(Leseprobe unten)
Hanna Jüngling: Schloss Mondésir und das himmlische Jerusalem. Eine ultramontane Streitschrift zum vielbeklagten Reformstau. Zeitschnur Verlag Karlsruhe 2012
ISBN 978-3-940764-12-6
Bestellung im Buchhandel über ISBN oder über www.zeitschnur.de/verlag
3. Brauchen wir Sex?
Ich brauche nur einmal im Leben wirklich überlebensnotwendig Geschlechtsverkehr – nämlich den meiner Eltern, wenn sie mich zeugen. Geschlechtsverkehr, den ich vollziehe, brauchen nur die, die aus mir entstehen sollen und Gott, der sie ins Leben rufen will.
Ich brauche folglich den durch mich vollzogenen Geschlechtsverkehr nicht notwendigerweise. Wenn ich ihn für notwendig halten will, bezieht sich die Notwendigkeit ganz und gar nicht auf mich. Bliebe ich jungfräulich, würde es mein persönliches Überleben und mein Glück (was nicht mit Momenten der Lust gleichzusetzen ist) in keiner Weise einschränken. Ob Geschlechtsverkehr wirklich „gebraucht“ wird, um eine Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau innig zu gestalten, darf getrost bezweifelt werden. Grundsätzlich braucht niemand „Sex“, um zu lieben oder geliebt zu werden. Ungezählte jungfräuliche Menschen haben das bereits vorgelebt. Die große Freude einer Beziehung zwischen Mann und Frau ist nicht weniger erotisch, wenn sie keinen sexuellen Kontakt sucht. In einer normalen Ehe bleiben die Partner nicht aufeinander fixiert. Die Männer empfinden natürlich auch Zuneigung zu anderen Frauen – gerade weil sie ihre Frau kennen und lieben. Und die Frauen lieben natürlich auch andere Männer. Denn das Alleinstellungsmerkmal einer ehelichen Beziehung ist tatsächlich nicht die Liebe und Zuneigung, sondern ihre Öffentlichkeit und der Vollzug der Sexualität samt der Ankunft von Nachkommen und allem, was daraus im Alltag folgt. Die Setzung des Alleinstellungsmerkmales ist ein bewusster und willentlicher Akt. Dieser Akt tut sich nicht von allein. Wer sich nicht selbst immer wieder daran erinnert, dass er ein Versprechen gegeben hat, das vor Gott und mit Gottes Hilfe gilt, verliert leicht die Fassung im Umgang mit anderen Menschen. Wir erleben es tagtäglich in unserer Gesellschaft, die glaubt, auf Gottes Hilfe und Maß verzichten zu können und für das Einhalten von Versprechen zu infantil geworden ist. Die lebenslange christliche Ehe ist kein romantisches Gefühlsinstitut, sondern ein Bahnhofsbau: wer heiratet, will einen Ort schaffen, an dem Menschen ankommen können. Die Trauer der Paare, die keine Kinder bekommen, ist nicht anachronistisch. Es bleibt eine Katastrophe für die Betroffenen, wenn in der Bahnhofshalle immer Züge einfahren, aus denen keiner aussteigen mag! Kinderlose Eheleute sehnen sich nach einer Weitung ihrer Gemeinschaft und suchen nach einer Zeit der Krise fast immer andere Möglichkeiten, dies zu verwirklichen.
Geschlechtsverkehr verweist immer auf Gott und immer auf Menschen, die entstehen können. Jedes Mal, wenn ein Mann und eine Frau miteinander schlafen, klingt der Ruf nach weiteren Menschen mit – auch wenn bei den meisten sexuellen Begegnungen natürlicherweise jetzt gerade kein Kind entstehen würde. Es ist ein Prinzip, kein Automatismus. Wer sich in dieser Weise mit dem anderen vereinigt, ist wie einer, der sich selbst ganz und gar aussäht, um Neues hervorzubringen. Dass wir das lustvoll erleben und in Gemeinschaft tun dürfen, dabei nicht einsam bleiben müssen, ist Geschenk. Auf Geschenke hat man keinen Anspruch. Wir haben aber den Spieß umgedreht: wir halten das Geschenk für unser Recht und verweigern dabei, uns selbst hinzugeben an die, deren Stimmen in der Tiefe unseres Leibes schon von ferne klingen. Wir verstopfen unsere Ohren, um sie nicht zu hören, machen uns gefühllos, unempfänglich, um ihre vitale Gegenwart in unserem Bewusstsein nicht mehr zu spüren. Unser „Sex“ verliert seinen Glanz, wird so taub wie unser Gehör und so stumpf wie unser paralysierter Leib. Wir beanspruchen „Sex“, um ihn denen, denen er gehörte, vor der Nase wegzuschnappen. Wir „machen Sex“, um vor der heiligen und göttlichen Geschlechtlichkeit zu fliehen, zu der wir berufen sind. Zur Geschlechtlichkeit berufen zu sein heißt, dass man sich vollkommen hingibt an Gott und Menschen, die hinzukommen sollen zu seinem Reich. Dieser Vorstellung liegt die Auffassung vom „Leib Christi“ zugrunde, der „aufwachsen“, zu seiner Reife kommen soll wie wir es von individuellen Lebewesen kennen: Ihrem genetischen Code ist eine bestimmte Gestalt, die sich entwickeln kann, „einprogrammiert“. Wir erleben dieses Erreichen der „vollen Zahl“1 in der Zeit-Dimension. Die spezifische Aufgabe der Eheleute ist es, in der Sexualität leibhaftig und geistig diese „volle Zahl“ zu „generieren“. Es gibt, in einem tiefen Verständnis, keinen Unterschied zwischen Zölibatären und Ehepaaren. Der eine wie der andere verdankt sich dem Geschlechtsverkehr seiner Eltern und Gottes Ruf