens ex alto illuminare his qui in tenebris et in umbra mortis sedent. »
Per viscera misericordiae Dei – ein poetischer Ausdruck, der bedeuten kann „durch das Fleisch der Barmherzigkeit unseres Gottes“ (viscera = Fleisch) oder „durch das Innerste, das Mark der Barmherzigkeit unseres Gottes hat uns besucht der Morgenstern aus der Höhe, damit die erleuchtet würden, die in Finsternis und Todesschatten sitzen.
Die Innigkeit der Verschränkung Gottes mit dem Menschen in der hypostatischen Union kommt hier perfekt zum Ausdruck. Die Fleischwerdung, die Inkarnation Gottes ist nicht bloß eine Auslagerung in einen ihm fremden Zustand, sondern andersherum eine Hineinnahme unseres Fleisches in sein „Mark“.
So kann M.J. Scheeben in seiner Dogmatik schreiben, man dürfe sich nicht dazu verleiten lassen, bei Christus und Maria den Gesichtspunkt der bloßen menschlichen Frucht in den Vordergrund zustellen: „Das verbietet schon der Wesensbegriff Christi als des fleischgewordenen Wortes; denn dieses ist an erster Stelle eine göttliche Person, welche die menschliche Natur sich einverleibt und besitzt, und erst an zweiter Stelle ein die Gottheit besitzender Mensch.“[26] Er leitet diese Sicht aus den Ergebnissen des Konzils von Ephesus 451 ab, die Maria eben nicht vorrangig als die Mutter der Menschheit Jesu Christi betrachten, sondern als die der Gottheit Jesu Christi. Und Scheeben argumentiert weiter: „Wie daher die Person Christi, formell betrachtet, eine rein göttliche, nicht eine menschliche oder auch nur gottmenschliche ist, so kann man auch die Mutterschaft ihr gegenüber nicht als eine gottmenschliche bezeichnen, was in der Tat unerhört ist, sondern muss sie schlechthin als eine göttliche charakterisieren.“ (a.a.O)

Wörtliche Übereinstimmung zwischen dem Engelsgebet und einem Kanon von Trient!

Welche Probleme auch immer modernistische Theologen und nachkonziliare Laien mit dem Gebet des Engels 1916 in Fatima vorbringen, sind doch, gemeinsam mit allen christologischen Dogmen älterer Konzilien, vor allem die Konzilsbeschlüsse von Trient eindeutiges Zeugnis für die theologische Richtigkeit der Formulierung des Engels. Auf diesem Konzil (1545-1563) wurde die durch den Protestantismus total in Frage gestellte und verdorbene, in große Verwirrung gestürzte Opfertheologie der Heiligen Kirche ein für allemal in festen Formeln ausgesprochen und jeder, der ihnen widerspricht, unter Anathema gestellt.
Die fragliche Formulierung des Engels aus Fatima ist die wortwörtliche Wiedergabe des 1. Kanons der 13. Sitzung auf dem Konzil von Trient:
Si quis negaverit, in sanctissimae Eucharistiae Sacramento contineri vere, realiter & substantialiter Corpus & Sanguinum una cum anima & divinitate Domini nostri Jesu Christi, ac proinde totum Christum, sed dixerit tantummodo esse in eo, ut in signo, vel figura, vel virtute; anathema sit.“
Zu Deutsch:
„Wenn jemand leugnet, (oben, Kap 3) dass in dem heiligsten Altarsakrament, wahrhaft, wirklich und wesentlich der Leib und das Blut, zugleich mit der Seele und der Gottheit unsers Herrn Jesu Christi und folglich Christus ganz enthalten sei, sondern sagt, er sei in demselben nur, wie in einem Zeichen oder Bilde oder der Kraft nach, der sei im Bann.“[27]
Und nun noch einmal die anstößige Formulierung im Gebet des Engels:
in tiefster Ehrfurcht bete ich Dich an,
und opfere Dir auf
den kostbaren Leib und das Blut,
die Seele und die Gottheit unseres Herrn Jesus Christus,
gegenwärtig in allen Tabernakeln der Welt (…)“ (s.o.)
Felizitas Küble ebenso wie allen vollmundigen Kritikern Fatimas sei ans Herz gelegt, doch bitte ganz genau zu lesen und zu rezipieren, was die Kirche lehrt und was sie verwirft – die wahre Kirche, nicht die Kirche, die wir seit 50 Jahren erleben, in der alles und nichts mehr möglich ist.
Nach dem Konzil von Trient wurde durch Pius V. ein neuer Katechismus herausgegeben, der „Römische Katechismus“, der bis ins 20. Jahrhundert hinein noch maßgeblich war, der die fragliche Problematik noch einmal ausdrücklich und eindeutig klärt:
„Denn, wie Damascenus erklärt hat, dieses Sakrament (der Eucharistie) verbindet uns mit Christus, und macht uns seines Fleisches und seiner Gottheit teilhaftig.[28]
Vollends spricht folgende Bemerkung aus dem Römischen Katechismus die gedankliche Problematik in folgendem Satz aus:
„Auch in anderer Hinsicht nennen wir das Blut Christi Geheimniss des Glaubens, weil nämlich darin die menschliche Vernunft die grösste Schwierigkeit und Anstrengung findet, da uns der Glaube für wahr zu halten vorstellt, Christus der Herr, der wahre Sohn Gottes, und zugleich Gott und Mensch, habe für uns den Tod gelitten, welcher Tod durch das Sakrament des Blutes bezeichnet wird.“[29]
Zu beachten ist hier auch, dass eine Differenzierung, wie sie Pius X. in seinem Katechismus vornimmt, hier ausdrücklich ausgeschlossen wird. Pius X. schreibt lapidar – zu lapidar – wie man an den Folgen sieht:
„Jesus Christus starb als Mensch, weil Er als Gott weder leiden noch sterben konnte.“ (§ 89)
Küble stützt sich auf diesen Paragrafen, unterschlägt jedoch, dass Pius X. in anderen Lehrsätzen diese Aussage erst präzisiert. Pius X. hat damit offenkundig nicht sagen wollen, dass Christus unter Zurücklassung seiner Gottheit Mensch wurde und starb. Auch Pius X. stimmt der Akzentuierung Scheebens voll und ganz zu, indem er in § 77 schreibt:
„Indem der Sohn Gottes Mensch wurde, hörte Er nicht auf Gott zu sein. Vielmehr begann Er, während Er wahrer Gott verblieb, auch wahrer Mensch zu sein.“[30]
Die Differenzierung, die mancher modernistische Theologe mitsamt fatimakritischen Laien glaubt tätigen zu müssen, ist demgemäß unzulässig. Wenn er auch im Geopfertwerden nicht aufhörte, Gott zu sein, ist ein Gebet, das die Gottheit (besser: „Göttlichkeit“/divinitas) Jesu Christi aufopfern möchte, einfach nur gut katholisch. Wie der Römische Katechismus es sagt, übersteigt diese Glaubenswahrheit, an der unsere ganze Rettung hängt, unsere Vernunft.
Es ist vielleicht bezeichnend, dass im traditionellen Messkanon, in dem die Einsetzungsworte Jesu in der einzig rechten Weise stehen, die Worte MYSTERIUM FIDEI wie ein großes Stoppschild in das Kelchwort eingeschoben sind. In der verunstalteten Messe durch Paul VI. ist genau diese Formel aus dem Kelchwort herausgenommen und an eine spätere Stelle platziert worden. Es geht aber wirklich um das Geheimnis, wie das Blut Jesu Christi, als „göttliches Blut“ – obwohl Gott eigentlich für sich selbst und ohne Inkarnation ins Menschsein nicht bluten kann – uns zur Rettung vergossen wurde.
Dieses Geheimnis, in dem sich Gott uns geschenkt hat, sollte uns erschauern und erschüttert schweigen lassen.
Das Gebet des Engels betont vor allem anderen das wahre und echte Gottmenschentum des Erlösers. Der Beter soll aufopfern „Leib und Blut des Sohnes Gottes“, also seine menschliche Seite und eben auch die Gottheit/divinitas Jesu Christi, ohne die das Kreuzesopfer seinen Sinn niemals hätte erfüllen können. Dass divinitas hier nicht die rein geistige göttliche Natur meint, sollte vor dem Hintergrund der Formel „wahrer Gott und wahrer Mensch“ eigentlich selbstverständlich sein. Wer wollte denn im Ernst die Göttlichkeit des geopferten Agnus Dei bezweifeln?!

