Sonntag, 27. Oktober 2013

Franziskus oder Die Welt ist eine Scheibe

Verbiegungen II:

Der Esel mit den drei Ohren

"Wir müssen aus uns herausgehen, um anderen entgegen zu gehen, uns an die Ränder der Existenz zu begeben, als erstes auf unsere Brüder und Schwestern zuzugehen, vor allem die Entfernten und Vergessenen." (domradio am 27.3.2013[1])




Franziskus spricht gerne von „Rändern“. Von „Rändern der Existenz“. Oder dem „Rand eines Gebotes“.
 „Ränder der Existenz“? Kann die „Existenz“ einen Rand oder mehrere „Ränder“ haben? Hat die „Existenz“ eine „Mitte“?
Existenz heißt Dasein.
In der Welt jedenfalls gibt es keine „Ränder“. Nirgends.
Warum? Die Erde ist rund. Nur eine Scheibe hat Ränder…
Gäbe es auf dem Globus „Ränder“, müsste man bestimmen, wo eine Mitte auf der Oberfläche sein kann. Ginge man vom Erdmittelpunkt aus, lebten alle Erdbewohner gleichermaßen auf dem „Rand“.
Man könnte vermuten, dass F. meint, die Mitte sei da, wohin die Aufmerksamkeit gerichtet ist. Die Ränder seien da, wo niemand hinschaut. Das wäre aber genau genommen nicht der Rand der Existenz, sondern der Rand des Fokus, des Brennpunktes, in versuchtem genauerem Deutsch des „Blickwinkels“. Aber wessen Blickwinkel eigentlich? Deiner? Meiner? Und der Blickwinkel worauf?
Wo ist „die“ Mitte „der“ fokussierten Welt?
Vom Blickwinkel welcher Personen und wohin also spricht er? Will er sagen, es gebe einen Mehrheitsblickwinkel? Vielleicht einen rein ökonomischen Fokus? Aber spielt der in der Kirche wirklich eine Rolle? Wenn ja, wo und seit wann? Oder meint er gar nicht die Kirche, sondern die Welt im allgemeinen? Wo und mit welchem Blickwinkel soll sich die Kirche in der Welt – womöglich sogar mit ihr verschmolzen – positionieren?
Hält nicht der stolze Mensch sich selbst stets für den Mittelpunkt der Welt und versucht, sich in seinem „sozialen Segment“ möglichst ins Zentrum der Macht zu rücken – die Strategie dazu sei einmal dahingestellt? Es sei aber nur soviel gesagt: Auch das feige Schweigen ist eine Form der Machtsicherung, und handle es sichdabei auch nur diekleine unbedeutende Macht des zähen Überlebens.
Aber was genau ist dieses „In-der-Mitte-Sein“? Manche halten sich, obwohl sie im Zentrum ihrer persönlichen Wahrnehmung stehen, doch für „Außenseiter in der Gesellschaft“ oder werden dafür gehalten. Oder finden es „schick“, eine „Ausnahmeexistenz“ zu sein. Es ist einfach so schrill und cool, eine „Minderheit“ zu sein, noch dazu, wenn es eine lobbyistisch etablierte Minderheit ist, die damit kokettiert, dass sie vielleicht in Wahrheit gar keine Minderheit, sondern der Normalfall sei. Mir fallen da spontan Personen mit – aus ihrer Sicht – schutzbedürftigen, „abweichenden“ sexuellen Orientierungen ein. Sie werden an den Rand gedrängt, sagt man. Bloß an welchen Rand? Sie stehen immerhin seit Jahrzehnten im Mittelpunkt der politischen und medialen Aufmerksamkeit. Damit meine ich, dass ihre Interessen statistisch überthematisiert werden. Was ihr großes Lebensdrama betrifft, steht allerdings eine handfeste, solide und redliche interdisziplinäre Beschäftigung am Rande der Diskussion über ihre Interessen. Man sollte die Randexistenz solcher Studien in die Mitte wissenschaftlicher, seriöser Forschung ebenso holen wie die Debatte über die „Orientierung“ der Randexistenzen selbst. Wir merken – das mit der Rede vom „Rand“ ist … sagen wir: schwer zu fassen.
Ist das etwa ein „Rand“, wie Franziskus ihn gemeint hat?
Wohl kaum, denn er mag das vernünftige Denken nicht besonders. In seinen Reden steht es grundsätzlich unter Verdacht. Schade. Seine beiden Vorgänger haben das ganz anders gelehrt. Vernünftige Einsicht in Geheimnisse mache immer (!) verrückt, behauptete Franziskus gestern.[2] Ja, was soll man da noch sagen… Ich könnte diesen Satz, der wohl seiner Selbsterfahrung entstammt, weder bei mir selbst noch bei anderen bestätigen. Merkwürdig. Vernünftiges Nachdenken entzaubert sentimentale Mythen, deckt vermeintliche Geheimnisse als Offensichtliches auf und bleibt respektvoll vor dem Göttlichen stehen, das alle Vernunft übersteigt.
Als ob Gott einen haltlosen, beeinflussbaren, auf die Irrationalität eingeschworenen Menschen wollte! Braucht Franziskus solche Menschen?
Ich muss tief durchatmen, denn ist wieder einmal nicht klar, was Franziskus meint, auch wenn es den Schulz-von-Thun-erprobten Zeitgenossen mit ihren großen kommunikationspsychologischen Eselsohren gut „reinläuft“. Der Esel mit den drei Ohren – dem Beziehungsohr, dem Appellohr und dem Selbstoffenbarungsohr. Ein viertes Ohr ist ihm abhanden gekommen, nämlich das Sachinhaltsohr. Es kommt nicht mehr drauf an, was man sagt, sondern wie man’s sagt. Der Ton macht die Musik. Aber welches Musikstück spielt uns Franziskus da vor?
Will man das Liedlein nachsingen, fällt einem nicht mehr ein, was er gerade geträllert hat. Es ist weg, verschwunden.
Denn vor allem anderen ist die Existenz kein Brennpunkt, kein Fokus, sondern das ganze Dasein. Und das Dasein im ganzen hat weder Rand noch Mitte. Es ist ohnehin zweifelhaft, ob die Existenz mit einem geometrischen Körper vergleichbar ist… Die Rede könnte höchstens von „existentiellen Rändern“ sein und dann könnte man klären, welche existierende Sozietät und deren Struktur man konkret meint. Derartige Präzision habe ich jedoch von Franziskus noch nie gehört.
Auf jeden Fall schürt das Reden vom „Aus-sich-Herausgehen an die Ränder der Existenz“, so unverständlich es ist, wenn man präzise und scharf denkt, die dumpfen und aggressiven Instinkte all jener, die nicht vernünftig zu denken gewohnt sind. Mehrere Schuldzuweisungen, die als Lügen angesehen werden müssen angesichts der Überfülle an Gegenbeweisen, werden hier auf Samtpfoten in den Raum gestellt:
a. Die Kirche sei zu sehr bei sich selbst und gehe nicht nach außen
b. Uns werden nicht weiter definierte Menschen, deren Merkmal ist, dass sie an diesem ominösen Rand stehen, als unsere „Brüder und Schwestern“ serviert – nach der Lehre sind jedoch nur unsere Glaubensgeschwister unsere Brüder und Schwestern. Alle anderen sind einfach andere Menschen.
c. Die Kirche kümmere sich nicht um die Armen und Vergessenen. Nichts anderes tut sie seit es sie gibt – aber sie tut es sekundär. Zuerst kommt die Mission als Proselytismus. Die aber lehnt Franziskus bekanntermaßen und ausdrücklich ab. [3]Jesus hat in seinem Missionsauftrag nicht befohlen, Schulen und Krankenhäuser zu bauen und den eigenen Glauben einzureihen in die vielen Glaubenstraditionen der Welt. ER hat befohlen, zu taufen (also „Proselyten zu machen“) und die Getauften zu lehren, das, was ER gelehrt hat, zu halten. Wundersamerweise haben solche Missionare stets auch Schulen und Krankenhäuser gebaut. F. widerspricht also unserem Herrn direkt und dreist.

Warum schürt Franziskus solche dumpfen Instinkte im Zwielicht verzerrender Behauptungen?
Fragen über Fragen. Unbehagen über Unbehagen.
Es hat etwas Demagogisches.