in dieses Leben. Beide geben sich selbst ganz und gar hin, um das Reich Gottes mit den Menschen zu füllen, nach denen der Schöpfer sich sehnt. Die Aufgabe insbesondere des Priesterzölibats ist es, durch Verzicht auf eigene Nachkommen frei zu sein dafür, gewissermaßen „größere generische Einheiten“ zu überblicken und zu leiten. Dass hier zwei Berufungswege beschritten werden, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Zwillingswege sind. Eheleute hören zunächst ihre leiblichen Kinder in sich selbst klingen. Das ist notwendig, damit ihre konkreten Kinder auch von ihnen so ersehnt werden, wie der Schöpfer sie ersehnt. Bald weitet sich aber der Horizont – es kommen immer mehr hinzu zu einer solchen Ehe und Familie, nicht nur die leiblichen Kinder, sondern auch viele andere, die hier Resonanz finden. Zölibatäre gehen hier den „kurzen Weg“. Sie hören gleich von Anfang an die Stimmen aller, die von Gott ins Leben gerufen werden wollen, im eigenen Leib klingen und eilen an die Spitze des Trosses, um die, die direkt mit der leibhaftigen Sorge um die „volle Zahl“ beschäftigt sind, im Auftrag Jesu zu „hüten“. Manche leisten dieses Hüten weniger durch das Führen, Leiten und Lehren als durch tätige Nächstenliebe und immerwährendes Gebet. So wenden sich, wenn es recht steht, sowohl die Zölibatäre als auch die Eheleute immer mehr von sich selbst weg und den vielen anderen zu. Sie ahmen die Haltung Gottes zu uns nach. Sie tun es als Männer und als Frauen. Es ist der Antwortgesang auf Gottes Liebe. Und diese Liebe Gottes ist in sich so bewegt und lebendig, dass das ineinander verschlungene Mann- und Frausein vollkommener Ausdruck davon ist. Für Zölibatäre ist daher das Mann- oder Frausein genauso gewollt und schön wie für Eheleute. Sie sind wie alle anderen Menschen natürlicherweise mit dem anderen Geschlecht verwoben. Sie haben ja nur versprochen, auf Geschlechtsverkehr und all die tausend Bindungen, die daraus praktisch und alltäglich wachsen, zugunsten einer kontemplativen, karitativen oder priesterlichen Bindung an Jesus, die das Zeichen der Ehe „überspringt“, zu verzichten. Nicht mehr und nicht weniger. Damit ist weder die Verneinung der eigenen Geschlechtlichkeit noch eine Absage an die innige Verwobenheit mit dem anderen Geschlecht gemeint. Denn wie schon der heilige Paulus sagte, ist der Mann nichts ohne die Frau und die Frau nichts ohne den Mann.2 In jedem Fall drücken Personen in jedem Stand diese innergöttliche Lebendigkeit und Sehnsucht aus. Dass wir in jedem Stand Versuchungen, die uns in die Untreue treiben wollen, ausgesetzt sind, spricht nicht gegen das eben Gesagte.
Wir „brauchen“ keinen „Sex“ für uns selbst! Aber wir brauchen das erfüllte Bewusstsein, ein Mann oder eine Frau zu sein, von Gott so gewollt und geliebt zu sein und ihn, den lebendigen, bewegten und bewegenden Schöpfer im Humor und in der Zärtlichkeit für das andere Geschlecht auszudrücken.
Jesus hat zu der Frage, ob man seinen sexuellen Impulsen zwingend nachgeben müsse, eine erfrischend harte und unverklemmte Antwort: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen. Wenn dich dein rechtes Auge verführt, dann reiß es aus und wirf es weg!3 Das heißt: nein, man muss nicht seinen sexuellen Impulsen nachgeben! Jeder wird angefochten durch Impulse aller Art, die nicht am Platz sind. Jesus drückt dies deutlich aus. Aber er drückt auch aus, dass das keinesfalls richtungweisend sein darf für mein Handeln! Der Geschlechtsverkehr ist und bleibt für Christen in Übereinstimmung mit der ungebrochenen Überzeugung der Kirche seit 2000 Jahren eine exklusive Aufgabe eines Ehepaares. In allen anderen Beziehungen gibt es keinen solchen Vollzug, auch wenn er möglich wäre, reizvoll erscheint und uns möglicherweise eine Zeit lang hart anficht. Es ist eine absolut klare Aussage Jesu, die andererseits eine enorme Weitung menschlicher Liebesbeziehungen andeutet. Anstatt Liebe zwischen Menschen notorisch in einer sexuellen Lesart wahrzunehmen, haben Christen eine enorme Freiheit: wir können, dürfen und sollen sogar viele andere lieben, mit aller Tiefe, allem Respekt, mit Innigkeit, Leidenschaft, Zärtlichkeit und Hingabe, aber nicht im Geschlechtsverkehr, nicht durch die sinnleere Überbetonung der Sexualität, sondern durch all die anderen Möglichkeiten und Ausdrucksformen, die in jeder individuellen Konstellation zwischen zwei Menschen zur Verfügung stehen! Die aufgaben- und sinnzentrierte Begrenzung des Geschlechtsverkehrs ist die Voraussetzung für die besondere und tiefe Liebe zu all den Menschen, die Gott in unsere Biografien hineinfügt. Jesu „harte“ Worte bringen dolcezza, Süße und Milde ins Leben. Es ist wahrhaftig so, wie er selbst es gesagt hat: sein Joch ist zwar ein Joch, aber es drückt nicht, seine Last ist leicht!4 Christenleben weisen aus diesem Grunde eine große Leichtigkeit, einen spezifischen Swing auf.