Geheimnis des Glaubens: die Gottheit hat sich, indem sie Mensch wurde, opferbar gemacht hat

Die Autorin des genannten polemischen Artikels gegen das Engelsgebet aus Fatima ebenso wie alle Kritiker, die ihr zustimmen, bestreiten das Geheimnis unserer Erlösung:

Dieses Geheimnis, das weit über unseren Verstand geht, dass Gott sich nämlich als Gott, in dem er Mensch wurde, opferbar gemacht hat. Ja, die Gottheit hat sich opferbar gemacht, indem sie Mensch wurde! Unser Zustand, in den wir willentlich und von unserer Seite her irreversibel geraten sind, beleidigt  die große Gottheit, die sich an uns gebunden hat wie sich ein Ehemann an seine Frau bindet. Wenn die Verbindung zwischen Gott und Mensch der Gottheit wirklich „ins eigene Mark“ geht, weil er uns so liebt und ganz in sich und bei haben will, dann ist das biblische Bild des „Ehebruchs“ für das Elend des Menschen vor Gott wahrhaftig treffend. Wie ein betrogener Mann oder eine betrogene Frau nicht einfach sagen kann: „Schwamm drüber!“, so wäre eine rein geistige Amnestie von seiten Gottes seiner tiefen Liebe zu uns nicht angemessen. Ein verletztes Eheband kann auch immer nur mit großer Mühe auf beiden Seiten und einem unermesslichen Opfer aufseiten des betrogenen Teils wieder geheilt werden… Gott musste sich als Gottheit opferbar machen, weil er uns liebt wie sein eigenes Mark. 
In dieser Erkenntnis liegt im übrigen auch beschlossen, warum ein Christ sich zu Lebzeiten seines wahren Ehegatten nicht wieder verheiraten darf, ohne sich von Gottes Liebe erneut einseitig zu trennen: das abgrundtiefe Geheimnis der Liebe Gottes zu uns wird mit Füßen getreten. Wie Schuppen fällt es uns von den Augen: eine Theologie, die abstreitet, dass die Gottheit sich als Gottheit zum Menschen und damit opferbar machte, ruft auch den Wunsch nach einem „Recht“ auf Zulassung der wiederverheirateten Geschiedenen zur Heiligen Kommunion auf den Plan.

Wenn wir in die Kirche sehen, finden wir kaum noch Glauben an die Göttlichkeit Jesu Christi. Das Gebet des Engels in Fatima in seiner zweipoligen Anlage, die die Menschheit und Gottheit des Erlösers betont, weist auf einen verloren gegangenen und verdunkelten Glauben hin. Wir sollten innehalten und diese Worte dankbar wie ein kostbares Geschenk annehmen.

Artikel wurde auch auf www.katholisches.info veröffentlicht. Die Diskussion findet sich dort im Kommentarbereich.


[2] Rudolf Graber, Marienerscheinungen. Würzburg 1984, S. 10
[3] Laurenz Volken, Die Offenbarungen in der Kirche, Innsbruck 1964
[4] Volken, S. 234
[6] Volken, Die Offenbarungen in der Kirche, S. 239
[7] Volken, S. 240
[8] Mura/Huber: Fatima – Rom – Moskau, S. 22
[10] Joseph Ratzinger: Einführung in das Christentum, München 2005, S. 218
[11] Anselm: Cur Deus homo. Liber primus, XI+XII
[12] Anselm: Cur Deus homo. Liber primus, VII, 7
[13] Original: „quapropter cum dicimus Deum aliquid humile aut infirmum pati non hoc intelligimus secundum sublimitatem impassibilis naturae sed secundum infirmitatem humanae substantiae quam gerebat et sic nostrae fidei nulla ratio obviare cognoscitur (…) sic enim nullam divinae substantiae significamus humilitatem sed unam Dei et hominis monstramus esse personam (…)  non ergo in incarnatione Dei ulla eius humilitas intelligitur facta sed natura hominis creditur exaltata“ Anselm von Canterbury: Cur Deus homo? (Liber primus VIII, 8 ). Lateinischer Text nach der Edition von F.S. Schmitt, S. Anselmi Opera omnia (Edinburgh 1940), übersetzt und in Teilsatzgliederung ins Netz gestellt von Hans Zimmermann (Görlitz 2006)
[14] Ratzinger a.a.O. S. 219
[15] Ratzinger a.a.O. S. 219
[16] Ratinger a.a.O. S. 220
[17] Ratzingera.a.O. S. 221
[18] Ratzinger a.a.O., S. 221
[19] Ratzinger a.a.O. S. 221
[20] Ratzinger a.a.O. S. 270
[21] Ratzinger a.a.O., S. 271
[23] Ratzinger a.a.O., S. 270
[24] http://charismatismus.wordpress.com/2014/03/09/fatima-fragen-zum-gebet-des-engels/
[25] ebenda
[26] M.J.Scheeben: Die bräutliche Gottesmutter. Aus dem Handbuch der Dogmatik hrsg. und für weitere Kreise bearbeitet von Carl Feckes. Freiburg 1936 (Herder), S. 43f
[28] Pius V.: Römischer Katechismus nach den Beschlüssen des Konzils von Trient, Passau 1839, S. 227 oder 4. Hauptstück, IV
[29] a.a.O., S. 239 oder 4. Hauptstück, XXIV