An einer anderen Stelle spricht Franziskus vom „Rand des Gebotes“: „Als ich ein Kind war, betrat man normalerweise nicht das Haus von Geschiedenen, schon gar nicht, wenn sie wieder geheiratet hatten. Heute ruft der Papst selbst diejenigen, die eine neue Bindung eingegangen sind, dazu auf, am kirchlichen Leben teilzunehmen. Er bittet sie zu beten, in den Pfarrgemeinden und bei karitativen Werken mitzuarbeiten. Ihre Taufe wird nicht, weil sie am Rande des Gebots stehen, aufgehoben. Ich gebe zu, dass der Rhythmus vielleicht nicht dem Tempo der gesellschaftlichen Veränderungen entspricht, doch die geistlichen Führer, die auf die Stimme Gottes hören sollen, müssen sich die erforderliche Zeit nehmen, um die Antworten allmählich zu finden.“[4]
Im Klartext: Menschen, die in schwerer Sünde leben, „stehen (…) am Rande des Gebotes“. Meint Bergoglio im Widerspruch zur Lehre der Kirche.
Ist ein göttliches Gebot auch eine Scheibe mit Mittelpunkt und Rändern? Im Mittelpunkt steht der, der das Gebot hält und am Rand der, der es nicht hält? Aber halten tun sie alle das Gebot, nur eben mehr oder weniger?
Welch ein absurdes Bild! Entweder ich halte ein Gebot oder ich breche es.
Lebe ich im Ehebruch oder nicht? Ja oder Nein? Oder begehe ich vielleicht ein bisschen Ehebruch? Oder bin ich gar nicht sicher, ob ich noch in meiner Ehe ohne Ehebruch lebe, auch wenn ich mit niemandem anderen schlafe?
Welch ein verwirrtes Denken spiegelt sich hier wider!
Das Kennzeichen einer schweren Sünde ist, dass sie immer von Gott trennt – auch dann, wenn man dem Sünder viel zugute halten mag, etwa mildernde Umstände. Aber nichts auf der Welt kann einen Glaubensabfall, einen Mord oder einen Ehebruch in seiner Schwere abmildern.
Wie kann ein Bischof im Ernst davon sprechen, ein Ehebrecher lebe am „Rande des Gebotes“?
Jahrtausendelang war eine gültige Ehe durch zwei Dinge gekennzeichnet: durch die Willenserklärung, die formelle und freiwillige Eheschließung und durch den Vollzug der Sexualität. Alles andere zählte nicht als spezifisches Merkmal einer Ehe. Eine Ehe galt dann als gebrochen, wenn man mit einem anderen Menschen als dem Ehepartner sexuell verkehrt. Die Angelegenheit war einfach. Und sie bedarf dieser Einfachheit, um die Menschen nicht verrückt zu machen.
Nach dem Vaticanum II. schwadronierte man auch in der Kirche – wie die säkulare Welt – von der Liebe, die alleine eine Ehe begründe. In der Welt wurde es üblich, im Verlust der „Liebe“ einen legitimen Scheidungsgrund zu sehen. Große Teile der Kirche folgten dem romantischen Modell und berieten die Gläubigen so, als sei die „bräutliche Liebe“ der erste Ehezweck. Die Kirche hat jedoch die Liebe in allen Beziehungen zwischen Christen stets vorausgesetzt – keineswegs nur in der Ehe. Eine Ehe entsprang einem nüchternen Entschluss und dem Ja zur Berufung, eine Familie zu gründen. Die Sexualität wurde niemals als Selbstzweck oder gar als Weg zur besonderen Begegnung angesehen. Weil sich zwei Menschen auch leiblich sehr nahe kommen, wächst die Verantwortung gegenüber diesem Menschen. Das ist aber kein Zeichen einer größeren Liebe.
Um Ehebrüche zu rechtfertigen, werden heute mannigfache Zweifel an einem bei der Eheschließung „echten“ Ehewillen ins Feld geführt.[5] Andersherum wird den Menschen nicht klar gemacht, dass beispielsweise ein Zusammenhausen ohne Trauschein keineswegs eine Ehe ist, denn es fehlt der Ehewille. Wäre er vorhanden, hätten die Betroffenen eine Ehe geschlossen. Wenn sie aber keine Ehe geschlossen haben, sind sie auch nicht verheiratet. Selbst wenn in einer solchen Verbindung Kinder gezeugt und geboren werden handelt es sich nicht um eine Ehe. Die Frage, ob die Betroffenen sich lieben, ist hinsichtlich der Frage, ob es sich hier um eine Ehe handelt, ebenfalls unerheblich. Jahrtausendelang hat niemand einer solchen Lebensweise die Würde einer Ehe zuerkannt. Denn die Würde der Ehe - wie gesagt – liegt wesentlich darin, dass ein Partner dem anderen willentlich und öffentlich in Form eines Rechtsvertrages den Status des Gemahls verleiht. Das ist eine ganz andere Sache und lässt auch heute noch, trotz der verworrenen und verdunkelten Denkweise, spüren, dass die Liebe und der Respekt voreinander vor allem darin zum Ausdruck kommt, dass man sich dem objektiven Recht stellt.
Die Rede vom „Leben am Rande des Gebotes“ entspringt dieser verworrenen und verfinsterten Denkweise, in der alles vermischt und verwischt worden ist. In der innerkirchlichen Debatte wird häufig behauptet, nach einer katastrophalen ersten Ehe sei es oft sinnvoller und besser, geordnet und gewissermaßen geläutert in einer Zweitehe zu leben. Man könne solche Verhältnisse doch nicht als objektive Unordnung bezeichnen. Die Betroffenen sind also insofern „am Rand“ der idealen christlichen Verhältnisse, aber doch nicht außerhalb dieser Ordnungen…. In einer subjektiven Deutung mag sich dies so ansehen. Aber objektiv leben sie ungeordnet. Sie haben einem Ehepartner in einer kirchlichen Eheschließung das Sakrament der Ehe gespendet und dies auch gewollt. Selbst das säkulare Recht zieht die Betroffenen hier vor allem in materieller Hinsicht noch zur Verantwortung. Die christliche Ehe ist jedoch nicht eine Einrichtung vom Menschen für den Menschen, sondern von Gott für Gott. ER stiftet die Ehe zwischen zwei Menschen. Der Mensch lebt die Ehe nicht für sich selbst und seine Befriedigung, sondern für Gott und dessen Schöpferwillen. Ebenso wie andere ein zölibatäres Leben nicht um ihrer selbst willen, sondern für Gott leben. In der Ehe sollen neue Menschen ins Leben gerufen und aufgezogen werden. Die Treue zum Ehegatten ist Ausdruck der Treue zu Gott. Zerbricht die gute Beziehung zum Ehegatten, ändert das nichts daran, dass er der Ehemann, die Ehefrau ist. In einer zerbrechenden Ehe wird der Schmerz Gottes erfahrbar, wenn wir von IHM abfallen. Gott kündigt seine unwiderrufliche Bindung an uns deswegen nicht auf. Aber es ist eindeutige Aussage der Heiligen Schrift und der Dogmen, dass derjenige, der im Abfall bleibt, verloren ist. Gott verzeiht zwar jedem bei der Umkehr und nimmt ihn in Ehren wieder auf. Aber ohne diesen Akt der Rückkehr geht der Mensch den selbstgewählten Weg in die Hölle. Die Aufgabe eines Menschen in einer anstrengenden oder belasteten Ehe ist nach katholischer Auffassung die, dieses Zeichen des Schmerzes Gottes zu leben und dem Partner, vor allem aber IHM treu zu bleiben. Mir ist klar, dass das heute unverständlich klingt. Es war aber Lehre der Kirche von Anfang an. Es wäre an der Zeit, die Brisanz dieser Lehre zu meditieren: nein, ER sagt nicht „Schwamm drüber“ und zelebriert nach all dem Leid auf Erden eine undifferenzierte Allversöhnung!
Andererseits sind im Christentum der Liebe – im Gegensatz zur Sexualität - keinerlei Grenzen gesetzt. Jeder ist dazu berufen, zu lieben. Vor allem Gott und daraus abgeleitet den Nächsten.
Die Rede vom ehebrecherischen „Stehen am Rande des Gebotes“ widerspricht fundamental dem katholischen Verständnis der Ehe. Es wundert daher nicht, dass Bergoglio etwas später hinsichtlich der liberaleren Umgangsweise mit wiederverheiratet Geschiedenen in der Kirche sagt: „Ich gebe zu, dass der Rhythmus vielleicht nicht dem Tempo der gesellschaftlichen Veränderungen entspricht, doch die geistlichen Führer, die auf die Stimme Gottes hören sollen, müssen sich die erforderliche Zeit nehmen, um die Antworten allmählich zu finden.“ Das klingt so, als halte er eine weitere Liberalisierung für offen.
Das Gebot also hat zwar eine Mitte, kann sich aber an den Rändern soweit ausdehnen, dass auch Ehebruch in vielen Formen immer noch als ein „Halten des Gebotes“ rechtfertigt werden kann.

Bergoglios Scheiben-Metaphorik ist Zeichen einer subjektivistischen Auffassung der Religion. Dazu passt sein Misstrauen gegenüber der Vernunft. Er sagt heute dies und morgen das. Manches klingt superfromm und manches fast agnostisch. Jeden Tag etwas Neues. Ich möchte nicht den Teufel an die Wand malen – aber diese Methode gehört zum uralten propagandistischen Handwerkszeug der Verführer und Tyrannen. Mit derselben Masche konnten die Nationalsozialisten die unterschiedlichsten Gruppierungen an sich binden. Die Nazis sprachen anfangs in vielen Zungen und jeder hörte, was er hören wollte. Pietisten hofften auf eine Instandsetzung der "positiven" protestantischen Theologie, Monarchisten auf die Abschaffung der Demokratie, Deutschnationale auf die Abwehr der Sozialdemokratie, Nationalisten auf eine antisemitische Politik, wirtschaftlich Gedemütigte auf die Rehabilitation Deutschlands und den Abwurf des "Schanddiktats" von Versailles, mancher Kleinbügrer auf ein nicht-marxistisches Durchgreifen gegenüber den Reichen, Industrialisierungsgegner und Romantiker auf eine Wiederbelebung des Handwerks etc. etc. Das Stimmengewirr verlor seine Mehrdeutigkeit aber, sobald die Macht gesichert war. Wir wissen alle, wie es weiterging. Und wir kennen diese Strategien im Kleinen. Wie viele von uns mussten schon erleben, wie auf diese Weise ganze Betriebe und Unternehmen, Vereine und Institutionen erst schleichend, dann brutal und unter permanentem Rechtsbruch zerstört und sämtliche Mahner weggemobbt wurden? 
Soll es in der Kirche, in der Kirche eine weltweite Verfolgung der Traditionsverbundenen geben?
Bekannt ist auch die Masche, all jene, die auf das objektive und präzise geltende Recht hinweisen, als „Legalisten“ zu beschimpfen, wie es Franziskus ungehemmt tut. Es ist jedes Mal wieder ein negatives Wunder, wie ein Großteil der Menschen solchen Charakteren verfällt und nach getaner Zerstörung von allem nichts bemerkt haben will.
Ja, die Erde ist aus dieser Sicht eine Scheibe mit Rändern. Es gibt nur noch zwei Dimensionen. Ist die Horizontalität diePosition der Feigheit und mangelnden Aufrichtigkeit?
Es ist gut, dass ER das alles richten wird.
ER ist „aufgefahren in den Himmel“ bekennen wir immer noch, und „von dort wird ER kommen, zu richten die Lebenden und die Toten“. Vertikal, es gibt Oben und Unten.
Während die Neue Kirche das Reich Gottes ausschließlich auf der scheibenförmigen Erde verwirklicht wissen will und sich selbst im permanenten Fortschritt („semper reformanda“) die Absolution für alles erteilen will, was ihr gerade opportun erscheint vor der Welt, glaubt(e) die wahre Kirche, die auf Jesus zurückgeht, an eine vertikale Anordnung. Es gibt den Himmel, die Erde und den Abgrund, die Hölle. Zahllose Heilige der Vergangenheit haben den Himmel offenstehen sehen (wie der Hl. Stephanus, der Hl. Paulus). Ebenso häufig hatten begnadete Heilige Höllenvisionen, die ihnen die Brisanz der notwendigen Bekehrung für jede Seele vor Augen führten (wie die Hl. Theresa von Jesus, Don Bosco, die drei Seherkinder in Fatima oder die Hl. Faustyna Kowalska). Es ist abwegig, all das nach 1900 Jahren selbstverständlicher Existenz im Glaubensgut als „zeitbedingt“ abzuschmettern.
Was ER von Anfang an gesagt hat, gilt in Ewigkeit und ist weder zweideutig noch zeitbedingt.
Zweideutig ist vielmehr unser falsches Herz, zeitverhaftet unser verdorbener Sinn.
Welche Beleidigung des Höchsten, diese sündhaften Wesenszüge auf IHN und den wahren Glauben zu projizieren! 