1 Vgl. Röm. 11, 25 Der Begriff der „vollen Zahl“ ist hier zwar nur auf die Heiden bezogen, aber das widerspricht nicht der von mir hier entwickelten Lesart des Begriffes als generischem Gestaltbegriff.
2 1. Kor. 11,11
3 Mt. 5, 28f
4 Mt. 11,30
Horologium musicum et poeticum. Aliquando Dominus parietes temporum in aeternum verrerit .
Mittwoch, 1. Mai 2013
Samstag, 20. April 2013
Velocitas Iesu - Et ecce venio velociter. Gedanken über das !Bald! Jesu
Siehe, ich komme bald. Selig, wer an den prophetischen Worten dieses Buches festhält. (Apk. 22, 7)
Das geheimnisvolle !Bald!, von dem Jesus spricht, das venio velociter, ist kein !Bald! nach unseren Maßstäben. Die Theologie unserer Tage hat sich die Frage, warum das !Bald! Jesu, die velocitas seines Wiederkommens, sich nicht erfüllt habe, zunutze gemacht. Zwar findet sich im Credo das Bekenntnis zur Wiederkunft Christi. Aber man fasst sie "abgehoben" auf. Welcher Christ glaubt, dass Jesus Christus buchstäblich sedet ad dexteram Patris, et iterum venturus est cum gloria? Wir haben gelernt, sämtliche Aussagen der Schrift und der Tradition ausschließlich als Abstraktion zu verstehen und uns sorgfältig zu verbergen, falls wir doch ein konkreteres Verständnis in uns tragen. Jesus „kommt“ in dieser bleichen modischen Christerei nur im „übertragenen Sinn“ zu uns. Was dieser „übertragene Sinn“ sein soll, darf phantasievoll immer neu und in alle Richtungen gedeutet werden. Das Materiallager der christlichen Überlieferung ist der freien Verfügung übergeben worden und darf zu jedem Zweck genutzt werden. Die Perspektive der unerfüllten „Naherwartung“ relativiert den Ernst des alten christlichen Glaubens. Wer hält den Menschen dem ewigen Vater hin wie ein Kind, das man dem Helfer an einer Unfallstelle entgegenstreckt: Nimm, halte, rette ihn? Man begnügt sich damit, den elenden Menschen inmitten der Hölle zu vergolden, Betrachtungen über ihn anzustellen und zu umtanzen. Die wenigen Traditionalisten werden als Hindernis in diesem Treiben angesehen. Man will sie "vorwärts" peitschen wie Bileam seine Eselin, als sie sich dem Engel, der den Weg versperrte, nicht entgegenwerfen wollte. Bileam konnte den Engel nicht sehen. Für die Eselin aber war der Engel sichtbarer als alles andere. Unsere Würdenträger sind mit ähnlicher Blindheit geschlagen. Erzbischof Zollitsch spricht im Stenokürzel vom „Aufbruch“ oder davon, den „Aufbruch zu wagen“. Wohin „aufbrechen“, was dabei „gewagt“ werden soll – das bleibt ein Mysterium für Eingeweihte. Man wird in Kirchenfunktionärskreisen angeschaut wie eine Pferde-Tram auf TGV-Trassen, wenn man diese Frage der Fragen stellt.
Was
aber, wenn das unerfüllte !Bald! doch nicht
unerfüllt bleibt? Was, wenn das !Bald! an der
Ewigkeit des Allerhöchsten gemessen werden muss und nicht an unserer
Endlichkeit? Was, wenn das !Bald! plötzlich
und überraschend zu einem !Jetzt!, zu einem !Da! wird?
Ich
sage ungeschminkt, was ich glaube: Der kollegiale bischöfliche „Aufbruch“ ist
ein finaler „Abbruch“, eine geistliche Abtreibung des Herrn der Kirche, der
seit 2000 Jahren schon für Apostaten aller Art eine unerwünschte
Schwangerschaft war. Und dieser Mord wird zelebriert wie ein Messopfer. Die
Kirche opfert sich selbst für die Verschrottung ihrer Glaubenshoffnung auf den
eigenen Altären auf – natürlich coram publico und
versus populum.