[30] Katechismus der Katholischen Lehre des hl. P. Pius X., Kirchen/Sieg 1974

Dienstag, 25. März 2014

Fatima und die Verbindlichkeit anerkannter Erscheinungen (I)



Fatima und die Verbindlichkeit anerkannter Erscheinungen




Fatima als „Stachel im Fleisch“ der Kirche

Die aufrüttelnden Erscheinungen in Fatima 1917 und die Dinge, die sich zwischen den drei Seherkindern, der Gottesmutter und dem Engel abgespielt haben, sind Gegenstand heftiger ideologischer und theologischer Kämpfe und können nur im Rahmen der mannigfaltigen Traditionsabbrüche nach dem Vaticanum II. in ihrer Tragik verstanden werden.
Die Botschaft von Fatima ist inhaltlich keine Privatsache, dient auch keineswegs der Erbauung einer überschaubaren Gruppe von angesprochenen Personen, sondern richtet sich an den Papst, an die Kirche im ganzen und schließlich an die Welt in Form eines deutlichen Appells, um nicht von einem Befehl zu reden. Die Nichtbeachtung des Befehls bedeutet für die ganze Menschheit, aber besonders für die ganze Kirche großes Leid. So hat es die Gottesmutter mitgeteilt. Und die Kirche hat diese Erscheinungen im Jahr 1930 mit dem „constat de supernaturalitate“ approbiert.

Immer wieder wird behauptet, es obliege bei kirchlich approbierten „Privatoffenbarungen“ dem Ermessen des Gläubigen, ob er sie für wahr hält oder nicht.[1] Die kirchliche Anerkennung bedeute nicht, dass die Kirche die private Offenbarung positiv anerkenne, sondern nur ein „nihil obstat“, dass dem auf diese Weise Offenbarten nichts entgegen stehe.[2] Man könne es nicht abweisen, weil es der eigentlichen göttlichen Offenbarung nicht widerspreche. Dennoch könne das privat Offenbarte auch falsch sein.
Diese Behauptung steht in Korrespondenz zu der nach dem Konzil entstandenen Verunklarung im Umgang mit den verschiedenen Typen von „Offenbarungen“, persönlichen mystischen Erfahrungen einerseits und übernatürlichen Eingriffen Gottes in eine Gemeinschaft andererseits. Nur für den ersten Typus trifft der Begriff „Privatoffenbarung“ im strengen Sinne zu. Anders gelagert sind alle Fälle, die inhaltlich und strukturell weit über eine bloße private Mitteilung oder Gnadenerfahrung hinausgehen. Es dürfte unmittelbar einleuchten, dass es etwas anderes ist, ob jemand ein bloßes Bild sieht, oder ob er einen Befehl Jesu oder der Gottesmutter entgegennimmt, der vom Papst oder einem Bischof ausgeführt werden soll. Dass solche „Offenbarungen“ der abgeschlossenen apostolischen Offenbarung im Sinne einer Erweiterung des Heilsnotwendigen oder der Heilslehre überhaupt nichts hinzusetzen dürfen, galt immer selbstverständlich. Es ist eigentümlich, dass man diese Selbstverständlichkeit in einem solchen Maße betonen muss. Selbst wenn manche Menschen „Privatoffenbarungen“ über die Lehre der Kirche stellen sollten (was vorkommt), ist diese beständige Betonung doch vor allem ein rhetorisches Mittel und suggeriert, eine „riesige“ Zahl von Menschen würden Privatoffenbarungen über die Lehre der Kirche stellen, und man müsse nun endlich damit aufräumen. In fast jedem Winkel der christlichen Welt aber kennt man den deutlichen und anerkannten Eingriff Gottes oder der Gottesmutter in das historische Geschehen. Stiftskirchen an vielen Orten zeugen davon, das Gedächtnis an wunderbare Bewahrungen in Kriegen; ja überhaupt die für Heiligsprechungen notwendigen Wunder und die Heiligsprechung an sich selbst bezeugen, dass die Kirche weder solche übernatürlichen Erfahrungen noch die Personen, denen sie zuteil werden, für eine Nebensache erachtet hat. Auch wenn solche nach-apostolischen, historischen Niederschläge des wundertätigen Gottes nicht den Status eines Dogmas haben, sind sie dennoch eine selbstverständliche und unabweisbare Realität in der Kirche von Anfang an. Allein ihr Charakter als Ereignisse oder Weisungen in die geschichtliche Situation hinein scheidet sie kategorial von der abgeschlossenen Heilslehre. Es kann nur als perfide bezeichnet werden, wenn die Kritiker solcher Offenbarungen permanent suggerieren, alle Welt verwechsle sie mit der abgeschlossenen apostolischen Offenbarung im Glaubensgut. Es trifft eher zu, dass heutzutage viele Gläubige durch die Hirten nicht mehr darüber informiert werden, was Lehre der Kirche ist.
Angesichts der verheerenden Lage in der Kirche sind weniger die „Privatoffenbarungen“ das primäre Problem als die heillose theologische Verwirrung, die das Lehramt selbst erzeugt, ein Abfall vom Glaubensgut in mannigfaltigen „Abflüssen“.