Unser Leben ist kurz. Wir alle müssen davon. Jeder wird vor IHM stehen. Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel verlangt. Auf wen wird das mehr zutreffen als auf Bischöfe und Päpste?
Relevant ist allein, was unser Herr von jedem von uns persönlich gewollt hat, was wir getan haben und wie er uns am Ende beurteilen wird.
Was wird sein, wenn wir sagen müssten:
„Beladen und tief gebeugt vom Ballast unserer Zeit und unserem Eigenwillen krochen wir auf der Erde und sanken immer tiefer in sie ein, bis sie uns fraß.
Die Tage sind um. Wir haben sie vertan. Begraben sind wir unter unserer Zeit“


Artikel erschien auch auf Katholisches.info

[2] http://www.kath.net/news/43370
[3] Interview von Eugenio Scalfari mit Franziskus, veröffentlicht in La Repubblica am 2. Oktober 2013
[4] Bergoglio/Skorka: Über Himmel und Erde – als E-Book, daher leider keine Seitenzahlen möglich, Kapitel 4 Über die Religionen
[5] Schockenhoff Eberhard: Kirche als Versöhnungsgemeinschaft. Herder Korrespondenz Sonderdruck 4/2012

Samstag, 5. Oktober 2013

Vor dem Allerheiligsten

Verbiegungen I: 
"Ich bin ein Sünder, den der Herr angeschaut hat"

Der Hl. Dominikus ruft in tiefer Reue: "Gott sei mir Sünder gnädig"

"Ich frage euch: Wie seid ihr in Gegenwart des Herrn? Wenn ihr zum Herrn geht, auf den Tabernakel schaut, was macht ihr da?- (...) Schau auf den Tabernakel und lass dich anblicken... das ist einfach! Das ist ein wenig langweilig, ich schlafe ein... Schlaf ruhig ein, schlaf ein! Er wird dich trotzdem anblicken, er wird dich trotzdem anblicken. Sei gewiss, dass er dich anblickt! Und das ist viel wichtiger als der Titel des Katecheten: das ist Teil des Katechetenseins. Das erwärmt das Herz, hält das Feuer der Freundschaft mit dem lebendig, es lässt dich spüren, dass er wirklich auf dich blickt, dass er dir nahe ist und dich gern hat."
(Papst Franziskus am 27.9.2013 in Rom beim Katechetentreffen, zitiert nach kath.net, das für den korrekten Wortlaut garantiert, wie Herr Schwibach schreibt)
Papst Franziskus liebt es, in letzter Zeit immer wieder diesen Satz zu äußern: "Ich bin ein Sünder, den der Herr angeschaut hat."
 „Ich bin ein Sünder, den der Herr angeschaut hat.‘ Und er wiederholt: „Ich bin einer, der vom Herrn angeschaut wird. Meinen Wahlspruch Miserando atque eligendo habe ich immer als sehr zutreffend für mich empfunden.“
Das sagte F. in seinem Interview mit Antonio Spadaro SJ am 19.9.2013, das in der Zeitschrift "La Civiltà Cattolica" veröffentlicht wurde. 
Oder gestern in Assisi: 
"Wo nimmt der Weg des heiligen Franziskus zu Christus seinen Anfang? Beim Blick des gekreuzigten Jesus. Sich von ihm anschauen lassen in dem Moment, in dem er sein Leben für uns hingibt und uns zu sich zieht. Franziskus hat diese Erfahrung in besonderer Weise in der kleinen Kirche von San Damiano gemacht, als er vor dem Kruzifix betete, das auch ich heute noch verehren werde. Auf diesem Kreuz erscheint Jesus nicht tot, sondern lebend! Das Blut fließt aus den Wunden der Hände, der Füße und der Seite herab, doch dieses Blut drückt Leben aus. Jesus hat die Augen nicht geschlossen, sondern geöffnet, weit offen: ein Blick, der zum Herzen spricht. Und der Gekreuzigte spricht uns nicht von Niederlage, von Scheitern. Paradoxerweise spricht er uns von einem Tod, der Leben ist, der Leben hervorbringt, denn er spricht uns von Liebe, weil er die Mensch gewordene Liebe Gottes ist. Und die Liebe stirbt nicht, nein, sie besiegt das Böse und den Tod. Wer sich vom gekreuzigten Jesus anschauen lässt, wird gleichsam neu erschaffen, wird eine »neue Schöpfung«."



Ist das Lehre der Kirche? Es klingt fromm, aber es ist nicht fromm. Bevor nun einer die Augen verdreht und denkt, ich solle nicht päpstlicher als der Papst sein, möge er meine Bedenken anhören bis zum Schluss. Was F. sagt, ist isoliert - bis auf einige gravierende Sätze (s.u.) - nicht falsch. Aber die Gesamtaussage entspricht dennoch nicht der Lehre der Kirche. Fangen wir bei der Ansicht an, ich könne passiv, ja schlafend sogar, vor IHM anbetend verweilen. ER kann uns nicht verändern, wenn wir nicht mit allen unseren Kräften daran mitwirken. Es war der Protestantismus, der das bestritt, aber es war niemals Lehre der katholischen Kirche, dass man nicht alles tun muss, um selig zu werden, wachend wie die klugen Jungfrauen!
Der Heilige Dominikus zum Beispiel jedenfalls verweilte weder schlafend noch passiv vor dem Kreuz. In seinen "Neun Gebetsweisen" lehrt er uns etwas ganz anderes, und dies im Einklang mit der Lehre der Kirche. Betrachten wir immer wieder eine dieser Gebetsweisen auf den Bildern.
Oder lasst uns sehen, was der Hl. Thérèse vom Kinde Jesus vor dem Tabernakel in den Geist kam: 
"Je m'offrais à Jésus pour être sa petit fleur, je voulais le consoler, m'approcher moi aussi tout près du tabernacle, être regardée, cultivée et cueillie par lui." (Thérèse Martin: Histoire d'une âme) -
 "Ich bot mich Jesus an, seine kleine Blume zu sein, ich wollte ihn trösten, mich meinerseits so nah wie es geht, dem Tabernakel nähern, von ihm angeschaut, kultiviert und gepflückt werden."
Welch ein Unterschied!

In F.s Ausführungen fehlt ein wichtiger Bestandteil. Es ist das wichtige Element meines freiwilligen, ersehnten, und aktiv betriebenen Schreis nach Umkehr, nach diesem "Mach mit mir, was du willst, Herr!" Es fehlt das "Iudica me!" (Richte mich!). Es fehlt das "Je voulais m'approcher moi aussi tout près du tabernacle..."



Aber nicht nur das: F. unterschlägt das Ärgernis des christlichen Glaubens, nämlich die Niederlage, den wirklichen Tod am Kreuz, dass uns nicht der "Lebendige am Kreuz" - wie er suggeriert in seiner Rede - anschaut, sondern vielmehr der vom Tod (!) auferstandene Herr!

Jesus schaut den Sünder an, das ist wahr, aber nicht nur das. Er scheitert an meiner Stelle an meinem sündhaften Zustand. Bei F. ist niemals die Rede davon, dass der Gekreuzigte in mir diesen heilsamen Schock auslöst, der mir offenbart, wer ich eigentlich bin! Wie die kleine Thérèse es beschreibt, muss das auslösen, dass ich mich IHM zu Füßen werfen will, dass ich IHN trösten will in meinem Schmerz über das, was ER an meiner Stelle trägt, dass ich mich erheben lasse durch die unverdiente Liebe und Gnade und mich IHM voll und ganz anbiete, dass ER mit mir verfahre wie ER will…

Von all dem ist bei F. keine Rede. Im Gegenteil – er bestreitet dies sogar. Wer Ohren hat zu hören, der höre:

„Und der Gekreuzigte spricht uns nicht von Niederlage, von Scheitern. Paradoxerweise spricht er uns von einem Tod, der Leben ist, der Leben hervorbringt, denn er spricht uns von Liebe, weil er die Mensch gewordene Liebe Gottes ist. Und die Liebe stirbt nicht, nein, sie besiegt das Böse und den Tod.“
Was ist das für eine Lehre? Das Paradox, das F. hier kreiert, existiert nicht! Wer nicht erkennt, wie verloren unser Zustand ist, der mag es für ein Paradox halten. Wer sich in wahrer Demut vor dem großen Herrn und Gott als Sünder erkannt hat, weiß, dass gerade diese Situation der echten und totalen Niederlage, aus der alleine der Vater herausführt, ganz und gar kein Paradox ist. Heilige der Kirche wie Dominikus haben sich dehalb vor dem Kreuz betend selbst gegeiselt... "All Sünd hast du getragen, sonst müssten wir verzagen"... Es ist meine Schuld, dass ER an dieser Welt zugrunde ging...