Mit diesem Programm kann sie Gott nicht unter die Augen treten und gen Osten
zelebrieren, denn dort steht das Kreuz, der Oriens Jesus
Christus, der Auferstandene, der sich kein zweites Mal töten lässt. Dieses
Opfer muss man verkehrt herum zelebrieren. Folgerichtig haben seit diesen
Neuerungen unendlich viele Menschen die Kirche verlassen. Es gibt für den lauen
Glauben keinen guten Grund mehr, dort zu bleiben. Wer ist geblieben? Eine
brodelnde Mischung aus zerstörerischen Kräften, verschlafenen
Konventionschristen und denen, die die große Hoffnung auf das Himmlische
Jerusalem nicht kampflos aufgeben wollen. Bischöfe, Priester, Ordensfrauen,
Laien, sofern sie nicht selbst destruktiv zelebrieren, stehen schaulustig
dabei, gebannt von der gigantischen Show, gelähmt in allen vitalen
Gehirntätigkeiten, mit erkaltenden Herzen, Jongleure der Hostie, Gotteslästerer
in beispielloser Frivolität, unerreichbar für das Leiden Christi und
verschlossen für die Tränen der Gottesmutter. Sie, die ihren Sohn als Braut des
Heiligen Geistes empfangen, in ihrem Leib getragen und geboren hat, sie, die
seine ersten feinen Tritte gespürt, ihn die ersten Worte gelehrt, seinen Weg
begleitet und seine Auferstehung und Himmelfahrt erlebt hat – was muss sie
empfinden angesichts dieser Blasphemie? Maria, die an Pfingsten dabei war, sie,
die bereits vom Heiligen Geist empfangen hatte, lange vor Pfingsten? Das
Schwert, das ihr Herz durchbohrt, wie ihr damals im Tempel prophezeit worden
war, ist für sie ganz offensichtlich noch nicht ausgestanden. Ich möchte sie in
die Arme nehmen und trösten, mich ihr zu Füßen legen, denn wie Elisabeth kann
ich nur sagen: Et
unde hoc mihi, ut veniat mater Domini mei ad me…
Die
annulierte Naherwartung, die „Parusie-Verzögerung“, die zu einer Zurücknahme
jeglicher Hoffnung auf die Wiederkunft Christi geführt hat, ist eines der
Sprach-Symbole für die größte Apostasie, die die Kirche je gesehen hat. Das
scheinbar nicht eingetroffene !Bald! des
Wiederkommens Jesu hebt die geistlichen Appelle der Evangelien, der
Apostelbriefe und der Apokalypse auf. Eigentlich passt die ganze Tradition der
Kirche, ihre tiefe geistliche Schönheit, der Abglanz des himmlischen
Bräutigams, nicht mehr auf unsere Bildschirme und Displays. Ein heutiger Mensch
soll die traditionelle Kirche nicht mehr verstehen können. Wenn da
nicht immer noch die vereinzelten Menschen wären, die Jesus im Glauben annehmen
und die Tradition doch Schritt für Schritt verstehen. Glaube heißt für sie:
„Naherwartung bis zum Weltende“. Wer liebt und sich
geliebt weiß, wartet eine Ewigkeit! Diese Liebenden sind dem erloschenen,
aber unverdrossen „pilgernden Gottesvolk“ ein Hindernis im freien Schwertkampf
gegen Marias Herz.
„Erloschen“?
Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen lehrt uns das Erlöschen des Glaubens
vieler, die einmal vom Glauben angerührt waren. Diese Geschichte will so gar
nicht in die gelehrte Naherwartungsschablone passen! Jesus erzählt von jungen
Mädchen, die beim Warten über den sich verspätenden Bräutigam einschlafen. Nur
fünf von ihnen haben genügend Lampen-Öl für eine lange Wartezeit mitgebracht.
Sie sind die Klugen, die, die am Ende mit in den Hochzeitssaal dürfen. Die fünf
anderen, deren Lampen erlöschen, werden ausgesperrt: der Herr hat sie nie
gekannt. Die „Naherwartung“, die Jesus in dieser Geschichte erzählt, legt die
Betonung auf das „Warten“. Vielleicht kann man es so sagen: aus der Sicht Jesu
kommt er auf jeden Fall !Bald!, aber aus
unserer Sicht gilt es, eine Erwartung aufrecht zu halten.Wer die Texte des
Neuen Testamentes sorgfältig liest, entdeckt, dass das !Bald! der
Wiederkunft Jesu Christi eben kein banales !Bald! ist, wie
man es drängelnden Kindern sagt. Wer nicht damit rechnet, dass er unendlich
lange warten muss, so lange, dass ihm die Augen zufallen vor Müdigkeit, der ist
dieses Bräutigams nicht wert. Selig, wer an den
prophetischen Worten dieses Buches festhält, sagt Jesus dem Seher Johannes.
Das Festhalten fordert maximale Wartebereitschaft ab. Und werden wir nicht
daran erinnert, dass das, was uns lange erscheint, vor Gott kurz ist: Am Ende der Tage
werden Spötter kommen, die sich nur von ihren Begierden leiten lassen und
höhnisch sagen: Wo bleibt denn seine verheißene Ankunft? (…) Das eine aber, liebe
Brüder, dürft ihr nicht übersehen: dass beim Herrn ein Tag wie tausend Jahre
und tausend Jahre wie ein Tag sind. Der Herr zögert nicht mit der Erfüllung der
Verheißung, wie einige meinen, die von Verzögerung reden; er ist nur geduldig
mit euch, weil er nicht will, dass jemand zugrunde geht, sondern dass alle sich
bekehren. (2. Petrus 3)
Es
gilt, eine andere Schau der Zeit zu empfangen. Jesus sagt immer wieder, er wisse weder Tag noch
Stunde. Er komme wie ein Dieb in der Nacht,
überraschend, unerwartet, plötzlich,
verspätet für die einen, zu früh für die anderen und gerade rechtzeitig für
die, die immer auf ihn gewartet haben, immer und ohne Zweifel daran, dass er
kommt.