Zur Problematik illegitimer Zusätze zur Glaubenslehre

Die Frage, was als illegitimer Zusatz zur Glaubenslehre zu betrachten ist und was nicht, ist, wenn man genau hinsieht, ausgesprochen „haarig“ und ein Feld jahrhundertelanger Streitereien und Kirchenspaltungen. Immerhin wirft der Protestantismus der katholischen Kirche zentral vor, mannigfaltige „Hinzufügungen“ zur „biblischen“ Lehre gemacht zu haben und fordert ein militantes „sola scriptura“. Dieser protestantische Vorwurf rührt aus der faktischen Situation her, dass die Kirche die abgeschlossene Offenbarung über die Jahrhunderte erst definiert und entfaltet und dies auch für vollkommen legitim und sogar notwendig gehalten hat.
So fallen nicht nur die Inhalte von sogenannten „Privatoffenbarungen“ und Erscheinungen, sondern auch die der Lehrentfaltung in die Kategorie der „Hinzufügungen“, die aus einer bestimmten Sicht „unter Verdacht“ stehen. Wir bewegen uns also auf dünnem Eis und sollten wohl abwägen, was wir sagen. Kategorial sind diese „Hinzufügungen“ – wie bereits gesagt - allerdings keine Erweiterungen der Glaubenslehre, es sei denn, es würden tatsächlich fremde, heilsnotwendige Fakten behauptet. Die Kirche hat von Jesus Christus selbst die Legitimation, solche Entfaltungen, Deutungen und Vertiefungen vorzunehmen, anzuerkennen oder eben auch zu verwerfen, solange sie sich selbst dem depositum fidei demütig unterwirft. Manche dieser Entfaltungen haben den Status dessen, was objektiv und irrtumsfrei geglaubt werden muss („de fide“), andere haben diesen Status nicht, stehen deswegen aber nicht unter dem Verdacht, mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch zu sein. Das Lehramt würde wohl kaum etwas als „echt“ und „übernatürlich“ oder meinetwegen im Stande des „nihil obstat“ anerkennen, wenn es damit rechnete, dass das so Approbierte mit einer hohen Wahrscheinlichkeit falsch und damit schädlich für die Gläubigen sein könnte. Hätte das Lehramt von alters her diese Haltung an den Tag gelegt, müsste man eine kirchliche Approbation als reinen Zynismus und Fahrlässigkeit der Hirten bezeichnen.
Die katholische Kirche hat sich wenigstens bis zum Vaticanum II zur Lösung des Vorwurfs eindeutig auf ihre von Jesus selbst gestiftete Sendung hinsichtlich der Lehrbefugnis und der Begleitung durch den Hl. Geist berufen. Auch spricht die Schrift selbst davon, dass sowohl die schriftlichen als auch die mündlichen Traditionen bindend seien, wenn sie von den Aposteln, die der Herr eingesetzt hat, stammen.[3] Wenn immer wieder aufgefordert wird in der Schrift, die Geister zu prüfen, zu unterscheiden, nicht jedem Geist zu glauben etc., dann ist damit ausgesagt, dass ein solcher Prozess nicht nur bevorsteht, sondern auch legitim ist. Aufgabe der Lehramtes war und ist, diese Prüfung mit Autorität zu erfüllen und zu einer klaren, für die Gläubigen eindeutigen Aussage zu kommen. Päpste und Konzilien nahmen daher Definitionen und Verwerfungen vor. Was einmal so ausgesprochen und geklärt war, galt. Die Bemerkung, dass niemand gezwungen sei, etwas „Privatoffenbartes“ zu glauben, schließt nicht ein, dass es öffentlich und ohne sachgemäße, gravierende Gründe bezweifelt oder verworfen werden dürfte. Diese Einschränkung meint vielmehr nur, dass es nicht heilsnotwendig sei, sich die „Privatoffenbarung“ zu eigen zu machen. Im selben Sinne ist es nicht heilsnotwendig, sich die tägliche Predigt oder sogar manche Schreiben der Päpste zu eigen zu machen! Nicht heilsnotwendig heißt aber nicht, dass es deswegen zu vernachlässigen sei.
Nun glauben viele, bei approbierten Offenbarungen mit „sachgemäßen“ Gegenargumenten aufwarten zu können. Bei genauem Hinsehen ergeben sich hier jedoch massive Probleme, die darin begründet liegen, dass mit dem Modernismus seit dem 19. Jh ein theologisches Chaos entstanden ist und die, die glauben triftige Gründe gegen eine kirchliche Approbation vorlegen zu können, oft selbst in einer massiven theologischen Verwirrung oder mindestens Unkenntnis stehen oder sie sogar bewusst hervorbringen wollen. Nach dem Konzil geriet das Lehramt vollends zum Tummelplatz von Kreativität und Eigenmächtigkeit, Zeitgeisthuldigung und frecher Vereinseitigung und Vermischung der Geister. Das ehemals klare Glaubensgut wurde entkernt, ausgehöhlt und hat seither als logische und erwartbare Folge einen beispiellosen Niedergang des kirchlichen Lebens erzeugt.

Das Lehramt hat sich selbst aus der Autorität verabschiedet

An dieser Stelle soll das gegenwärtige Problem schon benannt werden: das Lehramt hat sich aus der objektiven, demütigen, aber vollmächtigen Haltung, die es vor Gott einnehmen sollte, mit dem Vaticanum II verabschiedet und ist seither in dieser häretischen Haltung nicht mehr geeignet oder befugt, über übernatürliche Ereignisse oder Erfahrungen glaubwürdig zu urteilen. Damit ist das ganze gegenwärtige (seit dem Vaticanum II) Dilemma ausgesprochen. Die Verwirrung unter den Gläubigen besteht darin, dass sie, vom Lehramt verraten und verkauft, ihre Zuflucht zu direkten Offenbarungen der Wahrheit suchen, um ihr Heil zu finden. Dass ihnen dort auch der Satan entgegentreten könnte, bedenken sie nicht immer. Es bleibt dem Glaubenssinn der noch verbliebenen Gläubigen auferlegt, hier vorläufige, zutreffende Urteile zu formulieren. Aber jeder sieht sofort, dass dies ein unhaltbarer Zustand ist.

Was ist unter einer „Privatoffenbarung“ überhaupt zu verstehen?