Abwechselnd kniete und stand der Hl. Dominikus vor dem Gekreuzigten


Denn der Gekreuzigte spricht uns sehr wohl von Niederlage! Wer IHN anschaut, wer sich IHM zu Füßen wirft, wer vor IHM verweilt, spürt dies. Wer den Kreuzweg meditiert in all seiner Abgründigkeit, versteht es:
ER trägt die Niederlage der menschlichen Verlorenheit. 
Es ist so verkürzt formuliert unwahr, dass die Liebe nicht sterbe, sondern das Böse und den Tod besiege. In der Tat ist Jesus gestorben: „Gekreuzigt, gestorben und begraben. Hinabgestiegen in das Reich des Todes“ bekennen wir im Credo.
ER ist mit unserer Sterblichkeit mitgegangen bis ans Ende, bis in den bitteren Tod! ER, der die Liebe in Person ist, i s t gestorben. Er war wirklich tot!
Nicht das kitschig-betuliche „Die Liebe stirbt nicht“ ist unser Bekenntnis, sondern: „(Jesus ist) auferstanden von den Toten.“


Oft, wenn ich den Rosenkranz bete, bestürzt mich die Szene am Ölberg: ER hat für uns Blut geschwitzt. Unsere ganze Niederlage stand IHM vor Augen, stand IHM in der Seele, mein ganzer Schmutz und meine Todverfallenheit…ja, ich, wir alle haben IHN wirklich zu Tode gebracht.
Zwar spricht F. auch von der Auferstehung, aber ohne den bitteren Tod zu nennen: „Es ist der Friede Christi, der den Weg über die größte Liebe, die des Kreuzes, genommen hat. Es ist der Friede, den der auferstandene Jesus den Jüngern schenkte..“
Da wird eines der wichtigsten Details der Lehre ausgelassen!


Gänzlich zu kurz kommt in F.s Rede der Aspekt, dass Jesus während der aktiven und hingebungsvollen Anbetung zu dem aufmerksam hörenden Ohr spricht. Wer anbetet, sitzt im Schulzimmer Jesu Christi. Und dabei geht es nicht darum, dass Jesus mich bestätigt und ich mich wohlfühle im Geliebtwerden. Ich lerne, so wie Maria von Bethanien zu SEINEN Füßen saß und lauschte, fragte, lauschte, fragte, lauschte, erkannte, in seliger Umarmung mit dem Herrn, nicht passiv, nicht auf sich selbst bezogen, sondern in Vorschau der ewigen Anbetung, die uns durch SEINEN Tod und SEINE Auferstehung aus dem Tod möglich gemacht wurde.




Und dann kommt in F.s Rede unweigerlich wieder der Hieb in Richtung derer, die zur geistigen, intellektuellen und objektiven Disziplin aufrufen, wie ich es gerade tue:

„Der Friede des heiligen Franziskus ist der Friede Christi, und diesen Frieden findet, wer Christi „Joch auf sich nimmt“, nämlich sein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Und dieses Joch kann man nicht mit Arroganz, mit Überheblichkeit, mit Hochmut tragen, sondern nur mit Gütigkeit und Herzensdemut kann man es tragen.“
Nein, ich bitte untertänigst um Verzeihung, aber diese Lehre ist nicht die Lehre der Kirche: Das Joch Christi ist nicht das „Liebt einander“, sondern es ist der feste Wille, IHM ans Kreuz zu folgen, wenn ER es verlangt, nicht um des Weltfriedens willen, sondern um der Rettung der verlorenen Seelen willen! Das "Joch Christi" heißt: Umkehr! Es heißt: Stirb mit IHM. Nur so findest du in IHM das wirkliche Leben. Von hier aus, von dieser Welt aus aber ist dieses wirkliche Leben nicht zu gewinnen. Eine Kirche, die das nicht mehr verkündet, verrät das ewige, anbetungswürdige, bestürzende und allein seligmachende Opfer ihres Herrn Jesus Christus.
Diese notwendige persönliche Umkehr unermüdlich und tapfer zu bekennen, ja, das wäre ... e c h t e Demut!


O Immaculata.
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 Artikel erschien auch auf Katholisches.info

Samstag, 21. September 2013

Kann die Kirche einen „Dialog ohne Vorurteile“ führen?



- Einige kritische Einwände an Papst Franziskus -

Die Kommunikation kam zwischen der Kirche und der christlich inspirierten Kultur einerseits und der modernen, durch die Aufklärung geprägten, Kultur andererseits zum Stillstand. Das Zweite Vatikanische Konzil ebnete den Weg für einen offenen Dialog ohne Vorurteile, auf dessen Grundlage eine ernsthafte und fruchtbare Begegnung erneut ermöglicht wird. Nun ist die Zeit gekommen.
(Papst Franziskus an Eugenio Scalfari, La Republicca 11. September 2013)

C.D. Friedrich: Mönch am Meer


1. “Omnia tempus habent … tempus tacendi et tempus loquendi…”[1]

„Die Kommunikation kam zum Stillstand“ – ja, das gehört zum schmalen Weg der Nachfolge Christi. Hat ER nicht auch ab einem bestimmten Zeitpunkt mit dem Hohen Rat, den Schriftgelehrten und Pharisäern und mit Pilatus nicht mehr diskutiert? Die gelegentliche Notwendigkeit des Kommunikationsabbruches in finsteren Zeiten hat unser Herr uns gelehrt.
Wir kennen alle diese oder ähnlich lautende Sätze, wie sie Franziskus’ Brief an den Atheisten Eugenio Scalfari formuliert, stets wohltönend, auf beiden Seiten hinkend, voller Spitzen gegen Ungenannte und mit einem Sendungsbewusstsein vorgetragen, das in eigenartigem Gegensatz zu seiner argumenatorischen Dürftigkeit steht.
Natürlich zeugen solche Sätze von naiver Friedenssehnsucht und dem Wunsch, etwas Wichtiges und Besonderes zu tun, einen der vordersten Plätze im Reich Gottes einzunehmen.
Je mehr wir jedoch eine Kultur der defensiven Friedenskonzepte propagiert haben, desto brutaler entfaltete sich die Gewalt auf der gesamten Erde. Die Anzahl der Kriege und die Methoden, andere systematisch zu terrorisieren, sind eskaliert. Seit 1945 wälzen sich immer gigantischere Flüchtlingsströme über den Globus wie eine glühende Lavamasse, und lösen vielerorts Überforderung und Destabilisierung aus - das ferne Grollen zukünftiger Vulkanausbrüche und neuer Flüchtlingsströme... Die Tatsache, dass der weltweite, tiefe Unfrieden sich zum Alltagszustand etabliert hat, zeugt für die Unzulänglichkeit aller gängigen „Friedens“-Konzepte und für die Friedensunfähigkeit des Menschen, der dem dreifaltigen Gott abgesagt hat, dessen Wesen unbegreiflich, gemäß der Offenbarung Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, und in dieser Unbegreiflichkeit als Richter und Erbarmer für uns ehrfurchtgebietende Heiligkeit ist.
Ja: Heiligkeit und Gerechtigkeit müssten immer zusammen mit der Liebe genannt werden! Gott gilt uns inzwischen als ein Über-alles-Hinwegseher. Dass zwischen der uns zugewandten Liebe und Barmherzigkeit vonseiten Gottes und uns, die wir Sünder sind, der grausame Opfertod Jesu steht, wird nicht mehr präzise zelebriert und in der Verkündigung durch oberflächliche Moralappelle untergepflügt. Franziskus hat gelegentlich darauf hingewiesen, dass ein Glaube ohne „das Kreuz“ nicht Nachfolge Christi ist – es ist verschwommen formuliert, immerhin verschweigt er es nicht vollständig wie so viele andere Bischöfe![2]
Nach der Lehre der Kirche liebt Gott uns als heiliger und ehrfurchtgebietender Gott! Wer IHN liebt, muss gottesfürchtig und gerecht, wie Simeon  ein homo iustus et timoratus“[3] sein.
Franziskus hat allein deswegen unrecht, weil ihm die Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes keine Erwähnung wert ist. Er folgt damit der „pastoralen“ Sprache des Konzils, die jeden Anklang an die berühmte „Drohbotschaft“ vermeiden will. Demgegenüber muss klargestellt werden: die Frohbotschaft ist definitiv eine Drohbotschaft für alle, die sie nicht annehmen: „Qui credit in Filium, habet vitam aeternam; qui autem incredulus est Filio, non videbit vitam, sed ira Dei manet super eum“ – (Wer dem Sohn glaubt, hat das ewige Leben; wer aber dem Sohn nicht glaubt, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.)[4]
Der Begriff der „Demut“, den er so häufig als Kardinaltugend bemüht, ergibt Sinn nur in der Heiligkeit Gottes.
Bei Franziskus fungiert die „Demut“ als kanzelrednerischer Rohrstock gegen kritische Geister, die sich nicht abspeisen lassen wollen mit oberflächlichen und häretischen Appellen. Fast hat man den Eindruck: wer aufgrund eines geistlichen Charismas etwas zu sagen hat, wird mit der Demutskeule ausgebremst, der Hartherzigkeit, Unbarmherzigkeit und der Arroganz geziehen.
Das unreife Motiv des „Hoppla, jetzt komme ich!“ schwingt durchaus mit, wenn Franziskus schreibt: „Nun ist die Zeit gekommen“ für die „tiefgreifende Neuausrichtung der Frage“wobei mir nicht ganz klar werden konnte, um welche Frage es sich genau handelt, aber es scheint, dass Franziskus den polarisierenden Kurs, den die Kirche aufgrund ihres dogmatischen Charakters immer riskiert hat, aufgeben will. Wie anders sollte man seine Worte vom „Austreten aus den engen Pfaden einer … absoluten Gegenüberstellung“ verstehen: „Ich denke, dass dies heute von grundlegender Notwendigkeit ist, wenn dieser von mir erhoffte frohe und konstruktive Dialog vorgebracht werden soll.“ 
Mit dem Konzil haben Johannes XXIII. und Paul VI. die „Öffnung zur Welt“ praktiziert, die nicht mehr das Opfer Jesu und eine Scheidung der Geister zur Rettung der einzelnen Seelen, sondern Allversöhnung, das Shake-hands von Licht und Finsternis und die merkwürdige theoretische Zwangskollektivierung der Menschen zur „Menschheitsfamilie“ ins Zentrum der Verkündigung stellte. Was will Franziskus noch mehr? Was drückt seine Behauptung vom „Stillstand der Kommunikation“ hier und heute aus, 50 Jahre nach dem glorreichen Konzil, als dass es ein Fehler gewesen sei, immer einer Scheidung der Geister treu zu bleiben, wie es vor dem Konzil durchweg geschehen war? Was aber ist seit 1965 geschehen? Man kann ihn so verstehen, als glaubte er, mit ihm fange nun erst die Zeit der wahren Früchte des Konzils an…
Worauf will er hinaus angesichts gravierender antichristlicher Eskalationen innerhalb der aufklärerischen Kultur, die sich seit 200 Jahren immer tiefer ins gesellschaftliche Leben der europäischen und amerikanischen Völker eingraben, genauso wie auch in den Machtbereichen anderer Religionen, vor allem im Islam, eine massive Christenverfolgung zu beobachten ist?