Die
Kirche kennt von Anfang an das Verwirrspiel unzutreffender
Wiederkunfts-Ankündigungen. Gebt Acht, dass euch
niemand irreführt! sagte Jesus. (Markus 13, 5) In der frühesten
Christenheit wurde bereits intensiv über die Wiederkunft und das Rätsel des
Zeitpunktes nachgedacht. Paulus nennt zwei Kriterien, die erfüllt sein müssen,
bevor der Herr wiederkommt: Es muss eine massive, nie dagewesene Apostasie
stattfinden. Und der Mensch des Verderbens muss offenbar werden. Seid also standhaft,
Brüder, und haltet an den Überlieferungen fest, in denen wir euch unterwiesen
haben, sei es mündlich, sei es durch einen Brief.(2. Thess. 2) Diesen
Kriterien vorgelagert ist die Aussage Jesu, das Evangelium müsse vorher allen
Menschen verkündet worden sein. (Markus 13,10)
Er
kommt rechtzeitig für alle, die ihr Leben ihm schenkten, ihm Tag und Nacht ihre
Liebeserklärungen und Nöte ins Ohr flüsterten. Er ist um uns herum und es liegt
an uns, ob wir unser Herz auf ihn richten, auf ihn, unseren treuen
Reisebegleiter.Er kommt zu denen, die den Leib Christi empfangen und sich
darauf vorbereiten, dass er selbst es ist, mit dem sie sich vereinigen.Die
sakramentale Gegenwart Jesu und das Gebet sind der Vorgeschmack darauf, dass er
in Herrlichkeit kommen wird. Sie soll die Sehnsucht nach seiner Wiederkunft in
uns wach halten wie das Lampen-Öl das Licht der klugen Jungfrauen.
In
mir lebt das apokalyptische Bild, wie er wiederkommt in den Wolken, vielleicht
gerade da draußen vor dem Fenster. Es wird keinen Zweifel darüber geben, dass
er es ist. Und die Jahrhunderte, die uns so lang erschienen, werden
zusammenschmelzen zu einem Augenblick, zu einem Seufzer, der uns im Hals
stecken bleibt: Da!
– Er kommt! Ich bin mir gewiss, dass es so sein wird. Die Zeit ist eine
Kulisse, die Gott uns zuliebe entfaltet hat, um jedem von uns die Möglichkeit
zum Leben und zur Umkehr zu geben. Eines Tages aber wird der Herr die
Zeitkulissen ineinanderschieben und aus tausend Jahren wird ein Da!. Die Jahre
haben uns velociter
durch ein paar Zeitalter mitgerissen. Spüren wir in uns nicht die ganze
Menschheitsgeschichte? Waren wir nicht mit dabei im Garten Eden, auf der
Wüstenwanderung, überall da, wo Menschen seit Menschengedenken waren? Offenbart
nicht eines der Modethemen aktueller Kinderliteratur, nämlich die „Zeitreise“,
dass in jedem die tiefe Ahnung lebt, dass alles zusammengehört, alles jeden
betrifft, alles zum Greifen nahe ist? Was uns lange erschien, war nur ein
Hauch. Er war uns immer nah, unser Herr. Er stand immer schon vor der Tür wie ein
lange angkündigter Besuch und zog die Klingelschnur. Wir waren fern. Viele von
uns wollten nicht aufmachen. Er aber sagt dazu:Ich bin das Alpha und
das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende. Was wir sind,
sind wir durch ihn. Was wir nicht durch ihn sind, sind wir nicht. Contemplamini
hoc velociter!
Er wird plötzlich kommen.
Er wird plötzlich kommen.
Donnerstag, 11. April 2013
"Abenteuer einer Brezel" im Zeitschnur Verlag
Diese Brezelgeschichten und eine ganz lange Geschichte von der "Geburt der Brezel" kannst Du in in dieser neu erschienenen Broschüre lesen:
Bestellung über www.zeitschnur.de oder den Buchhandel, Amazon oder Ebay.
Hanna Jüngling: Abenteuer einer Brezel
Mit vier Zeichnungen der Autorin
Format 21 x 21 cm, 40 Seiten, 100g
handgebundene und nummerierte Exemplare
Zeitschnur Verlag Karlsruhe
ISBN 978-3-940764-13-3
Ladenpreis 8,00 €
Bestellung über www.zeitschnur.de oder den Buchhandel, Amazon oder Ebay.
Sonntag, 17. Februar 2013
Lunatic Performance
Die Brezn in Hannover
Als Frau H. aus München nach
Hannover umzog, war das erste, was ihr unangenehm auffiel, dass es an diesem Ort
alle möglichen gradlinigen Dinge wie zum Beispiel den zweitgrößten Stadtwald
Europas und das beste Deutsch auf Erden gibt – aber keine Brezn. Sie
durchsuchte die ganze Stadt und musste sich eingestehen, dass die meisten nicht
mal wussten, was eine echte Brezn ist. Man reichte ihr Tüten mit kleinen
salzigen Partybrezeln über den Ladentisch, oder ausgestochenes Teegebäck in
einer sterilen Nachbildung aus Mürbteig. Am schlimmsten waren diese unförmig
verschlungenen, mandelbesplitterten Süßgebäcke, die angeblich aus Russland
stammten. Heftiges Heimweh beschlich Frau H. und sie bereute, dass sie in diese
Stadt gezogen war, der die Grundvoraussetzungen zum behaglichen Leben fehlten.
Ein mitfühlender amerikanischer Freund schenkte ihr eines Tages zum Trost eine
Tüte voll „German Pretzels“ mit P und tz, produced in the United States. Sie
nahm die Aufmerksamkeit gerührt und wehmütig entgegen.