Der KKK von 1993 äußert sich dazu ausgesprochen ungenau:
„Im Laufe der Jahrhunderte gab es sogenannte ‚Privatoffenbarungen’, von denen einige durch die kirchliche Autorität anerkannt wurden. Sie gehören jedoch nicht zum Glaubensgut. Sie sind nicht dazu da, die endgültige Offenbarung Christi zu ‚vervollkommnen’ oder zu ‚vervollständigen’, sondern sollen helfen, in einem bestimmten Zeitalter tiefer aus ihr zu leben. Unter der Leitung des Lehramtes der Kirche weiß der Glaubenssinn der Gläubigen zu unterscheiden und wahrzunehmen, was in solchen Offenbarungen ein echter Ruf Christi oder seiner Heiligen an die Kirche ist.
Der christliche Glaube kann keine ‚Offenbarungen’ annehmen, die vorgeben, die Offenbarung, die in Christus vollendet ist, zu übertreffen oder zu berichtigen, wie das bei gewissen nichtchristlichen Religionen und oft auch bei gewissen neueren Sekten der Fall ist, die auf solchen ‚Offenbarungen’ gründen.“ (§ 67)
Diese Erklärung wird nicht weiter ausgeführt und bleibt insofern enttäuschend unklar. Jedem logisch denkenden Leser stellen sich sofort mehrere Fragen:
Wie entscheidet der „Glaubenssinn der Gläubigen“ ganz genau „unter der Leitung des Lehramtes“, welche „Privatoffenbarung“ glaubwürdig, „ein echter Ruf Christi oder seiner Heiligen“ ist? Und vor allem: aufgrund welcher Kriterien? Und wie und wann treffen Glaubenssinn der Gläubigen und Lehramt beide zusammen?
Von welchen „gewissen nichtchristlichen Religionen“ oder „gewissen neueren Sekten“ ist hier die Rede? Spontan fällt jedem Kundigen sofort der Islam ein, der ausdrücklich eine „Vervollkommnung“ und „Korrektur“ des durch die Kirche verfälschten Monotheismus sein will. Jenen Islam aber hofieren die Päpste seit Johannes XXIII. und ordnen ihn gar unter die Religionen ein, die auch zum Heil führen können!
Die Kategorien der „Vervollständigung des bereits abgeschlossen Offenbarten“ und „Offenbarung zur Vertiefung des bereits abgeschlossen Offenbarten“ werden nicht klar und scharf voneinander geschieden. Daher hilft dann auch die gewundene Andeutung von „gewissen“ Religionen und Sekten nicht weiter. Hier hätte jeweils mindestens ein Beispiel ausgeführt werden müssen.
Immerhin aber gesteht der KKK zu, dass die abgeschlossene Offenbarung inhaltlich noch „nicht vollständig ausgeschöpft“ ist. „Es bleibt Sache des christlichen Glaubens, (…) nach und nach ihre ganze Tragweite zu erfassen.“ (§ 66)

Die dogmatische Konstitution Lumen gentium über die Kirche aus dem Jahr 1964 formuliert:
„Derselbe Heilige Geist heiligt außerdem nicht nur das Gottesvolk durch die Sakramente und die Dienstleistungen, er führt es nicht nur und bereichert es mit Tugenden, sondern "teilt den Einzelnen, wie er will" (1 Kor 12,11), seine Gaben aus und verteilt unter den Gläubigen jeglichen Standes auch besondere Gnaden. Durch diese macht er sie geeignet und bereit, für die Erneuerung und den vollen Aufbau der Kirche verschiedene Werke und Dienste zu übernehmen gemäß dem Wort: "Jedem wird der Erweis des Geistes zum Nutzen gegeben" (1 Kor 12,7). Solche Gnadengaben, ob sie nun von besonderer Leuchtkraft oder aber schlichter und allgemeiner verbreitet sind, müssen mit Dank und Trost angenommen werden, da sie den Nöten der Kirche besonders angepaßt und nützlich sind. Außerordentliche Gaben soll man aber nicht leichthin erstreben. Man darf auch nicht vermessentlich Früchte für die apostolische Tätigkeit von ihnen erwarten. Das Urteil über ihre Echtheit und ihren geordneten Gebrauch steht bei jenen, die in der Kirche die Leitung haben und denen es in besonderer Weise zukommt, den Geist nicht auszulöschen, sondern alles zu prüfen und das Gute zu behalten (vgl. 1 Thess 5,12.19-21)." (LG 12)
Es ist unschwer zu erkennen, dass auch diese wortreiche Erklärung keine Präzisierung leistet: Wohl wird zugestanden, dass es zum Aufbau der Kirche „Gnadengaben“ gibt, aber was das konkret bedeutet, wird umgangen. Insbesondere scheint der Satz „Man darf auch nicht vermessentlich Früchte für die apostolische Tätigkeit von ihnen erwarten“ die gerade noch zugestandene Nützlichkeit für das Leben der Kirche wieder aufzuheben. Abgesehen davon ist dieser Satz abwertend formuliert, präzisiert aber sein Ziel nicht. Dass das Urteil über solche Gnadengaben die Kirche fällen soll, ist banal, berücksichtigt aber nicht, inwieweit der im späteren KKK genannte Glaubenssinn hier mit in die Entscheidung des Lehramtes einfließen kann oder soll. Unbeantwortet bleiben alle anderen Fragen: Was sind überhaupt außerordentliche Gaben? Was folgt daraus, wenn jemand aufgrund solcher Gaben eine Mission nicht nur für sich selbst, sondern für alle haben sollte?
Immerhin wird aber in diesem Text, so verschwommen er formuliert, angedeutet, dass diese Gnadegaben von unterschiedlichster Art sein können und das irreführende pauschale Wort „Privatoffenbarung“ für ein vielgestaltiges Phänomen vermieden.