Jesus Christus im Reich des Todes

2. Der „Dialog“ und das Grundprinzip „tertium non datur“

Bei dem vom Papst beschriebenen „Dialog“ geht es um das Gespräch, das keinesfalls ein „Streit“[5] sein darf, zwischen grundsätzlich verschiedene Anschauungen, Religionen und Kulturen, die in ihrer Ganzheit jeweils einen konstituierenden Wahrheitsanspruch aufweisen. Eine Religion oder Kultur ohne dieses Merkmal existiert nicht. 
Die Worte des Papstes an eine japanische Studentengruppe legen nahe, dass man zu Beginn des Dialogs nicht ausschließen dürfe, die eigene Überzeugung zurückzunehmen und zu verändern. Er behauptet, dass eine Kultur bzw. eine einzelne Person (das bleibt unklar) nicht ohne solche Bereitschaft zur Selbst-Infragestellung durch das Fremde oder Entgegenstehende „reifen“ bzw. „wachsen“[6] könne. Diese Aussage ist bedenklich aus päpstlichem Mund – denn die Kirche hat solcherlei nie gelehrt. Vielmehr lehrt sie, dass der Mensch nur in Jesus Christus recht wachsen und reifen könne – er ist der Weinstock, wir sind die Reben. Nur in ihn eingepfropft gedeihen wir. In der Loslösung von Jesus Christus reift der Mensch grundsätzlich nicht zu seinem Heil. Warum projiziert Franziskus diese totale Abhängigkeit von Jesus Christus nun auf andere Kulturen?
Kann man in ein Religions-Gespräch gehen, ohne zuvor stabile Begriffe und Urteile gebildet zu haben? Wüsste man andernfalls überhaupt, worüber man redet? Zweifellos gibt es Übereinstimmungen aufgrund der (begrenzten) natürlichen Wahrheitsfähigkeit der Vernunft. Lehrt aber nicht die vertiefte Reflexion von Begriffen im Rahmen eines komplexen kulturellen Systems, dass gleichlautende Begriffe, die auch die fremde Kultur benutzt, dort anders besetzt sind, manchmal sogar einen (bewussten) Widerspruch aufbauen zum eigenen Begriffsverständnis? Es handelt sich um Äquivokationen, die Anlass zu Missverständnissen, Enttäuschungen, Verwirrung und Rivalitäten geben.
Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen. Die Tatsache, dass alle monotheistischen Religionen einen einzigen Gott bekennen, ruft eine Äquivokation des Begriffs vom „einen Gott“ hervor. In der Tat meinen aber alle drei einen jeweils anderen Gott. Etwas anderes kann nicht begründet angenommen werden - andernfalls müsste erklärt werden, wie man beim Meinen desselben einander widersprechende Bilder zeichnen kann? Das Argument, dass Gott ja immer derselbe bleibe, auch wenn eine Religion ein falsches Gottesbild habe, und man insofern an denselben Gott glaube, ist unlogisch![7] Eine Religion, die nicht den trinitarischen Gott bekennt und IHN, im Gegenteil, sogar ablehnt – was zum Beispiel zur spezifischen Sendung des Islam gehört – glaubt nicht an denselben Gott wie ein Christ. Ein Muslim meint auch nicht „eigentlich“ denselben Gott. Wie sollte ein Mensch innerhalb eines Gottesbildes, das sogar ausdrücklich dem Gottesbild der anderen Religion widerspricht, an den denselben Gott glauben können? Es ist evident, dass eine solche Annahme absurd ist und eher unserem Harmoniebedürfnis als nüchterner Vernunft entspringt. In der Sprache der Bibel muss man soweit gehen zu sagen, diese Religion bekenne einen Götzen. Bloß weil es ein einziger Götze anstelle von vielen ist, ist das Gottesbild ja nicht zwangsläufig realistischer. Es mag dem eigenen Gottesbild formal scheinbar näherstehen. Das ergibt aber noch keine ausreichende Begründung dafür, einem anderen monotheistischen Gottesbild mehr Realität zuzugestehen als einem wie auch immer gearteten nicht-monotheistischen Glauben. In jedem Fall muss genau geprüft werden, was objektiv ausgesagt wird und in welcher Relation es zur Wahrheit in Jesus Christus steht. Nur der Geist, der Jesus Christus, wie ihn die Kirche bezeugt, bekennt und lehrt, ist in der ganzen, natürlichen und übernatürlichen Wahrheit. So steht es im 1. Johannesbrief: In hoc cognoscitis Spiritum Dei: omnis spiritus, qui confitetur Iesum Christum in carne venisse, ex Deo est.
 
Et omnis spiritus, qui non confitetur Iesum, ex Deo non est; et hoc est antichristi, quod audistis quoniam venit, et nunc iam in mundo est. – (Daran erkennt ihr den Geist Gottes: jeder Geist, der bekennt, dass Jesus ins Fleisch gekommen ist, ist aus Gott. Und jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, ist nicht aus Gott; und das ist der des Antichristen, von dem ihr gehört habt, dass er kommt und schon jetzt in der Welt ist.)[8]
Das ist eine klare Aussage der Hl. Schrift: Weil alle nicht-christlichen Religionen diesen Geist nicht anerkennen, sind sie aus christlicher Sicht als Religionen im ganzen falsch – die Wahrheit ist nicht teilbar! Dem widerspricht nicht, dass der eine oder andere Gedanke oder Brauch, der dort aufgrund natürlicher Wahrheitserkenntnis angetroffen wird, isoliert betrachtet, gut sein kann.