Ach, wie schön ist es doch in
Süddeutschland, dem Paradies, in dem nicht nur die Erschaffung des Menschen,
sondern auch herbstliche Bierfeste unter freiem Himmel auf grünem Rasen überliefert
werden! So sitzt der Mensch zwischen den
Stühlen, ist da unzufrieden, wo er herkommt und zieht davon. Doch an dem Ort, an
dem er sich dann niederlässt, fehlt ihm die alte Heimat, und sie gewinnt in der
Erinnerung die Qualitäten des Himmelreiches.
Aber unsere Frau H. war eine Dame
mit Leistungsbereitschaft und Vorstellungskraft. Eines morgens fuhr sie, um ihr
Heimweh zu kontrollieren, im Alten Aufzug von 1913 auf den Turm des Neuen
Rathauses. Von der Aussichtsplattform aus ließ sie ihren Blick über das
Panorama schweifen wie ein Radarschirm auf der Suche nach leisen Bewegungen.
Wer scharf hinsieht, wird meistens fündig. So auch Frau H. – während sie
gedankenverloren einen Punkt anstarrte, den sie später nicht mehr benennen
konnte, erschien es ihr, als hinge an einem Seidenfaden eine begehrenswerte
bayerische Brezn vom Himmel herab. Sie riss ihre Augen auf und schaute ein
zweites Mal, voller Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer sinnlichen Wahrnehmung
und doch mit dem charakteristischen Geschmack des Laugengebäcks auf dem
Zungengrund. Ihr fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, als sie an einer
anderen Stelle innerhalb ihres Blickfeldes eine zweite Brezn hängen sah. Ihr
Kopf rotierte hin und her, sie schaute und schaute, bis der ganze Himmel voller
Brezeln hing. Frau H. entfuhr ein fassungsloses: „Ah-!“ Einige US-Touristen in
aufreizend kurzen Hosen wandten sich ihr überrascht zu. Frau H. zeigte ins
Weite und stotterte: „Da – da – das ist ja wie im Puppentheater. Eine Brezn
neben der andern an Schnüren - vom Himmel. Da - schauens doch nach vorne –
da….“ Ein Mann verstand, was sie sagte und kriegte den Mund nicht mehr zu: „O
my God!“ rief er und rüttelte seine Landsleute an den Schultern. „Look at that
lunatic performance!“ Er klatschte sich auf die nackten Schenkel und brach in brüllendes
Gelächter aus. „Bavarian Pretzel is over the moon!“ Die ganze Gesellschaft schaukelte
sich in eine bizarre Stimmung hoch, riss einen Witz nach dem andern, zückte die
Kameras, die Luft schwirrte von „Marvellous“-Rufen und “Me and the wonder of
the Pretzels - take a picture!” und explodierte in immer neuen Lachsalven. Schließlich
wurde Frau H. an den Rand der Aussichtsplattform gestellt und von zehn Fotoapparaten
vor dem Hannoveraner Brezelhimmel festgehalten – eine Deutsche allein unter
Brezeln. Frau H. wusste nicht, wie ihr geschah. Die Marionettenbrezeln, das
Blitzlichtgewitter, die Amerikaner - sie glaubte, verrückt geworden zu sein.
Während die Touristen noch filmten und alberten, schlich sie sich davon, fuhr
im Aufzug nach unten und begab sich schnurstracks ins psychiatrische
Krankenhaus in die Notfallambulanz. Den ganzen Weg lang raschelten die Brezeln
hoch über ihr und wiegten sich leise in den Luftbewegungen. Es war eine eigene,
seltsam trockene Musik, ein Brezelwindspiel, immer wieder fielen Salzkörner
herab und streichelten Frau H.s Gesicht.
Als die verstörte Münchnerin sich
an der Pforte des Hospitals einfand, stand dort schon eine Schlange
aufgeriebener Menschen. Sie alle sahen Brezeln und zweifelten an ihrem Verstand.
Der Pförtner ging draußen vor dem Gebäude auf und ab, den Kopf im Nacken und blickte
in den Himmel. „Alles voller Breeezeln“, sagte er ein ums andere Mal und
betonte dabei ganz übermäßig das e. Frau H. korrigierte ihn: „Das e musst kurz
sagen, es heißt „Brezn“ oder „Brezel““. Er winkte ab und zeigte in die
Auffahrt: dort hatte sich ein Wagen des Norddeutschen Rundfunks eingefunden und
filmte bereits die Vorgänge am Himmel und auf Erden. Ein Arzt mit Glatze und
weißem Kittel forderte die Menschen auf, nach Hause zu gehen. Es sei alles
okay, keiner müsse um seine Gesundheit fürchten. Frau H. bestand darauf,
Urheberin des Brezelwunders zu sein und rührte sich nicht von der Stelle, bis
sie von einer süßen jungen Radio-Praktikantin befragt wurde. Das Interview kam
noch am selben Tag in voller Länge im dritten Programm und wurde weltweit in
jeder Nachrichtensendung erwähnt.