Im Jahre 1978 erließ Paul VI. Richtlinien zum Umgang mit Erscheinungen und Offenbarungen, die insgesamt eine Zurücknahme und Verdunklung der bisherigren kirchlichen Praxis zu enthalten scheinen [4]:
„Andererseits machen es die heutige Mentalität und die Notwendigkeit einer kritischen wissenschaftlichen Untersuchung schwieriger, wenn nicht fast unmöglich, mit der gebotenen Schnelligkeit jenes Urteil zu fällen, das in der Vergangenheit die Untersuchungen zur Sache abgeschlossen hat (constat de supernaturalitate, non constat de supernaturalitate) und den Ordinarien die Möglichkeit bot, den öffentlichen Kult oder andere Formen der Verehrung durch die Gläubigen zu gestatten oder zu verbieten.“
Wenigstens gibt dieser Text kund, dass die Kirche sich bisher ein definitives Urteil zu sprechen vornahm, wenn ein Mensch oder Menschen mit außergewöhnlichen Eingebungen allgemein wahrgenommen wurden und die Gemeinschaft, in der dies geschah, stark bewegte. Entweder eine Erscheinung wurde irgendwann mit dem Satz „constat de supernaturlitate“ anerkannt oder aber mit dem Satz „non constat de supernaturalitate“ abgelehnt – so sagt es das Dokument jedenfalls. Ursprünglich hieß eine Ablehnung bis in die 70er Jahre hinein allerdings „constat de non supernaturalitate“.[5] Dieser Wandel von einer harten zu einer weichen Ablehnungsformel sollte beachtet und auf den Grund hin befragt werden, der zu ihm geführt haben mag. Die weiche Formel lässt offen, dass irgendwann die Übernatürlichkeit doch noch festgestellt wird. Die alte harte Formel schloss dies weitgehend ein für allemal aus. Nur eine völlig neue Erkenntnis über die Sachlage, neues Material und neue Zeugen hätten dann noch einmal zu einer Änderung führen können.
Interessant ist, dass die Richtlinien im Verlauf ein klares und eindeutiges Urteil erst einmal umgehen und ein vages „für den Augenblick steht nichts entgegen“ festhalten wollen:
„Sobald die kirchliche Autorität über irgendwelche mutmaßlichen Erscheinungen oder Offenbarungen Kenntnis erhält, ist es ihre Aufgabe: (…) sofern diese Prüfung zu einem positiven Ergebnis führt, einige Ausdrucksformen des öffentlichen Kultes oder der Verehrung zu erlauben, wobei diese zugleich weiterhin mit großer Klugheit überwacht werden müssen (dies ist gleichbedeutend mit der Formel „pro nunc nihil obstare“).
Eine endgültige Entscheidung wird wegen der „Notwendigkeit einer kritischen wissenschaftlichen Untersuchung schwieriger, wenn nicht fast unmöglich“, und es verbiete sich, in der „gebotenen Schnelligkeit jenes Urteil zu fällen, das in der Vergangenheit die Untersuchungen zur Sache abgeschlossen hat“. Sie wird also vorzugsweise vertagt:
Die Kirche ist gehalten, „im Licht der mit der Zeit gewonnenen Erfahrung und unter besonderer Berücksichtigung der geistlichen Fruchtbarkeit, die aus der neuen Verehrung hervorgeht ein Urteil über die Wahrheit und Übernatürlichkeit zu fällen, wo der Fall es erfordert.“
Damit ist die Möglichkeit eingeräumt, keine definitive Entscheidung zu formulieren. Das hat die Kirche auch immer so praktiziert und nur dann ein Urteil abgegeben, wenn die „Privatoffenbarung“ von einer gewissen Brisanz oder Wichtigkeit für die gesamte Kirche oder mindestens eine Kirchenregion war.
Es kann nicht übersehen werden, dass diese Fassung der Normen unter Paul VI. zur Verwirrung der Lage beigetragen haben und tragen.
Das Schreiben bietet – um etwas Positives zu nennen - einige Kriterien zur Unterscheidung echter und unechter Privatoffenbarungen.
In eine große Ungenauigkeit sinkt dagegen wieder das nachsynodale Schreiben „Verbum Domini“ aus dem Jahre 2010 ab. Benedikt XVI. schreibt da unter Punkt 14:
„Der Wert der Privatoffenbarungen ist wesentlich unterschieden von der einer öffentlichen Offenbarung: Diese fordert unseren Glauben an, denn in ihr spricht durch Menschenworte und durch die Vermittlung der lebendigen Gemeinschaft der Kirche hindurch Gott selbst zu uns. Der Maßstab für die Wahrheit einer Privatoffenbarung ist ihre Hinordnung auf Christus selbst. Wenn sie uns von ihm wegführt, dann kommt sie sicher nicht vom Heiligen Geist, der uns in das Evangelium hinein- und nicht aus ihm herausführt. Die Privatoffenbarung ist eine Hilfe zu diesem Glauben, und sie erweist sich gerade dadurch als glaubwürdig, daß sie auf die eine öffentliche Offenbarung verweist. Die kirchliche Approbation einer Privatoffenbarung zeigt daher im wesentlichen an, daß die entsprechende Botschaft nichts enthält, was dem Glauben und den guten Sitten entgegensteht; es ist erlaubt, sie zu veröffentlichen, und den Gläubigen ist es gestattet, ihr in kluger Weise ihre Zustimmung zu schenken. Eine Privatoffenbarung kann neue Akzente setzen, neue Weisen der Frömmigkeit herausstellen oder alte vertiefen. Sie kann einen gewissen prophetischen Charakter besitzen (vgl. 1Thess 5,19-21) und eine wertvolle Hilfe sein, das Evangelium in der jeweils gegenwärtigen Stunde besser zu verstehen und zu leben; deshalb soll man sie nicht achtlos beiseite schieben. Sie ist eine Hilfe, die angeboten wird, aber von der man nicht Gebrauch machen muß. Auf jeden Fall muß es darum gehen, daß sie Glaube, Hoffnung und Liebe nährt, die der bleibende Weg des Heils für alle sind.“

Fatima wird ins Reich des „Doppeltsehens“ verschoben

In ähnlicher Weise äußert sich Kardinal Ratzinger anlässlich der Veröffentlichung des dritten Teils der Botschaft von Fatima im Jahr 2000.[6] Er zitiert ausgerechnet den Mann, der alles getan hat, und dies mit höchst fragwürdigen Argumenten aus der Hexenküche modernistischer Methoden [7], um die approbierte Botschaft von Fatima herabzuwürdigen: „Der flämische Theologe E. Dhanis, herausragender Kenner dieser Materie, stellt zusammenfassend fest, daß die kirchliche Approbation einer Privatoffenbarung drei Elemente umfaßt: Die betreffende Botschaft enthält nichts, was dem Glauben und den guten Sitten entgegensteht; es ist erlaubt, sie zu veröffentlichen, und die Gläubigen sind autorisiert, ihr in kluger Weise ihre Zustimmung zu schenken (Sguardo su Fatima e bilancio di una discussione, in: La Civiltà cattolica104, 1953 II. 392-406, hierzu 397).“[8] Dhanis ist eine selbsternannte theologische Größe, von keinerlei besonderer Autorität. Des Weiteren muss man sich fragen, ob in der Kirche Sätze nicht mehr in ihrer präzisen Bedeutung verstanden werden dürfen? Wenn die Kirche also eine Erscheinung mit einem „constat de supernaturalitate“ approbierte, dann heißt das nicht nur, dass dem nichts entgegensteht. Es heißt präzise: „Die Übernatürlichkeit steht fest.“ Kardinal Ratzinger widerspricht damit, verschanzt hinter dem Modernisten Dhanis, dem, was die Kirche klar anders formuliert hat. Nun hat die Kirche bislang nicht mit ungenauen und doppeldeutigen Aussagen operiert, sondern mit Aussagen, deren Meinung ihrem präzisen sprachlichen Sinn so weit wie nur möglich entsprach. Ratzinger dagegen verlagert seine Erklärung der Ereignisse von Fatima weit ins Psychologische: „Das Subjekt, der Schauende (…) sieht mit seinen Möglichkeiten, mit den für ihn zugänglichen Weisen des Vorstellens und Erkennens. In der inneren Schau liegt noch weit mehr als in der äußeren ein Übersetzungsvorgang vor, so dass das Subjekt an der Bildwerdung dessen, was sich zeigt, wesentlich mitbeteiligt ist. Das Bild kann nur nach seinen Maßen und seinen Möglichkeiten ankommen. Deswegen sind solche Schauungen nie die reine "Fotografie" des Jenseits, sondern sie tragen auch die Möglichkeiten und Grenzen des wahrnehmenden Subjekts an sich.“[9]