Tanz ums Goldene Kalb
Treffen wir nicht allzu oft Widersprüche zum Eigenen an, wenn wir dem Fremden begegnen? Aus meiner Sicht ist es wichtig, den anderen, den Fremden, vielleicht sogar den erbitterten Feind nicht zu unterschätzen: er kann denken, er hat sich seine Position erwählt, er hat einen normalen IQ! Das ist mein Ausdruck von Respekt. Er irrt, weil er ein irrender Mensch ist, wie ich einer war, bevor mich Jesus berührte und wieder bin, sobald ich mich von Jesus abwende. Warum sollten wir annehmen, dass sein Widerspruch ein Missverständnis sei, das sich mit ein paar Dialogsitzungen auflösen lässt?
Wie viel Sinn ergibt der Versuch, eine Aussage, die eine Religion für wahr hält, in „Dialog“ mit ihrem Widerspruch zu bringen? Der Widerspruch geschieht ja nicht aus spielerischen oder belanglosen Gründen. Er ist ernst gemeint. Der erwähnte Antichrist ist keine harmlose Spielfigur, sondern eine mörderische Gestalt, die im Namen bereits die Kontradiktion trägt!.
Auch hier möchte ich ein Beispiel geben: Wenn das Christentum bekennt „Jesus ist von Gott in Maria gezeugt und nicht geschaffen“, der Islam dagegen ausdrücklich bekennt „Allah zeugt nicht und wurde nicht gezeugt“, dann handelt es sich um einen klassischen Widerspruch. Eine fruchtbare Kommunikation kann aus logischen Gründen nicht stattfinden.
Selbst wenn wir nicht entscheiden wollten, ob wir die Aussagen einer Religion für wahr halten, gilt der „Satz vom ausgeschlossenen Dritten“, der uns lehrt, dass zwischen einer Aussage und ihrem Gegenteil keine Mitte, kein Kompromiss möglich ist. Dass also selbst im Falle einer ausbleibenden Wahrheitsentscheidung weder beides gleichberechtigt gelten noch eine Mitte zwischen beidem generiert werden kann.
Man wird mir entgegenhalten, dass nicht alles in einer fremden Religion oder Kultur ein Widerspruch zur christlichen Kultur ist. Dazu möchte ich mit Nachdruck sagen: Es läge mir fern, alles Nicht-Christliche pauschal zu verteufeln. Ich möchte aber auch anmerken, dass nicht alles, was Nichtchristen tun, Ausdruck ihres Nichtchrist-Seins ist. Vieles in anderen Religionen und Kulturen ist aus der menschlichen Verfasstheit erwachsen und an sich selbst neutral. All das Schöne, Spielerische, Musikalische, das, was die natürlichen Gaben des Menschen hervorbringen und was die natürliche Vernunft als Wahrheit zu erkennen vermag, ist gut!
Mir geht es um etwas anderes: Eine Kultur ist immer eine geistige Synthese und kontaminiert mit ihrem Geist alles, was sie integriert. An dieser Stelle sehe ich das Problem.
Nach einer Bekehrung zu Jesus Christus erfährt der Gläubige stets eine Neuorientierung, eine Reform seiner bisherigen kulturellen Verfassung. Vieles wird transformiert, vieles verworfen, alles IHM zu Füßen gelegt. Einem solchen Umgestaltungsprozess ist ja die abendländische Kultur erwachsen… Wer umkehrt zu Jesus Christus, kann unmöglich so bleiben, wie er war. Er lässt sich willentlich von der Wahrheit, die Jesus Christus heißt, umgestalten. Allein das ist schon ein praktischer Beweis gegen den Sinn eines „Dialogs ohne Vorurteile“: in meiner „Umkehr“ vollzieht sich kein lebenslanger „Dialog“ zwischen dem Vorher und Nachher, sondern sogar eine regelrechte Läuterung aus dem Vorher heraus. Die von Gott gut geschaffene Substanz bleibt, alles Akzidentielle verwandelt sich.
Aber zurück zur Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des „Dialogs“: Welches Ziel hat ein „Dialog“, in den man „offen“, eintritt?
Ist er ein unverbindlicher „kontroverser“ Salontalk unter Vermeidung ernsthafter Konfrontationen und klarer Aussagen, ein bürgerliches Spielchen, wie wir ihn tagtäglich über alle Fernsehkanäle unter der Rubrik „Talkshow“ flimmern sehen?
Fragen über Fragen!
Eines scheint klar geworden zu sein – eine solche Vision vom „Dialog“ ist unmenschlich und beraubt den Menschen seiner Würde. Die Würde des Menschen als imago Dei beinhaltet zentral die Sehnsucht danach und in Jesus Christus auch das unverdiente Recht darauf, in der Wahrheit zu sein – nicht stets auf der Suche außerhalb der Wahrheit nach der immer wieder fliehenden Wahrheit, in Abwandlung des Spruches „Das Kapital ist ein scheues Reh!“.
Man kann nur in der Wahrheit oder außerhalb der Wahrheit sein. Im Licht oder in der Finsternis. Franziskus aber will offenbar ein Schattenreich zwischen Licht und Finsternis kreieren.
Wie anders sollte man Franziskus’ Formulierung im Brief an Scalfari verstehen: Mit anderen Worten verlangt die Wahrheit, die letztlich mit der Liebe vollkommen eins ist, Demut und ein Offensein für die Suche, die Aufnahme und ihren Ausdruck. Dies erfordert Klarheit über die Begrifflichkeit und vielleicht ein Austreten aus den engen Pfaden einer … absoluten Gegenüberstellung, eine tiefgreifende Neuausrichtung der Frage.
„Die engen Pfade der absoluten Gegenüberstellung“ – Franziskus kann damit nur auf die Relativierung der je eigenen Wahrheitsannahmen anspielen. Dieser Satz ergäbe sonst keinerlei Sinn. Da er nachschiebt: „…eine tiefgreifende Neuausrichtung der Frage…“, ist unverkennbar, dass er für ein endgültiges Abrücken vom traditionellen kirchlichen Kurs vor dem Vaticanum II plädiert.
Dieser Kurs aller Päpste vor dem Vaticanum II, des Tridentinums und des Vaticanum I, der die Unvereinbarkeit der philosophischen Grundlagen der Moderne und der Lehre der Kirche vielfältig in Konzilstexten, Dekreten, Enzykliken und Disziplinarmaßnahmen konstatierte, hatte den Gläubigen diese klare Scheidung der Geister dargelegt und als zu Glaubendes abverlangt. Am markantesten stachen hier der Index librorum prohibitorum und der Antimodernisteneid heraus. Beides wurde unter dem Pontifikat Pauls VI. aufgegeben.
Schmerzensmann
Ein weiterer Begriff, der für unsere Betrachtung hier zentral ist, ist die Religions- und Gewissensfreiheit. Franziskus geht darauf ausdrücklich ein:
„Um eine Sünde handelt es sich auch beim Nichtglaubenden dann, wenn er gegen sein Gewissen handelt. Auf es zu hören und ihm zu gehorchen bedeutet, sich angesichts des für gut oder für böse Erkannten zu entscheiden. Und an dieser Entscheidung hängt Güte oder Schlechtigkeit unseres Handelns.“
Franziskus wiegt Scalfari mit diesen Worten in eine falsche Sicherheit hinein. Natürlich muss auch ein Ungläubiger – zwangsläufig möchte man sagen - seinem Gewissen folgen! Was jedoch das Gewissen, das sich nicht an der Wahrheit in Jesus Christus orientiert, für gut oder böse hält, kann vollkommen falsch sein. Die Güte und Schlechtigkeit unseres Handelns hängt gerade nicht daran, dass wir etwas gut oder böse gemeint haben, sondern ob es objektiv gut oder böse war. Selbst der Volksmund fasst dies in einen Sinnspruch: „Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht!“ Diese Tatsache kommt in den biblischen Szenen vom Jüngsten Gericht zum Ausdruck.[9]
Es ist Dogma der Heiligen römisch-katholischen Kirche, dass die Zugehörigkeit zur Kirche für alle Menschen heilsnotwendig ist.
Franziskus’ Satz „Sie (die Wahrheit, Anm. HJ) gibt sich uns immer nur als Weg und als Leben“ muss folglich in dieser Formulierung als falsch bezeichnet werden: Die Wahrheit in der Person Jesu Christi gibt sich uns zwar als Weg und Leben. Daraus folgt aber nicht, dass sie sich uns „immer nur“ als Weg und Leben gibt, wie Franziskus meint. Sie gibt sich uns sehr wohl – und das ist wohl die Differenz zwischen der Lehre der Kirche und der „tiefgreifenden Neuausrichtung“ – in Form objektiver Dogmen, die dem Gläubigen als de fide gelten, auch dann, wenn er sie noch nicht lebendig verstehen kann! Kurz: sie gibt sich uns ausschließlich durch die Vermittlung der Kirche! Es gehört zu den Absurditäten der modernen Theologie zu suggerieren, nur das sei de fide für den einzelnen, was sich ihm bisher erschlossen hat! Cum autem venerit ille, Spiritus veritatis, deducet vos in omnem veritatem.[10] (Wenn aber jener kommen wird, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit heimführen.) In die ganze, natürliche und übernatürliche Wahrheit! Wir werden in die Wahrheit heimgeführt wie eine Braut, dieses Zuhause existiert schon lange vor uns und erwartet den, der glaubt, ohne zu schauen, als eine fest gebaute Stadt, in der nichts wankt. „Et cognoscetis veritatem, et veritas liberabit vos“ – (Wenn ihr die Wahrheit erkennt, wird euch die Wahrheit befreien.)[11]
Davon hören wir bei Franziskus kein Wort. Er spricht aus sich selbst heraus. Das wird nicht abgemildert durch seine Ich-Botschaft Ohne die Kirche – das können Sie mir glauben – hätte ich Jesus, selbst im Bewusstsein, die unermesslichen (sic!) Gabe des Glaubens in zerbrechlichen Tontöpfen der Menschheit aufbewahrt zu wissen, nicht begegnen können.“ Er hätte Manns genug sein müssen, Scalfari zu sagen: Ohne die Kirche können Sie Jesus, der alleine die ganze Wahrheit ist, nicht begegnen! Der Rückzug auf die Ich-Botschaft bleibt dem Fragenden die Wegweisung schuldig.
Entsprechend hat Papst Franziskus die Notwendigkeit und den Sinn des „Dialogs“ gegenüber jungen Japanern bereits im Sommer 2013 definiert. Lassen wir ihn ausführlich zu Wort kommen:
„Denn wenn wir in uns selbst isoliert sind, haben wir nur das, was wir haben und können kulturell nicht wachsen. Wenn wir aber zu anderen Personen gehen, zu anderen Kulturen, andere Denkweisen und Religionen kennenlernen, gehen wir aus uns selbst heraus und beginnen dieses schöne Abenteuer, dass sich ,Dialog’ nennt. Der Dialog ist sehr wichtig für die eigene Reife, denn im Kontakt mit anderen Personen und anderen Kulturen, auch in der gesunden Auseinandersetzung mit anderen Religionen wächst man: man wächst und reift.“
„Denn wir führen einen Dialog, um uns zu finden, nicht um zu streiten. Und was ist die tiefste Haltung, die wir für einen Dialog brauchen und nicht für den Streit? Die Sanftmut. Die Fähigkeit, Personen und Kulturen mit Frieden aufzusuchen. Die Fähigkeit, intelligente Fragen zu stellen wie: ,Warum denkst du so? Warum macht diese Kultur das so?’ Die anderen zu hören und dann zu sprechen. Zuerst zuhören, dann sprechen. Das ist Sanftmut.“
„Es gibt keinen Frieden ohne Dialog. Alle Kriege, Kämpfe, alle Probleme, die sich nicht lösen und denen wir begegnen gibt es aufgrund eines Mangels an Dialog. Wenn es ein Problem gibt – Dialog: dieser bringt den Frieden, dass ihr einen Dialog zu führen versteht: ,aha, so denkt also diese Kultur, wie schön, dies aber gefällt mir nicht so’… immer aber im Dialog. [12]
Dass ein Mensch, der allein Jesus folgen und sich nicht auf andere Kulturen einlassen will, nicht „in sich isoliert“ ist, ergibt sich allein daraus, dass einer, der in Christus und in Maria ist, keinesfalls mehr „in sich“ selbst „isoliert“ sein kann. Er wächst und reift in Maria zu Jesus Christus hin und andererseits wächst und reift in ihm selbst – wie in Maria – Jesus Christus. Beides gilt. Niemand ist weniger isoliert als ein wahrer Christ! Es ist völlig gleich, ob er dabei das Privileg hat, in der Welt herumreisen zu können. Franziskus richtet ein beklagenswertes, begriffliches Chaos an! Und dies bei der vollmundig geforderten „Klarheit über die Begrifflichkeit“!