Liebe Leser, wir können uns
ausmalen, wie es weiterging, denn vor allem anderen geht es ums Geld: Hannover
wurde Anziehungspunkt für Suchende aus aller Welt. Schamanisten, Altachtundsechziger,
Transsexuelle, Orakel, Yogis, Comic-Fans, Mittelalterdarsteller und
Bierliebhaber fielen in Horden ein. Alle wollten den Himmel voller Brezeln
hängen sehen. Aber die Gunst der Brezelstunde hatte noch am selben Abend ihr
Ende gefunden und es erschien keine Brezel mehr am Himmel. Es versteht sich von
selbst, dass sich in Hannover seither die Bäckereien überschlagen, echte
bayerische oder badische oder schwäbische Brezeln anzubieten. Hannover ohne
Brezeln – das kann sich heute niemand mehr vorstellen. Die Brezel – ein Symbol
von unabsehbarer Tragweite. Inzwischen wird sogar einmal jährlich eine
Brezelkönigin gewählt. Es gibt ein Wettbrezeln auf der Leine, mit den
holzgeschnitzten Brezellarven ist die alemannische Fasnet im Norden eingezogen
und unter dem Unendlichkeitssymbol der Brezel findet alle zwei Jahre ein
internationaler Esoteriker-Kongress statt. Eine Seherin aus der Region hat das
nächste Datum für eine Brezelerscheinung in Hannover vorausgesagt: in 173
Jahren auf den Tag genau am 4. April. In Bayern konnte ein
Volkskundler nachweisen, dass schon der Mühlhiasl das Wunder angedeutet hatte.
Irgendwann tauchte in den USA eine neue Psychotechnik auf – das „Pretzelling“,
das einen Siegenszug in der westlichen Welt angetreten hat, der seinesgleichen
sucht.
Und Frau H.? Sie wurde „abständig“,
wie Heidegger gesagt hätte. Sie wollte nicht aufgehen in der anonymen,
allgemeinen Brezelei, vor allem nicht in Hannover. Sie packte ihre Sachen und
zog zurück nach München. Dort hängen die Brezn einfach achtlos überall herum.
Man backt sie, kauft sie, isst sie und vergisst sie.
Copyright by HJ
Sonntag, 10. Februar 2013
Künstlerschicksal
Neujahrsbrezel
Als
ich am Neujahrsmorgen einen Spaziergang machte und in Gedanken versunken die
Straße hinabging, fiel mir eine hochgewachsene, weizenblonde Brezel auf, die
lässig mit verschränkten Armen an einem Gartenzaun lehnte, mich mit großen
Augen von oben bis unten anschaute und ein Lied dabei pfiff.
Ich
war müde von der Silvesternacht, hatte das Bedürfnis, allein zu sein, von
niemandem angesprochen zu werden, den Lärm der Feuerwerke, das Geschrei der
angetrunkenen Menschen aus meinem Bewusstsein herauszuschlendern.
„Grüß
Gott!“ murmelte ich und beschleunigte meinen Schritt, um an der Schönen mit der
golden schimmernden Haut vorbeizukommen, ohne in ein Gespräch verwickelt zu
werden. Als hätte sie meine Absichten geahnt, wippte sie auf ihrem Brezelrücken
mitten auf die Straße und verstellte mir den Weg. „Wie geht es?“ fragte sie
mich. „Gestern habe ich Sie auf Youtube gesehen – Sie spielen ja feurig, das
muss ich wirklich sagen.“ Auf den Austausch von Komplimenten hatte ich nun gar
keine Lust! Ich hob die Hand zum Schweigen. Aber die Brezel redete weiter. Sie
wolle mich fragen, ob ich mir vorstellen könnte, bei ihr heute Abend auf einer
privaten Feier zu spielen. Das Honorar wäre fürstlich und ein Essen inklusive nobler
Unterbringung gäbe es dazu. Das hörte sich nicht schlecht an. Meine Hand sank
nach unten und mein Kopf schnellte in die Höhe. Die Brezel bohrte ihren hohlen Blick
in meine Augäpfel: „Und, haben Sie angebissen?“
fragte sie mit aufreizender Bosheit. Am liebsten hätte ich ihr krachend in ihren
schönen, aufgesprungenen Brezelrücken gebissen!
Aber ich beherrschte mich: für uns Künstler gilt Man zahlt und du musst tanzen. Mit gelassenem, komödiantischem
Lächeln fragte ich, was es denn für eine Feier sei und was mein Part dabei sein
würde.
„Es
ist - “, druckste die Brezel herum. „ – es ist - eine kleine Feier zu zweit.“
Eine kleine Feier zu zweit! Mir wurde es ein wenig unwohl. Zu zweit, also mit
mir zu dritt. „Darf ich fragen“, gab ich zurück. „Was Sie zu zweit feiern?“ Die
Brezel ließ ein paar Salzkörner fallen und säuselte: „Wir feiern unseren
Hochzeitstag.“ Aha. Und ich? dachte ich. „Und ich?“ fragte ich. „Was wäre meine
Aufgabe?“ Die Brezel zog eine dunkle Brille aus dem Etui, das sie in ihrer
Hosentasche getragen hatte, setzte sie vor ihre hohlen Augenlöcher und erklärte
ohne Umschweife, sie bräuchten eine richtig wilde und schräge Musik, um in alte
Stimmungen zu kommen… Da habe sie gedacht, dass eine Geigerin, die so spiele
wie ich, genau das Richtige sei. Sie polierte die Nägel ihrer linken Hand und
blies anschließend darüber, als müsse sie den Staub von einem Buch entfernen,
das seit Jahrhunderten im Regal gestanden und niemals gelesen worden war.
„Wie
viel?“ fragte ich lakonisch.