Inflation von Marienerscheinungen nach Fatima

Nun lässt sich allerdings nicht bestreiten, dass wir neuerdings geradezu überschwemmt werden von Erscheinungen und Offenbarungen.
Was ist davon zu halten?
Grundsätzlich könnte ein häufigeres Erscheinen der Gottesmutter eine eschatologische Begründung haben. Sie ist schon in der Zeit des historischen Wandels Jesu Christi Garantin und Gnadenmittel für etwas, und dieses Etwas hat sich im 19. und frühen 20. Jahrhundert lehramtlich noch einmal außerordentlich entfaltet, gipfelnd in den beiden Dogmen von der „Unbefleckten Empfängnis“ (1854) und der Leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel (1950), brach aber mit dem Konzil radikal ab. Es ist ein eigenes Thema, das genau zu untersuchen und auch in Beziehung zum Papsttum und seiner Krise zu setzen. Es geht dabei um die Verehrung des unbefleckten Herzens Mariae als letzter Zuflucht in einer geistlich total verfinsterten Zeit. Es war wichtig, 1870 die Unfehlbarkeit des Papstes festzustellen: „Denn Petri Nachfolgern ward der Heilige Geist nicht dazu verheißen, dass sie aus seiner Eingebung heraus neue Lehren verkündeten. Ihre Aufgabe ist vielmehr, die von den Aposteln überlieferte Offenbarung oder das anvertraute Glaubensgut unter dem Beistand des Heiligen 'Geistes gewissenhaft zu hüten und getreu auszulegen.“ (Pastor aeternus, XVII)[10] Es sind mit dieser unfehlbaren Gewalt nur jene Urteile gemeint, die mit einer bestimmten Formel eingeleitet werden und als solche „ex cathedra“ verkündet werden. Alles, was ein Papst sonst verkündet, verpflichtet keinen Gläubigen, sollte aber alleine aufgrund des Respekts und der Klugheit nicht ohne triftigste Gründe in Frage gestellt werden. Die geistliche Verfinsterung, in der wir leben, hängt an der Krise des Papsttums. Die Päpste vollziehen mit dem Vaticanum II keine ausdrücklichen ex cathedra-Akte mehr, – mit Ausnahme der Aussage Johannes Pauls II., dass das Priesteramt nur dem Mann zukommen könne, was jedoch auch durchgehende Praxis und Überzeugung der Kirche von Anfang an war - , entwickeln aber eine solche Vielzahl von angeblich „pastoralen“, weichen Aussagen und Begriffsumdeutungen, die den harten Normen der Kirche nicht offen widersprechen, sie aber klammheimlich so unterlaufen und aushöhlen, dass kein Gläubiger sich mehr auf das alltägliche Wort des Papstes ohne weiteres verlassen kann. Widersprüchlichkeit, Zweideutigkeit, faktische Sakrilegien (wie z. B. der Korankuss Johannes Pauls II.), Unaufrichtigkeit (die geradezu absurde Deutung Johannes Pauls II., das vorgebliche 3. Geheimnisses von Fatima weise auf das Attentat auf ihn hin, das er jedoch überlebt hat, wohingegen der weißgekleidete Bischof in der Fatima-Vision tot zu Boden fällt) haben das Vertrauen der Gläubigen gründlich zerstört. Benedikt XVI. hat mit seinem Rücktritt 2013 und den damit verbundenen Unwahrheiten (er zieht sich eben nicht für immer unsichtbar ins Kloster zurück, wie behauptet, trägt nach wie vor Papstkleidung, lebt wie ein weltlicher Pensionär mit Feierabend vor dem Fernsehen, anstatt wie behauptet, sein Leben dem Gebet zu widmen etc., und wird von Franziskus unwidersprochen als „Institution“ papa emeritus bezeichnet und nicht als ein Mann, der nicht mehr Papst ist). Wir erleben nun eine faktische päpstliche „Doppelspitze“, die unmöglich „Petrus“ sein kann, die all das, was an Benedikt hoffnungsvoll schien, in Finsternis taucht. Franziskus offenbart mit nahezu jedem seiner widersprüchlichen, polarisierenden und sakrilegischen Worte und Gesten, dass er mit der Lehre der Kirche nur noch von Ferne zu tun hat.
In diesem päpstlichen und lehramtlichen Desaster wird nun möglicherweise das unbefleckte Herz der Gottesmutter als der Schutzschild, der lange still beim Papsttum stand und es stabil hielt, so, wie die Gottesmutter schon auf Golgotha treu unter dem Kreuz stand und ausharrte und den Glauben nicht aufgab, sichtbar. Wir haben zwar Päpste, aber keine päpstliche Autorität mehr. So ist es die Gottesmutter, an die wir uns als unser „Lehramt“ wenden. Ihre Forderung, Ihr unbeflecktes Herz zu verehren und den klassischen Rosenkranz zu beten, der das Glaubensgut kurz und prägnant in jeden Beter einprägt, erscheinen angesichts der Lage als eine kluge und hilfreiche Forderung für jedermann.

So wahr es also ist, dass wir derzeit überschwemmt werden von unglaubwürdigen und nicht-anerkannten, teilweise sogar anerkannten (!) Erscheinungen und Offenbarungen, so wahr ist es andererseits, dass es dem Herrn seit jeher gefallen hat, sich Menschen, die IHM nahestehen, in besonderer Weise zu zeigen. Die Heilige Schrift ist voll von solchen Erzählungen. Es wäre aus der Sicht des katholischen Glaubens völlig verfehlt, dies als Realität zu bestreiten. Die Lehre der Kirche ist uns Gläubigen ja nicht nur ein kasuistisches Abstraktum, sondern ein lebendiger Glaube, der uns durch das Opfer Jesu Christi im Heiligen Geist erleuchtet, verwandelt, reinigt und dies so, wie es Gott gefällt. Es wäre andererseits verfehlt, jedes Erlebnis eines Menschen für eine solche übernatürliche Erfahrung zu halten. Denn der Satan gibt sich als Engel des Lichtes und kann solche Offenbarungen kopieren oder vorschützen.
Es bedarf hier also nicht eines militanten und trotzigen Kampfes gegen Falschmystik und Pseudoerscheinungen oder aber einer ebenso militanten Erscheinungssucht, sondern einer nüchternen, vorsichtigen und sorgsamen Prüfung der Geister.