Franziskus redet gerne von der „Zärtlichkeit Gottes“ und der „Sanftmut des Christen“. Was meint er damit? Gegenüber den Japanern sagte er wörtlich:  
Und was ist die tiefste Haltung, die wir für einen Dialog brauchen und nicht für den Streit? Die Sanftmut.“ Nüchtern bemerkt ist es hinsichtlich der Wahrheit nicht von Belang, ob sie sanft oder unsanft vorgetragen wird – was wahr ist, ist wahr. In Franziskus’ Sätzen klingt der Spruch „Der Ton macht die Musik!“, aber dieser Satz ist hinsichtlich der Wahrheit – falsch. Die Aufwertung der „Verpackung“ zum unverzichtbaren Bestandteil der Wahrheit, eine irrige Frucht des „Pastoralkonzils“, hat nicht nur die traditionelle Lehrverkündigung in Misskredit gebracht, sondern die Wahrheit ihrer Objektivität beraubt.
Es ist evident, dass dies logischer Unsinn ist. Entweder bin ich „in“ der Wahrheit geborgen (also in Christus) oder eben nicht. Tertium non datur.Utinam frigidus esses aut calidus!“ – (O, wenn du kalt oder heißt wärest!)[13] ruft der himmlische Jesus in der Johannes-Offenbarung. Die Erscheinung des Herrn wird übrigens dort so beschrieben: „et de ore eius gladius anceps acutus exibat“[14](und aus seinem Mund wuchs ein scharfes, zweischneidiges Schwert heraus). Das scharfe, zweischneidige Schwert ist das Kontrastprogramm zu Franziskus’ Dialog!
Franziskus Formulierung ist nicht missverständlich, sondern falsch: „Mit anderen Worten verlangt die Wahrheit, die letztlich mit der Liebe vollkommen eins ist, Demut und ein Offensein für die Suche, die Aufnahme und ihren Ausdruck.“ Nein! Die Liebe ist immer ohne Falsch. Was wahr ist, ist wahr. Was falsch ist, ist falsch. Echte Demut beugt sich der objektiven, schwertscharfen Wahrheit, die Jesus Christus heißt, und nicht dem, was wir, ich selbst oder ein anderer Mensch, momentan gerade für wahr halten, wenn wir überhaupt noch nach objektiver Wahrheit fragen. Denn Scalfari tut dies offensichtlich nicht. Franziskus geht darauf direkt ein: „Sie (fragen) mich, ob es ein Irrtum oder eine Sünde sei zu glauben, dass es keine absolute Wahrheit gebe. Zunächst würde ich auch für einen Glaubenden nicht von einer „absoluten“ Wahrheit im Sinne eines Losgelöstseins und daher einer Beziehungslosigkeit des Absoluten sprechen. Nun ist die Wahrheit dem christlichen Glauben zufolge die Liebe Gottes zu uns in Jesus Christus und daher eine Beziehung! Jeder von uns geht von sich selbst aus, wenn er die Wahrheit aufnimmt und ausdrückt: von seiner Geschichte, seiner Kultur, seiner Lage usw.“
Der Exkurs darauf, dass auch ein Gläubiger nicht von einer „absoluten“, im Sinne einer „losgelösten“ Wahrheit ausgehe, stellt eine krude Verkürzung des kirchlichen Wahrheitsbegriffs dar und ist nichts weiter als ein feiges Um-den-Brei-herum-Reden. Die Wahrheit ist sehr wohl „absolut“, denn sie existiert tatsächlich losgelöst von jeder Bindung an Wahrheitsminderndes, Korrumpierendes, Relativierendes. Und noch etwas: nicht wir gehen von uns aus, wenn wir die Wahrheit(!) aufnehmen! Im Moment der Umkehr zu IHM nehmen wir tatsächlich ausschließlich IHN in uns auf und lassen unsere „Geschichte, unsere Lage, unsere Kultur etc.“  zurück! „At illi continuo, relictis retibus, secuti sunt eum“[15] – (Sie folgten IHM sogleich, nachdem sie ihre Netze liegengelassen hatten.)  Was sie versponnen, gebunden und gefangen gehalten hatte, warfen sie ab und folgten IHM…

Berufung des Petrus und des Andreas


3. An IHM scheiden sich die Geister!

Die Tatsache, dass viele Differenzen zwischen Einzelpersonen und kulturellen Ausprägungen ganz offenkundig im Zusammenhang mit Wahrheit und Irrtum, mit Bosheit und Güte, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit stehen, scheint Franziskus nicht im Blick zu haben, gar nicht ernst zu nehmen – als seien die Mächte und Gewalten in der Luft, vor denen uns der Hl. Paulus warnt, ein Kinderspiel. „Quia non est nobis colluctatio adversus sanguinem et carnem sed adversus principatus, adversus potestates, adversus mundi rectores tenebrarum harum, adversus spiritalia nequitiae in caelestibus.” – (Denn wir kämpfen nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen Fürsten, gegen Mächte, gegen die Herrscher dieser finsteren Welt, gegen böse Geister in den Himmelsregionen.) In der Waffenrüstung gegen diese Mächte nennt der Hl. Paulus zuerst das Umgürten der Lenden mit der Wahrheit![16]
Nicht von Ungefähr wird am Ende der Zeiten der Weltenrichter Jesus Christus eine Scheidung von „Schafen“ und „Böcken“ vornehmen: nicht alles war gleich „gut“ oder hatte die gleiche Berechtigung. Und vieles, was „gut gemeint“ war, wird ER abweisen und böse nennen! Vor IHM werden Menschen stehen, die einklagen wollen, dass sie doch – sogar „in seinem Namen“ – „dasselbe“ getan hätten wie die vor IHM Gerechten. Mehrfach mahnt uns das NT: Er wird sagen, er kenne sie nicht und wird sie hinauswerfen in die äußerste Finsternis, die ihre Heimat war.[17] Jeder, der diese Worte der Hl. Schrift liest, muss erschauern vor dem Ernst der Lage!
Die Lehre der Kirche kannte aus diesem Grund keinen „Dialog als Mittel des Friedens“. Unser Friede ist allein Christus. Unser Herz ist im Unfrieden, und was im Herzen ist, dringt – ohne Versöhnung mit Gott - unweigerlich nach außen. Frieden heißt in der christlichen Vorstellung, dass der Wille Gottes ohne Abstriche erfüllt wird. Es ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass ein solcher Frieden nicht von einem Kollektiv initiiert werden kann, sondern nur in den Herzen der einzelnen Gläubigen entfacht zur Gemeinschaft drängt. „Secundum voluntatem tuam pacificare et coadunare digneris“ -  (Deinem Willen gemäß mögest DU befrieden und vereinigen) beten wir im Alten Messkanon. Erst geschieht die persönliche Befriedung des einzelnen, danach ist die Vereinigung möglich…
In die Realität menschlichen Unfriedens ragt die merkwürdige Aussage Jesu, der Friede, den er gebe, sei nicht der Friede, den die Welt gibt.[18] Sein Friede ist also jenseits alles dessen, was der Mensch an Friedensbemühung vornehmen könnte.
Im Agnus Dei kommt der Einbruch dieser fremden Friedensvorstellung, die nicht von dieser Welt ist, zum Ausdruck: „qui tollis peccata mundi dona nobis pacem“ -  (der Du trägst die Sünden der Welt, gib uns Frieden...). Die Beziehung zwischen unserer Sünde und der privatio des Friedens ist hier deutlich ausgesprochen. Ein rein irdischer „Weltfrieden“ ist – aufgrund des apokalyptischen Kampfes zwischen Licht und Finsternis – vor der Wiederkunft Jesu Christi sogar ausdrücklich ausgeschlossen:
ER, so ist es von Anfang an gesagt, bringt das „Schwert“. An IHM scheiden sich die Geister. An IHM wird offenbar, was in den Herzen schlummert. ER trennt unter uns Licht und Finsternis. So wie Gott am Anfang der Schöpfung das Licht und die Finsternis schied… Angesichts SEINER Gegenwart kann sich keiner verstellen.

Simeon, Maria und das Jesuskind


Simeon prophezeit der Gottesmutter im Tempel: „Ecce positus est hic in ruinam et resurrectionem multorum in Israel et in signum, cui contradicetur — et tuam ipsius animam pertransiet gladius — ut revelentur ex multis cordibus cogitationes.“ – (Siehe, dieser ist gesetzt zum Ruin und zur Auferstehung vieler in Israel und zum Zeichen, dem widersprochen wird – und dir wird selbst ein Schwert durch deine Seele gestoßen werden – damit die Gedanken aus den Herzen vieler ans Tageslicht kommen.)[19]
Zum Ruin! Er wird Widerspruch hervorrufen! Das Schwert in Marias Seele ist keine romantisch-pathetische Beschreibung mütterlicher Affenliebe, sondern die Ankündigung der Teilhabe Mariens am Erlösungswerk ihres Sohnes. Das Schwert in der Seele Mariens ist Teil des Leidensweges Jesu, der den Frieden in Gott möglich machen wird für viele.
Mit Jesus steht jedenfalls der einzelne Mensch vor der Möglichkeit des endgültigen Ruins oder der Auferstehung. Ab jetzt ist die Rede von den Werken der Finsternis und denen des Lichts:
„Nemo vos decipiat inanibus verbis; propter haec enim venit ira Dei in filios diffidentiae.
Nolite ergo effici comparticipes eorum;
eratis enim aliquando tenebrae, nunc autem lux in Domino. Ut filii lucis ambulate