Sie
machte eine großartige Geste: „ Wir dachten an 1000 Euronen.“ Meine Güte! Das
ließ sich hören. „Wo findet die Party statt?“ fügte ich gleich hinzu. „Und wo würde
ich schlafen?“ Die Neujahrsbrezel legte einen affektierten Ton auf: „Bei mir in
meiner Villa, Ihnen stünde dort ein eigenes Luxusappartement zur Verfügung.“
Puh!
Ich muss zugeben, dass mir bei der Vorstellung, nicht nur Geige, sondern noch
anderes womöglich zu dritt zu spielen, bereits der kalte Schweiß ausgebrochen
war. Dennoch blieb ich misstrauisch: „Können wir einen Vertrag darüber machen?“
Die Schöne winkte bereits mit einem Papier. Sie zeigte mit farbigen Nägeln auf
die einzelnen Punkte: die konzertante Musik, die sich zum Hintergrundrauschen
verdünnen sollte, das Essen, das Luxusappartement im Haus und die 1000 Euronen.
Plus die Abgabe an die Künstlersozialkasse, 7% Umsatzsteuer und Fahrtkosten.
Wir unterschrieben beide und die Sache war geritzt.
Zur
verabredeten Stunde kam ich zum verabredeten Haus, und die Brezel empfing mich
wieder mit der Brille auf den hohlen Augenlöchern. Sie war alleine. Sie ließ
sich von einem Hausdiener Essen auftragen und speiste königlich. Ich spielte
mir die Seele aus dem Leib. Sie trank eine Flasche besten Weines nach der
anderen. Ihre Gestalt am Tisch verschwamm wie verhedderte bunte Luftschlangen
und sank irgendwann in sich zusammen. Der Hausdiener und ich führten sie
behutsam ein Stockwerk höher.
Wieder
im Saal unten angekommen, spielte ich dem Mann im Frack noch ein paar meiner
neuesten Kompositionen vor und fragte dann nach meinem Zimmer. „Sie sollten
etwas essen“, meinte er einfühlsam. „Ihr Magen sang lauter als Ihre Geige.“
Damit hatte er vollkommen recht, und ich ließ mich von ihm gerne verwöhnen mit
den Gängen seines vorzüglichen Menüs, den erlesenen Weinen, die ich maßvoll
genoss und einem herrlichen Tee zum Schluss.
Meine
Unterkunft im Dachgeschoss war wirklich ein Luxusappartement. Ich nahm ein Bad
in einer Wanne, die meiner vollen Körperlänge Raum gab, salbte meinen Leib
anschließend mit Rosenöl und zog einen weichen Schlafanzug über. Das Bett war
ein Himmelbett – auf dem Kopfkissen lag der Umschlag mit den 1000 Euronen.
Als
ich zu weit fortgeschrittener Nachtstunde in den Schlaf sank, meinte ich das
Schnarchen der Neujahrsbrezel tief unter mir zu hören. Die Schluchzer, die sich
wie Nebelschwaden durch mein dunkles Zimmer schoben, waren sicher nur Ausgeburten
meiner Träume.
Copyright by HJ
Donnerstag, 7. Februar 2013
Mittwoch, 6. Februar 2013
Fasnet verknotet Zeitschnur
Ich sehe eine Jahreszeit doppelt
Die
Brezel im Wald
Geht 'ne
große Brezel durch den finsteren Wald. Sie schaukelt sich aufrecht stehend
vorwärts. Die großen weißen Salzkristalle auf ihrem knusprigen Rücken
funkeln im Mondlicht. Du fragst dich, wohin sie will? Was meinst du wohl? Wohin
will eine einsame Brezel nachts im Wald? Es ist schon ein irres Bild, wie
sie da so langsam zwischen den Bäumen dahinwippt wie ein Schaukelstuhl
mit verschränkten Armen, der immer ein bisschen weiter nach vorne
rutscht. In das Knistern und Rascheln des Waldes hinein hörst du dieses
schwingende Geräusch. Gebannt schaust du zu. Du glaubst, du siehst nicht
recht. Das gibt's doch gar nicht! So was ist doch verrückt. Aber, Moment mal,
... Da! Die Brezel hält an. Sie geht auf einen Baum zu. Als sie unter seinen
Zweigen durchschrappt, fallen ein paar Salzkörner ins trockene Laub. Sie
dreht dir sittsam ihren Brezelrücken zu. Du hörst es rieseln! Das kannst
du keinem erzählen. 'Ne Brezel, die im Wald spazieren geht und mal austritt.
Du schüttelst den Kopf und seufzt. Das hört die Brezel. Sie zuckt so heftig
zusammen, dass ihr noch ein paar Salzkörner vom Rücken stürzen. Beklommen
dreht sie sich zu dir um. Zwei hohle Augenlöcher blicken dich an. Und hast
du nicht gesehen schwingt sie davon, aber so schnell, als hätte sie einen
Motor. Irgendwann siehst du nur noch Salzkristalle in der Dunkelheit
funkeln. Du bleibst zurück und denkst an die sanfte Wiege, in der du lagst,
als du ein Kind warst. Du folgst dem Flirren der ausgestreuten Salzkörner.
In der Ferne hörst du Musik und Gelächter. Nun weißt du, wohin die Brezel
ging. Da wärest du übrigens auch eingeladen. Folge nur den kleinen Sternen
im Laub. Vielleicht gibt's zu der Brezel ja ein Bier. Und nun mach, bevor
noch ein Fass Bier des Weges dahergerollt kommt!
Copyright by Hanna Jüngling
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