Wer weidet die Lämmer noch?

Die Gläubigen sind spätestens seit dem Vaticanum II im Hinblick auf die kirchliche Anerkennung oder Ablehnung von Privatoffenbarungen tief verunsichert: das Lehramt widerspricht schon seit einigen Jahrzehnten in grundlegenden Dingen dem traditionellen Lehramt so fundamental, dass wir einen massiven Glaubensabfall erleben. Man belehrt uns von päpstlicher Seite her, eindeutige logische Widersprüche in Kontinuität sehen zu sollen („Hermeneutik der Kontinuität“). Im Klartext: die noch verbliebenen Glaubentreuen sollen in die Schizophrenie getrieben werden, in die geistige und geistliche Krankheit, und wie es aussieht, gelingt dies.
Viele Menschen verweigern sich in diesem Chaos nach Desperado-Manier, folgen einem ihrer selbstgewählten Glaubenshelden, die das vor sich hertragen, was ihnen aus einer „konservativen“ Sicht wichtig erscheint, ohne sich weiter in die wahre und immer gültige Lehre der Kirche zu vertiefen. Und unter denen, die sich ihren eigenen Reim auf die tradierte Lehre machen, sind wiederum viele, die dem, was sie für die tradierte Lehre halten, allerhand beimischen, was dort gar nicht hineingehört. Wer hat das Wissen, die Intelligenz und die Zeit, hier zu prüfen?
Diese katastrophale Situation, die allein durch die Autoritätsverweigerung der Hirten unter dem Motto „ab jetzt nur noch pastoral“ ausgelöst wurde, begünstigt in den Gläubigen die Annahme, dass die bischöfliche Ablehnung oder Anerkennung einer Erscheinung dem Geist des Irrtums entstammen könnte, den das Lehramt ja auch sonst so unbestreitbar an den Tag legt.
Die Behauptung, Privatoffenbarungen seinen allenfalls zur Unterstützung dessen gedacht, was ohnehin schon gelehrt werde, seien also verzichtbar, verkennt die heilsgeschichtlich vielleicht sogar notwendige Dimension prophetischer Charismen. Immerhin nimmt der heilige Paulus von allen frühchristlichen „Geistesgaben“ nur eine einzige ausdrücklich aus seiner Zurückweisung und Kritik aus: das prophetische Reden.[11] Prophetisches Reden soll etwas ins Licht heben, das, obwohl es bekannt ist, doch vergessen und nicht mehr verstehbar schien. Manchmal aber ermöglicht das prophetische Reden auch eine Zukunftsschau, eine rechtzeitige Weisung, um nicht fehlzugehen. Der rüde Hinweis darauf, man brauche so etwas nicht, das gebe schon die abgeschlossene Offenbarung her, würde tatsächlich dem Herrn am Ende noch vorschreiben wollen, was Er in Seiner Barmherzigkeit Menschen zur Hilfe geben kann und darf.
Dennoch, bei aller nachkonziliaren, dem gesunden Hausverstand gebotenen Vorsicht bei neueren „Erscheinungen“, noch dazu, wenn sie in dasselbe nachkonziliar-häretische Horn tuten, muss doch sachlich festgestellt werden:

Fatima ist apokalyptisches Sinnbild für die mannigfaltigen Frontlinien in der Kirche

Auf Fatima trifft die Verworrenheit, die moderne Erscheinungen wie Medjugorje aufweisen, noch nicht zu. Es wurde, wie bereits gesagt, 1930 vom Ortsbischof anerkannt und mit dem Urteil „constat de supernaturalitate“ versehen. Die Wirren um Fatima entsprechen nur den mehrdimensionalen Frontlinien, die sich in der Kirche kurz vor und vor allem nach dem Konzil ausgebildet haben. Sie nachzuzeichnen ist einen eigenen Aufsatz wert. Eine ganz besondere Rolle spielt dabei die auch von scheinbar konservativen Theologen kompromittierte Opfertheologie des Konzils von Trient. Die Botschaft von Fatima richtet sich an die Kirche und die ganze Welt. Wenn sie wahr ist – und das hat uns das kirchliche Urteil darüber bezeugt – dann sollte sie befolgt werden, weil ihr Inhalt ein klarer, präziser Appell ist. Sie ist nicht befolgt worden. Kein Papst hat andererseits gewagt, ihre Wahrheit noch einmal zu leugnen. Fast alle nachkonziliaren Päpste haben Fatima irgendwie einbezogen in ihre Handlungen, wenn auch nicht so, wie gefordert. Zugleich versucht das Lehramt bis heute, die Unbedingtheit der Forderungen der Gottesmutter zu umschiffen und abzuwiegeln. Der schlimme Zustand der Kirche scheint förmlich zu beweisen, dass man sie hätte getreulich befolgen sollen.

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[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Privatoffenbarung, abgerufen am 20.3.2014: „In der römisch-katholischen Kirche kann eine Privatoffenbarung „anerkannt“ werden, aber dies bedeutet nur, dass ihrem Inhalt nach im Sinne eines nihil obstat nichts gefunden wurde, was der heiligen Schrift, der kirchlichen Tradition und dem Lehramt der Kirche – nach katholischem Verständnis die drei Quellen der Glaubenswahrheit – im Widerspruch steht. Es wird also keine Aussage darüber getroffen, ob die jeweilige Privatoffenbarung tatsächlich übernatürlichen Ursprungs ist, dies bleibt vielmehr dem Glauben des Einzelnen überlassen.
[2] http://charismatismus.wordpress.com/2013/10/29/was-bedeutet-die-kirchliche-approbation-einer-privatoffenbarung-genau/, abgerufen am 20.3.2014: „Wenn die Kirche also eine Privatoffenbarung “approbiert”, dann “anerkennt” sie diese nicht etwa in dem Sinne, als ob sie dafür eine lehramtliche “Bestätigung” bieten könne oder wolle; sie lehrt damit auch keineswegs verbindlich die übernatürliche Herkunft einer “Erscheinung”; es geht vielmehr darum, daß sie dem Kirchenvolk den Glauben daran gestattet, daß sie ihn “billigt”.
[3] 2. Thess. 2, 15
[6] http://www.kath.net/news/26686, abgerufen am 20.3.2014
[7] Eine sehr akribische Kritik an den Auslassungen des Paters E. Dhanis bietet Frère Michel de la Sainte Trinité http://www.catholicvoice.co.uk/fatima1/ch2-1.htm, abgerufen am 22.3.2014
[8] http://www.kath.net/news/26686, abgerufen am 20.3.2014
[11] 1. Thess. 5, 20-22