— fructus enim lucis est in omni bonitate et iustitia et veritate —
probantes quid sit beneplacitum Domino;
et nolite communicare operibus infructuosis tenebrarum, magis autem et redarguite;
quae enim in occulto fiunt ab ipsis, turpe est et dicere;
omnia autem, quae arguuntur, a lumine manifestantur,
omne enim, quod manifestatur, lumen est.
Propter quod dicit: “ Surge, qui dormis, et exsurge a mortuis, et illuminabit te Christus ”.[20] -
(Niemand täusche euch mit leeren Worten; wegen ihnen kommt der Zorn Gottes auf die Kinder des Misstrauens.
Darum ergebt euch nicht als deren Teilhaber;
Einstmals wart ihr Finsternis, jetzt aber Licht im Herrn. Auf dass ihr wie Kinder des Lichtes wandelt – die Frucht des Lichtes nämlich besteht in Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit – prüft, was dem Herrn ein Wohlgefallen sei;
Und macht euch nicht gemein mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, vielmehr aber deckt sie auf;
was nämlich im Geheimen von jenen getan wird, ist zu schändlich, um gesagt zu werden;
alles aber, was offengelegt wird, wird vom Licht sichtbar gemacht,
alles nämlich, was sichtbar gemacht wird, ist Licht.
Deswegen sagt man:
„Steh auf, der du schläfst, ersteh von den Toten auf, damit dich Christus erleuchtet.“
Wer nicht von Christus erleuchtet ist mit seiner willentlichen Zustimmung, liegt „im Grab“, ist „tot“!
Es ist dem Christen nicht erlaubt, mit den „Toten“ an einem Strang zu ziehen:  Nolite iugum ducere cum infidelibus! Quae enim participatio iustitiae cum iniquitate? Aut quae societas luci ad tenebras?[21] (Zieht nicht ein Joch mit den Ungläubigen! Hat denn die Gerechtigkeit teil an der Bosheit? Oder was hat das Licht mit der Finsternis zu tun?)
Distanz ist immer dann geboten, wenn Dinge aus einem bestimmten Geist heraus vorgenommen werden, der der Lehre der Kirche ausdrücklich widerspricht oder bei nüchterner Analyse implizit entgegensteht. Dazu zählen politische, soziale und kulturelle Projekte, die eine starke ideologische Fundierung haben und immer andere Religionen und ihre Kulte.
Es ist nicht „überheblich“, wie Franziskus behauptet, diese geistigen Fundierungen, die den Hl. Geist abweisen, als „Werk der Finsternis“ zu bezeichnen. Wer sich wirklich bekehrt hat, weiß, dass der Mensch außerhalb der Kirche unweigerlich in die Hände der Finsternis gerät. Wer wagt, die Geister voneinander zu scheiden – es ist ja bei vielem nicht einfach, zu erkennen, wes Geistes Kind es ist!?
Und es gibt schon in alttestamentlicher Zeit das Charisma der Unterscheidung der Geister, das derjenige, der es hat, seinen Glaubensgeschwistern schenken muss. Die Gabe der Unterscheidung ist verbunden mit einem prophetischen Charisma. Dass Simeon und Hanna (letztere wird ausdrücklich eine prophetissa genannt)[22] in dieser unscheinbaren Familie, die in den Tempel kam, um ihren Erstgeborenen Gott zu weihen, die Heilige Familie erkannten, dass Simeon in Maria die Gottesmutter und Teilhaberin des Erlösungswerkes sah und ihr das unter Segenssprüchen sogar zusprechen konnte, basiert auf der Fähigkeit, das, was wahr ist und von Gott kommt, sofort zu unterscheiden von allem anderen, das nicht diesen Status hat. Simeon wird ein „homo iustus et timoratus“ genannt, dem der Hl. Geist eingegeben habe, „non visurum se mortem nisi prius videret Christum Domini.“ Unter Einwirkung des Geistes geht er zur besagten Stunde in den Tempel.[23] Auch er ist ein Prophet wie Hanna – ganz eindeutig. Die Kirche braucht auch dieses Charisma. Das Lehramt hätte die Aufgabe, dieses Charisma und seine Frucht im Einzelfall zu prüfen und zu bestätigen.
Aus der zitierten Stelle aus dem Epheserbrief geht hervor, dass die Werke der Finsternis, sobald sie beleuchtet werden, sich zwangsläufig als nicht-lichtvoll erweisen werden: Omne enim, quod manifestatur, lumen est.“ Hinter diesem Satz steht die Vorstellung der Finsternis als Abwesenheit des Lichtes. Wenn etwas wesenhaft finster ist, bleibt es auch im Licht finster, „wie ein schwarzes Loch“. Das Licht scheint und beleuchtet – nichts! Was sich dagegen beleuchten lässt und erkennbare Gestalt gewinnt, das ist Licht! Ein Läuterungsprozess klingt auch hier an dieser Stelle an: das Licht „heilt“ die gekränkte, verminderte, ursprünglich gut geschaffene, verfinsterte Substanz des Menschen. Jesus trat deshalb so überaus wirkmächtig als Arzt in Erscheinung. Das Heilen der menschlichen Gebrechen blieb immer eine zentrale Berufung der Kirche und fand einen sichtbaren Niederschlag in der Pflege und Behandlung Kranker, aber auch in Wunderheilungen durch die Fürbitte der Heiligen. Im Licht der Lehre der Kirche muss alles geprüft werden und wird seinen Charakter erweisen. Es ist nicht „überheblich“, so vorzugehen, wie Franziskus behauptet, sondern so ist es uns geboten zu unserem Heil und dem der ganzen Welt.

Christus Weltenrichter


4. Das „Vorurteil“ als Kampfbegriff gegen die Objektivität

Ein letztes Wort sei gegen den gedankenlosen Einsatz des Begriffes „Vorurteil“ durch Papst Franziskus eingewandt: Wir meinen zu wissen, was ein „Vorurteil“ ist. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein hätte niemand von „Vorurteilen“ gesprochen. Er hätte von einem „Urteil“, „Fehlurteil“ oder „Irrtum“ gesprochen. Man hätte einem bestimmten Urteil aufgrund rationaler Einwände vielleicht nicht zugestimmt. Man hätte aber nicht bestritten, dass das Urteilen, die Gewinnung einer ausschließlichen Überzeugung an sich selbst, legitim sei.
Was aber meint der Begriff „Vor-Urteil“, der 1954 von Gordon Allport theoretisch begründet worden sein soll und als negativer Kampfbegriff alltäglich verwendet wird?[24] Es lässt sich schnell definieren, was die Rede von den „Vorurteilen“ meint: Wer „Vorurteile“ hat, denkt angeblich abwertend oder diskriminierend über andere, liegt damit selbstverständlich falsch und muss zurechtgewiesen werden. Der Begriff ist ein ideologischer Totschläger, denn jedes Urteil kann als Vorurteil zurückgewiesen werden. Fast jedem Alltags-Urteil haftet etwas Vorläufiges an. Daraus ist vernünftig nicht zu schließen, dass ein solches „vorschnelles“ Urteils falsch oder abwertend sein muss. Das Urteil ist sachlich möglicherweise korrekt, aber spontan gefällt. Die Möglichkeit positiver Vor-Urteile wird bezeichnenderweise vonseiten der Begriffsanwender nicht in Erwägung gezogen – auch dies ein Hinweis auf die hohe ideologische Kontamination dieses Wortes.
Und wie kann das „Vorurteil“ scharf abgegrenzt werden von ausreichend begründeten und bewussten Urteilen? Es ist unschwer zu erkennen, dass dies nicht möglich ist. Niemand ist in der Lage, rationale, allgemeingültige Kriterien zu formulieren, nach denen ein illegitimes „Vorurteil“ von einem legitimen Urteil unterschieden werden kann. Rational lässt sich nur über die Begründetheit eines Urteils entscheiden.
Längst hat sich die Rede von der Illegitimität der Vorurteile zum Gemeinplatz aufgeweicht, man dürfe überhaupt nicht urteilen. „Urteilen“ wird als gleichbedeutend mit „ver-urteilen“ aufgefasst. Die Kritikfähigkeit ist verloren gegangen: jedes Urteil wird als ein Urteil ad personam – als narzisstische Kränkung - aufgefasst, nicht mehr in der Sache, also ad rem!
Ironisch sprechen wir bereits von „political correctness“, einem vor-totalitären gesellschaftlichen Klima, das nicht mehr ertragen will, dass jemand aufgrund rationaler Erwägungen zu unerwünschten Urteilen kommt. In mancher Einzelfrage – zum Beispiel der nach der Homosexualität – geschieht inzwischen in vielen Staaten eine Kriminalisierung all jener, die aus wohlerwogenen Urteilen heraus nicht bereit sind ein ideologisch fundiertes Urteil über das Phänomen zu teilen, im Rahmen von „Antidiskriminierungsgesetzen“. Es genügt der verbale Widerspruch, um vor ein Gericht gestellt zu werden.

Franziskus ist zu feige, sich zu Themen wie dem genannten öffentlich zu äußern und windet sich wie eine Schlange zwischen Licht und Finsternis. Er will im Licht sein und doch die Finsternis nicht brüskieren: „Wer den christlichen Glauben lebt, flüchtet nicht aus der Welt oder sucht irgendeine Hegemonie, sondern stellt sich in den Dienst des Menschen; er dient dem ganzen Menschen und allen Menschen, beginnend bei den Peripherien der Geschichte, stets erfüllt von der lebendigen Hoffnung, die trotz allem zu Werken des Guten drängt, und den Augen dem Jenseits zugewandt.“
Der Christ „ist nicht von dieser Welt“. Sein Streben ist, dass er nicht dem Menschen, sondern dem Herrn dienen will. Dass der Herr, der sich zum Diener aller gemacht hat, auch die Seinen zum Dienst an allen aussendet, ist wahr. Ob der Herr im Einzelfall dabei „bei den Peripherien der Geschichte“  beginnen will, sollten wir IHM nicht vorschreiben. Warum sollte er nicht im Zentrum wirken wollen?
Warum aber erwähnt Franziskus nicht, dass der Christ primär seinem Herrn und erst sekundär dem Menschen dient? Weiß er nicht, dass diese primäre Motivation erst das spezifisch Christliche ausmacht und den „Dienst am Menschen“ unterscheidet von der Vergötzung des Menschen, der alle Welt frönt?

Ein tiefer Seufzer entfährt mir – O, Franziskus, warum wirfst Du Dich nicht vor IHM nieder und flehst unsere Mutter um Fürbitte an, warum lässt Du Dir nicht raten von klugen Männern und Frauen, bevor Du redest oder schreibst? Was willst Du hinterlassen mit solch chaotischen und falschen Verlautbarungen? Soll die Kirche unter Dir zusammensinken wie eine vermoderte Leiche? Wenn ich nicht wüsste, dass nicht Du es bist, der die Kirche bewahrt vor den Pforten der Hölle – ich müsste es jetzt befürchten!
O Maria!


Dieser Artikel erschien auch auf Katholisches.info.




Der Text des Briefes an Eugenio Scalfari, der am 11. September 2013 in der italienischen Zeitschrift „La Republicca“ erschienen ist, wurde am 12.+13. September 2013 im katholischen Nachrichtenmagazin „Zenit“ (www.zenit.org/de) in einer eigenen deutschen Übersetzung und auch im Original veröffentlicht: http://www.zenit.org/de/articles/wahrheit-ist-eine-beziehung-erster-teil und http://www.zenit.org/de/articles/wahrheit-ist-eine-beziehung-zweiter-teil
Alle Zitate aus diesem Brief, die ich anführe, stammen aus dieser Zenit-Übersetzung.
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[1] Ecclesiastes 3, 1+7
[2] So beispielsweise in seiner ersten Ansprache nach der Papstwahl
[3] Vgl. Anm. 23
[4] Joh. 3, 36
[5] Beim Treffen mit japanischen Studenten - vgl. Anm. 12
[6] Beim Treffen mit japanischen Studenten – vgl. Anm. 12
[7] Vgl. P. Engelbert Recktenwald: Glauben Christen und Muslime an denselben Gott? Und vgl. P. Franz Prosinger: Derselbe Gott? Auf www.kath-info.de/monotheismus.html am 21.9.2013
[8] 1. Johannes 4,2 ff
[9] Vgl. Mt. 25, 31 ff + Mt. 7, 22
[10] Joh. 16, 13
[11] Joh. 8, 32
[13] Offenbarung 3, 15
[14] Offenbarung 1, 16
[15] Mt. 4, 18
[16] Eph. 6, 12 ff
[17] Vgl. Mt. 25 31 ff oder Mt 7, 22
[18] Joh. 14, 27
[19] Lk. 2, 25 ff
[20] Eph 5, 6-14
[21] 2. Kor. 6, 14
[22] Lk. 2, 36
[23] Lk. 2, 26+27